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Die Anästhesiologie
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Publiziert am: 08.05.2017

Anästhesiologische Beurteilung des Patienten: Blutgasanalyse und Säure-Basen-Haushalt

Verfasst von: Willehad Boemke und Roland C. Francis
Chemische Grundlagen des Säure-Basen-Haushalts werden in diesem Kapitel ebenso erläutert, wie die unterschiedlichen Puffersysteme und Transport und Elimination von Kohlendioxid. Die Funktionen der Niere bei der Regulation des pH-Wertes sowie der Oxygenierungsstatus des Bluts werden erörtert. Zudem werden die typischen Störungen des Säure-Basen-Haushalts bei Patienten vorgestellt.
Stewart-Ansatz
Grundsätzlich gibt es zwei Möglichkeiten, den Säure-Basen-Haushalt (SBH) zu interpretieren: nach dem konventionellen (sog. physiologischer) Ansatz [5], so wie er nachfolgend dargestellt werden soll, und nach dem sog. physikochemischen Ansatz, wie er 1981 von Peter A. Stewart vorgeschlagen wurde [28]. Der Stewart-Ansatz integriert Säure-Basen und Elektrolytstörungen [26] und zeigt schlüssig, dass Bikar bonat- und Protonenkonzentrationen abhängige Variable sind, da sie letztlich von Veränderungen anderer in Lösung befindlicher Ionen abhängen. Eine deutschsprachige Übersicht dazu findet sich bei Rehm [22], Deetjen u. Lichtwarck-Aschoff [9] sowie umfassend bei Kellum u. Elbers [15] in englischer Sprache. Für die Interpretation des Säure-Basen-Haushalts mit dem Stewart-Ansatz ist jedoch u. a. die Bestimmung der Plasmakonzentrationen von Albumin, Phosphat, Chlorid, Magnesium und Kalzium erforderlich: Messwerte, die die derzeitig auf dem Markt befindlichen Blutgasanalysatoren nicht liefern und deren Größe je nach Bestimmungsmethode variieren, was eine „hausinterne“ Festlegung der Referenzwerte für die Stewarp-Parameter erforderlich macht. Bei der Vielzahl der erforderlichen Parameter, ist einer möglichen Addition von Messfehlern besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Derzeit verfügen die Blutgasanalysegeräte unseres Wissens nach dem nicht über die Formeln, die für die Interpretation des SBH nach Stewart notwendig sind.
Für die klinische Routine konnte sich der Stewart-Ansatz daher bisher nicht durchsetzen. Unabhängig davon ist er ein sehr interessanter und hilfreicher Ansatz für die Interpretation und Therapie von SBH-Störungen; dies konnte in klinischen Studien mittlerweile mehrfach gezeigt werden [15, 19, 26].

Chemische Grundlagen

Nach dem Massenwirkungsgesetz ist das Verhältnis des Produkts von dissoziierter [Proton (H+) + Säurerest (A)] zu nichtdissoziierter Säure (HA) konstant und wird durch die Dissoziationskonstante K a beschrieben.
$$ {K}_a=\frac{P\left[{H}^{+}\right]\left[{A}^{-}\right]}{\left[ HA\right]} $$
(1)
Werte in eckigen Klammern []
bezeichnen Konzentrationen
Weil die Dissoziationskonstante Ka oft sehr klein ist, wird häufig der negative dekadische Logarithmus von Ka angegeben. Dieser wird als pK a -Wert bezeichnet. Starke Säuren dissoziieren nahezu vollständig und haben deshalb niedrige pKa-Werte.
Analog wird der negative dekadische Logarithmus der Wasserstoffionenkonzentration als pH-Wert bezeichnet.
Henderson-Hasselbalch-Gleichung:
$$ p H= p{K}_a+ \log \frac{A^{-}}{\left[ HA\right]} $$
(2)
Wegen des logarithmischen Zusammenhangs bedeutet eine Änderung des pH-Wertes um ±1 bereits eine Änderung der Wasserstoffionenkonzentration um das 10-fache. Kleine pH-Änderungen sind also Ausdruck erheblicher Wasserstoffionenkonzentrationsänderungen (z. B. pH 7,40 = 40 nmol H+/l, pH 7,00 = 10-7 mol H+/l = 100 nmol H+/l).
Der Plasma-pH-Wert des arteriellen Bluts liegt normalerweise zwischen 7,36 (44 nmol H + /l) und 7,44 (36 nmol H + /l). Plasma-pH-Werte unter 6,8 und über 7,8 (16 und 160 nmol H+/l) sind mit dem Leben nur kurzfristig vereinbar.

Herkunft der Säuren

Kohlensäure

Die Kohlensäure (H2CO3) ist eine volatile (flüchtige) Säure, da sie in äquimolare Mengen CO2 + H2O zerfällt (Abschn. 3 und 4). Bei den energieliefernden Oxidationsprozessen der Glukose- und Fettsäureoxidation werden unter Grundumsatzbedingungen täglich ca. 14.000 mmol CO2 bzw. 314 l CO2 (14 mol CO2/Tag × 22,4 l/mol) gebildet. Dies entspricht einer Produktion von ca. 10 mmol CO2/min. Damit ist die im Stoffwechsel anfallende Menge CO2 so groß, dass es innerhalb weniger Minuten zu einer respiratorischen Azidose kommt, wenn das CO2 nicht zeitgerecht zur Lunge transportiert (adäquate Zirkulation) und dort abgeatmet wird (adäquate alveoläre Ventilation).

Nichtvolatile Säuren

Nichtvolatile Säuren stammen entweder aus der Nahrung oder aus dem Intermediärstoffwechsel.
In Ruhe produziert ein Erwachsener etwa 1.300 mmol Milchsäure (Laktat + H+) pro Tag (0,7–1,3 mmol kgKG−1 × h−1). Diese stammt überwiegend aus Muskulatur, Haut, Darm, Gehirn und Erythrozyten. Das laktatbegleitende H+ wird vorwiegend unter Verbrauch von HCO3 gepuffert (Abschn. 6.1). Quantitativ wird dieses HCO3 durch Verwendung der Laktationen im Rahmen der Glukoneogenese zurückgewonnen.
$$ \begin{array}{l}2 C{H}_3- CHOH- CO{O}^{-}+2{H}^{+}\leftrightarrow {C}_6{H}_{12}{O}_6\hfill \\ {} \mathrm{Laktat} \mathrm{Glukose}\hfill \end{array} $$
(3)
sowie bei der Laktatoxidation
$$ C{H}_3- CHOH-CO{O}^{-} + {H}^{+} + 3{O}_2\ \leftrightarrow\ 3C{O}_2 + 3{H}_2O $$
(4)
Bei Störungen der kontinuierlichen Weiterverwertung organischer Säuren, z. B. im Rahmen einer diabetischen Ketoazidose oder Laktazidose, können >1.000 mmol H+/Tag anfallen (Produktionsrate bis zu 100 mmol H+/h; [12, 24]).
Anorganische Säuren wie Phosphor- und Schwefelsäure entstehen im Stoffwechsel durch den Abbau von Phosphorsäureestern (Nukleinsäuren, Phospholipiden) und Schwefelsäureestern (sauren Mukopolysacchariden), die mit der Nahrung aufgenommen wurden, sowie durch Abbau schwefelhaltiger Aminosäuren (Cystein, Methionin) und kationischer Aminosäuren (Lysin und Arginin; [4, 12]). Netto fallen täglich ca. 50 mmol Wasserstoffionen an (Daumenregel: ca. 1 mmol H+/kgKG), die renal eliminiert werden müssen [4, 12].
Bei der Abklärung einer metabolischen Azidose muss auch an eine Intoxikation mit Säuren gedacht werden, deren Metabolite Säurecharakter haben, z. B. das Frostschutzmittel Ethylenglykol (Glykolsäure, Oxalsäure), Methanol (Ameisensäure) oder Paraldehyd (Essigsäure) (Anionenlücke, Abschn. 6.4.4).

HCO3/CO2-Gleichgewicht und die Puffersysteme

Zwischen einem Anstieg der CO2-Konzentration und einem Anstieg der H+-Konzentration ein direkter Zusammenhang: existiert nach Gl. 5
$$ {H}_2 O+ C{O}_2\overset{CA}{\iff }{H}_2 C{O}_3\iff H C{O}_3^{-}+{H}^{+} $$
(5)
CA
Carboanhydrase
H2O und CO2 stehen mit den Wasserstoff-(H+) und Bikarbonationen (HCO3 ) im Gleichgewicht. Unabhängig von der Richtung der Reaktion wird im Zwischenstadium kurzfristig immer Kohlensäure (H2CO3) gebildet.
Die Reaktion H2O + CO2 ⇌ H2CO3 verläuft in beiden Richtungen sehr langsam, wird aber durch das katalysierende Enzym Carboanhydrase erheblich beschleunigt. Die Kohlensäuredissoziation (H2CO3 ⇌ HCO3  + H+) verläuft, auch ohne Katalysator, sehr schnell.
Systeme, die wie das HCO3 /CO2-System aus einer schwachen Säure (CO2 ist äquimolar zu H2CO3) und ihrer korrespondierenden Base (HCO3 ) bestehen, werden Puffer genannt. Puffer haben die Eigenschaft, Änderungen des pH-Wertes geringer zu halten, als es der zugeführten Säuren- (pH-Abfall) und Basenmenge (pH-Anstieg) ohne Puffer entsprechen würde. Dabei ist es allein das Verhältnis der Konzentrationen der beiden Pufferpartner (z. B. [HCO3 ]/[CO2]), das den pH-Wert einer Pufferlösung bestimmt. Ersetzt man in der Henderson-Hasselbalch-Gleichung (Gl. 2 in Abschn. 1) das [A] durch [HCO3 ] und [HA] durch [CO2], d. h. durch die Komponenten des Bikarbonatpuffers, dann ergibt sich:
$$ p H= p{K}_a+ \log \frac{\left[ H, C,{O}_3^{-}\right]}{\left[ C,{O}_2\right]}=6,1+ \log \frac{\left[ H C{O}_3^{-}\right]}{\alpha_{C{O}_2}\times p C{O}_2} $$
(6)
\( {\alpha}_{C{ O}_2} \)
Löslichkeitskoeffizient
Der pH-Wert und pCO2 können im Gegensatz zu [CO2] und [HCO3 ] leicht gemessen werden. Da der pKa-Wert für das HCO3 /CO2-System bekannt ist (pKa = 6,1), ist es möglich, mit Hilfe der Gl. 6 bei Kenntnis von 2 der 3 unbekannten Werte, den dritten Wert zu berechnen. Bei einem pH von 7,4 verhalten sich z. B. die für den pH-Wert maßgeblichen Konzentrationen von HCO3 (24 mmol/l) und physikalisch gelöstem CO2 (1,2 mmol/l) wie 20:1 (Logarithmus von 20 ist 1,3; Gl. 6). Der physikalisch gelöste Anteil von CO2 ([CO2]) ist das Produkt aus dem Löslichkeitskoeffizienten für CO2 im Plasma (\( {\alpha}_{C{ O}_2} \)) und dem CO2-Partialdruck (pCO2; Henry-Gesetz). Der numerische Wert des Löslichkeitskoeffizienten richtet sich nach der gewählten Einheit für pCO2.
  • Wird der pCO2 in mmHg angegeben, dann ist \( {\alpha}_{C{ O}_2} \) = 0,03 mmol × l−1 × mmHg−1),
  • wird die Einheit kPa gewählt, dann ist \( {\alpha}_{C{ O}_2} \) = 0,225 mmol × l−1 × kPa−1 [1 mmHg = 1 Torr = 133,3 Pa (Pascal) = 0,133 kPa, Beispiel: 40 mmHg = 5,3 kPa].
Die Pufferungsvorgänge haben nichts mit einer Kompensation zu tun, sondern basieren auf rein chemischen Reaktionen.

