Präoperative Evaluierung
Die präoperative Evaluierung eines Menschen mit Diabetes mellitus ist prinzipiell analog zu nicht diabetischen Patient:innen zu sehen. Der Stellenwert internistischer „Operationsfreigaben“ wird kontroversiell gesehen, da die primäre Verantwortung für die Durchführung eines operativen Eingriffes bei den behandelnden Chirurg:innen und narkoseführenden Anästhesist:innen liegt. Zusammen mit den Operateur:innen wird das perioperative Gesamtrisiko der Patient:innen beurteilt und gemeinsam das optimale chirurgische und anästhesiologische Vorgehen definiert [
4].
Die aus Sicht der Österreichischen Diabetes Gesellschaft gebotene präoperative internistische Voruntersuchung des Menschen mit Diabetes mellitus soll in erster Linie den allgemeinen Gesundheitsstatus dokumentieren und feststellen, ob vorbestehende Gesundheitsstörungen oder Therapien eine absolute oder relative Kontraindikation für den geplanten Eingriff darstellen. Gegebenenfalls ist die internistische Ausgangssituation bzw. laufende medikamentöse Therapie bezüglich des geplanten Eingriffs zu optimieren.
Die Indikation zur Durchführung eines Akuteingriffes bei vitaler Bedrohung ergibt sich naturgemäß aus der Zusammenschau der klinischen Situation.
Menschen mit Diabetes mellitus haben ein höheres Risiko für Begleiterkrankungen als gleichaltrige Personen ohne Diabetes. Das Risiko für eine bestehende Multimorbidität steigt allgemein mit dem Lebensalter und insbesondere mit der Diabetesdauer. Zu erwartende Begleiterkrankungen betreffen insbesondere das kardiovaskuläre System (z. B. koronare Herzkrankheit, zerebrovaskuläre Durchblutungsstörung, periphere arterielle Verschlusskrankheit), die Nieren und das urogenitale System (z. B. Nierenfunktionseinschränkung in Folge von Nephropathie, Infektionen) sowie die Nerven und Sinnesorgane (periphere und autonome Neuropathie, Retinopathie und Makulopathie) [
5‐
8]. Weiters bestehen häufig Zusatzerkrankungen im Sinne des metabolischen Syndroms (z. B. arterielle Hypertonie und Hyperlipidämie) [
9,
10].
Prinzipiell ist das Ausmaß der präoperativen Evaluierung und Abklärung abhängig von der Größe und Schwere des geplanten operativen Eingriffes sowie der bestehenden bzw. klinisch geschätzten Multimorbidität [
4].
In der Regel umfasst eine internistische präoperative Evaluierung eine Erhebung des klinischen Status der Patient:innen (Schwerpunkte: Herz, Lunge, Carotiden, Extremitäten inklusive Blutdruckmessung an beiden Armen und Pulsstatus der Beine). Neben einer erweiterten Diabetes-spezifischen Anamnese (Diabetestyp, Therapieregime, Frequenz von Hypo- und Hyperglykämien, Hypoglykämiewahrnehmungsstörung, diabetesassoziierte Spätkomplikationen), bietet die Bestimmung von Routineparametern (komplettes Blutbild, Entzündungsparameter, Nierenfunktionsparameter inklusive Elektrolyte, Leber- und Lipidbefunde, basales TSH, Harnbefund inklusive Albumin-Kreatinin-Ratio, Gerinnung) eine gute Abschätzung des Gesundheitszustandes. Zudem ist die Bestimmung des Hämoglobin A1c (HbA1c)-Wertes (sofern nicht innerhalb der vergangenen drei Monate erfolgt) und der Blutglukosekonzentration (nüchtern oder postprandial bzw. selbsterhobenes Profil oder alternativ das ambulante Glukose Profil (AGP) von kontinuierlichen Glukosemesssystemen (CGM)) unabdingbar [
4,
7,
11]. Anamnestisch ist das Auftreten von Hypoglykämien abzufragen und hier insbesondere hinsichtlich einer möglichen Hypoglykämiewahrnehmungsstörung zu explorieren [
12,
13]. Die Ableitung eines Zwölfkanal-EKGs in Ruhe ist empfehlenswert bzw. bei entsprechender Anamnese und Klinik erforderlich [
4,
14].
Weiterführende präoperative Untersuchungen (Thoraxröntgen, Echokardiographie, Sonographie der Carotiden, Ultraschalluntersuchung des Abdomens inklusive Nieren, Ergometrie, bildgebende Diagnostik der Koronararterien, Lungenfunktion) sind in Abhängigkeit des Umfangs der geplanten Operation bzw. des Gesundheitsstatus der Patient:innen zu erheben [
4,
15].
