Erschienen in:
25.03.2019 | Leichenschau | Originalien
Attestierung der Infektionsgefahr bei der Leichenschau
Auswertung der Dokumentationsleistung zu meldepflichtigen und nichtmeldepflichtigen infektiösen Krankheiten und Krankheitserregern in Münchner Todesbescheinigungen
verfasst von:
PD Dr. med. J. Schöpfer, A. Stenik, L. Eberle, M. B. Koeppel, M. Graw, S. Gleich
Erschienen in:
Rechtsmedizin
|
Ausgabe 3/2019
Einloggen, um Zugang zu erhalten
Zusammenfassung
Hintergrund
In Deutschland starben laut amtlicher Todesursachenstatistik in den letzten Jahren rund 4% der Bevölkerung an Infektionskrankheiten. Der leichenschauende Arzt entscheidet, ob es sich um eine nach Infektionsschutzgesetz (IfSG) meldepflichtige Krankheit handelt, und ob er auf dem nichtvertraulichen Teil der Todesbescheinigung das Feld „Infektionsgefahr“ ankreuzt. Die deutsche Bestattungsgesetzgebung sieht in den Fällen, in denen vom Verstorbenen eine für Dritte relevante Infektionsgefahr, „Infektiosität“, ausgeht, eine Kennzeichnungspflicht vor. Der Terminus „infektöse Leiche“ ist jedoch derzeit nicht konkret definiert. Der damit den Leichenschauärzten geschaffene Handlungsspielraum ruft bei diesen Unsicherheiten hervor.
Material und Methode
Es wurden im Rahmen einer retrospektiven standardisierten Vollerhebung im Stadtgebiet München ausgestellte Todesbescheinigungen (n = 3005) untersucht. Anhand dieser Stichprobe wurden Angaben zu Infektionskrankheit und Krankheitserregern sowie die Angabe eines Warnhinweises „Infektionsgefahr“ ausgewertet. Die Ergebnisse geben ein uneinheitliches Bild. In der untersuchten Stichprobe fanden sich in 8,1 % der infektassoziierten Todesfälle im nichtvertraulichen Teil der Todesbescheinigung dokumentierte Warnhinweise auf eine „übertragbare Krankheit, bei der die konkrete Gefahr besteht, dass gefährliche Erreger beim Umgang mit der Leiche übertragen werden“, woraus kosten- und zeitaufwendige Schutzmaßnahmen resultierten. Bei objektivierbar risikoadaptierter Einschätzung hätte in 0,4 % aller infektassoziierten Todesfälle bzw. 2,7 % der attestierten „Infektionsgefahr“ zwingend ein Warnhinweis erfolgen müssen. Dies ist lediglich einmal umgesetzt worden. In 42 Fällen war der Warnhinweis nicht gerechtfertigt. In annähernd 90 % der bejahten Warnhinweise wurde der Erreger auf dem nichtvertraulichen Teil der Todesbescheinigung dokumentiert, was als Verstoß gegen die ärztliche Schweigepflicht gewertet werden könnte.
Schlussfolgerung
Es waren Dokumentationsfehler mit vermeidbaren Folgekosten nachweisbar. Das IfSG erscheint als alleinige Grundlage für eine Kennzeichnung einer Leiche als infektiös nicht geeignet. Eine deutschlandweit an realistische Infektionsgefahren angepasste Bestattungsgesetzgebung erscheint als zwingend ratsam.