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Open Access 14.07.2023 | Originalarbeit

Die Bedeutung von Stadtnatur für die Gesundheit

Ergebnisse eines Scoping Reviews

verfasst von: Pauline Neugebauer, Prof. Dr. Marlen Niederberger

Erschienen in: Prävention und Gesundheitsförderung

Zusammenfassung

Hintergrund

Für eine gesunde Stadtentwicklung gewinnt Stadtnatur als gesundheitsfördernde Ressource zunehmend an Bedeutung. Die relevanten Wirkkomplexe zwischen Stadtnatur und Gesundheit werden in der Forschung zunehmend empirisch untersucht, aber es fehlt bislang ein Überblick zum Forschungsstand. Im Hinblick auf die Schaffung gesundheitsförderlicher Verhältnisse und der verschiedenen Herausforderungen, denen Städte insbesondere aufgrund von Bevölkerungswachstum und Klimawandel gegenüberstehen, erscheint dies notwendig.

Methodik

Im Rahmen eines Scoping Reviews wurde eine Literaturrecherche durchgeführt. Dafür wurde in den Datenbanken „PubMed“ und „LIVIO – Das Portal für Lebenswissenschaften“ nach Publikationen mit Primärerhebungen zum Thema Stadtgesundheit recherchiert. Eingeschlossen wurden Publikationen von 2017 bis 2022.

Ergebnisse

Insgesamt wurden 20 Studien in die Analyse eingeschlossen. Verschiedene positive Effekte auf die psychische, physische und soziale Gesundheit konnten kategorisiert werden. Stadtnatur kann das Stresslevel der Bewohner*innen reduzieren, soziale Eingebundenheit fördern und körperliche Aktivität unterstützen. Stadtnatur kann zu einem Rückgang an Depressionen und Ängsten führen. Dabei zeigen sich nicht nur positive Wirkungen auf die objektive, sondern auch auf die subjektive Gesundheit der Bewohner*innen. Stadtnatur ist damit eine wichtige salutogenetische Ressource. Allerdings werden die sozialen Aspekte bisher eher selten empirisch analysiert. Zudem beruhen die meisten Studien auf Querschnittsuntersuchungen, sodass eindeutige Wirkungszusammenhänge nicht belegbar sind. Des Weiteren kann den Ergebnissen aufgrund der teilweise sehr hohen Fallzahlen der integrierten Studien eine gewisse Relevanz unterstellt werden.

