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Osler-Rendu-Weber Syndrom

Verfasst von: Heike Kaltofen, Dierk A. Vagts, Uta Emmig und Peter Biro
Osler-Rendu-Weber Syndrom.
Synonyme
Morbus Osler; Teleangiectasia hereditaria haemorrhagica; engl. „hereditary haemorrhagic telangiectasia“ (HHT); „Babington’s disease“; „Goldstein’s hematemesis“
Oberbegriffe
Hereditäre Vaskulopathien, vaskulär bedingte hämorrhagische Diathese.
Organe/Organsysteme
Gefäß-Kreislauf-System, Gefäßwand, Gerinnungssystem, Haut, Schleimhäute, Gastrointestinaltrakt, parenchymatöse Organe.
Inzidenz
Uneinheitliche Angaben reichen von 1:5000 bis 1:8000 und von 1:50.000 bis 1:100.000.
Ätiologie
Kongenital, hereditär mit autosomal-dominantem Erbgang. Stets handelt es sich um eine heterozygote Anlage (die homozygote Anlage ist letal). Die Erkrankung ist mit der Blutgruppe 0 assoziiert. Die Befundkonstellation besteht aus Teleangiektasien mit fehlgebildeten Gefäßwandanteilen (glatte Muskulatur und Bindegewebe fehlen), AV-Malformationen mit fehlender Ausbildung eines Kapillarbetts sowie erhöhter Plasminogenaktivität und gelegentlichem Faktor-IX-Mangel. Gelegentlich Assoziation mit juveniler Polyposis.
Assoziation mit Mutation des Endoglins oder des Gens 12q (ALK1).
Verwandte Formen, Differenzialdiagnosen
Andere Vaskulopathien, Erkrankungen mit Gefäßektasien (Fabry-Sy), chronische Blutungen anderer Ursache.
Multiple Naevi aranei, v.-Willebrand-Sy Typ II, Hämoptoe bei Lungenerkrankungen, Hämatemesis bei gastrointestinalen Blutungen anderer Ursache oder Erkrankungen mit multiplen Hämangiomen, die im Gastrointestinaltrakt zu rezidivierenden Blutungen führen (Blue-rubber-bleb-Nävus-Sy oder Bean-Sy).
Karzinoid-Sy mit Teleangiektasien und Lebervergrößerung, Louis-Bar-Sy (Teleangiektasien in Kombination mit zerebellärer Ataxie), Calcinosis-Raynaud-Sklerodaktylie-Teleangiektasie-Sy (CRST-Sy), Dieulafoy-Sy.

Symptome

Wiederholte Blutungen (rezidivierende Epistaxis, gastrointestinale Blutungen, Hämaturie, Hämoptoe) stellen die führende klinische Symptomatik dar, die durch Teleangiektasien an den mukösen Membranen von Nasen- und Mundhöhle, Magen und Darm und der Haut verursacht werden. Infolge der chronischen Blutungen treten Eisenmangelanämie und Polyzythämie auf.
Vergesellschaftet mit
Gefäßfehlbildungen in Form von arteriovenösen Kurzschlüssen liegen bei bis zu 50 % der Patienten in der Lunge, bei 30 % in der Leber und bei 10 % der Patienten im ZNS vor. Seltener sind Gefäßfehlbildungen an Herz und großen Gefäßen. Bei 1 % der Patienten liegen spinale arteriovenöse Fehlbildungen vor. Rezidivierende Fundusblutungen können zur Einschränkung des Sehvermögens führen. Bei pulmonalen AV-Malformationen besteht ein erhöhtes Risiko für paradoxe Embolien sowohl thrombotischer als auch septischer Genese. Endokarditisrisiko erhöht. Selten Thrombozytopenie und Thrombozytopathie, vereinzelt auch Methämoglobinämie.
Therapie
Symptomatisch mit Laser- oder Elektrokoagulation, Eisensubstitution. Regelmäßige Kontrolle des Blutbildes und des Gerinnungsstatus, Suche nach okkulten Blutverlusten.