Pufferkapazitäten

Die Pufferkapazität einer Lösung (z. B. des Plasmas) ist umso größer, je größer die Menge des Puffers ist und je näher der pH-Wert der Lösung (z. B. des Plasmas) am pKa-Wert des Puffers liegt. Maximale Pufferwirkung zeigt ein Puffer deshalb bei pHLösung = pKaPuffer.
Da der HCO3 /CO2-Puffer einen pKa von 6,1 hat, scheint er bei einem normalen Plasma-pH von 7,4 nicht sehr leistungsfähig zu sein. Allerdings wird seine Pufferwirkung bei niedrigen pH-Werten besser.
Die besondere Wirksamkeit bekommt der HCO3 /CO2-Puffer dadurch, dass ein Reaktionspartner – das CO2 – sehr schnell gasförmig über die Lunge abgeatmet und damit aus der Gleichgewichtsreaktion entfernt werden kann (offenes System; Gl. 5).
Die Pufferkapazität des Organismus verteilt sich zu 40 % auf den Extrazellulärraum und zu 60 % auf den Intrazellulärraum. Berechnet man die Pufferkapazität des extrazellulären HCO3 /CO2-Systems, so erhält man 24 mmol/l HCO3  × 14 l EZF ≈ 350 mmol.
Intrazellulär sind die wichtigsten Puffer die Imidazolringe des Histidins (Pufferkapazität ca. 600 mmol) und der HCO3 /CO2-Puffer (Pufferkapazität 225–330 mmol; [11]).
Über den Stellenwert des Phosphatpuffers bei der intrazellulären Pufferung gibt es widersprüchliche Auffassungen [10, 24].
Mit einem Anteil von 60–70 % hat der HCO3 /CO2-Puffer den größten Anteil an der Gesamtpufferkapazität des Bluts. Daneben sind noch das Hämoglobin und die Plasmaproteine (hier besonders das Albumin) von Bedeutung.
Die Knochen erfüllen ebenfalls eine wichtige Funktion als Puffer [24]. So ist die Aufnahme von H+ durch den Knochen mit einer Freisetzung von NaHCO3 und KHCO3 und später von CaCO3 und CaHPO4 verbunden. Die Demineralisierung des Knochens bei metabolischer Azidose scheint nicht nur ein biochemischer Prozess zu sein, sondern auch mit einer Abnahme der Osteoblasten- und einer Zunahme der Osteoklastenaktivität bei sinkenden HCO3 -Konzentrationen zusammenzuhängen. So führt eine chronische metabolische Azidose bei chronisch Niereninsuffizienten eher zu einer Demineralisation des Knochens, als eine mit gleicher pH-Wert-Verschiebung einhergehende, respiratorische Azidose [24].

Transport und pulmonale Elimination von CO2

Das im Zellstoffwechsel anfallende CO2 diffundiert aus den Zellen ins Plasma. CO2 ist im Plasma nur begrenzt löslich, diffundiert jedoch leicht in die Erythrozyten. Im Erythrozyten befindet sich reichlich Carboanhydrase, die im Plasma nicht vorhanden ist. So entsteht nach Gl. 5 aus CO2 + H2O → H2CO3 (Kohlensäure), die schnell in H+ und HCO3 zerfällt. Die dabei anfallenden Wasserstoffionen werden überwiegend an die ionisierbaren basischen Seitengruppen des reduzierten Hämoglobins (Hb) gebunden.
Die O2-Abgabe (Hb-Reduktion) im Gewebe verbessert die Fähigkeit des Hämoglobins, Protonen zu binden (Bohr-Effekt).
Die Hämoglobin pufferung der Wasserstoffionen bewirkt eine Abnahme der freien Wasserstoffionen in den Erythrozyten. Das Reaktionsgleichgewicht wird nach Gl. 5 wieder hergestellt, indem erneut CO2 aus dem Plasma in die Erythrozyten diffundiert und in H+ und HCO3 umgewandelt wird. Die Wasserstoffionen werden vom Histidinrest des desoxygenierten Hämoglobins gebunden (Hämoglobinpufferung). Das HCO3 wird vorwiegend über den Chlorid-Bikarbonat-Austauscher in der Erythrozytenmembran (AE1 = „anion exchange protein“ oder „Bande 3“ genannt) in einem 1:1-Verhältnis gegen Chlorid nach extrazellulär transportiert (Chlorid shift oder Hamburger-Shift). Netto findet somit keine Ladungsverschiebung statt. Zirka 85 % des CO2 wird so in Form von HCO 3 transportiert (65 % im Plasma, 20 % in den Erythrozyten).
In der Lunge gibt das Hb mit der Oxygenierung die gepufferten Wasserstoffionen wieder ab (Haldane-Effekt).
Die freigesetzten H+ reagieren mit HCO3 zu H2O und CO2 (Gl. 4 in Abschn. 2.2). CO2 diffundiert entlang des Druckgefälles in die Alveolarluft. In weniger als einer Sekunde (Verweildauer der Erythrozyten in den Lungenkapillaren) erfolgen die CO2-Abgabe und die O2-Aufnahme bis zum Partialdruckausgleich.
Im Blut wird CO2 zu 85 % in Form von HCO3 transportiert (65 % des HCO3 befinden sich im Plasma, 20 % in den Erythrozyten), zu 5–8 % physikalisch gelöst und zu 5–10 % als Karbaminohämoglobin (Hb-NH2 + CO2 → Hb-NH-COO + H+).

Funktionen der Niere bei der Regulation des pH-Werts

Rückgewinnung von filtrierten Bikarbonationen

Die Konzentration von Bikarbonationen im Plasma beträgt unter Normalbedingungen 24 mmol/l. Da das Bikarbonation klein ist, wird es frei filtriert. Täglich werden ca. 4.500 mmol Bikarbonationen filtriert (180 l Ultrafiltrat/Tag × 24 mmol/l Bikarbonationen = 4.320 mmol/Tag), die von der Niere möglichst vollständig zurückgewonnen werden müssen, um eine Bikarbonationenverarmung zu vermeiden. Die Rückgewinnung erfolgt zu 85–90 % im Verlauf des proximalen Tubulus (Na + /H + -Antiporter) und zu 8–12 % in der Henle-Schleife (Abb. 1; [11, 24]). Den Anfangsteil des distalen Tubulus erreichen nur noch 1–2 %. Im Gegensatz zum proximalen Tubulus wird H+ im distalen Tubulus nicht mit dem Na+/H+-Antiporter, sondern über eine primär aktive Wasserstoffionenpumpe ins Tubuluslumen transportiert. Deren Aktivität kann durch Aldosteron gesteigert werden. Die Abgabe des rückgewonnenen HCO3 ins Blut erfolgt im Austausch gegen Cl (HCO 3 /Cl - Antiporter).

Neubildung von Bikarbonationen

Eine Nettoneubildung von HCO3 erfolgt bei der Ausscheidung von Wasserstoffionen, z. B. mit dem HPO4 2−/H2PO4 -Puffer (Abb. 1).
Eine pufferfreie Tubulusflüssigkeit wäre nicht in der Lage, die täglich anfallende Menge an Wasserstoffionen der nichtvolatilen Säuren auszuscheiden. Würden die täglich durch nichtvolatile Säuren anfallenden 50–70 mmol Wasserstoffionen in Form freier Wasserstoffionen renal ausgeschieden, dann würde der Urin-pH bis auf 1–2 sinken. Maximal kann der Urin-pH jedoch nur bis auf 4,5 fallen, da gegen eine höhere tubuläre Wasserstoffionenkonzentration keine weiteren Wasserstoffionen mehr transportiert werden können – eine pH-Wertdifferenz von ≈ 7,4 (intrazellulär) :4,5 (tubulär) entspricht immerhin einer Konzentrationsdifferenz der Wasserstoffionen von ca. 1:800. Daher können Wasserstoffionen in freier Form nur in minimalen Mengen (weit unter 1 %) ausgeschieden werden [8].

Ausscheidung von Ammoniumionen

NH4 + (Ammoniumion) ist bei einem pH Wert von 7,4 keine Säure (pKa-Wert des NH3/NH4 +-Systems ist 9,3). Trotzdem kommt es durch die NH4 +-Ausscheidung zu einem HCO3 -Gewinn. Das NH4 + fällt in der Leber zusammen mit HCO3 beim Aminosäureabbau an. Dort wird das bereits in kleinen Mengen toxische NH4 + zu 95 % mit äquimolaren Mengen HCO3 zu Harnstoff umgewandelt und renal eliminiert (Abb. 2). Die restlichen 5 % (ca. 50 mmol/Tag) des NH4 + werden zur Synthese von Glutamin verwendet und in dieser Form von der Leber zur Niere transportiert. In der Niere wird das Glutamin durch Glutaminase abgebaut und das NH4 + letztlich ausgeschieden. Durch die NH4 +-Ausscheidung wird dem Organismus indirekt HCO3 erhalten, weil es dadurch nicht im Rahmen der hepatischen Harnstoffsynthese verbraucht wird.
Die NH4 +-Ausscheidung kann bei schweren metabolischen Azidosen von 30–40 mmol/Tag auf über 300 mmol/Tag gesteigert werden [6, 7, 13, 27, 30].

Der Patient mit Störungen des Säure-Basen-Gleichgewichts

Alle Störungen des Säure-Basen-Haushalts sind Folge eines Bilanzungleichgewichts zwischen basischen und sauren Valenzen und verändern den pH-Sollwert von 7,4.
Azidosen sind Störungen, die durch eine Anhäufung von Säuren und/oder einen Verlust von Basen verursacht werden. Alkalosen entstehen durch eine Ansammlung von Basen und/oder einen Verlust von Säuren. Liegt der pH-Wert des Bluts unter 7,36, dann spricht man von einer Azidose, liegt er über 7,44 von einer Alkalose.
Mit Hilfe von pH-Wert, pCO 2 und Standardbikarbonat bzw. Basenüberschuss, lassen sich sowohl die metabolischen (Stoffwechsel) als auch die respiratorischen (Lunge und Atmung) Störungen des Säure-Basen-Haushalts beschreiben (Tab. 1; Gl. 6 in Abschn. 3).
Tab. 1
Veränderungen im pH, paCO2 und der Standardbasenabweichung (SBE) bei primär respiratorischen und nichtrespiratorischen (metabolischen) Säure-Basen-Haushaltsstörungen sowie nach Kompensation der primären Veränderungen
 
pH
paCO2 [mmHg]
SBE [mmol/l]
Nichtkompensierte metabolische Azidose
<7,36
n
<−2
Kompensierte metabolische Azidose
<(n)
<35
<−2
Nichtkompensierte respiratorische Azidose
<7,36
>45
n
Kompensierte respiratorische Azidose
<(n)
>45
> + 2
Nichtkompensierte metabolische Alkalose
>7,44
n
> + 2
Kompensierte metabolische Alkalose
>(n)
>45
> + 2
Nichtkompensierte respiratorische Alkalose
>7,44
<35
n
Kompensierte respiratorische Alkalose
>(n)
<35
<−2
n Normbereich, (n) nur selten vollständig in den Normbereich zurückkehrend
Das Standardbikarbonat entspricht der Bikarbonationenkonzentration im Plasma des vollständig oxygenierten Bluts bei 37 °C und einem pCO2 von 40 mmHg (5,3 kPa). Durch die Äquilibrierung der Blutprobe bei einem standardisierten pCO2 von 40 mmHg wird die Bikarbonatbestimmung von dem tatsächlich im arteriellen Blut herrschenden pCO2 unabhängig, denn nach Gl. 5 in Abschn. 3 beeinflusst der pCO2 die Größe der sog. „aktuellenBikarbonationenkonzentration mit. Die aktuelle Bikarbonatkonzentration errechnet sich durch Einsetzen des aktuellen pCO2 aus der Henderson-Hasselbalch-Gleichung (Gl. 6 in Abschn. 3).
Das Standardbikarbonat ist – anders als die aktuelle Bikarbonationenkonzentration – ein Parameter, der unabhängig vom aktuellen pCO2 nur die metabolischen Veränderungen erkennen lässt.
Die Basenabweichung, auch Basenüberschuss oder „base excess“ (BE) genannt, wurde früher durch Titration mit einer starken Base (Minuswert: Basendefizit) oder starken Säure (Pluswert: Basenüberschuss) bis zu einem pH von 7,4 bei einem pCO2 von 5,3 kPa (40 mmHg) ermittelt. Durch die Basenabweichung wird der Überschuss oder Mangel an pufferaktiven Basen quantitativ erfasst. In der Klinik wird die Basenabweichung heute vom Blutgasanalysator berechnet. In die Berechnung gehen der pH, der pCO2, die Hämoglobinkonzentration und die O2-Sättigung ein.
Störungen des Säure-Basen-Haushalts können u. a. mit Änderungen der Natrium-, Kalium- und Chloridionenbestände verbunden sein.