Im Rahmen der präoperativen Evaluierung und der Operationsvorbereitung ist aus diabetologischer Sicht eine funktionierende Informationsübermittlung und Kooperation zwischen vorbehandelnden Ärzt:innen, Chirurg:innen und Anästhesist:innen zu gewährleisten, da das gewählte Anästhesieverfahren einen wesentlichen Einfluss auf die erforderlichen präoperativen Befunde respektive die prä- bzw. perioperative Therapie hat [
4,
6,
16]. Bei komplexen diabetologischen Therapieregimen und/oder beim Vorliegen diabetischer Spätsyndrome ist die Beiziehung von diabetologisch versierten Ärzt:innen geboten [
17].
Präoperative Stoffwechselkontrolle
Im Rahmen eines operativen Eingriffes kann es aufgrund der Auslenkung von antiinsulinär wirkenden endogenen Hormonen (Glukagon, Kortisol, Somatropin, Katecholamine) und des Auftretens von Entzündungsmediatoren im Rahmen der Akute-Phase-Reaktion zu einer Verschlechterung/Entgleisung einer diabetischen Stoffwechsellage kommen. Weiters kann eine Diabeteserkrankung unter diesen Umständen klinisch erstmanifestieren oder im Rahmen des präoperativen Evaluierens zufällig erstdiagnostiziert werden, weshalb die präoperative Evaluierung der glykämischen Stoffwechsellage relevant ist [
6,
7,
9,
18‐
20]. Perioperative Hyperglykämie (> 140 mg/dl) ist bei Menschen mit und ohne Diabetes mellitus ein Risikofaktor für schlechtere postoperative Resultate und ist mit 20 bis 40 % bei allgemeinchirurgischen und 80 bis 90 % bei kardiochirurgischen Patient:innen häufig [
21‐
25].
Menschen mit Diabetes mellitus weisen ein prinzipiell erhöhtes Risiko für Infektionen bzw. für postoperative Infektionskomplikationen auf [
21,
26‐
31]. Eine Metaanalyse von 14 prospektiven Kohortenstudien (
N = 91.094 Patient:innen) ergab eine signifikante Erhöhung des Risikos für postoperative Wundinfektionen bei Patient:innen mit Diabetes mellitus um 69 % (RR 1,69; 95 % Confidence Interval (CI), 1,33–2,13) [
32]. Eine weitere Metaanalyse von 94 Studien, publiziert zwischen 1986 und 2015, ergab ebenfalls eine Erhöhung des Risikos für postoperative Wundinfektionen um 53 % (OR 1,53; 85 % Predictive Interval (PI) 1,11–2,12), wobei die Operationslokalisation, das Studiendesign und der Body-Mass-Index (BMI) der Patient:innen keinen Einfluss hatte [
33]. Das Auftreten postoperativer Infektionen war aber mit Hyperglykämie vor (OR 1,88; PI 0,66–5,34) und nach der Operation (OR 1,45; 95 % 0,77–3,04) assoziiert. Die Art des operativen Eingriffs ist nicht nur für die präoperative Evaluierung, sondern auch für das postoperative Komplikationsrisiko entscheidend: Bei herzchirurgischen Eingriffen war das postoperative Infektionsrisiko bei Diabetes mellitus mit einer OR von 2,03 signifikant höher als bei den übrigen chirurgischen Eingriffen [
34]. Auch das Auftreten postoperativer kardiovaskulärer Komplikationen ist bei Patient:innen nach kardialen Eingriffen signifikant erhöht [
34]. Zusätzliche Risikofaktoren für Infektionen stellen ausgeprägte Adipositas bzw. mikro- und makroangiopathische Durchblutungsstörungen und das Vorliegen einer diabetischen Nephropathie dar [
6,
35‐
37].
Erhöhte präoperative Blutzuckerwerte sind mit erhöhtem Risiko für postoperative Komplikationen assoziiert [
38‐
40]. Daher sollten akute Blutzuckerentgleisungen mit Hyperglykämien über 300 mg/dl eine elektive Operation postponieren bis sich die Blutglukose zumindest für ein bis vier Stunden präoperativ im Zielbereich (zumindest < 180 mg/dl) befindet und Patient:innen metabolisch kompensiert sind [
20,
39,
41].