Anästhesierelevanz

Direkt mit der Erkrankung assoziierte Komplikationen bedürfen der chirurgischen Intervention: operative Sanierung von intrazerebralen Abszessen, Therapie von Zwischenblutungen, operative Sanierung von gastrointestinalen Blutungen. Bei allen invasiven Manipulationen ist die Gefäßwandfragilität und Blutungsneigung in Betracht zu ziehen. Oft liegt eine chronische Anämie mit entsprechender kardialer Belastung vor, in seltenen Fällen besteht die Gefahr des Pumpversagens des Herzens bei hohen arteriovenösen Shunts. Die Entstehung von intrazerebralen Abszessen wurde in mehreren Kasuistiken beschrieben. Ebenfalls ist an das Vorhandensein von intraduralen bzw. spinalen arteriovenösen Fisteln zu denken, was eine Kontraindikation für rückenmarknahe Regionalanästhesien bedeutet. Bei hepatischen AV-Malformationen häufig Entstehung einer Leberzirrhose mit entsprechenden Komplikationen wie z. B. portaler Hypertension.
Spezielle präoperative Abklärung
Ausmaß der Begleiterkrankungen. Blutbild, Gerinnungsstatus und -faktoren (v. a. Faktor IX), Ausschluss oder Quantifizierung von arteriovenösen Shunts (Angiografie, Blutgasanalyse), Echokardiografie, Thoraxröntgenaufnahme. Erfassung und Dokumentation des neurologischen Status, insbesondere bei bestehenden neurologischen Defiziten durch Gefäßfehlbildungen, welche die Sensibilität beeinträchtigen.
Wichtiges Monitoring
Pulsoxymetrie, ggf. invasive Blutdruckmessung (erweitertes Kreislaufmonitoring), Blutgasanalysen, Säure-Basen-Status, Gerinnungsparameter.
Vorgehen
Ein gewebeschonendes Vorgehen ist unerlässlich. Bei Laryngoskopie, Intubation, Absaugen und Katheterisationen muss darauf geachtet werden, möglichst keine Verletzungen oder Blutungen zu induzieren; dazu sind die großzügige Verwendung von Gleitcreme und Befeuchtung von Katheter- und Tubusoberflächen erforderlich. Die Indikation zur Anlage nasaler Magen-bzw. Temperatursonden muss sehr streng gestellt werden, aufgrund häufiger transfusionspflichtiger Epistaxis. Bei nichtinvasiver Blutdruckmessung muss der maximale Manschettendruck begrenzt werden, und der Druck sollte nur so oft wie unbedingt nötig gemessen werden. Besser geeignet sind intraarterielle Messungen. Bedingt durch AV-Shunts muss mit einem erniedrigten peripheren Widerstand gerechnet werden.
Niedrige pulsoxymetrische Sauerstoffsättigung kann sowohl durch einen Rechts-Links-Shunt als auch durch eine selten assoziierte Methämoglobinämie verursacht sein. Auf jeden Fall ist ein Vergleich mit der arteriellen Sauerstoffsättigung heranzuziehen. Der Entwicklung einer pulmonalarteriellen Hypertension sollte entgegen gewirkt werden, d. h. Hypoxie, Hypercarbie, Azidose vermeiden. Bei Patienten, die eine Gastrointestinalblutung erlitten haben, besteht ein hohes Aspirationsrisiko, so dass eine „rapid-sequence induction“ durchgeführt werden sollte. Liegen kardiale oder pulmonale arteriovenöse Shunts vor, ist mit Hypoxämie und langer Kreislaufzeit von intravenösen Anästhetika zu rechnen. Embolisationen (z. B. durch Luftbläschen aus Injektionen, Infusionen etc.) sind strikt zu vermeiden, da sie in den großen Kreislauf gelangen und Apoplexie und Infarkte bewirken können. Der Einsatz von Infusionsfiltern wird empfohlen. Wichtig sind die Aufrechterhaltung einer Normovolämie, die Bereitstellung genügender O2-Träger bei Anämie und die rechtzeitige Substitution von Gerinnungsfaktoren (FFP, Fibrinogen).
Bei pulmonalem Befall kann eine Hämoptoe eine seitengetrennte Intubation erforderlich machen. In einem anderen Fall ist es allein durch positive Druckbeatmung zu Lufteintritt und Koronarembolie gekommen, was zu vorsichtiger Beatmung mit möglichst niedrigen Atemwegsdrücken Anlass gibt. Möglichst baldige Rückkehr zur Spontanatmung ist anzustreben.
Rückenmarknahe Regionalanästhesien bergen die Gefahr von Epiduralhämatomen, insbesondere wenn eine gestörte Gerinnung vorliegt. Auch die Durchführung einer Spinalanästhesie ist mit dem Risiko einer Blutung durch Verletzung einer arteriovenösen spinalen Malformation behaftet, so dass alle rückenmarknahen Anästhesieverfahren primär als kontraindiziert gelten. Periphere Regionalanästhesien haben den Ausschluss eines neurologischen Defizits sowie einer gestörten Gerinnung zur strikten Voraussetzung.
Cave
Nasotracheale Intubation, nasogastrale Sonden, rückenmarknahe Regionalanästhesien, paradoxe Embolien (z. B. Luftblasen i.v.), Tourniquet.
Weiterführende Literatur
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