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Erschienen in: Die Chirurgie 12/2020

24.06.2020 | Autopsie | Die Bibliothek des Chirurgen

Johann Adam Kulmus – zur Bedeutung seiner anatomischen Tabellen für die Chirurgie in Europa und für die Medizinerausbildung in Japan

verfasst von: Prof. Dr. Rüdiger Döhler, FRCSEd, Thaddäus Zajaczkowski, Caris-Petra Heidel

Erschienen in: Die Chirurgie | Ausgabe 12/2020

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Zusammenfassung

Dieser Beitrag beschreibt das Leben und die medizingeschichtliche Bedeutung von Johann Adam Kulmus, einem Breslauer Arzt und Anatomen in Danzig. Berühmt machten ihn seine 1722 erschienenen „Anatomischen Tabellen für Lehrlinge der Anatomie“, die – für ein Lehrbuch der Anatomie bis dahin unüblich – in deutscher Sprache verfasst waren. Sie gehörten zu den am häufigsten aufgelegten anatomischen Lehrbüchern im 18. Jahrhundert und wurden auch in andere europäische Sprachen sowie ins Lateinische übersetzt. Im Jahr 1774 erschienen sie sogar in Japan, nachdem sie in jahrelangen Mühen aus dem Niederländischen in die Landessprache übertragen worden waren, und sollten noch für längere Zeit als grundlegendes wissenschaftlich-anatomisches Lehrbuch in der medizinischen Ausbildung dienen. Damit stehen die „Anatomischen Tabellen“ zugleich auch als gelungenes Beispiel für die bereits seit der beginnenden Neuzeit einsetzenden Bemühungen zur Einführung der westeuropäischen Medizin in Japan.
Fußnoten
1
Siehe etwa Baas (1876), S. 556 [12]; Haeser (1882), S. 456, 588 [16]; Hirsch (1931), S. 632 [17]; Diepgen (1951), S. 75 [14]; auch Choulant (1852), S. XII, XVII [13].
 
2
Geburtstag nach ADB 18. März 1689 f.
 
3
1267 als Lateinschule „Ad sedem Sanctae Mariae Magdalene“ gegründet, wurde die Schule 1643 von Kaiser Ferdinand III. zum kommunalen (protestantischen) Maria-Magdalenen-Gymnasium erhoben. Die Schule bestand bis 1945.
 
4
Als Akademisches Gymnasium wird eine höhere Schule bezeichnet, die in der frühen Neuzeit v. a. in den protestantischen Territorien des Heiligen Römischen Reiches und angrenzender Gebiete aufkam und gymnasiale und universitäre Studien verband. Noch vor Danzig waren derartige Schulen gegründet worden in Gotha (1524), Nürnberg (1526), Marburg (1527), Bern (1528), Bremen (1529), Linz (1542), Klagenfurt (1552), Wien (1553), Prag (1556), Staßfurt (1556).
 
5
Gegründet wurde das Hippaeum Zamoscianum 1595 von Jan Zamoyski, der dominierenden Gestalt der polnisch-litauischen Adelsrepublik. Die Akademie bestand bis 1944.
 
6
An den Universitäten wurde natürlich auch Chirurgie gelehrt, allerdings rein theoretisch. Für die spätere Berufsausübung der akademischen Ärzte (Innere Medizin) hatte die Chirurgie schon deshalb eine geringe Wertigkeit, als sie sich gar nicht in die „Niederungen“ eines nicht-akademischen Chirurgen begeben würden, aber auch nicht über die praktischen Fähigkeiten verfügten. Zu den ersten Ärzten, die bewusst den Beruf des Chirurgen ergriffen und die technischen Fertigkeiten mit anatomischen, physiologischen und pathologischen Grundlagen verbanden, gehörten in Deutschland Lorenz Heister (1683–1758; Prof. an Univ. Helmstedt) und in England John Hunter (1728–1793).
 
7
Die ersten bedeutenden chirurgischen Lehranstalten des 18. Jh. im deutschsprachigen Raum waren das 1713 eingerichtete Theatrum anatomicum in Berlin, abgelöst vom Collegium medico-chirurgicum 1723, die in Hannover (1716), Düsseldorf (1747) und Braunschweig (1750) gestifteten Collegia anatomico-chirurgica (die sich zu Chirurgenschulen entwickelten) sowie die sich an der französischen Chirurgie orientierende Kurpfälzische Chirurgische Militärschule mit anatomischem Theater in Mannheim (1854).
 