Kompensationsmechanismen bei Störungen des Säure-Basen-Haushalts und Interpretation der Befunde des Säure-Basen-Status

Primäre Störungen in einem der Systeme, die den Säure-Basen-Haushalt kontrollieren, können sekundär z. T. durch die jeweils anderen Systeme kompensiert werden (Tab. 1).
Die empirisch beobachtete, maximal mögliche respiratorische oder metabolische Kompensation von primären Säure-Basen-Haushaltsstörungen ist in Tab. 2 aufgeführt. Eine unzureichende Ausschöpfung der Kompensationsmöglichkeiten kann auf das Vorliegen einer kombinierten Säure-Basen-Haushaltsstörung oder Erkrankungen der Kompensationsorgane Niere, Leber und Lunge hinweisen.
Tab. 2
Erwartete kompensatorische Antworten auf primäre Störungen des Säure-Basen-Haushalts. (Nach: [20])
Störung
Primäre Änderung
Kompensatorische Antwort
Metabolische Azidose
↓ 1 mmol/l [HCO3 ]
↓ 1,2 mmHg paCO2
Metabolische Alkalose
↑ 1 mmol/l [HCO3 ]
↑ 0,7 mmHg paCO2
Respiratorische Azidose
Akut (min)
↑ 10 mmHg paCO2
↑ 1 mmol/l [HCO3 ]
Chronisch (Stunden, Tage)
↑ 10 mmHg paCO2
↑ 3,5 mmol/l [HCO3 ]
Respiratorische Alkalose
Akut (min)
↓ 10 mmHg paCO2
↓ 2 mmol/l [HCO3 ]
Chronisch (Stunden, Tage)
↓ 10 mmHg paCO2
↓ 4 mmol/l [HCO3 ]
[HCO3 ] aktuelle Plasmabikarbonationenkonzentration, paCO2 arterieller CO2-Partialdruck, ↑ Anstieg über, ↓ Abfall unter den Referenzwert für paCO2 (40 mmHg) oder [HCO3 ] (24 mmol/l). Das Maximum der Kompensation bei akuter respiratorischer Azidose liegt etwa bei 30 mmol/l [HCO3 ], bei metabolischer Alkalose (eine ungestörte respiratorische Funktion vorausgesetzt) bei einem paCO2 von 55 mmHg
Anwendungsbeispiel: Gemessen wurden: [HCO3 ] 15 mmol/l, pH 7,25, paCO2 35 mmHg. Primäre Störung: metabolische Azidose (Tab. 1). Die Differenz zwischen der gemessenen HCO3 -Konzentration von 15 mmol/l und dem Referenzwert von 24 mmol/l beträgt 9 mmol/l. Da bei einem Abfall der HCO3 -Konzentration um 1 mmol/l der paCO2 empirisch um 1,2 mmHg sinken sollte, lässt sich die empirisch erwartete respiratorische Kompensation schätzen: 40 mmHg – (9 × 1,2 mmHg) = 29,2 mmHg (wobei 40 mmHg der Referenzwert des paCO2 ist). Der gemessene paCO2 von 35 mmHg liegt also ca. 6 mmHg über dem erwarteten Wert von 29,2 mmHg. Ursachen für die unvollständige Kompensation könnten u. a. sein: Lungenerkrankung, kontrollierte Beatmung beim narkotisierten Patienten ohne eigenen Atemantrieb. (Nach: [24])
Diagnostische Schwierigkeiten können entstehen, wenn Systeme in entgegengesetzter Weise gestört sind. Dann kann der Säure-Basen-Status dem einer kompensierten primären Störung ähneln (z. B. gleichzeitiges Vorliegen einer metabolischen Alkalose und einer respiratorischen Azidose).
Es ist daher erforderlich, bei der Interpretation der Befunde des Säure-Basen-Status alle vorliegenden, chronischen und aktuellen Erkrankungen und Beschwerden in die diagnostischen Überlegungen mit einzubeziehen [8, 11, 17, 24].
Notwendige Informationen für eine adäquate Interpretation einer Blutgasanalyse
  • Informationen über die Umgebungsbedingungen, z. B. inspiratorische O2-Konzentration, Barometerdruck
  • Zusätzliche Labordaten, z. B. vorhergehende Blutgasanalysen, Hämoglobinkonzentration oder Hämatokrit, Elektrolyt-, Glukose-, Laktat- und Harnstoffkonzentration im Blut
  • Apparative Untersuchungsbefunde, z. B. Thoraxröntgenbild, Lungenfunktionstest
  • Anamnese und körperliche Untersuchung (Atemfrequenz und Vitalzeichen, Atemanstrengung, intellektuelle und emotionale Verfassung des Patienten, Qualität der Gewebedurchblutung)
Moderne Blutgasgeräte messen direkt die Partialdrücke von Sauerstoff (pO2) und Kohlendioxid (pCO2) sowie den pH. Berechnet werden die Bikarbonatkonzentration, die Basenabweichung und der Halbsättigungsdruck (p50), sog. abgeleitete Werte. Dadurch werden Informationen über 3 wichtige physiologische Prozesse gewonnen: den Säure-Basen-Haushalt, die alveoläre Ventilation und die Oxygenierung des Bluts.

Zeitbedarf der Kompensation

Das Maximum der metabolischen Kompensation bei respiratorischen Störungen wird erst nach 3–7 Tagen erreicht. Die Kompensation metabolischer Störungen durch Änderungen der Atmung beginnt schon nach wenigen Minuten, erreicht aber ihr Maximum erst nach 6–12 h.
Die respiratorische Kompensation verläuft wesentlich schneller als die hepatorenale:
  • weil über die Lunge schnell große Mengen CO2 (= Anhydrid der Kohlensäure) abgegeben werden können und
  • weil CO2 leicht zwischen Intra- und Extrazellulärraum diffundieren kann.
Eine vollständige Kompensation gelingt selten. Der pH-Wert bleibt deshalb typischerweise leicht in Richtung der primären Störung verschoben [11, 17].

Respiratorische Azidose

Symptomatik

Eine respiratorische Azidose tritt häufig zusammen mit einer Hypoxie auf. Daher sind die bei einer respiratorischen Azidose beobachteten Symptome nicht nur auf die Azidose, sondern auch auf die begleitende Hypoxie zurückzuführen. Kardiale Symptome wie Extrasystolen und ein Abfall des Herzzeitvolumens und zerebrale Symptome, bedingt durch Hypoxie und zerebrale Vasodilatation, wie Kopfschmerzen, Übelkeit, Verwirrtheit und Ruhelosigkeit sind häufig. Abgesehen davon ist zu bedenken, dass Patienten mit einer chronischen Lungenerkrankung häufig an einem Cor pulmonale leiden. Aber auch bei einer akuten alveolären Hypoxie kommt es durch die hypoxische pulmonale Vasokonstriktion zur akuten Rechtsherzbelastung.

Pathophysiologie

Die respiratorische Azidose ist bedingt durch eine unzureichende ventilatorische Abgabe von CO2 im Verhältnis zu dem im Stoffwechsel produzierten CO2. Sie ist gekennzeichnet durch einen Anstieg des pCO2 (Hyperkapnie) und einen abnehmenden pH-Wert.
(Der arterielle paCO2 ist direkt proportional zur CO2-Produktionsrate des Organismus (\( \dot{V}\operatorname{C}{\operatorname{O}}_2 \)) und umgekehrt proportional zur alveolären Ventilation \( \dot{\operatorname{V}} \) A), d. h.
$$ {p}_aC{O}_2=\frac{\dot{V}C{O}_2}{{\dot{V}}_A}\times k $$
(7)
a
arteriell
A
alveolär
k
Konstante
Unter normalen, physiologischen Bedingungen geht durch atemregulatorische Vorgänge eine steigende CO2-Produktionsrate mit einer entsprechenden Steigerung der alveolären Ventilation einher. Bei einer respiratorischen Azidose steigt der paCO2.
Bei Apnoe steigt beim Erwachsenen der paCO2 um 3,5–4,5 mmHg pro Minute.
Häufige Ursachen einer respiratorischen Azidose

Kompensationsmechanismen

Nach Anstieg des paCO2 kann der pH nur dann bei ca. 7,4 gehalten werden, wenn die Bikarbonatkonzentration in gleichem Maße ansteigt (Gl. 6 in Abschn. 3). Dies kann geschehen durch:
  • Neubildung von Bikarbonationen,
  • vermehrte renale Ausscheidung von Wasserstoffionen,
  • Vermeidung von Bikarbonationenverlusten über die Niere.
Die Neubildung von Bikarbonationen und die Ausscheidung von Wasserstoffionen werden vorzugsweise durch den HPO4 2−/H2PO4 -Puffer und durch die Hemmung der Harnstoffsynthese mit konsekutiv erhöhter NH4 +-Ausscheidung realisiert [6].
Der Schwellenwert für die HCO3 -Ausscheidung, die sog. Bikarbonatschwelle, ist variabel. Dies kommt dadurch zustande, dass bei einer hohen, intrazellulären CO2-Konzentration in den proximalen Tubuluszellen vermehrt Wasserstoffionen im Austausch gegen Natriumionen in den Tubulus transportiert werden (H+/Na+-Antiport), während gleichzeitig auf der Blutseite Bikarbonationen und aktiv transportierte Natriumionen (Na+/K+-ATPase) zurückgewonnen werden (Abb. 1; [24]). Die Rückgewinnungsrate von Bikarbonationen nimmt daher mit der filtrierten Bikarbonationenmenge zu. Würde die Ausscheidungsschwelle für Bikarbonationen bei einer respiratorischen Azidose fixiert bleiben, wäre die metabolische Kompensation wegen der renalen Verluste von Bikarbonationen nicht möglich.

Sekundäre Veränderungen im Elektrolythaushalt

Die beim gesteigerten H+/Na+-Antiport in die Tubuluszelle aufgenommenen Natriumionen lassen tubulär vorzugsweise Chloridionen zurück, die mit den bei Azidosen vermehrt gebildeten Ammoniumionen (NH4 +) als NH4 +Cl ausgeschieden werden.
Da die Hyperkapnie zusätzlich mit einer vrmehrten Aufnahme von Chloridionen in die Erythrozyten einhergeht („Chloridshift“), kann sich eine Hypochlorämie entwickeln (hypochlorämische respiratorische Azidose).
Neben einer Hypochlorämie kann die respiratorische Azidose auch von einer Hyperkaliämie begleitet sein. Beim Anstieg von [CO2] kommt es nach Gl. 5 zu einem äquimolaren Anstieg von [H+] und [HCO3 ]. Die Wasserstoffionen werden zu einem beträchtlichen Teil intrazellulär gepuffert. Beim Anstieg der intrazellulären Wasserstoffionenkonzentration verlassen intrazelluläre Kaliumionen die Körperzellen in Richtung Blut. Auch in den Tubuluszellen der Niere nimmt die H+-Konzentration zu und gleichzeitig die intrazelluläre Kaliumionenkonzentration ab. Dadurch vermindert sich die treibende Kraft für die Abgabe von Kaliumionen im distalen Tubulus.
Beide Vorgänge – Verschiebung der K+-Ionen nach extrazellulär und verminderte K+-Ausscheidung – fördern das Entstehen einer Hyperkaliämie.
Verbessert sich die alveoläre Ventilation und damit die Hyperkapnie, z. B. durch maschinelle Beatmung, kann vorübergehend eine inadäquat hohe Plasmakonzentration an Bikarbonationen bestehen bleiben (posthyperkapnische metabolische Alkalose; [8, 22]). Ursache ist, dass es während der Kompensationsvorgänge zu Verlusten von Chloridionen mit Abnahme der Plasmachloridionenkonzentration kommen kann. Wegen des dadurch bedingten, tubulären Chloridionenmangels werden die filtrierten Natriumionen vorzugsweise zusammen mit den reichlich vorhandenen Bikarbonationen resorbiert (Abb. 1). Tritt noch ein extrazellulärer Volumenmangel mit maximal stimulierter Natriumionenresorption hinzu, so wird die tubuläre Rückgewinnung von Bikarbonationen weiter verstärkt [24].

Therapie

Zur Therapie der akuten, respiratorischen Azidose und der Hypoxie (Abschn. 8) reicht eine Verbesserung der alveolären Ventilation meist aus.
Cave
Wird ein Patient mit einer chronisch respiratorischen Azidose, z. B. aufgrund einer chronisch obstruktiven Lungenerkrankung, maschinell beatmet, sollte der vorbestehende paCO2-Wert des Patienten während der maschinellen Beatmung nicht wesentlich unterschritten werden, da diese Patienten gewöhnlich metabolisch kompensiert sind.
Eine Ventilation bis auf „Normalwerte“ (paCO2 von 40 mmHg) kann die metabolische Kompensation zunichtemachen. Nach Beendigung der maschinellen Beatmung kommt es dann zu einer dekompensierten respiratorischen Azidose, da der unter kontrollierter maschineller Beatmung normalisierte paCO2-Wert von diesen Patienten unter Spontanatmung gewöhnlich nicht aufrechterhalten werden kann.

Respiratorische Alkalose

Symptome

Klinische Symptome der respiratorischen Alkalose sind eine erhöhte zentral- und peripher-nervöse Erregbarkeit mit Parästhesien der Extremitäten, perioralen Parästhesien, Schwindel, Benommenheit und eine erhöhte neuromuskuläre Erregbarkeit („Tetanie“), die dadurch entstehen soll, dass der Anteil des ionisierten Kalziums abnimmt. Besonders koronarkranke Patienten reagieren häufig mit Herzrhythmusstörungen. Bedingt durch die zerebrale Vasokonstriktion, sinkt bei respiratorischer Alkalose die Hirndurchblutung. Prolongierte Hyperventilation kann zu permanenten Hinscheiden führen. Eine gleichzeitig dazu bestehende arterielle Hypoxämie mag diese schädigende wirkung Zusätzlich zu verstärken. Diese ist in besonders in Bereich der pädiatrische Anästhesie von hoher Relevanz.