Die Bedeutung von Stadtnatur für die Gesundheit

Ergebnisse eines Scoping Reviews

Städtische Natur gewinnt als eine salutogenetische Ressource im Kontext der kommunalen Gesundheitsförderung, der Diskussion um die Nutzung des öffentlichen Raums und einer gesundheitlichen Stadtentwicklung zunehmend an Bedeutung. Mit einem Scoping Review wird untersucht, welche Bedeutung Naturräume in der Stadt für die Gesundheit der Bewohner*innen haben.
Die Verstädterung ist ein globales Phänomen, das kein Anzeichen einer Verlangsamung zeigt [15]. In Deutschland lebten im Jahr 2020 ca. 64,5 Millionen Menschen in Städten – über drei Viertel der deutschen Bevölkerung [25]. Durch den anhaltenden Zuzug von Menschen in Städte entsteht ein Konflikt um das Angebot an Grün- und Freiflächen, insbesondere in dicht besiedelten Gebieten [7]. Die Landschaften werden verändert, um Raum zum Wohnen, Arbeiten und für die Freizeitgestaltung zu schaffen. Gleichzeitig erheben Stadtbewohner*innen den Anspruch, in einem attraktiven grünen Umfeld zu leben und zu arbeiten [7], und es gibt diverse innovative und partizipative Konzepte, um Städte und deren Bewohner*innen für einen nachhaltigen Natur- bzw. Umweltschutz zu sensibilisieren (z. B. im Kontext von Reallaboren, Citizen Science). Mittlerweile ist es unumstritten, dass eine grüne Lebensumwelt die Gesundheit bzw. das Wohlbefinden und damit auch die Lebensqualität eines Menschen in vielfältiger Weise positiv beeinflussen kann [21]. Doch bei politischen Entscheidungen, ob eine graue oder grüne Infrastruktur umgesetzt wird, verlieren Grünflächen häufig [7]. Dabei kann der Verlust natürlicher Ressourcen das Sozialkapital einer Kommune gefährden, weil nicht alle Bewohner*innen gleichermaßen Zugang zu der grünen Infrastruktur haben [6].
Städte werden mitunter mit belastenden und gesundheitsschädigenden Einwirkungen assoziiert wie Luftschadstoffe, Lärm, Stress und Hitzeinseln, die im Ballungsraum deutlich stärker ausgeprägt sind als in ländlichen Gebieten [5]. Dennoch ist Natur im urbanen Raum (= Stadtnatur) vielfältig vorhanden, beispielsweise in Form von Straßenbäumen, begrünten Dächern und Fassaden, Brachflächen, Gärten, Stadtparks, Wäldern, Wiesen, Flüssen oder Seen. Im Kontext einer gesundheitsförderlichen Stadtentwicklung gewinnen Grün- und Freiflächen immer mehr an Bedeutung [4, 21, 22]. Ein ausschlaggebender Grund für diese Entwicklung ist die in der Ottawa-Charta der Weltgesundheitsorganisation (WHO) formulierte Erkenntnis, dass verhaltensbezogene Interventionen nur dann Erfolg haben können, wenn auch die Verhältnisse eine gesundheitsförderliche Lebensweise unterstützen und anregen [29]. Eine ausgebaute grüne Infrastruktur in der Stadt ist eine Möglichkeit, um eben diesen Forderungen nachzukommen.
Um die Zusammenhänge zwischen Stadtnatur und Gesundheit besser zu verstehen und mögliche Forschungsdesiderate zu identifizieren, wurden in einem Scoping Review die Forschungsdaten der Jahre 2017–2021 dargelegt. Untersucht wurde die Frage: Welche Bedeutung haben Naturräume in der Stadt für die Gesundheit der Bewohner*innen? Gesundheit wird ganzheitlich über die psychische, physische und soziale Gesundheit betrachtet.

Methode

Um einen breiten Überblick über die vorhandene Studienlage zu dem Thema „Stadtnatur und Gesundheit“ zu gewinnen, wurde die Methode eines Scoping Reviews gewählt [10]. Das Vorgehen wird nach dem PRISMA-Statement für Scoping Reviews protokolliert [18].

Identifikation relevanter Studien

Für die Recherche wurden die Datenbanken „PubMed“ und „LIVIO – Das Portal für Lebenswissenschaften“ genutzt. „PubMed“ gehört zu den wichtigsten Literaturdatenbanken der Gesundheitswissenschaften. „LIVIO“ ist ein interdisziplinäres Suchportal und durchsucht insgesamt 45 qualitätsgeprüfte Fachdatenquellen der Bereiche Medizin, Gesundheitswesen, Ernährung‑, Umwelt- und Agrarwissenschaften. Als Suchstrategie wurde eine Syntax unter Verwendung von Boolschen Operatoren (AND/OR) formuliert: „Stadtnatur OR urban green space AND Gesundheit OR wellbeing OR health“. Des Weiteren wurden Querverweise des Beitrags „Stadtnatur fördert die Gesundheit“ [12] einbezogen. Die Recherche erfolgte im Oktober 2021 und wurde von der Erstautorin übernommen.

Auswahl relevanter Studien

Einbezogen wurden Online-Publikationen aus dem Zeitraum Januar 2017 bis Oktober 2021. Die Stichprobe wurde nicht eingrenzt – ein Einschlusskriterium ist lediglich ein Wohnsitz in einer Stadt. In Tab. 1 sind alle Einschlusskriterien im Überblick dargestellt.
Tab. 1
Einschlusskriterien der Literaturrecherche
Kriterium
Einschluss
Sprache
Deutsch oder Englisch
Publikationszeitraum
2017–Okt. 2022
Formalia
Online-Publikation
Typ
Empirische Untersuchung
Setting
Natur- und Grünflächen in der Stadt
Stichprobe
Wohnsitz der Befragten in der Stadt
Variable
Gesundheit/Wohlbefinden (physisch, psychisch, sozial)

Datenextraktion und Auswertung

Insgesamt wurden 806 relevante Publikationen identifiziert – über die Datenbanken n = 796 und über die Querverweise n = 10. Nach Entfernung von Duplikaten wurden 632 potenziell für die Forschungsfrage relevante Publikationen gesichtet. Davon entsprachen 551 Publikationen nicht den dargelegten formalen Kriterien und wurden aufgrund dessen aus der Literaturauswahl entfernt. Um zu bewerten, ob die 81 Beiträge nicht nur den formalen Kriterien entsprechen, sondern auch inhaltlich relevant für die Literaturanalyse sind, wurden die Volltexte gescannt. Durch die festgelegten inhaltlichen Kriterien wurden weitere 61 Studien ausgeschlossen. Insgesamt wurden 20 Studien als geeignet identifiziert und in den Review eingeschlossen (Abb. 1).

