Erschienen in:
01.03.2012 | Ost-West-Forum
Die Auswirkungen der Wende 1989 auf Adoleszente
verfasst von:
Dr. Frank-A. W. Horzetzky
Erschienen in:
Forum der Psychoanalyse
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Ausgabe 1/2012
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Zusammenfassung
Die Bedeutung der Adoleszenz für die psychosoziale Entwicklung wird kontrovers diskutiert zwischen der betonten Gewichtung der frühen Kindheit und schon von Freud vertretenen Vorstellungen, die in der Dynamik der Adoleszenz einen wichtigen Beitrag zur seelischen Entwicklung des Individuums und des Kulturwandels sehen. Der Verlauf der Adoleszenz bietet einen oft zu wenig berücksichtigten Ausgangspunkt für das Verständnis der Psychodynamik von Patienten. Heute kommen immer wieder Mitte Dreißigjährige in die Behandlung, die ihre Adoleszenz zur Zeit des politischen Umbruchs in Deutschland erlebten. Aus verschiedenen Gründen stellte sich das vor allem für Ostdeutsche als eine vulnerable Lebensphase dar. Pubertät und Adoleszenz beinhalten Entwicklungsaufgaben, deren Bewältigung unter einer krisenhaften Situation, wie sie die politische Wende in Ostdeutschland mit der Wiedervereinigung darstellte, besonders zu leiden hatte. Die Folgen dieses konflikthaften Bewältigungsprozesses lassen sich dementsprechend später in den Therapien im Übertragungsgeschehen und in den zentralen Beziehungskonflikten auffinden. Es fanden starke Anpassungsbemühungen der Adoleszenten an die neuen Verhältnisse statt, ohne dass die adoleszente Auseinandersetzung mit den DDR-Eltern und -Verhältnissen ausreichend stattgefunden hatte. Es wird die Behandlung einer Patientin vorgestellt, bei der die Wende während ihrer Adoleszenz zu einem kritischen Lebensereignis wurde. Ihre narzisstischen Defizite mit der fragilen Identität vertieften sich durch die gesellschaftlichen Umbrüche. Es wird gezeigt, wie dieses „kritische Lebensereignis“ mit ihren frühen psychischen Strukturen, den Problemen der Adoleszenz und ihrer Identitätsfindung im Laufe ihrer Psychoanalyse verwoben war.