Pathophysiologie

Als respiratorische Alkalose wird eine SBH-Störung bezeichnet, bei der die Menge des abgeatmeten CO2 die Menge des im Stoffwechsel anfallenden CO2 übersteigt. Abnahme des paCO2 (Hypokapnie) und Anstieg des pH sind die Folge (Tab. 1).
Bei übermäßiger Abatmung von CO2 verschiebt sich das Reaktionsgleichgewicht nach Gl. 5 von HCO3 und H+ zu CO2 und H2O. Die hierfür benötigten Wasserstoffionen werden von den Nichtbikarbonatpuffern (Protein, Phosphat, Hämoglobin) des Extra- und Intrazellulärraums abgegeben. Die aktuelle Konzentration der Bikarbonationen im Plasma sinkt.
Häufige Ursachen einer respiratorischen Alkalose
  • Chronische Hyperventilation bei Hypoxie, z. B. bei Aufenthalt in großen Höhen oder bei Lungenerkrankungen, z. B. Pneumonie und interstitieller Fibrose
  • Stimulation zentraler Atemaktivität, z. B. emotional bedingt („Hyperventilationssyndrom“), Angst, Schmerz, Salizylatvergiftung, schwerer Leberschaden, gramnegative Sepsis, Schädel-Hirn-Trauma (z. B. Maschinenatmung bei Mittelhirnsyndrom), Progesteronwirkung in der Schwangerschaft

Kompensationsmechanismen

Der erniedrigte pCO2 vermindert die tubuläre Sekretion von Wasserstoffionen. Die Rückgewinnung von Bikarbonationen nimmt dadurch ab. Sie verbleiben im Tubuluslumen und machen den Urin alkalisch und dies, obwohl die aktuelle Plasmabikarbonatkonzentration bereits durch die Hyperventilation und den dadurch erniedrigte pCO2 vermindert ist. Dieser Kompensationsmechanismus führt dazu, dass sich das Verhältnis [HCO3 ] : (\( {\alpha}_{C{ O}_2} \) × pCO2) dem Normwert wieder nähert und sich der erhöhte pH-Wert in Richtung auf den pH-Sollwert zurückbewegt (Gl. 6).
Etwa in gleichem Maße wie die Konzentration der Bikarbonationen im Plasma abnimmt, nimmt die Konzentration der Chloridionen zu. Die dazu benötigten Chloridionen stammen aus den Erythrozyten (Verminderung des „Chloridshifts“) und aus einer vermehrten tubulären Resorption von Chloridionen, die das im Urin ausgeschiedene Anion HCO3 im Organismus ersetzen [24].

Metabolische Azidosen

Symptome

Beim spontan atmenden Patienten tritt zur Kompensation einer metabolischen Azidose eine Hyperventilation auf [1].
Ab einem pH von 7,2 soll es zu einer Abnahme der Rezeptoraffinität für Katecholamine mit einer Abnahme der Herzkontraktilität durch verminderten Einstrom von Ca2+ in die Herzmuskelzelle und zu einem verminderten Gefäßtonus kommen [24]. Während bei pH-Werten über 7,1 eher eine katecholaminbedingte Tachykardie zu beobachten sein soll, soll es bei pH-Werten unter 7,1 eher zu Bradykardien kommen (nachlassende Rezeptoraffinität).

Pathophysiologie

Die metabolische Azidose ist gekennzeichnet durch eine Erniedrigung des Plasma-pH-Werts und eine Verminderung der Standardbikarbonationenkonzentration bzw. Basenabweichung (Tab. 1).
Häufige Ursachen der metabolischen Azidose
  • Größerer Anfall von Säuren, als im Stoffwechsel verwertet oder über die Niere ausgeschieden werden kann, sog. Additionsazidosen
  • Verlust von Bikarbonationen über Niere oder Darm, sog. Subtraktionsazidosen
  • Verminderte renale Ausscheidung nichtvolatiler Säuren bei Nierenerkrankungen, sog. Retentionsazidosen
Additionsazidosen
Eine der häufigsten Additionsazidosen ist die Milchsäureazidose. Milchsäure liegt bei pH-Werten zwischen 6 und 8 vollständig in Laktat und H+ dissoziiert vor. Da es nicht das Laktat ist, das die Azidose verursacht, sondern das H+, sollte besser von Laktazidose und nicht von Laktatazidose gesprochen werden [31]. Man unterscheidet die Typen A und B, die auch zusammen vorliegen können:
  • Ursache für den Typ A ist die Hypoxie (bei totaler Hypoxie können 60 mmol H+/min anfallen). Milchsäure entsteht, wenn aufgrund eines ungenügenden O2-Angebots das beim Abbau von Glukose und glukogenen Aminosäuren anfallende Pyruvat und H+ im Zitronensäurezyklus nicht zu CO2 und H2O verstoffwechselt werden können (O2-Bedarf > O2-Angebot). Bei intakter Atmungskette entstehen aus 1 mol Glukose (180 g) 38 mol ATP, 6 mol CO2 und 6 mol H2O, während bei der anaeroben Glykolyse nur 2 mol ATP und 2 mol Milchsäure (entsprechend 2.000 mmol H+) entstehen. Grund für den Typ A der Laktazidose können somit sein: Gasaustausch- und Ventilationsstörungen verbunden mit Zuständen, die mit einer verminderten Gewebeperfusion und einem verminderten O2- und Glukosetransport zu den Geweben einhergehen. Dazu gehören: kardiogener und hypovolämer Schock, Herz-Kreislauf-Stillstand, schwere Herzinsuffizienz, Perfusionsstörungen (z. B. Mesenterialarterienverschluss, Kompartmentsyndrom) oder schwere Anämien, Kohlenmonoxidvergiftung, Grand-mal-Anfälle (großer O2- und Energiebedarf), aber auch starke körperliche Belastung (Sport: 400-m-Lauf).
  • Der Typ B der Laktazidose ist gekennzeichnet durch eine verminderte Milchsäureclearance (Gl. 3 und 4) oder vermehrten Milchsäureanfall ohne Hypoxie z. B. Sepsis (adrenalininduzierte Stimulation der aeroben Glykolyse über β2-Rezeptorstimulation bei gleichzeitig verminderter Clearance), akutes Leberversagen, schwere Leberzirrhose, Lebertumoren, Thiaminmangel (Pyruvatdehydrogenasemangel und gestörte hepatische Glukoneogenese), Milchsäure produzierende Tumore (z. B. Lymphome), Phäochromozytom2-Rezeptorstimulation), Zyanidvergiftung (Hemmung der Atmungskette), Biguanide z. B. Metformin (u. a. Hemmung der Glukoneogenese), Intoxikation mit nichtnukleosidischen Reverse-Transkriptase-Inhibitoren, Kokain, Methanol, Ethylenglykol, Diethylenglykol, Propylenglykol (D- und L-Laktat sind hier Abbauprodukte), Salizylate, Propofol (beeinträchtigte oxidative Phosphorylierung) und angeborene Stoffwechselstörungen (Glukose-6-Phosphatasemangel, Fruktose-1–6-diphosphatasemangel, Pyruvatcarboxylase- und decarboxylase-Mangel) [16].
Cave
Eine Besonderheit stellen Milchsäureazidosen dar, bei denen das D-Isomer des Laktats anfällt [24]. Das D-Isomer wird durch Darmbakterien produziert, wenn Glukose und Stärke, die üblicherweise bereits im Dünndarm resorbiert werden, in das Kolon gelangen, z. B. bei jejunoilealem Bypass, Dünndarmresektion oder „Blind-loop“-Syndrom. Das D-Laktat wird mit den üblichen Labormethoden, die L-Laktat-Dehydrogenase zur Laktatbestimmung benutzen, nicht erfasst. Laborchemisch ist eine „Anion-gap“-Azidose nachweisbar, für die keine andere Ursache gefunden werden kann [24].
Ketoazidosen bei Diabetes mellitus beruhen auf einem Insulinmangel, der zu einer vermehrten Fettsäuremobilisation und -oxidation in der Leber und zur Produktion von β-Hydroxybuttersäure und Azetessigsäure führt. Letztere werden an die Extrazellulärflüssigkeit abgegeben und dort unter Bikarbonatverbrauch gepuffert [20, 24]. Bei einer alkoholbedingten Ketoazidose kann der Ketontest im Urin negativ ausfallen, da das hierfür verwendete Nitroprussid nur mit Azetoazetat reagiert, nicht aber mit β-Hydroxybuttersäure!
Subtraktionsazidosen
Subtraktionsazidosen beobachtet man beim Verlust von bikarbonathaltigen Körpersekreten, z. B. Galle und Pankreassekret, Ileus, Diarrhöen.
Retentionsazidosen
Nierenschädigungen können zu Retentionsazidosen führen. Es lassen sich 3 Typen unterscheiden:
  • Prärenal: durch eine reduzierte renale Durchblutung, z. B. bei Hypovolämie oder Herz- und Kreislaufversagen,
  • renal: bei Erkrankungen des glomerulärtubulären Apparats oder der Nierengefäße,
  • postrenal: durch Verlegung der ableitenden Harnwege.
Bei einer GFR unter 20 ml/min werden organische Säuren, Phosphat und Sulfat nur noch unzureichend filtriert und/oder sezerniert. Darüber hinaus nimmt die NH4 +-Ausscheidung ab und damit der Stickstoffrücktransport zur Leber zu. Der vermehrte Stickstoffrücktransport zur Leber überfährt die pH-sensitive-Regulation der Harnstoffsynthese und führt wegen des vermehrten Substratangebots zu einer gesteigerten Harnstoffsynthese und damit zum Verbrauch von HCO3 [6, 7, 14].
Unter dem Oberbegriff renal-tubuläre Azidosen (RTA) werden verschiedene tubuläre Störungen zusammengefasst, die zur Entstehung einer metabolischen Azidose führen können:
  • Proximaler Typ: durch eine eingeschränkte Rückgewinnung von Bikarbonat gekennzeichnet, die verschiedene Ursachen haben kann. Der HCO3 -Verlust über den Urin führt zur metabolischen Azidose [20]. Die proximal tubuläre Azidose ist oft kombiniert mit einer Glukosurie, Phosphaturie und renalen Aminosäureverlusten.
  • Distaler Typ: durch eine eingeschränkte distal tubuläre Sekretion von Wasserstoffionen charakterisiert, wodurch die Ansäuerung des Urins im Sammelrohr abnimmt und die Ausscheidung von NH4 + behindert wird [24].

Kompensationsmechanismen

Bei der metabolischen Azidose ist die Plasma-HCO3 -Konzentration verringert, der pH-Wert sinkt (Gl. 6). Der Anstieg der Wasserstoffionenkonzentration stimuliert die zentrale Atemaktivität (kompensatorische Hyperventilation, z. B. tiefe „Kussmaul-Atmung“ bei diabetischer Ketoazidose). Durch die vermehrte Abatmung von CO2 sinkt der pCO2 und das Verhältnis [HCO3 ] : (\( {\alpha}_{C{ O}_2} \) × pCO2) nähert sich wieder dem Normalwert von 20:1. Eine langsam einsetzende Kompensation erfolgt durch Nieren (Bikarbonationen werden in der Niere quantitativ zurückgewonnen und neu gebildet; Abb. 1) und Leber (Verminderung der Harnstoffsynthese und damit Einsparung von HCO3 ; Abb. 2).