Ergebnisse

Eine Übersicht der eingeschlossenen Studien ist Tab. 2 zu entnehmen. Auf Grundlage der Definition von „Gesundheit“ der WHO [29] werden die Ergebnisse den deduktiven Kategorien psychische, physische und soziale Gesundheit zugeordnet.
Tab. 2
Analysierte Artikel nach Thema, Methodik und zentralem Ergebnis
Literatur
Forschungsfrage
Methodik
Zentrales Ergebnis
Barreto et al. [2]
Zusammenhang zwischen Grünflächen und Vorhandensein psychischer Störungen bei Erwachsenen
Standardisierte Querschnittstudie (n = 2584, Südamerika)
Zusammenhang bestätigt
Dzhambov [8]
Zusammenhang zwischen Grünflächen und Vorhandensein einer verbesserten psychischen Gesundheit
Standardisierte Längsschnittstudie (n = 109, Bulgarien)
Größe der Grundfläche korreliert indirekt über höhere körperliche Aktivität und Erholungsqualität mit einer besseren psychischen Gesundheit
Egorov et al. [9]
Zusammenhang zwischen Vegetationsbedeckung und allostatischer Last (AL)
Standardisierte Querschnittstudie (n = 206, USA) mit Fragebogen und medizinischer Untersuchungen
Größere vegetationsbedeckte Fläche geht mit geringerer AL einher
Hedblom et al. [11]
Bestimmung der Stressinduktion und -bewältigung in drei Umgebungen (städtischer Wald, Stadtpark und städtische Umgebung)
Virtual-Reality-Experiment (n = 154, Schweden)
Stressniveau in städtischer Umgebung höher/langanhaltender als in grüneren Gebieten
Huang et al. [13]
Untersuchung der Exposition gegenüber Stadtnatur in der Wohnortumgebung und der selbst eingeschätzten Gesundheit (SRH)
Repräsentative standardisierte Querschnittstudie (n = 7962, China)
Stadtviertel mit höherem Grünanteil: höhere Wahrscheinlichkeit einer besser berichteten SRH
Hystad et al. [14]
Zusammenhang zwischen langfristiger Exposition gegenüber städtischen Grünflächen und der psych. Gesundheit und kognitiver Funktionen
Quebec CARTaGENE-Kohortenstudie – stand. Querschnittstudie, Verwendung von Krankenakten und selbstberichteter ärztl. Diagnosen von Depression (n = 8144, Kanada)
Zusammenhang Grünfläche und psychische Gesundheit bestätigt;
Unbestätigt: Zusammenhang Grünfläche und kognitive Leistungsfähigkeit
Lee und Lee [16]
Prävalenz psychischer Gesundheitsprobleme im Zusammenhang mit städtischen Grünflächen
Standardisierte Querschnitterhebung (Alter 65 Jahre +, n = 11.408, Korea)
Prävalenz psychischer Probleme in Gebieten mit höherem Grünanteil geringer
Syrbe et al. [26]
Ermittlung der Auswirkungen von Grünflächen auf Gesundheit
Standardisierte Querschnittstudie (n = 235 Deutschland, n = 459 Tschechien)
Stressabbau, Förderung positiver Gedanken und sozialer Interaktionen, bietet Ruhe und Erholung
Roe et al. [20]
Vergleich von Spaziergang in zwei dichotomen Umgebungen in Bezug auf Nutzen für psychische Gesundheit und der kognitiven Leistungsfähigkeit
Experiment mit Cross-over-Design (n = 11, USA)
Spaziergang auf Route mit mehr grüner Umgebung wirkt sich positiver auf die psychische Gesundheit aus als die städtische Route; schnellere Reaktionszeit nach Spaziergang im Grünen
Weimann et al. [28]
Zusammenhänge zwischen grüner Umgebung, Wohlbefinden und Gesundheit
Halbstrukturierte Interviews mit städtischen Bewohner*innen (n = 16, Schweden)
1. Förderung von Aktivitäten
2. Förderung von sozialen Kontakten
3. Stimulierung sensorischer Eindrücke
