Der hier präsentierte Online-Survey gibt ein aktuelles Stimmungsbild der teilnehmenden deutschen Kinderrheumatologen zum Umgang mit Rheumapatienten während der SARS-CoV-2-Pandemie und der Behandlung von an COVID-19 erkrankten Kindern wieder. Im Einklang mit Empfehlungen nationaler und internationaler rheumatischer Fachgesellschaften [
8,
18,
26] lehnen es >95 % der Teilnehmer der Umfrage ab, eine vorbestehende antirheumatische Dauertherapie präventiv (d. h. ohne nachgewiesene COVID-19-Infektion) zu reduzieren bzw. abzusetzen.
Im Fall von ambulanten Patienten mit beginnender COVID-19-Erkrankung haben sich fast alle Teilnehmer für eine unveränderte Fortsetzung der Therapie mit nichtsteroidalen Antirheumatika (NSAR), Hydroxychloroquin und subkutanen oder intravenösen Immunglobulinen geäußert. Dies steht im Einklang mit dem aktuellen Wissensstand. Bisher gibt es keine Hinweise für einen negativen Einfluss dieser Medikamente auf den COVID-19-Erkrankungsverlauf [
1,
21]. Die Mehrheit der Kollegen würde auch eine vorbestehende orale Steroidtherapie weiterführen, allerdings eine höhere Dosierung von >2 mg/kg/Tag reduzieren. Die Fortsetzung einer Steroiddauertherapie wird im Hinblick auf eine potenzielle Nebennierenrindeninsuffizienz (bei einer Vorbehandlung >14 Tage) so auch von den rheumatischen Fachgesellschaften empfohlen [
8,
9]. Hingegen würden 69 % der Teilnehmer eine hoch dosierte intravenöse Steroidstoßtherapie pausieren. Im Einklang mit den Ergebnissen zur Dauertherapie kann man spekulieren, dass diese Patienten dann alternativ eine niedrig dosierte Steroid-„bridging“-Therapie mit Prednisolon ≤2 mg/kg/Tag erhalten könnten. Die klare Empfehlung gegen eine Fortsetzung von B‑ und T‑Zell-wirksamen Medikamenten mit (immunologisch) langer Halbwertszeit wie Cyclophosphamid, JAK-Inhibitoren, Anti-CD20- und Anti-BAFF-Antikörpern sowie CTLA-4-IgG ist immunologisch nachvollziehbar [
14]. Zudem würde der große Teil der Teilnehmer auch TNF-Inhibitoren und IL-12/23-Inhibitoren pausieren (s. Abb.
1). Hingegen spricht sich eine Mehrheit für eine Fortsetzung von Dapson, Mycophenolat, Leflunomid, Methotrexat, Azathioprin und Calcineurininhibitoren aus, wobei die jeweilige Medikation dann von einem Teil der Kollegen in reduzierter Dosis verabreicht würde. Es ist zu vermuten, dass die Subgruppe der teils stark antiproliferativen Medikamente wie Azathioprin, Mycophenolat und Calcineurininhibitoren aus Sorge vor einem schweren Schub z. B. bei Kollagenosen und Vaskulitiden weiter fortgesetzt würden. Bei COVID-erkrankten Patienten, die eine solche fortgesetzte antirheumatische Therapie erhalten, könnten engmaschige Laborkontrollen auf Blutbildveränderungen, Leber- und Nierentoxizität sowie im Einzelfall auch immunologische Parameter wie IgG, IgM und CD4-T-Zellen die Sicherheit der Anwendung erhöhen [
25]. Die Mehrheit spricht sich auch gegen eine COVID-bedingte Beendigung einer Anti-IL-1- und Anti-IL-6-Therapie aus. Dies ist ein wichtiger Aspekt, da z. B. die Beendigung einer kurz wirksamen IL1-gerichteten Therapie wie Anakinra das Risiko eines Rebound-Phänomens in sich birgt und die zugrunde liegenden (systemischen) rheumatischen oder inflammatorischen Erkrankungen ein erhöhtes Risiko für ein Makrophagenaktivierungssyndrom (MAS) mit sich bringen, eine Komplikation die auch bei einigen COVID-19-Patienten beobachtet wurde [
16,
19]. Bei Präparaten, die seltener bei Kindern mit rheumatischen Erkrankungen eingesetzt werden, wie z. B. Dapson, mTor-Inhibitoren oder JAK-Blockade, konnte die Unsicherheit der Umfrageteilnehmer dokumentiert werden, die sich durch eine relativ hohe Zahl an fehlenden Antworten ausdrückte.