Differenzialdiagnostik – Anionenlücke

Eine Differenzierung der Ursachen einer metabolischen Azidose ist durch die Bestimmung der Anionenlücke („anion gap“) möglich [17, 24].
Aus Gründen der Elektroneutralität muss die Anzahl negativer Ladungen in den Flüssigkeitsräumen des Körpers gleich der Anzahl der positiven Ladungen sein.
Üblicherweise werden von den Kationen und Anionen nur die Konzentrationen der Hauptvertreter bestimmt: Für die Kationen sind dies die Natriumionen und für die Anionen die Chlorid- und Bikarbonationen:
$$ \left[N{a}^{+}\right] + \left[ nichtgemessene\ Kationen\right] = \left[C{l}^{-}\right] + \left[HC{O}_3^{-}\right] + \left[ nichtgemessene\ Anionen\right]\left[ nichtgemessene\ Anionen\right]\hbox{--} \left[ nichtgemessene\ Kationen\right] = \left[N{a}^{+}\right]\hbox{--}\ \left(\left[C{l}^{-}\right],+,, \left[HC{O}_3^{-}\right]\right)\mathbf{Anionenl}\ddot{\mathbf{u}} \mathbf{cke} = \left[N{a}^{+}\right]\hbox{--}\ \left(\left[C{l}^{-}\left] + \right[HC{O}_3^{-}\right]\right)\ \left[ mmol,/,l\right] Beispiel:\ 140\ mmol/l\ N{a}^{+}\hbox{--}\ \left(100\ mmol/l\ C{l}^{-} + 24\ mmol/l\ HC{O}_3^{-}\right)=16\ mmol/l $$
(8)
Die so berechnete Anionenlücke („anion gap“) ergibt sich als Differenz der Konzentrationen der nichtgemessenen Anionen (hauptsächlich polyanionisches Albumin und zu einem geringeren Teil Phosphat-, Sulfat-, Laktat- und β-Hydroxybutyrationen) und der Konzentration der nichtgemessenen Kationen (z. B. K+, Mg2+, Ca2+). Es errechnet sich normalerweise ein Wert von 12 mmol/l (8–16 mmol/l).
Zur Vergrößerung der Anionenlücke kommt es, wenn dem Organismus Säuren exogen zugeführt werden oder im Stoffwechsel vermehrt anfallen, deren Anionen keine Chloridionen sind.
Auch die Wasserstoffionen der nichtchloridhaltigen Säure werden wie üblich durch Bikarbonationen titriert. Es entsteht H2O und CO2 (Gl. 5). Das CO2 wird über die Lunge abgeatmet. Die Bikarbonationenkonzentration im Blut nimmt ab und es bildet sich das Natriumsalz des nichtgemessenen Säureanions. Da es sich bei dem Säureanion nicht um ein Chloridanion handelt, wird der Term (Cl + HCO3 ) in Gl. 8 kleiner (die Chloridionenkonzentration bleibt gleich, während die Bikarbonationenkonzentration durch die Pufferung abgenommen hat). Da auch die Natriumionenkonzentration unverändert bleibt, resultiert eine vergrößerte Anionenlücke (steigt z. B. der Laktatspiegel um 5 mmol/l, dann ist mit einem gleich großen Anstieg der Anionenlücke zu rechnen).
Die Anionenlücke wird nicht größer, wenn HCl oder Hydrochloridverbindungen dem Körper zugeführt werden oder wenn Bikarbonationen verloren gehen („Non - Anion Gap“ - Azidose). In diesen Fällen bleibt der Term (Cl + HCO3 ) unverändert, weil die Abnahme der Bikarbonationenkonzentration mit einem gleichgroßen Anstieg der Chloridionenkonzentration einhergeht (hyperchlorämische metabolische Azidose).
Eine unveränderte Anionenlücke findet sich daher entweder bei gastrointestinalen (z. B. Diarrhö) oder bei renalen Bikarbonationenverlusten (z. B. bei renaltubulärer Azidose oder bei Gabe von Carboanhydrasehemmern) oder bei Zufuhr von HCl, NH4Cl und anderen Säuren, bei denen Cl das Anion ist.
Eine Verminderung der Albuminkonzentration (polyanionisches Makromolekül) kann einen Anstieg anderer nichtgemessener Anionen verschleiern, weil sie zu einer Verkleinerung der Anionenlücke um ca. 2,5 mmol/l pro 1 g/dl Abfall der Plasmaalbuminkonzentration führt [24]. Dies ist insbesondere bei Patienten mit niedrigen Albuminkonzentrationen z. B. Intensiv- oder leberinsuffizienten Patienten zu berücksichtigen! Steigt die Konzentration der nichtgemessenen Kationen, wie dies z. B. beim multiplen Myelom (hoher Anteil polykationischer Globuline) der Fall ist, so verkleinert sich die Anionenlücke ebenfalls. In Einzelfällen kann dadurch sogar eine negative Anionenlücke resultieren.

Therapie

Die Therapie der metabolischen Azidose – wie von Störungen des Säure-Basen-Gleichgewichts allgemein – erfolgt primär durch die Behandlung der zugrunde liegenden Erkrankung (z. B. durch Volumengabe im Schock und Volumen und Insulingabe beim ketoazidotischen Koma; [20]). Die Störung des Säure-Basen-Haushalts ist nur ein Symptom.
Eine symptomatische Therapie der metabolischen Azidosen wird empfohlen, wenn der pH-Wert kleiner als 7,2, das Standardbikarbonat niedriger als 15 mmol/l oder die Basenabweichung negativer als −10 mmol/l ist [3].
Das Basendefizit im Organismus lässt sich schätzen als:
$$ Gesch\ddot{a} tztes\ Basendefizit=\frac{negative\ Basenabweichung\times kgKG}{3} $$
(9)
Das so geschätzte Basendefizit sollte zunächst nur zu \( {1}\left/ {3}\right. \) bis \( {1}\left/ {2}\right. \) substituiert werden, da es sonst im weiteren Verlauf zu einer Alkalose kommen kann! Diese stellt den Organismus häufig vor größere Probleme als eine verbleibende, leichte Azidose:
Beispiel
Durch einen Kreislaufschock sei es zu einer Laktazidose gekommen. Pufferung und Volumentherapie führten zu einer Besserung der Kreislaufsituation. Die im Schock vorübergehend schlechter durchblutete Leber wird wieder besser perfundiert. Der hepatische Laktatabbau wird angekurbelt. Beim Abbau von Laktat wird H+ verbraucht (Gl. 3 und 4), was besonders bei vorhergehender iatrogener Pufferung bis auf normale pH-Werte zur Alkalose führen kann. Folge ist beim spontan atmenden Patienten eine Hypoventilation und eine sich konsekutiv möglicherweise daraus entwickelnde Hypoxie.
Zum Ausgleich einer Azidose wird klinisch zumeist 8,4 % iges Na-Bikarbonat (enthält 1 mmol HCO3 und 1 mmol Na+ pro ml) eingesetzt. Bei der Gabe von Na-Bikarbonat fällt vermehrt CO2 an (Gl. 5).
Cave
Damit das CO2 aus dem Organismus entfernt werden kann, ist eine ausreichende Zirkulation und eine Steigerung der alveolären Ventilation (Cave: kontrolliert beatmete Patienten) erforderlich. Andernfalls kommt es unter Bikarbonatgabe zum Anstieg des paCO2 und zu einer Verstärkung der intrazellulären Azidose.
Dies ist einer der Gründe, weshalb die Na-Bikarbonatgabe bei einem Kreislaufstillstand nicht mehr Maßnahme der ersten Wahl ist [10, 17].
Besteht eine Hypernaträmie, kann die Zufuhr von Na-Bikarbonat unerwünscht sein. In diesem Fall kann die Gabe von THAM (Tris-hydroxymethyl-amino-methan, Trometamol) erwogen werden (36,34 %iges THAM enthält 3 mmol Tris pro ml und sollte 1:10 zur 3,6 %ige Lösung entsprechend 0,3 mmol/ml verdünnt werden). THAM bindet H+ und scheidet es als THAM-H+ über den Urin aus [18].
Da THAM zu 30 % nicht ionisiert vorliegt, kann es nach intrazellulär gelangen und so direkt den intrazellulären pH steigern.
Durch die Bindung von H+ verläuft Gl. 5 nach rechts und die CO2-Konzentration nimmt ab.
Cave
Beim nicht kontrolliert beatmeten Patienten kann durch die atemdepressive Wirkung von THAM eine respiratorische Azidose weiter verstärkt werden. Die maximale Tagesdosis beträgt ca. 5 mmol/kgKG, die maximale Infusionsgeschwindigkeit 1 mmol × kgKG−1 × h−1.
Der Bedarf errechnet sich nach Gl. 9, sollte aber wie bei Na-Bikarbonat zunächst nur bis zur Hälfte korrigiert werden. Voraussetzung für die Gabe von THAM ist eine intakte Nierenfunktion oder der Einsatz von Nierenersatzverfahren [18].
Nebenwirkungen von THAM
  • Atemdepression
  • Venöse Irritation (pH 10,4)
  • Hypoglykämie (Blutzuckerkontrollen!)
  • Nieren- und Leberschädigung
Bei Intoxikationen als Ursache der metabolischen Azidose ist immer auch an eine Dialyse zu denken z. B. bei schwerer Laktazidose durch Metformin oder bei Ethylenglykolintoxikation (neben der Hemmung der Alkoholdehydrogenase mit Ethanol oder Fomepizol). Neben der Entfernung der betreffenden Metabolite gestattet die Dialyse die Zufuhr von Bikarbonat ohne Volumen- und/oder Natriumbelastung des Organismus.

Metabolische Alkalosen

Symptome

Die klinischen Symptome der metabolischen Alkalose ähneln denen der respiratorischen Alkalose [2] (Abschn. 6.3).

Pathophysiologie

Metabolische Alkalosen sind durch eine erhöhte Standardbikarbonationenkonzentration und einen Anstieg des pH-Werts gekennzeichnet (Gl. 6).
Additionsalkalosen
Exogene Zufuhr basischer Substanzen (z. B. durch Bikarbonationen oder metabolische Umwandlung anderer Anionen in HCO3 , z. B. Azetat-, Laktat- und Zitrationen, letztere nach Massivtransfusionen).
Subtraktionsalkalosen
Verluste saurer Valenzen treten bei Erbrechen oder Verlust von saurem Magensaft (HCl) über eine Magensonde auf. Renale Verluste von Wasserstoff- und Kaliumionen können durch Hyperaldosteronismus (z. B. bei Hypovolämie) bedingt sein; Wasser-, Chlorid- und Kaliumionenverluste können nach Schleifendiuretika, Diarrhö und Laxanzienabusus auftreten.
Die bei chronischen Lebererkrankungen häufig zu beobachtende metabolische Alkalose kommt u. a. durch einen sekundären Hyperaldosteronismus sowie durch eine eingeschränkte Harnstoffsynthese und einen dadurch verminderten HCO3 -Verbrauch zustande [14].

Kompensationsmechanismen

Die verringerte Wasserstoffionenkonzentration dämpft den zentralen Atemantrieb. Die alveoläre Ventilation nimmt ab und der paCO2 steigt. Mit steigendem paCO2 sinkt der pH-Wert (Gl. 6; respiratorische Kompensation).
Eine vollständige Kompensation einer metabolischen Alkalose durch Verminderung der Ventilation kann jedoch aus 2 Gründen nicht gelingen:
  • Der durch die Alkalose erhöhte pH-Wert vermindert den Atemantrieb, wohingegen der durch die verminderte Ventilation bedingte Anstieg des pCO2 ihn fördert.
  • Die Reduktion der Ventilation kann darüber hinaus zur Hypoventilationshypoxie (Abschn. 8.1) führen und dann über die peripheren Chemorezeptoren den Atemantrieb steigern.
Der hypoventilationsbedingte Anstieg des paCO2 verstärkt zwangsläufig die tubuläre Wasserstoffionensekretion, wodurch die Bikarbonatrückgewinnung gesteigert wird (Abb. 1). Die renale Kompensation der metabolischen Alkalose wird dadurch erschwert. In der Bilanz werden bei normaler GFR und einer großen Menge alkalosebedingt glomerulär filtrierter HCO3 -Ionen jedoch mehr Bikarbonationen renal ausgeschieden als zurückgewonnen. So tragen die Nieren letztlich auch zur Kompensation einer metabolischen Alkalose bei.
Metabolische Alkalosen bestehen häufig über längere Zeit. Dafür sind hauptsächlich 4 Faktoren verantwortlich [11, 12, 22]:
1.
Eine Verminderung des Extrazellulärvolumens (z. B. NaCl- und Wasserverlust durch Erbrechen und Diuretika) führt zu einer sog. „Kontraktionsalkalose (bei gleichbleibender HCO3 -Menge nimmt das Extrazellulärvolumen ab, d. h. die Plasma- HCO3 -Konzentration steigt). Außerdem kommt es bei einem Extrazellulärvolumenmangel zu einer gesteigerten Na+-Rückresorption durch Ankurbelung des Na+/H+-Antiporters in der Niere und damit zu einer erhöhten Azidifizierung der proximalen Tubulusflüssigkeit. Die verstärkte Sekretion von Wasserstoffionen steigert die proximale Bikarbonationenrückgewinnung.
 
2.
Ist bei einer erhöhten HCO3 -Plasmakonzentration die GFR eingeschränkt und die Menge des filtrierten HCO3 vermindert (z. B. bei Nierenerkrankungen oder großen Volumenverlusten), so kann auch bei unveränderter oder sogar verminderter tubulärer Wasserstoffionensekretionsrate eine vollständige Rückgewinnung des in kleinerer Menge filtrierten HCO3 resultieren. Die Ausscheidung überschüssiger Bikarbonationen würde dadurch deutlich erschwert.
 