Der HbA1c-Wert ist international als Surrogat Parameter der langfristigen glykämischen Kontrolle akzeptiert. Im perioperativen Kontext konnte eine Korrelation zu schlechteren postoperativen Ergebnissen bei erhöhten HbA1c-Werten gezeigt werden [
42‐
47]. Es wird jedoch kontroversiell diskutiert, ob das HbA1c als zuverlässiger Prädiktor postoperativer Komplikationen tatsächlich geeignet oder ob nicht die akute perioperative Stoffwechsellage ein besserer Marker ist [
48‐
52]. Eine retrospektive Subanalyse der BARI-2D-Studie ergab bei aortokoronaren Bypass-Operationen ein signifikant höheres Risiko für kardiovaskuläre Komplikationen (MACE) (HR 1,77) und instabile Angina Pectoris (HR 5,21) bei präoperativen HbA1c-Werten über 8,0 % (versus 6,1 bis 7,0 %), wohingegen ein HbA1c unter 6,0 % mit einem erhöhten Mortalitätsrisiko (HR 2,41) assoziiert war [
53]. Bei bariatrischen Operationen gestaltet sich das Erreichen präoperativer HbA1c-Ziele schwierig und langwierig, weshalb in diesem Kollektiv Zielwerte differenziert betrachtet werden sollten [
50,
52]. Dennoch ist prinzipiell eine klare Assoziation von chirurgischen Komplikationen zur vorbestehenden chronischen Stoffwechselkontrolle anzunehmen [
30,
46,
54].
Präoperativ sollte aus Sicht der Autor:innen ein HbA1c-Wert von 7,0 % bzw. darunter angestrebt werden. Bei Patient:innen, bei welchen eine derartig strikte Stoffwechselkontrolle nicht erzielbar ist bzw. aufgrund von begleitender Multimorbidität und fortgeschrittenem Alter nicht geboten ist, sollte der HbA1c-Wert vor geplanten Operationen zumindest unter 8,0 % liegen. Operationen bei HbA1c-Werten von über 10,0 % sollten nur bei vitaler bzw. dringlicher Operationsindikation durchgeführt werden (Expert:innenmeinung, Evidenzlage C). Bei Patient:innen, bei denen ein HbA1c-Wert präoperativ unter 8,0 % nicht möglich erscheint, sollte die Blutglukose zumindest vier Stunden vor der Operation unter 180 mg/dl liegen, um postoperative Komplikationen zu minimieren [
41]. Inwieweit moderne Zielparameter (z. B. Zeit im Zielbereich (TIR), Glukose Management Indikator (GMI) und Glukosevariabilität (GV)) zukünftig in die präoperative Einschätzung der Stoffwechsellage Einzug finden, ist in zukünftigen Studien zu evaluieren.
Perioperative Stoffwechselkontrolle & Komplikationen
Im Krankenhaus können für ein strukturiertes perioperatives Management von Menschen mit Diabetes verschriftliche Standards qualitätsverbessernd sein [
6,
55,
56]. Sinnvollerweise soll die Nüchternphase so kurz wie möglich gehalten werden und wenn möglich die Operation als erster Punkt im Operationsplan stattfinden [
6,
28,
57]. In der Pro-Diab Melbourne Studie war ein strukturierter perioperativer Diabetes Management Plan vor Aufnahme bei elektiven Eingriffen mit einem sicheren Umgang antihyperglykämer Medikation sowie verbesserter perioperativer Glykämie assoziiert [
58].
Die perioperative Stoffwechselkontrolle soll primär mittels kapillärer Blutzucker- oder venöser Plasmaglukosemessung monitorisiert werden. Die perioperative Messfrequenz ist abhängig von der Fähigkeit der Patient:innen im Selbstmanagement und der Vigilanz. Präoperativ soll während Nüchternheitsphasen zumindest alle zwei bis vier Stunden gemessen werden. Im Falle von intravenöser (i.v.) Insulinzufuhr empfiehlt sich eine Messung alle 30 bis 120 min [
7].
