Erschienen in:
01.09.2010 | Leitthema
Depressive Jugendliche in stationärer Behandlung
verfasst von:
Dr. M. Linder
Erschienen in:
Monatsschrift Kinderheilkunde
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Ausgabe 9/2010
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Zusammenfassung
Zielsetzung
Ziel der Arbeit ist es, anhand der Situation einer kinder- und jugendpsychiatrischen Versorgungsklinik die Indikationsstellung für eine stationäre Behandlung bei depressiven Erkrankungen von Jugendlichen darzustellen, Behandlungskonzepte aufzuzeigen und die Ergebnisse der Auswertung einer Basisdokumentation über 5 Jahre vorzustellen.
Methode
Die Basisdokumentation (BADO) über 5 Jahrgänge von 2003 bis 2007 wurde nach Altersverteilung, Häufigkeit der ICD-10-Diagnosen, einschließlich Komorbidität sowie Risikobelastungen, und der therapeutischen Maßnahmen ausgewertet. Die Stichprobe umfasst 6772 Patienten. Es wurden 5424 Patienten ambulant, 1107 Patienten stationär und 218 Patienten teilstationär behandelt. Der Altersschwerpunkt stationärer Aufnahmen liegt bei den Jugendlichen. Die übrigen 23 Patienten, die nur konsiliarisch gesehen wurden, sind im Weiteren nicht berücksichtigt.
Ergebnisse
Behandlungsziele und Motivation für eine stationäre Behandlung werden in ambulanten Kontakten erarbeitet. Notaufnahmen machen bei Jugendlichen fast 50% der Aufnahmen aus. Liegt eine akute Gefährdung wie Suizidalität vor, ist es für die Aufnahme notwendig, die rechtlichen Grundlagen zu klären sowie mit den Eltern und – wenn möglich – mit den Jugendlichen Einvernehmen herstellen. Bei stationären Patienten finden sich bei fast jedem Zweiten die Symptome einer Depression. Gerade bei Jugendlichen steht die Reaktion auf multiple Belastungen im Vordergrund. Risikobelastungen sind v. a. psychische Erkrankungen der Eltern, chronische Konfliktsituationen, die durch komorbide Erkrankungen der Jugendlichen wie Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS), Anorexie, Bulimie oder Zwangserkrankungen verstärkt werden können. Schwerwiegende Funktionseinschränkungen in mehreren Bereichen – Schule, Beruf, Familie und Freizeit – weisen 65% der Patienten auf. Die vielfältigen Beziehungsangebote in einem multiprofessionellen, integrativen Behandlungssetting in einer Gruppe von Gleichaltrigen wirken rasch entlastend. Sie geben Jugendlichen und ihren Eltern die Zeit und die Möglichkeit, Vertrauen zu entwickeln. Eine medikamentöse Therapie erhielt nur etwa ein Drittel von 711 Patienten mit depressiven Symptomen. Ziel bei Entlassung ist ein vorbereiteter und, wenn erforderlich, begleiteter Übergang in die Herkunftssituation oder eine neue, in der stationären Behandlung geplante Perspektive. Bei jedem zweiten Patienten wird die Behandlung mit Maßnahmen der Jugendhilfe und ambulanter Psychotherapie weitergeführt.
Diskussion
Die stationäre Aufnahme führt bei Jugendlichen mit Depressionen häufig rasch zu initialer Entlastung und eröffnet innerhalb kurzer Zeit viele Chancen zu Veränderungen. Fortbestehende Risikofaktoren und Belastungen erklären ein hohes Rückfallrisiko und eine hohe Chronifizierungsgefahr.