4. Einen Rückzugsort bieten
5. Möglichkeiten der Einflussnahme anbieten
6. Schaffung eines Gefühls der Kohärenz
Zayas-Costa et al. [31]
Erforschung der Assoziationen zwischen Grünflächen und psychischer Gesundheit
Standardisierte Querschnittstudie (n = 2450, Spanien)
Wahrscheinlichkeit über Bericht von schlechter psychischer Gesundheit und Angstzuständen sinkt in der Nähe von Grünanlagen
Adlakha et al. [1]
Untersuchung des Einflusses von Stadtnatur auf das Altern
Halbstrukturierte Interviews mit 60 Jahre + (n = 60 u. a. in Indien)
1. Gesundheitliche Vorteile: Förderung körperlicher Aktivität; geringere Belastung durch Lärm, Luftverschmutzung und Hitze
2. Qualität von Stadtnatur: Fehlen einer sicheren Fußgängerinfrastruktur und altersgerechter Einrichtungen
3. Gemeinschaftsbildung und Sozialkapital: Raum für soziale Interaktion
4. Vorteile für benachteiligte Gruppe: einkommensschwache Gruppen schätzten öffentliche Grünanlagen
Benton et al. [3]
Untersuchung der Auswirkungen von Grünflächenverbesserungen auf die Nutzung, die körperliche Aktivität, die sozialen Interaktionen und die Wahrnehmung der Umwelt
Randomisiertes natürliches Experiment mit systematischer Beobachtung (Großbritannien)
Gesamtzahl der Nutzer*innen des Kanals steigt; Zunahme körperlicher Aktivität und sozialer Interaktion
Squillacioti et al. [24]
Zusammenhang zwischen Grünflächen und Gesundheit der Atemwege von Kindern
Standardisierte Querschnittstudie (n = 187, Italien)
Zusammenhang bestätigt
Lanki et al. [15]
Zusammenhang zwischen Aufenthalten in grüner Umgebung und der Verbesserung der Indikatoren für die kardiovaskuläre Gesundheit
Feldexperiment mit Frauen zwischen 30 und 60 Jahren (n = 36, Finnland)
Positiver Zusammenhang bestätigt
Li und Ghosh [17]
Zusammenhang zwischen BMI der Bewohner*innen und dem Grün in der Nachbarschaft
Stand. Querschnittstudie (n = 305.295, USA)
Zusammenhang teilweise bestätigt; v. a. Frauen profitieren von einem niedrigerem BMI bei mehr Grünflächenanteil und besserer Begehbarkeit
Selway et al. [23]
Beeinflussung des Mikrobioms durch Aufenthalt in städtischen Grünflächen
Medizinische Test (n = 3, Australien, Großbritannien, Indien)
Mikrobieller Reichtum und phylogenetische Vielfalt nach Exposition gegenüber Grünflächen deutlich höher
Nieuwenhuijsen et al. [19]
Untersuchung der Auswirkungen von Luftverschmutzung, Straßenverkehrslärm sowie Grün- und Freiflächen auf vorzeitige Gesamtmortalität
Prospektive Kohortenstudie mittels Registerdaten (n = 1061, Spanien)
Höherer Grünflächenanteil verringert Risiko einer vorzeitigen Gesamtmortalität
Tieges et al. [27]
Untersuchung der Stadtnatur auf die Gesamtmortalität
Methodenkombination: Längsschnittstudie, Natürliches Experiment, Beobachtungsstudie (Schottland)
Schnellerer Rückgang der Sterblichkeitsrate in Gebieten in Nähe des untersuchten Kanals
Yeh et al. [30]
Untersuchung der Beziehung zwischen räumlichen Merkmalen von städtischer Natur und der Morbidität von Krankheiten
Analyse von Registerdaten (Taiwan)
Korrelation bestätigt; Morbidität sinkt bei Aufenthalt in Bezirken mit besser ausgebauter städtischer Natur; Zugänglichkeit trägt am meisten zu dieser Beziehung bei
BMI Body Mass Index, AL allostatische Last, SRH „self-report habit“, n Fallzahl

