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Erschienen in: Gynäkologische Endokrinologie 3/2004

01.09.2004 | „In der Diskussion“

Embryonenauslese und „Dreierregel“

verfasst von: J. Renzikowski

Erschienen in: Gynäkologische Endokrinologie | Ausgabe 3/2004

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Auszug

Diskussionen mit Juristen lassen Mediziner zuweilen etwas ratlos und frustriert zurück. Während Mediziner zukunftsgewandt von den Chancen neuer Entwicklungen schwärmen, zeigen sich Juristen als konservative Bedenkenträger, die abwinkend auf die bestehende Rechtslage verweisen. Die Diskrepanz zwischen Fortschritt und Beharren ist offenkundig, wenn sich auf der einen Seite die Entwicklung mit rasender Geschwindigkeit vollzieht, auf der anderen Seite die gesetzlichen Regelungen keine Öffnungsklauseln enthalten. Als besonders innovationsfeindlich stellt sich dabei zwangsläufig das Strafrecht dar, da die Forderung nach größtmöglicher Bestimmtheit der Straftatbestände jeder Flexibilität enge Grenzen setzt. Ein Beispiel für diesen Konflikt zwischen Moderne und Tradition ist das Embryonenschutzgesetz (ESchG), das mangels einer entsprechenden Kompetenz als Strafgesetz erlassen worden ist. …
Fußnoten
1
Zum Streitstand vgl. etwa Böckenförde-Wunderlich (2002) Präimplantationsdiagnostik als Rechtsproblem, S 118ff; Renzikowski (2001) NJW, S 2753ff einerseits; Giwer (2001) Rechtsfragen der Präimplantationsdiagnostik, S 33ff et passim; Schneider (2000) MedR, S 360ff; Schreiber (2000) DÄBl, A-1135f; Schroth (2002) JZ, S 170 (172ff) andererseits; s. ferner den Schlussbericht der Enquete-Kommission (2002) „Recht und Ethik der modernen Medizin“, S 204ff.
 
2
Allerdings weist Faßbender (2001) NJW, S 2745 (2748), darauf hin, dass sich über § 1 Abs. 2 ESchG hier die gleichen Rechtsprobleme wie bei der Präimplantationsdiagnostik stellen.
 
3
Man sollte sich freilich dabei hüten, die Realität in ausländischen Einrichtungen zu rosig zu zeichnen. Häufig werden nämlich, trotz einer vorgeschalteten Kontrolle, 3 oder sogar noch mehr Embryonen transferiert. Auf diese Weise ist eine signifikant höhere Schwangerschaftsrate garantiert—ein durchaus willkommener Werbeeffekt.
 
4
Ganz abgesehen davon, dass von vornherein nicht jede Grenzüberschreitung im Bereich der Reproduktionsmedizin als strafwürdiges Unrecht angesehen werden kann, vgl. Keller/Günther/Kaiser (1992) Embryonenschutzgesetz, Einf. B II Rn. 1f, V Rn. 1ff.
 
5
Vgl. Keller/Günther/Kaiser (Fn. 4), Einf. B V Rn. 18, 19.
 
6
Zur Reformdiskussion s. Eser/Koch (2003) in: Gedächtnisschrift für Rolf Keller, S 15ff.
 
7
In einer anderen Form lautet es, dass im Konkurrenzkampf um die beste Schwangerschaftsrate mit dem Ausland nicht mitgehalten werden kann, s. Koch (2004) Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie, S 24 (25).
 
8
Anders freilich die Anhänger der sog. „ökonomischen Analyse des Rechts“, vgl. etwa Grundmann (1997) RabelsZ 61, S 423ff; aber bereits aus der Diskussion des Utilitarismus sind die Gerechtigkeitsdefizite von reinen Nutzenkalkülen bekannt, z. B. Frankena (1972) Analytische Ethik, S 59ff; Lyons (1965) Forms and Limits of Utilitarianism, S 171ff.
 
9
Vgl. Bindt (2001) Reproduktionsmedizin 17:20ff
 
10
Frommel (2002) Reproduktionsmedizin, S 158 (159).
 
11
So auch Ziff. 4.1 der Richtlinien der Bundesärztekammer zur Durchführung der assistierten Reproduktion, DÄBl 1998, A-3168.
 
12
Frommel (2002) Reproduktionsmedizin, S 158ff.
 
13
Rüthers (1999) Rechtstheorie, Rn. 725ff.
 
14
Keller/Günther/Kaiser (Fn. 4), § 1 Abs. 1 Nr. 2 Rn. 18.
 
15
Keller/Günther/Kaiser (Fn. 4), § 1 Abs. 1 Nr. 5 Rn. 22.
 
16
Ebenso Keller/Günther/Kaiser (Fn. 4), § 1 Abs. 1 Nr. 5 Rn. 20.
 
17
Ebenso Koch (2004) Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie, S 27.
 
18
Frommel (2002) Reproduktionsmedizin, S 160.
 
19
Frommel (2002) Reproduktionsmedizin, S 159f.
 
20
Der Änderungsantrag der SPD-Fraktion, das Verbot der Mehrfachbefruchtung durch das Merkmal „mehr als drei befruchtungsfähige Eizellen“ zu präzisieren, wurde im Rechtsausschuss abgelehnt (BT-Drs. 11/8057, S 14).
 