Der Einsatz möglicher COVID-19-gerichteter („off-label“) Therapien in der Behandlung von Kindern und Jugendlichen ist umstritten. Dreiundfünfzig (74,6 %) der Kollegen könnten sich bereits im Frühstadium einer manifesten COVID-19-Erkrankung, bei stationärer Aufnahme wegen Sauerstoffbedarf, den Einsatz einer Off-label-Medikation vorstellen, wenn diese additiv zu einer leitlinienkonformen Pneumonietherapie und unter Berücksichtigung der individuellen klinischen Situation erfolgt. Mehr als zwei Drittel würden dieses Vorgehen erst im Stadium einer vorgeschrittenen Erkrankung befürworten, nach Beginn eines Zytokinsturms und/oder bei progredienter respiratorischer Insuffizienz (Stufe II und III der Erkrankung). Die Ausrichtung der COVID-19-gerichteten Therapie wandelt sich dabei mit zunehmender Schwere der Erkrankung. Eine Therapie mit Hydroxychloroquin und Azithromycin wurde dabei von den Teilnehmern der Studie eher in der frühen Phase der Erkrankung als relevante Option eingestuft. Die Wertigkeit der Steroidtherapie nimmt mit der Schwere der Erkrankung zu, im Stadium III würden insgesamt 33,8 % (24/71) der Kollegen den Einsatz von oralen oder intravenösen Steroiden befürworten. Intravenöse Immunglobuline (IVIG) haben einen Stellenwert in allen 3 Krankheitsstadien. Die Daten für Steroide und Immunglobuline decken sich mit aktuellen Real-life-Behandlungsdaten weltweit [
13]. Mit zunehmender Schwere der Erkrankung und drohendem oder bereits laufendem Zytokinsturm neigen die Kollegen zum Einsatz einer IL-1- bzw. IL-6-Blockade sowie zur Gabe von Konvaleszentenplasma. Aus den vorgeschlagenen antiviralen Präparaten wurde nur Remdesivir von den Befragten in Betracht gezogen. Remdesivir würde dabei erst später im Verlauf eingesetzt, ob es dabei kombiniert mit einer Zytokinblockade erfolgen würde, bleibt aufgrund der Fragestellung des Surveys zwar offen, wird aktuell aber in einer globalen randomisierten doppelblinden placebokontrollierten Studie untersucht [
28]. Eine Kombination aus antiviraler Medikation und/oder Immunglobulingabe oder Konvaleszentenplasma auf der einen Seite mit einer antiinflammatorischen Therapie aus Zytokininhibitoren und/oder Steroiden auf der anderen Seite könnte eine mögliche Therapiestrategie darstellen und wurde in Einzelfällen auch bereits publiziert [
16]. Aktuell haben Eculizumab und JAK-Inhibitoren für die Teilnehmer der Studie keine Bedeutung in der Behandlung von COVID-19. Wir konnten keinen statistisch signifikanten Unterschied zwischen den in Betracht gezogenen Therapien für Standard- und Risikopatienten feststellen. Aktuelle Studien zum frühen vs. späten Einsatz COVID-19-gerichteter Therapien im Krankheitsverlauf werden derzeit für Hydroxychloroquin, Remdesivir und Tocilizumab durchgeführt (
https://clinicaltrials.gov) und könnten in Zukunft ggf. eine Basis für differenzierte Empfehlung für Hochrisikopatienten schaffen.