Erkenntnisse zur psychischen Gesundheit

In 11 Studien wurde ein positiver Zusammenhang zwischen dem Vorhandensein städtischer Grünflächen und der psychischen Gesundheit festgestellt [2, 8, 9, 11, 13, 14, 16, 20, 26, 28, 31]. Eine größere vegetationsbedeckte Fläche in einem Umkreis von 500 m um den Wohnsitz hat einen hochsignifikanten Zusammenhang mit einer geringeren AL bei Erwachsenen [9]. Dzhambov (2018; [8]) zeigt anhand von Querschnittdaten, dass die Stadtnatur indirekt über die Mediatorvariablen „höhere körperliche Aktivität“ und „Erholungsqualität“ mit einer besseren psychischen Gesundheit einhergeht. Auch blaue Räume (Wasser) haben einen vergleichbaren Effekt. Die Häufigkeit von psychischen Störungen geht mit einem höheren Normalized Difference Vegetation Index (NDVI)1 im Wohnumfeld zurück [8]. Hedblom et al. (2019; [11]) bestätigen, dass natürliche Umgebungen das Stressniveau der Bewohner*innen (gemessen durch Erfassung der subjektiven Stressempfindlichkeit und des Hautleitwerts) senken können. Die Befragten der Querschnittstudie von Syrbe et al. (2021; [26]) geben ebenfalls an, dass Zeit in grüner Umgebung hilft, Stress abzubauen und zu einer psychischen Ausgeglichenheit führt. Menschen (v. a. ältere Erwachsene), die eine höhere Exposition zu Naturelementen in ihrem Stadtviertel haben, berichteten mit größerer Wahrscheinlichkeit über einen guten Gesundheitszustand [13]. Hystad et al. (2019; [14]) untersuchten zusätzlich den Zusammenhang zwischen Grünflächen und der kognitiven Leistungsfähigkeit, wofür keine Belege gefunden wurden. Roe et al. (2020; [20]) berichten aber von einer schnelleren Reaktionszeit nach einem Spaziergang im Grünen.

Erkenntnisse zur physischen Gesundheit

Die physische Gesundheit wurde in 12 Studien empirisch untersucht [1, 3, 11, 15, 17, 19, 20, 23, 24, 27, 28, 30]. Städtische Naturflächen beeinflussen die physische Gesundheit positiv, indem sie körperliche Aktivität fördern [1, 28] und Erholung von Lärm, Luftverschmutzung und Hitze bieten [1]. Ein höherer Grünanteil in der Nachbarschaft ist – v. a. bei Frauen – signifikant mit einem niedrigeren Body Mass Index (BMI) verbunden [17]. Ein Grünanlagenbesuch bringt positive Veränderungen der kardiovaskulären Physiologie mit sich [15]. Der mikrobielle Reichtum und die phylogenetische Vielfalt nehmen durch Grünflächen in Städten deutlich zu [23]. Das Risiko einer vorzeitigen Gesamtmortalität nimmt mit einem Anstieg der Stadtnatur (gemessen durch NDVI) ab [19]. Die Morbidität von Herz-Kreislauf-Erkrankungen, psychischen Störungen und chronischen Atemwegserkrankungen verringert sich durch den Aufenthalt in Bezirken mit dichterem Pflanzenbewuchs und unregelmäßig geformten Grünflächen [30]. Dabei sind jedoch Variablen wie Entfernung von Stadtnatur, Zugänglichkeit und Qualität zu berücksichtigen [30].

Erkenntnisse zur sozialen Gesundheit

In 4 Studien konnten Erkenntnisse zur sozialen Gesundheit gewonnen werden [1, 3, 26, 28]. Stadtnatur bietet Raum für soziale Interaktionen, in dem Menschen aus verschiedenen Kulturen und mit unterschiedlichen Hintergründen zusammenkommen können. Soziale Kontakte nehmen zu, die Gemeinschaft wird gestärkt und das Sozialkapital erhöht [1, 28]. Syrbe et al. (2021; [26]) zeigen einen signifikanten Zusammenhang des sozialen Effekts auf die Verringerung von Einsamkeit.