21
BT-Drs. 11/5460, S 9.
 
22
BT-Drs. 11/5460, S 9.
 
23
BT-Drs. 11/8057, S 14.
 
24
Frommel (2002) Reproduktionsmedizin, S 160.
 
25
Vgl. Radbruch (1932) Rechtsphilosophie, S 111: „Der Ausleger kann das Gesetz besser verstehen, als es seine Schöpfer verstanden haben, das Gesetz kann klüger sein als seine Verfasser—es muss sogar klüger sein als seine Verfasser.“ Die zugrunde liegende Prämisse ist jedoch sehr fragwürdig: Es gibt keine Bedeutung an sich. Stattdessen macht sich die „objektive Auslegung“ des Zirkelschlusses verdächtig: Als Inhalt des Gesetzes wird angegeben, was in Wahrheit dem subjektiven Regelungswillen der Rechtsanwender entspricht. Zur Kritik vgl. Rüthers (Fn. 13), Rn. 806ff.
 
26
Keller/Günther/Kaiser (Fn. 4), § 1 Abs. 1 Nr. 5 Rn. 2.
 
27
Explizit BT-Drs. 11/5460, S 9; s. auch Keller/Günther/Kaiser (Fn. 4), § 1 Abs. 1 Nr. 5 Rn. 2.
 
28
Keller/Günther/Kaiser (Fn. 4), § 1 Abs. 1 Nr. 5 Rn. 3; s. dazu auch BT-Drs. 11/1856, S 4 (Kabinettbericht zur künstlichen Befruchtung beim Menschen).
 
29
Keller/Günther/Kaiser (Fn. 4), § 1 Abs. 1 Nr. 3 Rn. 1.
 
30
Keller/Günther/Kaiser (Fn. 4), § 1 Abs. 1 Nr. 3 Rn. 5.
 
31
Frommel (2002) Reproduktionsmedizin, S 160f.
 
32
Vgl. Frommel (2002) Reproduktionsmedizin, S 160f.
 
33
Vgl. Keller/Günther/Kaiser (Fn. 4), § 2 Rn. 31ff.
 
34
S. BR-Drs. 210/86; BT-Drs. 11/1856, S 4f., 7; 11/5460, S 6, 11; vgl. ferner Keller/Günther/Kaiser (Fn. 4), § 8 Rn. 7 m.w.N.
 
35
Vgl. Keller/Günther/Kaiser (Fn. 4), § 3 Rn. 4.
 
36
Vgl. Frommel (2002) Reproduktionsmedizin, S 176, 180f.
 
37
BVerfGE 88, S 203 (251ff).
 
38
Kant (1797) Metaphysik der Sitten, Einleitung in die Rechtslehre, Anhang II: Das Notrecht. In: Kants gesammelte Schriften, hrsg. von der Königlich Preußischen Akademie der Wissenschaften. Erste Abteilung, Band 6, Berlin 1907, S 235f.
 
39
In diese Richtung etwa Birnbacher (1998) in: Ach (Hrsg) Hello Dolly? S 46ff; Ipsen (2001) JZ, S 989 (991ff); Joerden (1999) Jahrbuch für Recht und Ethik, S 79ff; Merkel (2001) Festschrift für Müller-Dietz, S 493ff.
 
40
Anders Laufs (2000) NJW, S 2716ff; Picker (1998) Festgabe für Flume, S 155 (184ff).
 
41
BVerfGE 39, S 1 (37); 88, S 203 (251f).
 
42
So aber Frommel (2002), Reproduktionsmedizin, S 172f.
 
43
Dezidiert für eine Gesetzesänderung Koch (2004) Journal für Reproduktionsmedizin und Endokrinologie, S 27.
 
44
Vgl. Fabbri et al. (2000), Molecular and cellular endocrinology 169:39ff; dies. (2001), Human Reproduction 16:411ff; Oktay/Kann/Rosenwaks (2001) Current Opinion in Obstretics and Gynecology 13:263ff.
 
45
Für diesen Fall untersagt Art. 16 des schweizerischen Fortpflanzungsmedizingesetzes die weitere Kryokonservierung von imprägnierten Eizellen.
 
Metadaten
Titel
Embryonenauslese und „Dreierregel“
verfasst von
J. Renzikowski
Publikationsdatum
01.09.2004
Verlag
Springer-Verlag
Erschienen in
Gynäkologische Endokrinologie / Ausgabe 3/2004
Print ISSN: 1610-2894
Elektronische ISSN: 1610-2908
DOI
https://doi.org/10.1007/s10304-004-0078-1

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