Hintergrund
Psychische Gesundheitskompetenz beschreibt das Wissen einer Person über die Entstehung und Aufrechterhaltung von psychischer Gesundheit, über psychische Erkrankungen und deren Behandlungsmöglichkeit und über Strategien zur Förderung der psychischen Gesundheit und zur Prävention psychischer Erkrankungen [
2,
10,
11,
14,
15,
20,
23]. Innerhalb der Gesundheitskompetenzforschung nimmt die psychische Gesundheitskompetenz bereits heute eine zentrale Rolle ein [
17]. Gründe hierfür sind, dass sich psychische Erkrankungen bereits in frühen Lebensphasen manifestieren können und ein weltweites Problem darstellen [
4,
19]. In Deutschland liegt die 12-Monats-Prävalenz psychischer Erkrankungen beispielsweise bei ca. 28 % und nur wenige Betroffene befinden sich in Behandlung [
8,
9]. Neben den individuellen Beeinträchtigungen der Betroffenen verursachen psychische Erkrankungen zudem enorme wirtschaftliche Schäden [
3,
12,
26]. Psychische Erkrankungen haben inzwischen eine solche gesellschaftliche Relevanz erreicht, dass das Robert-Koch-Institut vom Bundesgesundheitsministerium beauftragt wurde, eine Mental Health Surveillance zur Beobachtung der psychischen Gesundheit der Bevölkerung aufzubauen [
21].
Ein zentraler Ansatzpunkt, um die psychische Gesundheit der Bevölkerung zu stärken und psychischen Erkrankungen entgegenzuwirken, ist die Förderung der psychischen Gesundheitskompetenz [
10,
11]. Dieser Ansatz wird auch von der Weltgesundheitsorganisation aufgegriffen, welche die Förderung der psychischen Gesundheitskompetenz empfiehlt [
24,
25]. International wurden bereits verschiedene Interventionen mit teils vielversprechenden Ergebnissen zur Förderung der psychischen Gesundheitskompetenz entwickelt [
15,
16]. Um die Förderung der psychischen Gesundheitskompetenz in Deutschland effektiv zu gestalten, sollten zielgruppenspezifische Interventionsangebote entwickelt und insbesondere vulnerable Personengruppen adressiert werden. Um dies zu ermöglichen, bedarf es einer repräsentativen Bestandsaufnahme der psychischen Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland. Eine solche Bestandsaufnahme wäre zudem eine sinnvolle Ergänzung zum Health Literacy Survey Germany (HLS-GER), welches bereits heute qualitativ hochwertige Informationen zur allgemeinen Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland bereitstellt [
18].
Ziel der vorliegenden Studie ist es, die psychische Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland anhand einer bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe zu erfassen. Die Ergebnisse sollen als Grundlage dienen, um vulnerable Personengruppen zu identifizieren und darauf aufbauend zielgruppespezifische Interventionsangebote zur Förderung der psychischen Gesundheitskompetenz zu entwickeln. Da die psychische Gesundheitskompetenz ein junges Forschungsfeld darstellt, ist wenig darüber bekannt, inwieweit sie mit der Gesundheit und dem Gesundheitsverhalten der Bevölkerung in Deutschland in Beziehung steht. Um diese Forschungslücke zu schließen, wurde zudem untersucht, inwieweit ein Zusammenhang zwischen psychischer Gesundheitskompetenz und physischer Gesundheit, psychischer Gesundheit, Lebenszufriedenheit und Gesundheitsverhalten besteht.
Ergebnisse
Bevölkerung in Deutschland
Im Durchschnitt erreichten die Studienteilnehmenden 52 Punkte (
M = 52,03;
SD = 11,02; Minimum = 16; Maximum = 80) in der adaptierten deutschsprachigen Version des MHL-W‑G. Tab.
1 zeigt eine Gesamtübersicht der Mittelwerte und Standardabweichungen der psychischen Gesundheitskompetenz unterteilt nach den untersuchten Subgruppen.
Tab. 1
Psychische Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland
Bevölkerung in Deutschland | Insgesamt | 1994 | 52,03 | 11,02 |
Geschlecht | Männer | 977 | 50,70 | 11,07 |
Frauen | 1017 | 53,31 | 10,82 |
Alter | 16–29 Jahre | 355 | 50,44 | 10,66 |
30–45 Jahre | 475 | 51,11 | 11,14 |
46–64 Jahre | 654 | 53,05 | 11,21 |
65 Jahre und älter | 510 | 52,69 | 10,73 |
Bildungsniveau | Niedrig | 1103 | 52,12 | 10,79 |
Mittel | 373 | 51,59 | 10,92 |
Hoch | 510 | 52,06 | 11,54 |
Migrationshintergrund | Nein | 1870 | 51,98 | 10,97 |
Ja | 124 | 52,77 | 11,78 |
Chronische Erkrankung | Nein | 1229 | 51,63 | 10,89 |
Ja | 741 | 52,80 | 11,27 |
Sozialstatus | Niedrig | 313 | 50,62 | 11,76 |
Mittel | 1386 | 51,94 | 10,67 |
Hoch | 295 | 53,92 | 11,60 |
Behandlung wegen psychischer Erkrankung | Nein | 1373 | 50,79 | 10,79 |
Ja | 596 | 55,04 | 10,89 |
Behandlung wegen psychischer Erkrankung in der Familie | Nein | 1049 | 50,81 | 11,29 |
Ja | 877 | 53,51 | 10,60 |
Geschlecht
Frauen hatten eine signifikant höhere psychische Gesundheitskompetenz als Männer (t(5,32) = 1984,26, p < 0,001, d = 0,24).