8
Rangaku steht für Ran = japanische Abkürzung für Niederlande und Kagaku = Lernen durch Handeln.
 
9
Fasciculus exercitationum physicarum. Danzig 1729.
 
10
Johann Georg Kulmus (1680–1731) stammte ebenfalls aus Breslau und hatte in Leipzig, Halle und Leiden Medizin studiert. Er wurde Stadtphysikus in Danzig und Leibarzt von August II.
 
11
Sterbetag von Johann Adam Kulmus war nach Szarszewski der 28. Mai, nach ADB und Sachs der 29. Mai, nach Kämpfert und Kulturportal West-Ost der 30. Mai 1745.
 
12
Englische Übersetzung der Inschrift am Denkmal: The origin of Keiō University dates back to 1858 when Fukuzawa Ukichi opened a school to teach rangaku in the house of Daimyo Okudahira. The actual site is now inside St Luke’s Hospital which is just to the north of this memorial. In addition, this place is historically significant as the one where Maeno Ryotaku first translated the Dutch anatomy. Therefore this is a fitting place to commemorate the dawn of modern Japanese science (Sakula 1985, S. 587 [7]).
 
Literatur
1.
Zurück zum Zitat Zajaczkowski T (2016) The life und accomplishments of Professor Johann Adam Kulmus (1689–1745). Influence of his anatomical book on teaching of surgery in Europe and progress in education of medicine in Japan. In: Schultheiss D (Hrsg) De Historia Urologiae Europaeae, Bd. 23, S 101–130 Zajaczkowski T (2016) The life und accomplishments of Professor Johann Adam Kulmus (1689–1745). Influence of his anatomical book on teaching of surgery in Europe and progress in education of medicine in Japan. In: Schultheiss D (Hrsg) De Historia Urologiae Europaeae, Bd. 23, S 101–130
2.
Zurück zum Zitat Kämpfert H‑J (1985) Kulmus, Johann Adam. Arzt und Naturforscher. In: Jähnig B, Letkemann P (Hrsg) Danziger Naturwissenschaftler. Danzig in acht Jahrhunderten. Copernicus-Vereinigung, Münster, S 213–240 Kämpfert H‑J (1985) Kulmus, Johann Adam. Arzt und Naturforscher. In: Jähnig B, Letkemann P (Hrsg) Danziger Naturwissenschaftler. Danzig in acht Jahrhunderten. Copernicus-Vereinigung, Münster, S 213–240
3.
Zurück zum Zitat Szarszewski A (2009) Johann Adam Kulmus, „Tabulae anatomicae“, Gdańsk 1722 Sugita Genpaku, „Kaitai Shinsho“, Edo 1774. Ann Acad Med 39:133–144 Szarszewski A (2009) Johann Adam Kulmus, „Tabulae anatomicae“, Gdańsk 1722 Sugita Genpaku, „Kaitai Shinsho“, Edo 1774. Ann Acad Med 39:133–144
4.
Zurück zum Zitat Mosingiewicz A (1994) Jan Adam Kulmus i jego portret w Bibliotece Gdańskiej Polskiej Akademii Nauk – Nowy człowiek w starych ramach. Libri Gedanenses 11/12:44–47 Mosingiewicz A (1994) Jan Adam Kulmus i jego portret w Bibliotece Gdańskiej Polskiej Akademii Nauk – Nowy człowiek w starych ramach. Libri Gedanenses 11/12:44–47
5.
Zurück zum Zitat Iżycka-Świeszewska E, Hermann B, Gulczyński J (2013) Johann Adam Kulmus and public autopsy of conjoined twins in 1724. In: Szarszewski A, Sieka B (Hrsg) Joachim Oelhaf and his successors. Gdański Uniwersytet Medyczny, Gdańsk, S 83–91 Iżycka-Świeszewska E, Hermann B, Gulczyński J (2013) Johann Adam Kulmus and public autopsy of conjoined twins in 1724. In: Szarszewski A, Sieka B (Hrsg) Joachim Oelhaf and his successors. Gdański Uniwersytet Medyczny, Gdańsk, S 83–91
6.
Zurück zum Zitat Sachs M (2002) Die „Anatomischen Tabellen“ (1722) des Johann Adam Kulmus (1689–1745). Ein Lehrbuch für die (wund-) ärztliche Ausbildung im deutschen Sprachraum und in Japan. Sudhoffs Arch 86(1):69–85PubMed Sachs M (2002) Die „Anatomischen Tabellen“ (1722) des Johann Adam Kulmus (1689–1745). Ein Lehrbuch für die (wund-) ärztliche Ausbildung im deutschen Sprachraum und in Japan. Sudhoffs Arch 86(1):69–85PubMed
