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Lesch-Nyhan-Syndrom/Kelly-Seegmiller-Syndrom

Verfasst von: Dierk A. Vagts, Heike Kaltofen, Uta Emmig und Peter Biro
Lesch-Nyhan-Syndrom, Kelly-Seegmiller-Syndrom.
Synonyme
Hyperurikämie-Sy; Hyperurikose; Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyltransferase-Mangel; HGPRT-Defizienz. Fälschliche Schreibweise auch: Lesh-Nyhan-Sy
Oberbegriffe
Stoffwechselerkrankung.
Organe/Organsysteme
ZNS, Nieren.
Ätiologie
X-chromosomaler Gendefekt, betrifft fast ausschließlich Jungen und Männer. Frauen sind nur betroffen, wenn der Vater am Lesch-Nyhan-Sy erkrankt und die Mutter gleichzeitig Überträgerin ist. Prävalenz 1:50.000 bis 1:100.000, in Kanada 1:380.000 Lebendgeburten, in Spanien 1:235.000.
Die Mutation des HPRT1-Gens auf dem X-Chromosom (Xq26-q27.2) vermindert die Aktivität der Hypoxanthin-Guanin-Phosphoribosyltransferase (HGPRT oder HRPT), mehr als 300 genassoziierte Veränderungen sind bis heute beschrieben!
Verwandte Formen, Differenzialdiagnosen
Kelly-Seegmiller-Sy (partieller HPRT-Mangel).

Symptome

Da HGPRT am Purinstoffwechsel von Adenin und Guanin (Bausteine von DNA und RNA) beteiligt ist, kommt es beim Lesch-Nyhan-Sy zu einem starken Anstieg von Harnsäure als Abbauprodukt der Purine.
Vermehrtes Erbrechen mit ca. 2–3 Monaten, auffällige Beinstellung bei Säuglingen, Bewegungsarmut, Säuglinge lernen nicht zu laufen, Entwicklungsrückstände, erhöhter Harnsäurerückstand in der Windel, autoaggressive Handlungen bei stärkerer Ausprägung (Finger-, Lippenbisse), kognitive Beeinträchtigung, Aggression gegen nahe stehende Personen (Eltern, Geschwister).
Im Verlauf: Harnsäuresteine, Harnwegsinfekte, Hämaturie, Nierenversagen.
Diagnosestellung: erhöhte Harnsäurespiegel in Blut und Urin, klinisches Bild, Messung der HGPRT-Aktivität in Blut und Gewebe, Sicherung durch genetischen Nachweis (schon pränatal möglich).
Vergesellschaftet mit
Gicht, megaloblastische Anämie.
Therapie
Keine ursächliche Therapie möglich. Allopurinol hemmt Purinabbau, spezielle Diät reduziert Symptome, 5-Hydroxytryptophan reduziert Athetose (extrapyramidale Hyperkinesie), erhöhte Flüssigkeitszufuhr.
Entfernung der Milchzähne kann Auswirkungen der Autoaggression reduzieren. Unbehandelt beträgt die Lebenserwartung nur wenige Jahre. Tiefenhirnstimulation kann Symptome bis zum Einstellen der Autoaggression reduzieren.

Anästhesierelevanz

Als Fallbericht ist das Auftreten einer Spastik nach Allgemeinanästhesie im Alter von 5½ Jahren beschrieben, das ursächlich verkannt wurde. Dies kann dafür sprechen, dass Allgemeinanästhesien im Fall von stark verminderter HGPRT-Aktivität eine bisher nicht aufgetretene Symptomatik aufdecken könnten. Die erwähnte Allgemeinanästhesie wurde allerdings um 1990 durchgeführt, und die Bedeutung der damals verwendeten Medikamente ist nicht klar.
Fallbericht eines unerwartet schwierigen Atemweges.
Grundsätzlich: Aspirationsgefahr, Muskelkontraktionen können Lagerung schwierig gestalten, Medikamente, die renal verstoffwechselt oder ausgeschieden werden, sollten vermieden werden, für Barbiturate, Ketamin und Isofluran liegen Berichte unauffälliger Narkosen vor, Propofol säuert den Urin an und trägt zur Harnstoffausscheidung bei, Succinylcholin sollte vermieden werden (Kalium!).
Vorsicht ist beim Einsatz von exogenen Katecholaminen bei erhöhter Empfindlichkeit gegeben.
Spezielle präoperative Abklärung
Wichtiges Monitoring
Standardmonitoring, art. Druckmessung, ggf. ZVD.
Vorgehen
Auf eine Normovolämie und gewichtsentsprechende Diurese sollte geachtet werden.
Weiterführende Literatur
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