Alter
Personen im Alter von 65 Jahren und älter hatten eine signifikant höhere psychische Gesundheitskompetenz als Personen im Alter von 16–29 Jahren (t(3,04) = 764,86, p < 0,01, d = 0,21) und 30–45 Jahren (t(2,27) = 971,86, p = 0,02, d = 0,14). Es zeigte sich kein signifikanter Unterschied in der psychischen Gesundheitskompetenz zwischen Personen im Alter von 65 Jahren und älter und Personen im Alter von 46–64 Jahren (t(−0,56) = 1115,53, p = 0,57, d = −0,03). Personen im Alter von 46–64 Jahren hatten eine signifikant höhere psychische Gesundheitskompetenz als Personen im Alter von 16–29 Jahren (t(3,65) = 758,68, p < 0,001, d = 0,24) und 30–45 Jahren (t(2,89) = 1025,31, p < 0,01, d = 0,17). Es zeigte sich kein signifikanter Unterschied in der psychischen Gesundheitskompetenz zwischen Personen im Alter von 30–45 Jahren und 16–26 Jahren (t(0,88) = 779,73, p = 0,38, d = 0,06).
Bildungsniveau
Es zeigten sich keine signifikanten Unterschiede in der psychischen Gesundheitskompetenz zwischen Personen mit hohem, mittlerem, und niedrigem formalen Bildungsniveau (hohes vs. niedriges formales Bildungsniveau: t(−0,11) = 933,56, p = 0,91, d = −0,01; hohes vs. mittleres formales Bildungsniveau: t(0,62) = 825,88, p = 0,54, d = 0,04; mittleres vs. niedriges formales Bildungsniveau: t(−0,83) = 635,71, p = 0,41, d = −0,05).
Migrationshintergrund
Es zeigte sich kein signifikanter Unterschied in der psychischen Gesundheitskompetenz zwischen Personen mit und ohne Migrationshintergrund (t(0,72) = 137,28, p = 0,47, d = 0,07).
Chronische Erkrankung
Personen mit einer chronischen Erkrankung hatten eine signifikant höhere psychische Gesundheitskompetenz als Personen ohne eine chronische Erkrankung (t(2,27) = 1517,77, p = 0,02, d = 0,11).
Sozialstatus
Personen mit einem hohen Sozialstatus hatten eine signifikant höhere psychische Gesundheitskompetenz als Personen mit einem niedrigen (t(3,48) = 604,92, p < 0,001, d = 0,28) und mittleren Sozialstatus (t(2,69) = 407,08, p = 0,01, d = 0,18). Es zeigte sich kein signifikanter Unterschied in der psychischen Gesundheitskompetenz zwischen Personen mit einem mittleren und niedrigen Sozialstatus (t(1,83) = 435,09, p = 0,07, d = 0,12).
Psychische Erkrankung
Personen, die schon einmal wegen einer psychischen Erkrankung behandelt wurden, hatten eine signifikant höhere psychische Gesundheitskompetenz als Personen, die noch nicht wegen einer psychischen Erkrankung behandelt wurden (t(7,98) = 1122,58, p < 0,001, d = 0,39).
Psychische Erkrankung in der Familie
Personen, von denen ein enges Familienmitglied schon einmal wegen einer psychischen Erkrankung behandelt wurde, hatten eine signifikant höhere psychische Gesundheitskompetenz als Personen, von denen bisher kein enges Familienmitgliede wegen einer psychischen Erkrankung behandelt wurde (t(5,40) = 1897,83, p < 0,001, d = 0,25).
Korrelate der psychischen Gesundheitskompetenz
Es zeigten sich schwach signifikant positive Zusammenhänge zwischen psychischer Gesundheitskompetenz und psychischer Gesundheit, Lebenszufriedenheit, Obstkonsum, Gemüsekonsum, Zigarettenkonsum und Drogenkonsum. Es zeigte sich zudem ein schwach signifikant negativer Zusammenhang zwischen psychischer Gesundheitskompetenz und Alkoholkonsum. Es zeigten sich keine signifikanten Zusammenhänge zwischen psychischer Gesundheitskompetenz und physischer Gesundheit, sportlicher Betätigung, und Softdrinkkonsum. Tab.