8.
Zurück zum Zitat Edgar F (2005) Deutsche Mediziner in Japan – ein Beitrag zum Wissenstransfer in der Edo-Zeit. In: Schad-Seifert A, Vogt G (Hrsg) Japanstudien. Jahrbuch des Deutschen Instituts für Japanstudien. Deutschland in Japan, Bd. 17, S 31–56 Edgar F (2005) Deutsche Mediziner in Japan – ein Beitrag zum Wissenstransfer in der Edo-Zeit. In: Schad-Seifert A, Vogt G (Hrsg) Japanstudien. Jahrbuch des Deutschen Instituts für Japanstudien. Deutschland in Japan, Bd. 17, S 31–56
9.
Zurück zum Zitat Bowers JZ (1970) Western medical pioneers in feudal Japan. Johns Hopkins Press, Baltimore, London Bowers JZ (1970) Western medical pioneers in feudal Japan. Johns Hopkins Press, Baltimore, London
10.
Zurück zum Zitat Kühn CG (1789) Johann Adam Kulmus anatomische Tabellen für Lehrlinge der Anatomie. Fritsch, Leipzig Kühn CG (1789) Johann Adam Kulmus anatomische Tabellen für Lehrlinge der Anatomie. Fritsch, Leipzig
12.
Zurück zum Zitat Baas JH (1876) Grundriss der Geschichte der Medicin und des heilenden Standes. Ferdinand Enke, Stuttgart, S 556 Baas JH (1876) Grundriss der Geschichte der Medicin und des heilenden Standes. Ferdinand Enke, Stuttgart, S 556
13.
Zurück zum Zitat Choulant JL (1852) Geschichte und Bibliographie der anatomischen Abbildungen nach ihrer Beziehung auf anatomische Wissenschaft und bildende Kunst. Rudolph Weigel, Leipzig (S. XII, XVII) Choulant JL (1852) Geschichte und Bibliographie der anatomischen Abbildungen nach ihrer Beziehung auf anatomische Wissenschaft und bildende Kunst. Rudolph Weigel, Leipzig (S. XII, XVII)
14.
Zurück zum Zitat Diepgen P (1951) I. Hälfte. Geschichte der Medizin, Bd. II. Walter de Gruyter, Berlin, S 73–75 Diepgen P (1951) I. Hälfte. Geschichte der Medizin, Bd. II. Walter de Gruyter, Berlin, S 73–75
15.
Zurück zum Zitat Eulner HH (1970) Die Entwicklung der medizinischen Spezialfächer an den Universitäten des deutschen Sprachgebietes. Ferdinand Enke, Stuttgart (S. 32–45 [Anatomie], S. 195–321 [Chirurgie]) Eulner HH (1970) Die Entwicklung der medizinischen Spezialfächer an den Universitäten des deutschen Sprachgebietes. Ferdinand Enke, Stuttgart (S. 32–45 [Anatomie], S. 195–321 [Chirurgie])
16.
Zurück zum Zitat Haeser H (1882) Lehrbuch der Geschichte der Medicin und der epidemischen Krankheiten Bd. 3. Hermann Dufft, Jena, S 456–588 Haeser H (1882) Lehrbuch der Geschichte der Medicin und der epidemischen Krankheiten Bd. 3. Hermann Dufft, Jena, S 456–588
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Zurück zum Zitat Hirsch A (1931) Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker, 2. Aufl. Bd. 3. Urban & Schwarzenberg, Berlin, Wien, S 632 Hirsch A (1931) Biographisches Lexikon der hervorragenden Ärzte aller Zeiten und Völker, 2. Aufl. Bd. 3. Urban & Schwarzenberg, Berlin, Wien, S 632
18.
Zurück zum Zitat Seidler E, Leven KH (2003) Geschichte der Medizin und der Krankenpflege, 7. Aufl. W. Kohlhammer, Stuttgart Seidler E, Leven KH (2003) Geschichte der Medizin und der Krankenpflege, 7. Aufl. W. Kohlhammer, Stuttgart
Metadaten
Titel
Johann Adam Kulmus – zur Bedeutung seiner anatomischen Tabellen für die Chirurgie in Europa und für die Medizinerausbildung in Japan
verfasst von
Prof. Dr. Rüdiger Döhler, FRCSEd
Thaddäus Zajaczkowski
Caris-Petra Heidel
Publikationsdatum
24.06.2020
Verlag
Springer Medizin
Schlagwort
Autopsie
Erschienen in
Die Chirurgie / Ausgabe 12/2020
Print ISSN: 2731-6971
Elektronische ISSN: 2731-698X
DOI
https://doi.org/10.1007/s00104-020-01231-6

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