Diskussion

Die untersuchten Studien zeigen in allen betrachteten Ländern: Die Gesundheit kann im ganzheitlichen Sinne durch Stadtnatur gestärkt werden – und zwar bei allen Altersklassen, sowohl auf einer objektiven Ebene als auch nach der subjektiven Einschätzung der Stadtbewohner*innen. Mehr Grünflächen in der Wohnumgebung verringern die Häufigkeit von psychischen Problemen. Sie bieten einen Rückzugsort [28] und helfen dabei, Stress abzubauen, positiv zu denken und sich auszuruhen [2, 8, 9, 11, 14, 16, 20, 28, 31]. Im Hinblick auf die kognitiven Fähigkeiten zeigen sich keine kohärenten Ergebnisse, allerdings werden sie in den untersuchten Studien auch selten thematisiert. Des Weiteren fördern städtische Grünflächen die körperliche und soziale Aktivität und somit eine präventive, gesundheitsförderliche Lebensweise [8]. Stadtnatur bietet vielversprechende Rahmenbedingungen für Interventionen zur Förderung der Grünflächennutzung, welche mit der potenziellen Verbesserung von Gesundheit und Wohlbefinden der Stadtbewohner*innen einhergeht [3].
Das Forschungsfeld weißt Defizite auf. Ländervergleiche sind nur schwer zu ziehen, da die jeweiligen Topografien und klimatischen Bedingungen unzureichend beachtet werden. Um die Gründe für die (Nicht‑)Nutzung von Stadtnatur besser zu verstehen, empfiehlt es sich, vermehrt qualitative Studien bzw. Kombinationsstudien durchzuführen und eine Spezifizierung der Zielgruppen (z. B. Kinder und Jugendliche, Familien).

Limitierung des Reviews

Die Arbeit hat aufgrund der selektiven Auswahl keinen Anspruch auf Vollständigkeit. Die Restriktion auf deutsch- und englischsprachige Beiträge impliziert einen gewissen geografischen Fokus und schränkt die Literaturauswahl ein.

Fazit für die Praxis

  • Stadtnatur ist als salutogene Ressource für die Bevölkerung in Städten wahrzunehmen.
  • Es ist sinnvoll, Forschende als Expert*innen in die Stadtplanung einzubeziehen, um eine multidisziplinäre, sektorübergreifende Zusammenarbeit zwischen den Bereichen Stadtplanung und öffentliche Gesundheit zu erreichen.
  • Bei den Planungen und Umsetzungen sollten die unterschiedlichen Bedarfe und Möglichkeiten der Bevölkerung beachtet werden (z. B. Erreichbarkeit für Ältere).

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

P. Neugebauer und M. Niederberger geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Fußnoten
1
Standardisierter Index, um Biomasse der Vegetation zu quantifizieren [24].
 