3.
Erhöhte Mineralokortikoid-(Aldosteron-)Plasmakonzentrationen, hervorgerufen z. B. durch Volumenmangel, steigern über eine verstärkte Wasserstoffionensekretion im distalen Tubulus die Bikarbonationenresorption. Zusätzlich fördert Aldosteron die Kaliumionenausscheidung im distalen Tubulus, was zu einer Hypokaliämie führen kann.
 
4.
Eine Hypokaliämie vermehrt die Aufnahme von Wasserstoffionen sowohl in die Körperzellen als auch in die Tubuluszellen der Niere. Die erhöhte intrazelluläre H+-Konzentration verstärkt den Übertritt von Wasserstoffionen in die tubuläre Flüssigkeit und damit die Wasserstoffionenverluste. Dies fördert das Fortbestehen der metabolischen Alkalose.
 

Therapie

Besonders die Chloridionenverluste, z. B. durch Diuretikabehandlung (Inhibition des Na-K-2 Cl-Kotransporters durch Furosemid; erhöhte Ausscheidung von NH4Cl nach Thiaziddiuretika) und Erbrechen, können zur Persistenz der metabolischen Alkalose beitragen. Diese Form der Alkalose ist durch NaCl- und KCl-Gabe (zur Therapie der häufig vorliegenden Hypokaliämie) gut zu therapieren („chloridsensitive“ Alkalose). Dabei sollte auch auf einen Ausgleich der Magnesiumverluste, die unter Schleifendiuretikatherapie neben den Kaliumverlusten häufig zu beobachten sind, geachtet werden.
Bei Erbrechen kann eine H2-Blockergabe indiziert sein. Zusätzlich ist häufig ein Volumenmangel auszugleichen.
Die Effektivität dieser Therapie kann durch die Bestimmung des Urin-pH erfolgen. Diagnostisch fällt bei diesen Alkalosen neben der Hypochlorämie eine besonders niedrige Urinchloridkonzentration (unter 20 mmol/l) auf [11].
Cave
Bei weiterbestehender Diuretikatherapie kann die Urin-Cl-Konzentration aber auch höher sein.
Während der Urin-pH bei einer metabolischen Alkalose häufig unter 5,5 liegt, kann er unter Volumen- und Cl-Ersatz durch die Zunahme der HCO3 -Ausscheidung bis auf über 7,0 ansteigen (dies kann als Indikator für eine wirksame Therapie herangezogen werden).
Beispiele für „chloridresistente“ Alkalosen sind der primäre Hyperaldosteronismus, das Cushing-Syndrom, die Nierenarterienstenose mit hoher Reninfreisetzung und das Bartter-Syndrom [24].
Bei einer metabolischen Alkalose sollte bei pH-Werten über 7,5 eine Therapie erwogen werden. Diese erfolgt bei den „chloridsensitiven“ Alkalosen primär durch Zufuhr von Volumen und Chloridionen (s. oben).
Der Carboanhydrasehemmer Azetazolamid (bei Erwachsenen 250–375 mg 1- bis 2-mal täglich) kann besonders bei ödematösen Zuständen indiziert sein. Azetazolamid steigert neben der NaHCO3-Ausscheidung mit dem Urin auch die Kaliumausscheidung [24]. Bei bestehender oder sich entwickelnder Hypokaliämie muss der Kaliumverlust durch KCl substituiert werden.
Die Indikation für Salzsäure (HCl) stellt sich nur bei schweren (chloridresistenten) metabolischen Alkalosen, besonders wenn gleichzeitig eine Herz-, Nieren- oder Leberinsuffizienz („ödematöse Zustände“) besteht (3,6 % = 1 mmol HCl/ml oder 7,25 % = 2 mmol/ml, Infusionsgeschwindigkeit maximal 0,2 mmol/kgKG/h). Zunächst sollte nur ca. 50 % des nach der Gl. 9 errechneten Bedarfs gegeben werden, dann erfolgt eine Kontrolle.
Cave
Die HCl-Gabe kann zu einem Anstieg der Kaliumplasmakonzentration führen [2].
Die Verabreichung von HCl sollte nur über einen zentralen Venenkatheter erfolgen.
Die Therapie der metabolischen Alkalose mit Argininhydrochlorid hat gegenüber HCl Nachteile. Argininhydrochlorid wird zwar auch zu HCl abgebaut, soll aber eher zu lebensbedrohlichen Hyperkaliämien führen können – wahrscheinlich bedingt durch das Verschieben von Kalium in den Extrazellulärraum, wenn das Kation Arginin in die Zellen eindringt [2, 24].
Besteht ein Hyperaldosteronismus, so ist dessen Ursache zu beheben z. B. durch das Entfernen eines Nebennierenadenoms. Symptomatisch ist der Einsatz kaliumsparender Diuretika (z. B. Amilorid) oder von Aldosteronantagonisten (z. B. Spironolacton) zu erwägen.
Haben die Patienten große Mengen Volumen eingelagert, kann es u. U. günstig sein, den Volumenüberschuss und die Alkaliämie durch Dialyse oder Hämofiltration zu beseitigen (Dialysat mit reduzierter Bikarbonatkonzentration; [2]).

Der Oxygenierungsstatus des Bluts

Bestimmung der O2-Sättigung des Hämoglobins

Das Gesamt-Hb (engl. „total Hb“, tHb) setzt sich aus verschiedenen Fraktionen (F) zusammen.
$$ tHb=F{O}_2Hb+{F}_{Desoxy}Hb+{F}_{CO}Hb+{F}_{Met}Hb+FR\ \left[\frac{g}{dl}\right] $$
(10)
F
Fraktion
FO2Hb
oxygeniertes Hb bzw. Oxyhämoglobin
FDesoxyHb
reduziertes Hb bzw. Desoxyhämoglobin
FCOHb
Carboxyhämoglobin
FMetHb
FR
Restliche Hämoglobinspezies mit geringem Beitrag zum tHb (z. B. FSHb Sulfhämoglobin oder FHbF fetales Hb)
Von diesen kommen nur das Oxyhämoglobin (normalerweise 95–98 % des Hb) und das Desoxyhämoglobin (normalerweise 2–4 % des Hb) für den O2-Transport in Frage. Methämoglobin (MetHb) und Carboxyhämoglobin (COHb) sind dagegen für den reversiblen O2-Transport unbrauchbar und kommen üblicherweise nur in kleinen Mengen vor (MetHb unter 0,5 %, COHb unter 2 %; Details Abschn. 8).
Bei einfachen Blutgasanalysegeräten stehen ebenso wie beim Pulsoxymeter nur 2 Wellenlängen im roten und infraroten Spektralbereich zur Verfügung [29]. Damit kann lediglich die partielle Sättigung (psO2), die nur die O2Hb- und DesoxyHb-Fraktion des tHb einbezieht, bestimmt werden.
$$ ps{O}_2=\frac{F{O}_2 Hb}{F{O}_2 Hb+{F}_{Desoxy} Hb}\times 100\left[\%\right] $$
(11)
Manche Blutgasanalysatoren messen die psO2 nicht, sondern berechnen diese aus dem gemessenen pO2 und einer berechneten O2-Bindungskurve. Die Präzision der berechneten psO2 ist der gemessenen grundsätzlich unterlegen [32].
Cave
Die partielle O2-Sättigung kann eine falsch hohe O2-Sättigung des Hämoglobins suggerieren, wenn erhöhte COHb- und/oder MetHb-Fraktionen vorliegen (Abschn. 8.1).
Um diese für den reversiblen O2-Transport untauglichen Hb-Fraktionen zu erfassen, sind wenigstens 4 Wellenlängen nötig. Die modernen Multiwellenlängen-CO-Oximeter verwenden 6 und mehr Wellenlängen und sind so in der Lage, zwischen Oxyhämoglobin, Desoxyhämoglobin, Methämoglobin und Carboxyhämoglobin zu differenzieren und somit die tatsächliche Sättigung (fraktionelle Sättigung, sO2) zu berechnen:
$$ {\mathrm{sO}}_2=\frac{F{O}_2Hb}{F{O}_2Hb+{F}_{Desoxy}Hb+{F}_{CO}Hb+{F}_{Met}Hb}\times 100\left[\%\right] $$
(12)
Nur die tatsächliche Sättigung sollte in die Gleichungen für die Berechnung des O2-Gehalts (Gl. 16) und O2-Transports (Tab. 3) eingesetzt werden, da nur sie den Anteil des oxygenierten Hb am Gesamt-Hb (tHb) richtig wiedergibt [32].
Tab. 3
Normalwerte, Berechnungen und Abkürzungen
Variable
Abkürzung
Einheit
Berechnung
Normwerte
Arterieller O2-Partialdrucka bei FIO2 = 0,21
paO2
mmHg
 
70–90
Arterielle O2-Sättigung (partiell)
psaO2
%
(FO2Hba/[FO2Hba + FDesoxyHbc]) × 100
95–99
Arterielle O2-Sättigung (fraktionell)
saO2
%
(FO2Hba/[FO2Hba + FDesoxyHba + FCOHba + FMetHba]) × 100
95–99
Arterieller O2-Gehalt
caO2
ml/dl
 
18–22,8
Gemischtvenöser O2-Partialdruck
\( \mathrm{P}\overline{\mathrm{v}} \)O2
mmHg
 
33–53
Gemischtvenöse O2-Sättigung
sv¯O2
%
 
>60
Gemischtvenöser O2-Gehalt
\( \mathrm{c}\overline{\mathrm{v}} \)O2
ml/dl
 
12–15
Arterio-gemischtvenöse O2-Gehaltsdifferenz
\( \mathrm{a}\overline{\mathrm{v}} \)DO2
ml/dl
caO2\( {\mathrm{c}}_{\overline{\mathrm{v}}} \)O2
4–5,5
Alveoloarterielle O2-Partialdruckdifferenz bei FIO2 = 0,21
p(A–a)O2
mmHg
pAO2–paO2
25–65
O2-Transport in Ruhe
(Indexb)
ḊO2
ml/(min × m2)
caO2 × CI × 10
520–720
bezogen auf die gesamte KOFc (1,72 m2)
 
ml/min
caO2 × \( \dot{Q} \) T × 10
850–1200
O2-Verbrauch (Indexb)
\( \dot{V} \)O2
ml/(min × m2)
\( \mathrm{a}\overline{\mathrm{v}} \)ḊO2 × CI × 10
100–180
bezogen auf die gesamte KOFc (1,72 m2)
 
ml/min
\( \mathrm{a}\overline{\mathrm{v}} \)ḊO2 × \( \dot{Q} \) T × 10
170–310
O2 ext.
%
 
22–30
Arterieller CO2-Partialdruck
paCO2
mmHg
 
35–45
Arterieller Gesamt-CO2-Gehalt
TCO2
mmol/l
 
23–27
Gemischtvenöser CO2-Partialdruck
pV¯CO2
mmHg
 
45–50
pH-Wert
   
7,36–7,44
BE
mmol/l
 
+2 bis −2
Standardbikarbonatkonzentration
 
mmol/l
 
22–26
Aktuelle Bikarbonatkonzentration (arteriell)
HCO3
mmol/l
 
22–28
Aktuelle Bikarbonatkonzentration (gemischtvenös)
 
mmol/l
 
24–30
aDer arterielle O2-Partialdruck ist abhängig vom Lebensalter (A), Körpergewicht (G), Körpergröße (L) und Geschlecht. Mit Hilfe des Broca-Index (IB = G × 100/L–100) kann der Sollwert berechnet werden: paO2 = 109,4–0,26 × A–0,098 × IB [mmHg] für Männer, für Grenzwert 14,1 mmHg abziehen; paO2 = 108,86–0,26 × A–0,073 × IB [mmHg] für Frauen, für Grenzwert 15,1 mmHg abziehen. Leichter handhabbar ist eine Näherungsformel, die nur die Altersabhängigkeit berücksichtigt: paO2 = 102–(Lebensjahre/3) ± 10 [mmHg]
bCardiac-Index (CI) bedeutet Herzzeitvolumen (QT) in l/min dividiert durch die Körperoberfläche in [m2], Normwert: 2,5–3,5 l/(min × m2)
cKörperoberfläche
Umrechnungsfaktoren: kPa = mmHg × 0,1333; 1 g/dl Hb = 0,621 mmol/l; mmHg = kPa × 7,501; 1 mmol/l Hb = 1,61 g/dl Hb; 1 ml eines Gases bei STPD = 0,0446 mmol; 1 mmol eines Gases = 22,4 ml

Arterieller O2-Partialdruck (paO2)