Der Einsatz von CGM im intramuralen Bereich wird im Kapitel Diabetesmanagement im Krankenhaus diskutiert [
59]. Für das perioperative Management sollten potenziell interferierende Faktoren der CGM-Messgenauigkeit (Hypothermie, Diathermie, Hypoxie, Medikamente, Durchblutung, Lagerung, chronische Nierenerkrankung) sowie die fehlende Zulassung in Österreich kommerziell erhältlicher Systeme für diese Indikation beachtet werden [
7,
60‐
64]. In einem Kollektiv nach Kardiochirurgie (
N = 60, 26,7 % mit Diabetes) konnte eine akzeptable CGM-Genauigkeit bei kurzer Nachbeobachtung von 23 h gezeigt werden [
65]. Verglichen mit einem intravaskulärem Mikrodialyse CGM zeigte ein subkutanes CGM im Vergleich zur Referenzmethode bei kardiochirurgischen Patient:innen (
N = 24, 25 % mit Diabetes) perioperativ wiederholt niedrigere Werte (mittlere absolute relative Differenz (MARD) 6,5 % versus 30,5 %) [
66]. Ein Benefit der kontinuierlichen Messung (insbesondere von Systemen mit Alarmfunktion) perioperativ könnte in der Erkennung von in punktuellen Messungen unbemerkten Hypoglykämien liegen, die bereits außerhalb des perioperativen Kontexts mit erhöhter Mortalität einhergehen [
12,
67]. Im Umkehrschluss birgt diese Situation jedoch auch eine rechtliche Problematik: Aufgrund fehlender telemetrischer Überwachungsmöglichkeit könnten Hypoglykämien zwar aufgezeichnet, aber vom ärztlichen Personal nicht wahrgenommen werden.
Ziele der perioperativen Glukosekontrolle sind das strikte Vermeiden schwerer Hypoglykämien und ausgeprägter hyperglykämischer Stoffwechselentgleisungen, da diese mit erhöhter Komplikationsrate sowie längerer Krankenhausaufenthaltsdauer und gesteigerter Mortalität assoziiert sind [
6,
7,
21,
58,
68‐
71]. Eine stabile perioperative Einstellung des Blutzuckers ist relevant, um das perioperative Risiko zu minimieren [
72,
73].
An dieser Stelle sei erwähnt, dass der Großteil des Kollektivs vorhandener Studien Menschen mit Diabetes mellitus Typ 2 (DMT2) einschloss, sodass diese Empfehlungen mangels Evidenz auch auf Menschen mit Diabetes mellitus Typ 1 (DMT1) übertragen werden. Eine striktere Einstellung unter Vermeidung von Hypoglykämien wäre – insbesondere bei DMT1 – möglicherweise sinnvoll [
7,
12,
74]. Perioperativ sollen Blutzuckerwerte zwischen 110 und 140 mg/dl angestrebt werden, wobei ein Zielbereich von 80 bis 180 mg/dl als adäquat anzusehen ist [
6,
7,
28,
75,
76]. Blutzuckerwerte über 180 mg/dl auf Intensivstationen bzw. über 200 mg/dl auf der Normalstation sind zu vermeiden und legen die Einleitung einer Insulintherapie nahe [
7,
77]. Bezüglich der Güte der Stoffwechselkontrolle des (perioperativ) intensivmedizinisch zu betreuenden Patient:innen wird auf das ÖDG-Positionspapier „Therapie der Hyperglykämie bei kritisch kranken Patienten“ verwiesen [
78].
Im Rahmen einer Operation kann es aufgrund einer gesteigerten katabolen Stoffwechsellage durch präoperative Nüchternheit zum Postaggressionssyndrom kommen. Durch die Ausschüttung von endogenen Stresshormonen ist mit einem erhöhten Risiko für postoperative Hyperglykämien bis potenziell lebensbedrohlichen diabetischen Ketoazidosen zu rechnen. Da Menschen mit Diabetes mellitus keine adäquate, körpereigene Gegenregulation besitzen, ist es insbesondere in der postoperativen Phase wichtig die Blutzuckerwerte engmaschig zu überwachen [
6,
79].