Literatur
4.
Zurück zum Zitat Claßen T (2018) Urbane Grün- und Freiräume. Ressourcen einer gesundheitsförderlichen Stadtentwicklung. In: Planung für gesundheitsfördernde Städte, Baumgart S, Köckler H, Ritzinger A, Rüdiger A (Hrsg) Forschungsberichte der ARL 08. Akademie für Raumforschung und Landesplanung Leibniz-Forum für Raumwissenschaften, Hannover, S 297–313 Claßen T (2018) Urbane Grün- und Freiräume. Ressourcen einer gesundheitsförderlichen Stadtentwicklung. In: Planung für gesundheitsfördernde Städte, Baumgart S, Köckler H, Ritzinger A, Rüdiger A (Hrsg) Forschungsberichte der ARL 08. Akademie für Raumforschung und Landesplanung Leibniz-Forum für Raumwissenschaften, Hannover, S 297–313
7.
Zurück zum Zitat Dosch F (2018) Stadtgrün unter Nutzungsdruck – Das Weißbuch Stadtgrün zur Sicherung grüner Infrastruktur. In: Meinel G, Schumacher U, Behnisch M, Krüger T (Hrsg) Flächenpolitik – Flächenmanagement – Indikatoren. IÖR Schriften 76. Rhombos, Berlin, S 113–122 Dosch F (2018) Stadtgrün unter Nutzungsdruck – Das Weißbuch Stadtgrün zur Sicherung grüner Infrastruktur. In: Meinel G, Schumacher U, Behnisch M, Krüger T (Hrsg) Flächenpolitik – Flächenmanagement – Indikatoren. IÖR Schriften 76. Rhombos, Berlin, S 113–122
12.
Zurück zum Zitat Hornberg C (2016) Stadtnatur fördert die Gesundheit. In: Kowarik I, Bartz R, Brenck M (Hrsg) Ökosystemleistungen in der Stadt. Gesundheit schützen und Lebensqualität erhöhen. Naturkapital Deutschland – TEEB DE, Leipzig, Berlin, S 99–118 Hornberg C (2016) Stadtnatur fördert die Gesundheit. In: Kowarik I, Bartz R, Brenck M (Hrsg) Ökosystemleistungen in der Stadt. Gesundheit schützen und Lebensqualität erhöhen. Naturkapital Deutschland – TEEB DE, Leipzig, Berlin, S 99–118
19.
Zurück zum Zitat Nieuwenhuijsen MJ, Gascon M, Martinez D, Ponjoan A, Blanch J, Del Garcia-Gil MM, Ramos R, Foraster M, Mueller N, Espinosa A, Cirach M, Khreis H, Dadvand P, Basagaña X (2018) Air pollution, noise, blue space, and green space and premature mortality in Barcelona: a mega cohort. Int J Environ Res Public Health 15:11. https://doi.org/10.3390/ijerph15112405CrossRef Nieuwenhuijsen MJ, Gascon M, Martinez D, Ponjoan A, Blanch J, Del Garcia-Gil MM, Ramos R, Foraster M, Mueller N, Espinosa A, Cirach M, Khreis H, Dadvand P, Basagaña X (2018) Air pollution, noise, blue space, and green space and premature mortality in Barcelona: a mega cohort. Int J Environ Res Public Health 15:11. https://​doi.​org/​10.​3390/​ijerph15112405CrossRef
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Zurück zum Zitat Schlicht W, Bucksch J, Kohlmann C‑W, Renner B, Steinacker J, Walling F (2022) Die „gesunde Kommune“ im Lichte „großer Wenden“ – ein sozialökologisch fundiertes Ziel kommunaler Gesundheitsförderung (KoGeFö). Präv Gesundheitsf 17(3):266–274. https://doi.org/10.1007/s11553-021-00889-yCrossRef Schlicht W, Bucksch J, Kohlmann C‑W, Renner B, Steinacker J, Walling F (2022) Die „gesunde Kommune“ im Lichte „großer Wenden“ – ein sozialökologisch fundiertes Ziel kommunaler Gesundheitsförderung (KoGeFö). Präv Gesundheitsf 17(3):266–274. https://​doi.​org/​10.​1007/​s11553-021-00889-yCrossRef
26.
Zurück zum Zitat Syrbe R‑U, Neumann I, Grunewald K, Brzoska P, Louda J, Kochan B, Machá J, Dubová L, Meyer P, Brabec J, Bastian O (2021) The value of urban nature in terms of providing ecosystem services related to health and well-being. An empirical comparative pilot study of cities in Germany and the Czech republic. Land 10(341):341. https://doi.org/10.3390/land10040341CrossRef Syrbe R‑U, Neumann I, Grunewald K, Brzoska P, Louda J, Kochan B, Machá J, Dubová L, Meyer P, Brabec J, Bastian O (2021) The value of urban nature in terms of providing ecosystem services related to health and well-being. An empirical comparative pilot study of cities in Germany and the Czech republic. Land 10(341):341. https://​doi.​org/​10.​3390/​land10040341CrossRef
27.
Zurück zum Zitat Tieges Z, McGregor D, Georgiou M, Smith N, Saunders J, Millar R, Morison G, Chastin S (2020) The impact of regeneration and climate adaptations of urban green-blue assets on all-cause mortality: a 17-year longitudinal study. Int J Environ Res Public Health 17:12. https://doi.org/10.3390/ijerph17124577CrossRef Tieges Z, McGregor D, Georgiou M, Smith N, Saunders J, Millar R, Morison G, Chastin S (2020) The impact of regeneration and climate adaptations of urban green-blue assets on all-cause mortality: a 17-year longitudinal study. Int J Environ Res Public Health 17:12. https://​doi.​org/​10.​3390/​ijerph17124577CrossRef
Metadaten
Titel
Die Bedeutung von Stadtnatur für die Gesundheit
Ergebnisse eines Scoping Reviews
verfasst von
Pauline Neugebauer
Prof. Dr. Marlen Niederberger
Publikationsdatum
14.07.2023
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Prävention und Gesundheitsförderung
Print ISSN: 1861-6755
Elektronische ISSN: 1861-6763
DOI
https://doi.org/10.1007/s11553-023-01068-x

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