Der Partialdruck eines Gases in einem Gasgemisch richtet sich nach seinem fraktionellen Anteil am Gasgemisch und dem Gesamtdruck des Gasgemischs, in dem es sich befindet (Dalton-Gesetz).
Der Partialdruck eines Gases im Plasma der endkapillären Lungenstrombahn ist dem Gaspartialdruck in der Alveole gleich, wenn Alveolargas und Plasma im Gleichgewicht miteinander stehen. Idealerweise wäre damit der alveoläre (pAO2) und der arterielle (paO2) O2-Partialdruck gleich. Zwischen dem alveolären und arteriellen pO2 besteht jedoch schon bei jungen, lungengesunden, kreislaufstabilen Probanden bei Raumluftatmung eine Differenz von etwa 5–10 mmHg, bei Älteren sogar bis zu 10–30 mmHg. Diese alveoloarterielle pO 2 -Differenz (p(A-a)O2) beruht u. a. darauf, dass selbst in der gesunden Lunge einzelne Alveolarbezirke ungenügend ventiliert werden, ihre Perfusion aber andererseits erhalten geblieben ist. Diese Form des Ventilations-Perfusions- (\( {\dot{V}}_A/{\dot{Q}}_A \))-Missverhältnisses führt dazu, dass das Blut in diesen Bezirken nicht ausreichend mit Sauerstoff beladen werden kann. Im Extremfall kann der „normale“ \( {\dot{V}}_A/{\dot{Q}}_A \) von 0,8 in diesen Bezirken bis auf 0 sinken („funktioneller intrapulmonaler Shunt). Zum anderen erklärt sich die alveoloarterielle pO2-Differenz durch den Abfluss bronchialvenösen Bluts in die Pulmonalvenen und von koronarvenösem Blut (thebesische Venen) in den linken Ventrikel (sog. „anatomischer Shunt“).
Um eine Vorstellung davon zu bekommen, welcher paO2 bei Lungengesunden bei Atmung oder Beatmung mit verschiedenen inspiratorischen O2-Konzentrationen in etwa erreicht werden sollte, ist es hilfreich, den alveolären pAO2 zu berechnen [17, 25].

Berechnung des alveolären O2-Partialdrucks (pAO2)

Die mehr oder weniger trockene Inspirationsluft wird bei der Passage über die Atemwege vollständig mit Wasserdampf gesättigt. Die Bewegung der Wasserdampfmoleküle erzeugt einen Druck (\( {p}_{H_2 O} \) = 47 mmHg bei 37 °C), der ausschließlich von der Temperatur abhängig ist und im Gegensatz zu den Gaspartialdrücken unabhängig vom Luftdruck. Aus diesem Grund muss der \( {p}_{H_2 O} \) vor der Berechnung der Partialdrücke in wasserdampfgesättigten Gasräumen (Lunge) vom Luftdruck (pB, Normwert 760 mmHg) subtrahiert werden.
Nimmt der Barometerdruck ab, z. B. bei einem Höhenaufstieg, dann nimmt der alveoläre pAO2 ab, obwohl die FIO2 gleich bleibt.
Treibende Kraft für den alveolären Gasaustausch ist die Partialdruckdifferenz zwischen Alveolarraum und gemischtvenösem Blut. Der genaue Wert der alveolären pO2-Abnahme hängt vom „respiratorischen Quotienten“ (RQ) ab. Der RQ beschreibt das Verhältnis von dem pro Zeiteinheit abgeatmeten Volumen CO2 zum verbrauchten Volumen O2:
$$ R Q = \frac{C{O}_2- Abgabe}{O_2- Aufnahme} = \frac{\dot{V} C{O}_2}{\dot{V}{O}_2} $$
Der RQ beträgt 1 bei reiner Kohlenhydratverbrennung, 0,8 bei Proteinverbrennung und 0,7 bei Fettverbrennung. Bei gemischter Ernährung kann man einen RQ von 0,85 annehmen. Für den alveolären Partialdruck lässt sich nun die sog. „alveoläre Gasgleichung“ formulieren (vereinfachte Form):
$$ {\mathrm{p}}_{\mathrm{A}}{O}_2={\mathrm{F}}_{\mathrm{i}}{\mathrm{O}}_2\ \left({p}_B\hbox{--}\ {p}_{H_2 O}\right)\hbox{--} \left(\frac{p_A C{O}_2}{RQ}\right)\ \left[ mmHg\right] $$
(13)
pAO2
idealer alveolärer O2-Partialdruck
PiO2 = FiO2 (P B \( {p}_{H_2 O} \))
inspiratorischer O2-Partialdruck
FiO2
inspiratorische O2-Fraktion (z. B. 0,21 bei Raumluft)
PB
Barometerdruck in mmHg (z. B. 760 mmHg)
 
Wasserdampfdruck, 47 mmHg bei 37 °C
pACO2
alveolärer CO2-Partialdruck
RQ
respiratorischer Quotient
Da in einer gesunden Lunge, bedingt durch die hohe CO2-Diffusionskapazität, der alveoläre pACO2 näherungsweise mit dem arteriellen paCO2 gleichgesetzt werden kann, kann in der obigen Gleichung pACO2 durch paCO2 ersetzt werden. Der paCO2 wird bei der Blutgasanalyse routinemäßig bestimmt. Es ergibt sich
Alveoläre Gasgleichung
$$ {p}_A{O}_2={F}_i{O}_2\left({p}_B-{p}_{H_2 O}\right)-\left(\frac{p_a C{O}_2}{RQ}\right)\left[ mmHg\right] $$
(14)
Bei Raumluftatmung: pAO2 = 0,21 × (760 mmHg – 47 mmHg) – (40 mmHg/0,85) ≈ 103 mmHg.

Alveoloarterielle O2-Partialdruckdifferenz (p(A-a)O2)

Mit Hilfe der alveolären Gasgleichung (Gl. 14) lässt sich die p(A-a)O2 oder AaDO2 wie folgt errechnen:
$$ {p}_{\left(A-a\right)}{O}_2={p}_A{O}_2-{p}_a{O}_2=\left({F}_i{O}_2\left[{p}_B-{p}_{H_2O}\right]-\frac{p_aC{O}_2}{RQ}\right)-{p}_a{O}_{2\ }\left[ mmHg\right] $$
(15)
Bei der Interpretation des p(A-a)O2 ist zu beachten, dass der absolute Wert des p(A-a)O2 bei hohen O2-Konzentrationen leicht durch Messfehler überschätzt werden kann [23]. Die normale Differenz beträgt bei Raumluftatmung (FiO2 0,21) 5–10 mmHg [17]. Höhere Werte deuten auf O2-Austauschstörungen (z. B. Shunt, erhöhte venöse Beimischung) hin (Abschn. 8.1).

O2-Dissoziationskurve und der p50

Die Beziehung zwischen dem O2-Partialdruck (Abszisse) und der O2-Sättigung des Hb (Ordinate) wird als O2-Bindungskurve bezeichnet (Abb. 3, [32]). Der S-förmige Verlauf der O2-Bindungskurve ist durch das chemische Verhalten der 4 Untereinheiten des Hämoglobins bedingt. Anlagerung von Sauerstoff an das Häm einer Untereinheit erhöht die O2-Affinität der übrigen 3 Untereinheiten.
In Tab. 4 sind diejenigen Faktoren aufgelistet, die die Lage der O2-Bindungskurve beeinflussen. Eine Rechtsverschiebung der O2-Bindungskurve bedeutet, dass die Affinität des Hämoglobins für Sauerstoff reduziert ist, d. h. Sauerstoff kann leichter abgegeben werden. Linksverschiebung bedeutet, dass die Affinität erhöht ist, d. h. Sauerstoff kann im Gewebe schlechter abgegeben werden. Ein nützliches Maß, eine Lageveränderung der O2-Bindungskurve zu quantifizieren, ist der p 50 -Wert. Der p50-Wert ist der pO2-Wert, bei dem eine 50 %ige O2-Sättigung des Bluts bei 37 °C und einem pH von 7,4 vorliegt: er beträgt ca. 26,6 mmHg [5, 11]. Der p50-Wert wird von einigen Blutgasanalysegeräten berechnet.
Tab. 4
Ursachen für eine Lageveränderung der O2-Bindungskurve
Linksverschiebung, erhöhte Affinität, p50 vermindert
Rechtsverschiebung, verringerte Affinität, p50 erhöht
Alkalose (pH ↑)
Azidose (pH ↓)
Hypokapnie (pCO2 ↓)
Hyperkapnie (pCO2 ↑)
Temperatur ↓
Temperatur ↑
2,3-DPG ↓
2,3-DPG ↑
Phosphat im Blut ↓
Phosphat im Blut ↑
COHb und MetHb ↑
 
Abnorme Hämoglobine z. B. Hb-F ↑
 
 
Schwangerschaft
 

Bestimmung des O2-Gehalts des Bluts

Sauerstoff wird im Blut zum weit überwiegenden Teil an Hämoglobin gebunden transportiert; nur ein geringer Teil ist physikalisch gelöst. Über die Menge an Sauerstoff, die 1 g Hämoglobin zu binden vermag (O 2 -Bindungskapazität) besteht eine gewisse Unsicherheit. Ende des 19. Jahrhunderts bestimmte Hüfner die O2-Bindungskapazität mit 1,34 ml O2/g Hb. Dieser Wert wurde 1965 auf 1,39 ml O2/g Hb korrigiert, nachdem das genaue Molekulargewicht von Hämoglobin bestimmt worden war. Ein mol Hämoglobin (64.500 g) vermag mit seinen 4 mol Häm-Eisen 4 mol Sauerstoff zu binden. Da das Molvolumen idealer Gase 22,4 l/mol beträgt, folgt, dass 1 g Hämoglobin 4/64.500 mol/g = 0,062 mmol O2/g = 1,39 ml O2/g zu binden vermag. Wir legen im Folgenden den theoretischen Maximalwert von 1,39 ml O2/g Hb zugrunde.
Den O2-Gehalt einer Blutprobe (cO2) (Gehalt: engl. „content“, abgekürzt c, mit Index a = arteriell, \( \overline{\mathrm{v}} \) = gemischt-venös) errechnet sich als Summe aus hämoglobingebundenem und physikalisch gelöstem O2-Anteil. Der Löslichkeitskoeffizient für O2 (\( {\alpha}_{O_2} \)) beträgt 0,00314 ml O2 × 100 ml Blut−1 × mmHg−1 oder in SI-Einheiten 0,00943 mmol O2/l/kPa:
$$ c{O}_2=\left(1,39\times tHb\times \frac{s{O}_{2\ in\ \%}}{100}\right)+0,003\times p{O}_2\frac{ml\ {O}_2}{100\ ml\ Blut} $$
(16)
Als Sättigung ist die tatsächliche O2-Sättigung (Gl. 12), nicht die partielle O2-Sättigung (Gl. 11) in die Gl. 16 einzusetzen.
Der arterielle cO2 beträgt 18–23, der gemischt-venöse 12–15 ml O2/dl Blut. Die arterio-gemischtvenöse O 2 - Gehaltsdifferenz (a\( \overline{\mathrm{v}} \)DO2) beträgt 4–5 ml O2/100 ml Blut.
Die Erhöhung der inspiratorischen O2-Konzentration von 21 auf 100 % bewirkt einen Anstieg des paO2 von 95 auf 640 mmHg. Wenn die sO2 weiter bei 98 % und das tHb weiter bei 15 g/dl bleiben, steigt der Gesamt-O2-Gehalt des Blutes nur um den physikalisch gelösten Anteil. Das bedeutet eine Steigerung um nur ca. 1,7 ml/dl, d. h. von 20,7 auf 22,4 ml/dl. Dies unterstreicht eindringlich die Bedeutung des Hb-Werts und des hämoglobingebundenen O2-Anteils für den O2-Gehalt des Bluts.
Weil die Parameter tHb, pO2 und sO2 in die Berechnung des O2-Gehalts eingehen, kommt dem O 2 -Gehalt als Oxygenierungsparameter eine übergeordnete Bedeutung zu [19, 32].