Der Nutzen einer postoperativen nahe-normoglykämischen Blutzuckerkontrolle kritisch Kranker ist auf Basis von Metaanalysen prospektiver Studien nicht für alle Patient:innengruppen erwiesen [
77]. Laut einer rezenten Übersichtsarbeit ist das erhöhte Risiko für postoperatives Delirium oder kognitive Dysfunktion mit chronischer und/oder perioperativer Hyperglykämie positiv assoziiert [
80]. Eine Analyse klinischer Ergebnisse und medizin-ökonomischer Folgen ergab bei Patient:innen ohne Diabetes eine höhere Komplikationsrate, wenn postoperativ wiederholt Blutglukosewerte über 180 mg/dl gemessen wurden, während bei Menschen mit Diabetes mit vorbestehender Insulintherapie die geringsten postoperativen Komplikationen in hyperglykämischen Bereichen zwischen 180 und 240 mg/dl auftraten [
81]. Analoge Ergebnisse zum Einfluss der perioperativen Glukosekontrolle ergab eine Cochrane Analyse aus dem Jahr 2012, welche bei Patient:innen unter intensivierter perioperativer glykämischer Kontrolle keine signifikante Verbesserung der chirurgischen Ergebnisse, aber eine erhöhte Hypoglykämierate fand [
82]. In der randomisierten Leuven-Studie wurde bei beatmeten Patient:innen nach kardiochirurgischen Eingriffen – auch ohne Diabetes mellitus – eine strikte Blutglukoseeinstellung (80 bis 110 mg/dl) als günstig hinsichtlich der Mortalität eingestuft [
83]. Die multizentrische NICE-SUGAR Studie dagegen ergab bei kritisch kranken Patient:innen keinen signifikanten Vorteil durch striktere glykämische Einstellung (81 bis 108 mg/dl versus 140 bis 180 mg/dl), sondern eine signifikant erhöhte Mortalität (27,5 % versus 25 %) [
84]. Eine rezente Metaanalyse zeigte reduzierte postoperative Wundinfektionen bei strikteren Glukosezielbereichen für kardiochirurgische und allgemeinchirurgische Populationen, jedoch war dies einhergehend mit zunehmenden Hypoglykämien und erhöhter Mortalität [
85]. Eine zu strikte normnahe perioperative Glukoseeinstellung ist möglicherweise wegen iatrogen bedingter Hypoglykämien nachteilig, da diese intramural wie perioperativ mit erhöhter Mortalität assoziiert sind [
86,
87]. Für isolierte herzchirurgische Eingriffe hingegen scheinen günstige Ergebnisse (inklusive einer verringerten postoperativen Frühmortalität) für eine strikte perioperative Glukosekontrolle nachweisbar, solange diese ohne signifikant erhöhte Hypoglykämierate erzielt werden kann [
25,
88,
89]. Dies wird auch durch eine rezente Analyse von über 7000 Patient:innen untermauert, bei welchen das Vorliegen eines Diabetes mellitus und höherer HbA1c-Werte als unabhängige Risikofaktoren mit einem schlechteren postoperativen Ergebnis, u. a. höherer 6 -Monate Mortalität, schwerwiegenden Komplikationen und einem längeren Spitalsaufenthalt assoziiert war [
90]. Dies mag unter anderem dadurch bedingt sein, dass laut einer US-amerikanischen Studie mit mehr als 10 Mio. Patient:innen, welche sich einer nicht kardiochirurgischen Operation unterzogen hatten, perioperative kardiovaskuläre und zerebrovaskuläre Ereignisse bzw. Komplikationen bei Menschen mit Diabetes mellitus durchschnittlich um ca. 20 % höher lagen (3,3 versus 2,8 %,
p < 0,001) und über den Beobachtungszeitraum im Gegensatz zu den nichtdiabetischen Patient:innen hinsichtlich der Frequenz zunahmen [
91]. Zudem weisen Daten von über 80.000 Menschen mit Diabetes mellitus aus hausärztlichen Praxen in England darauf hin, dass sowohl DMT1 als auch DMT2 in Abhängigkeit von der Güte der glykämischen Kontrolle bei hohen HbA1c-Werten mit einem gesteigerten Risiko für das Auftreten von schwerwiegenden Infektionen und konsekutiver Mortalität assoziiert sind [
92].
Septische Patient:innen auf Intensivstationen ohne vorbestehenden insulinbehandelten Diabetes mellitus zeigten bei ausgeprägter Hyperglykämie in den ersten 24 h nach Aufnahme eine erhöhte Mortalität, während diese bei insulinvorbehandelten Patient:innen – relativ gesehen – erniedrigt war [
93]. Erhöhte Glukosekonzentrationen im Sinne einer „Stresshyperglykämie“ bei Menschen ohne manifeste Diabetesdiagnose sind möglicherweise mit einer erhöhten Rate an postoperativen Komplikationen und Spitalsmortalität verbunden [
30]. Ob in diesem Kollektiv eine therapeutische Intervention und Glukosesenkung durch i.v. Insulingabe die Prognose verbessern kann, ist noch unklar und sollte Gegenstand zukünftiger Studien sein. Möglicherweise ist die stress-getriggerte Hyperglykämie hierbei Korrelat eines schweren Verlaufes [
94]. Eine japanische Arbeitsgruppe zeigte rezent, dass zwischen dem postoperativen Insulinbedarf nach Spinalkanalstenose-Operation bei Menschen mit DMT2 eine positive Korrelation mit dem Akut-Phase-Protein C-reaktives Protein (CRP) bestehen könnte. In der Modellberechnung stieg der Insulinbedarf um 0,60 Internationale Einheiten (IE) täglich pro CRP-Anstieg um 1 mg/dL [
95]. Eine zunehmende Insulinresistenz durch Inflammation und postoperative Stresshormone machen dies aus pathophysiologischer Sicht erklärbar [
94,
96].
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