2 zeigt die berechneten Pearson-Korrelationen mit den dazugehörigen Signifikanzniveaus und 95 %-Konfidenzintervallen.
Tab. 2
Zusammenhang zwischen psychischer Gesundheitskompetenz und physischer Gesundheit, psychischer Gesundheit, Lebenszufriedenheit und Gesundheitsverhalten
Psychische Gesundheitskompetenz | Physische Gesundheit | 0,03 | 0,24 | −0,02 | 0,07 | 1994 |
Psychische Gesundheitskompetenz | Psychische Gesundheit | 0,08 | < 0,001 | 0,04 | 0,12 | 1994 |
Psychische Gesundheitskompetenz | Lebenszufriedenheit | 0,09 | < 0,001 | 0,05 | 0,14 | 1994 |
Psychische Gesundheitskompetenz | Sportliche Betätigung | 0,04 | 0,05 | < 0,01 | 0,09 | 1994 |
Psychische Gesundheitskompetenz | Obstkonsum | 0,07 | < 0,001 | 0,03 | 0,12 | 1994 |
Psychische Gesundheitskompetenz | Gemüsekonsum | 0,08 | < 0,001 | 0,03 | 0,12 | 1994 |
Psychische Gesundheitskompetenz | Softdrinkkonsum | −0,01 | 0,69 | −0,05 | 0,04 | 1994 |
Psychische Gesundheitskompetenz | Alkoholkonsum | −0,06 | 0,01 | −0,10 | −0,02 | 1994 |
Psychische Gesundheitskompetenz | Zigarettenkonsum | 0,05 | 0,01 | 0,01 | 0,10 | 1994 |
Psychische Gesundheitskompetenz | Drogenkonsum | 0,07 | < 0,01 | 0,02 | 0,11 | 1994 |
Diskussion
Die vorliegende Studie hat die psychische Gesundheitskompetenz der Bevölkerung in Deutschland anhand einer bevölkerungsrepräsentativen Stichprobe erfasst. Insbesondere Männer, Personen jungen und mittleren Alters sowie Personen mit einem niedrigen und mittleren Sozialstatus könnten von Interventionsangeboten zur Förderung der psychischen Gesundheitskompetenz profitieren. Zudem sollten Personen adressiert werden, die selbst keine chronische Erkrankung haben, selbst noch nicht wegen einer psychischen Erkrankung behandelt wurden und auch keine engen Familienmitglieder haben, die bereits wegen einer psychischen Erkrankung behandelt wurden.
Zudem zeigte sich, dass eine höhere psychische Gesundheitskompetenz mit einer höheren Lebenszufriedenheit, einem besseren psychischen Gesundheitszustand, einem regelmäßigeren Obst- und Gemüsekonsum und mit einem niedrigeren Alkoholkonsum schwach einherging. Eine höhere psychische Gesundheitskompetenz war allerdings nicht ausschließlich mit gesundheitsförderlichen Verhaltensweisen assoziiert. Interessanterweise ging eine höhere psychische Gesundheitskompetenz auch schwach mit einem regelmäßigeren Zigaretten- und Drogenkonsum einher. Zukünftige Untersuchungen sollten der Frage nachgehen, wie sich dieses teils widersprüchliche Gesundheitsverhalten erkläre lässt und inwieweit Persönlichkeitseigenschaften, Alterseffekte und Interessensneigungen zur Erklärung beitragen können. Es könnte beispielsweise spekuliert werden, dass ein generelles Interesse an psychologischen Phänomenen sich auf die psychische Gesundheitskompetenz und auf die Bereitschaft zur Einnahme von bewusstseinsverändernden Drogen auswirkt. Auch wenn die Ergebnisse der Korrelationsanalysen teils höchstsignifikante waren, muss einschränkend darauf hingewiesen werden, dass die gefundenen Zusammenhänge nach aktuellen Bewertungsstandards als sehr klein zu klassifizieren sind [
5].
Abschließend sollen zwei zentrale Limitationen der vorliegenden Studie erwähnt werden. Zum einen war ein Internetzugang nötig, um an der Studie teilzunehmen. Da ältere Personen das Internet weniger häufig nutzen als jüngere Personen, können die vorliegenden Ergebnisse nur repräsentativ für die Online-Bevölkerung in Deutschland sein. [
7]. Zudem wurde ein Querschnittstudiendesign gewählt, weshalb aus den erhobenen Daten keine Kausalschlüsse gezogen werden können [
22].
Schlussfolgerung
Es gibt einen schwachen Zusammenhang zwischen der psychischen Gesundheitskompetenz und der Gesundheit und dem Gesundheitsverhalten der Bevölkerung in Deutschland. Zudem zeigen die Ergebnisse der vorliegenden Studie, dass die psychische Gesundheitskompetenz innerhalb der Bevölkerung in Deutschland nicht gleich verteilt ist und welche vulnerablen Personengruppen bei der Entwicklung von Interventionsangeboten zur Förderung der psychischen Gesundheitskompetenz adressiert werden sollten.
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