Hypoxie

Ursachen

Eine einheitliche Definition des Begriffs Hypoxie existiert nicht.
Zander [32] definiert Hypoxie als eine Verminderung des O 2 -Partialdrucks, entweder im arteriellen Blut (arterielle Hypoxie) oder im Gewebe (Gewebehypoxie). Unter Hypoxämie soll eine Verminderung des O2-Gehalts im arteriellen Blut verstanden werden.
Die Organe, verschiedene Zellverbände und sogar intrazelluläre Kompartimente sind unterschiedlich empfindlich gegenüber O2-Mangel. Es fällt daher schwer, einen Grenzwert anzugeben, ab dem man von einer Hypoxie spricht. Bezogen auf den Gesamtorganismus dürften aber ein paO2 < 60 mmHg als hypoxisch akzeptiert werden.
Eine hypoxische Hypoxämie ist bei starker Anämie äußerlich nicht immer durch eine Zyanose erkennbar, da die Entwicklung einer Zyanose voraussetzt, dass 3–5 g Hb/dl in reduzierter (desoxygenierter) Form vorliegen. Bei starker Anämie ist eine hypoxische Hypoxämie daher nur durch die Bestimmung des paO2 oder saO2 zu verifizieren. Patienten mit hohen Hb-Werten zeigen dagegen bei hypoxischer Hypoxämie gewöhnlich eine deutliche Zyanose (Tab. 5).
Tab. 5
Einteilung der Hypoxämien (caO2 ↓)
Hypoxische Hypoxämie
paO2 ↓, saO2 ↓, normaler tHb
Anämische Hypoxämie
tHb ↓, normaler paO2 und saO2
Toxische Hypoxämie
saO2 ↓ (COHb ↑ oder MetHb ↑), normaler paO2 und tHb
Ischämische Hypoxie
Herzzeitvolumen ↓ oder Organdurchblutung ↓, normaler caO2
Pulmonale und atmungsbedingte Ursachen für eine hypoxische Hypoxämie
  • Alveoläre Hypoventilation
  • Ventilations-Perfusions-Störungen
  • Diffusionsstörungen
Diffusionsstörungen z. B. bedingt durch eine Lungenfibrose, spielen im Rahmen der Anästhesie und Intensivmedizin nur eine unbedeutende Rolle.

Alveoläre Hypoventilation

Bei einer in Beziehung zur CO2-Produktion zu geringen alveolären Ventilation steigt der paCO2 an und der paO2 fällt. Wäre der respiratorische Quotient (RQ) 1,0, würden sich paCO2 und paO2 quantitativ exakt im umgekehrten Verhältnis ändern (alveoläre Gasgleichung, Gl. 12): Der paO2 nähme um so viele mmHg ab, wie der paCO2 ansteigt. Da der RQ gewöhnlich unter 1 liegt (RQ × 0,85), ist der Abfall des paO2 meist etwas größer als der Anstieg des paCO2 (ca. 1,2 × paCO2). Dabei sind allerdings die Verschiebungen der O2-Bindungskurve durch Änderungen beispielsweise des pH aber auch durch den pCO2 selbst, nicht berücksichtigt (Tab. 4).
Dem Anästhesisten begegnet die alveoläre Hypoventilation am häufigsten in der postoperativen Phase nach Allgemeinanästhesie und Analgosedierung. Neben muskulär-mechanischen Ursachen, z. B. schmerzbedingt reduzierte Atemexkursionen, Muskelrelaxansüberhang, müssen zentrale Ursachen, wie z. B. Anästhetika-, Opiatüberhang, Schlafapnoesyndrom und eine Obstruktion der Atemwege, z. B. durch zähen Schleim oder Heruntersinken der Zunge, in Erwägung gezogen werden.
Ein hypoventilationsbedingter Anstieg des pACO2 führt umso eher zu kritisch niedrigen paO2-Werten, je niedriger die FiO2 ist. Durch O2-Gabe ist diese Form der Hypoxie symptomatisch gut zu therapieren.
Zu beachten ist jedoch, dass die O2-Gabe den Atemantrieb chronisch hyperkapnischer Patienten („blue bloater“) verringern kann, da deren Atemantrieb vorwiegend durch niedrige paO2-Werte stimuliert wird, und kaum durch einen Anstieg des paCO2.
Beispiel
Steigt bei einem Lungengesunden der paCO2 auf 80 mmHg, würde sich rechnerisch (Gl. 12) bei Raumluftatmung ein paO2 von ca. 45 mmHg ergeben. Bei unveränderter Ventilation würde bereits eine geringfügige Erhöhung der FiO2 auf 0,3 den paO2 auf ca. 108 mmHg steigern (Gl. 14). Die bei einem Anstieg des pCO2 resultierende Rechtsverschiebung der O2-Bindungskurve (Tab. 4) bewirkt, dass die paO2-Werte etwas über diesen, nur mit Hilfe der alveolären Gasgleichung berechneten Werten liegen.

Ventilations-Perfusions-Störung

Unter Grundumsatzbedingungen beträgt die alveoläre Ventilation 4 l/min und der Blutfluss durch die Lunge 5 l/min. Daraus errechnet sich für die gesamte Lunge ein Ventilations-Perfusions-Verhältnis (V˙A/Q˙) von 0,8. Man unterscheidet 2 Extremformen der Ventilations-Perfusions-Störung:
1.
die alveoläre Totraumbelüftung, bei der Alveolen belüftet aber nicht durchblutet werden (\( {\dot{V}}_A/{\dot{Q}}_A \) = ∞) und
 
2.
den Shunt, bei dem Alveolen durchblutet aber nicht belüftet werden (\( {\dot{V}}_A/{\dot{Q}}_A=0 \)).
 
Ventilations-Perfusions-Störungen zählen zu den häufigsten Ursachen einer Hypoxie im Bereich der Anästhesie und Intensivmedizin [25].
Beim ARDS schweres akutes lungenversagen z. B. kann die p(A-a)O2 mehrere 100 mmHg betragen – hauptsächlich bedingt durch Shunteffekte. Auch während der Anästhesie nimmt der alveolo-arterielle pO2-Differenz zu, da während der Anästhesie der Zwerchfelltonus abnimmt und es zu einer Abnahme der funktionellen Residualkapazität (FRC) und zum Auftreten atelektatischer Bezirke besonders in den abhängigen Lungenpartien mit relativ hoher Perfusion und niedriger Ventilation kommt. Die p(A-a)O2 nimmt in der Regel auch zu, wenn das Herzzeitvolumen bei bestehendem intrapulmonalen Rechts-links-Shunt steigt. Dann sinkt der arterielle pO2 wegen der stärkeren Zumischung von O2-armem Blut, das durch die Shuntgebiete fließt. Mit zunehmendem intrapulmonalen Shunt wird der durch eine Erhöhung der FiO2 bewirkte Anstieg von paO2 und sO2 immer geringer werden [19]. Neben der Optimierung der Beatmungs- und Kreislaufsituation sollte man dann die Hb-Konzentration nicht wesentlich unter den Normalbereich fallen lassen, um den O2-Gehalt des Bluts nicht noch weiter zu vermindern.

Anämische Hypoxämie

In Abschn. 7.3 wurde gezeigt, dass der physikalisch gelöste O2-Anteil am O2-Gehalt des Bluts im Vergleich zum hämoglobingebundenen normalerweise gering ist. Bedeutung erlangt die physikalisch gelöste O2-Fraktion jedoch bei anämischen Patienten: So würde bei einem Hb von 5 g/dl durch die Erhöhung der inspiratorischen O2-Konzentration von 21 (paO2 100 mmHg) auf 100 % (paO2 640 mmHg), der O2-Gehalt von 7,1 auf 8,7 ml/100 ml Blut angehoben und damit der O2-Gehalt um ca. 20 % gesteigert (Gl. 14). Außerdem wäre damit wegen des höheren O2-Partialdruckgefälles die Abgabe von Sauerstoff ans Gewebe erleichtert. Bei Patienten mit großem, akutem Blutverlust sollte daher bis zur Substitution des verlorenen Hämoglobins durch Blutkonserven zweierlei sichergestellt werden:
  • ein für den O2-Transport ausreichend hohes Herzzeitvolumen – u. U. durch Katecholamin- und Volumentherapie und
  • eine möglichst hohe FiO2, auch wenn sO2, und paO2 in der Blutgasanalyse unter Raumluftatmung normal (Abb. 3) und wahrscheinlich auch die Vermeidung einer Hyperventilation mit Linksverschiebung der O2-Bindungskurve und Konsekutives zerebraler Vasokonstriktion [21].

Toxische Hypoxämie

Kohlenmonoxid
Kohlenmonoxid (CO) entsteht bei unvollständiger Verbrennung. Im Blut bewirkt CO zweierlei: zum einen steigt die Affinität des Sauerstoff zum Hämoglobin (Linksverschiebung, also erschwerte O2-Abgabe auf der zellulären Ebene, s. unten), zum anderen nimmt der O2-Gehalt des Bluts ab, da CO sich ca. 240-mal stärker an das Hämoglobin bindet als O2.
Erhöhte Carboxyhämoglobin- (COHb-)Konzentrationen (Normalwert bis 0,8 %) werden u. a. bei Kohlenmonoxidvergiftungen (sog. Rauchvergiftung), bei Rauchern (bis 10 % COHb) und Personen gefunden, die längere Zeit dichtem Autoverkehr ausgesetzt sind.
Wegen der kirschroten Farbe des COHb entsteht keine Zyanose. Die meisten Pulsoxymeter und konventionellen Blutgasgeräte würden – auch wenn der Anteil des COHb beispielsweise von 0 auf 15 % stiege – weiterhin eine normale psO2 von z. B. 98 % messen (Ausgangs-psO2 sei 98 %, dazu nun 15 % COHb → psO2 = (0,83/[0,83 + 0,02]) × 100 = 98 % [Gl. 11]). Das Ausmaß der Hypoxämie ist auch nicht am paO2 abzulesen, da sich die Konzentration des physikalisch gelösten O2 im Plasma durch den COHb-Anstieg nicht ändert. Nur die Bestimmung der sO2 mit dem CO-Oxymeter (Hämoxymeter) würde in unserem Beispiel den tatsächlichen Grad der Intoxikation erfassen (sO2 = (0,83/[0,83 + 0,02 + 0,15 + 0,0]) × 100 = 83 % [Gl. 13]). Bei einer COHb-bedingten sO2 von 83 % wäre der O2-Gehalt des Bluts also um ca. 15 % geringer, als es die z. B. mit einem Pulsoxymeter gemessene psO2 von 98 % vermuten ließe (Abb. 3).
Methämoglobin
Eine Methämoglobinämie ist ein weiterer, klinisch bedeutsamer Grund für eine toxische Hypoxämie. MetHb entsteht durch Substanzen, die das im Hämoglobin enthaltene zweiwertige Eisen (Fe2+) zur dreiwertigen Form (Fe3+) oxidieren (MetHb-Normalwert bis 0,5 %). Das dreiwertige Eisen im MetHb kann kein O2 binden.
Methämoglobinbildner
  • Nitrite (sog. Brunnenwasservergiftungen)
  • Nitroglycerin
  • Aminophenole (z. B. o-Toluidin ein Abbauprodukt des Lokalanästhetikums Prilocain)
  • Stickoxid (NO), z. B. auch während therapeutischer Inhalation von NO in hohen Konzentrationen
  • Sulfonamide
  • Phenacetin
Cave
Säuglinge sind besonders gefährdet (z. B. auch durch prilocainhaltige Salben), weil bei ihnen die enzymatische Reduktion des MetHb (Fe3+ zu Fe2+) langsamer verläuft als beim Erwachsenen.
Anders als bei einer CO-Intoxikation zeigen die Patienten mit einer Methämoglobinämie eine Zyanose. In klinischen Fallbeschreibungen und Tiermodellen konnte gezeigt werden, dass die pulsoxymetrisch ermittelte psO2 ohne quantitativen Bezug zu den gemessenen MetHb-Werten bis zu einer psO2 von 85 % fällt. Ab dort sank die psO2 nicht weiter, obwohl die MetHb-Werte zwischen 30 und 65 % lagen. Dies liegt daran, MetHb rotes und infrarotes Licht in etwa gleich gut absorbiert. Dadurch nähert sich das Rot/Infrarot-Modulationsverhältnis immer mehr dem Wert 1 an und das entspricht 85 % psO2 auf der Pulsoxymeterkalibrationskurve. Wie für die CO-Intoxikation dargelegt, bleibt der paO2 von der Methämoglobinämie primär unbeeinflusst!
Bei der Einschätzung der klinischen Auswirkungen der verschiedenen Hypoxämieformen auf die Gewebeversorgung mit O2 ist es nicht unerheblich, welche Ursache der Hypoxie zugrunde liegt. Setzt man einen gleich starken Abfall des O2-Gehalts des Bluts voraus, dann ist eine anämische Hypoxie wegen der Rechtsverschiebung der O2-Bindungskurve günstiger einzuschätzen, als eine toxische Hypoxämie, die mit einer Linksverschiebung einhergeht (Tab. 4, Abb. 3). Die hypoxische Hypoxämie nimmt eine Mittelstellung ein, da bei ihr die Lage der Bindungskurve bei Hyperventilation und konsekutiven pCO2-Abfall z. B. bedingt durch alveoläre Hypoxie in großer Höhe entweder nach links oder im Falle eines pCO2-Anstiegs z. B. bei Hypoventilation, COPD- oder ARDS-Patienten nach rechts verschoben sein kann.
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