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DGIM Innere Medizin
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Publiziert am: 01.12.2014

Thrombozytopenien und Thrombozytopathien

Verfasst von: Ulrich Sachs
Die normale Thrombozytenzahl im Vollblut beträgt 150.000-450.000/μl. Bei Messwerten unterhalb dieses Referenzbereichs spricht man von einer Thrombozytopenie. Bei Thrombozytenzahlen zwischen 150.000/μl und 100.000/μl und fehlender Klinik ist nicht von einer relevanten Thrombozytopenie auszugehen, eine weiterführende Diagnostik ist nicht zwingend indiziert. Eine Verminderung der Thrombozytenzahlen unter den Normbereich kann durch Störungen in der Produktion oder im Umsatz verursacht werden.

Der thrombozytopene Patient

Definition und Einführung

Die normale Thrombozytenzahl im Vollblut beträgt 150.000–450.000/μl. Bei Messwerten unterhalb dieses Referenzbereichs spricht man von einer Thrombozytopenie. Bei Thrombozytenzahlen zwischen 150.000/μl und 100.000/μl und fehlender Klinik ist nicht von einer relevanten Thrombozytopenie auszugehen, eine weiterführende Diagnostik ist nicht zwingend indiziert. Eine Verminderung der Thrombozytenzahlen unter den Normbereich kann durch Störungen in der Produktion oder im Umsatz verursacht werden.
Die wesentlichen Differenzialdiagnosen werden im Folgenden aufgezeigt (Kiefel u. Greinacher 2010).

Klinik

Die Thrombozytopenie bedingt eine Blutungsneigung, wobei kleine, stecknadelkopfgroße Hautblutungen (Petechien) als charakteristisch für thrombozytär bedingte Spontanblutungen gelten. Größere Blutungen (Ekchymosen und Hämatome) treten nach (ggf. geringfügigen) Traumata auf. Die klinische Blutungsneigung korreliert nur in gewissem Ausmaß mit der Thrombozytenzahl; sie wird durch die Ursache der Thrombozytopenie und mögliche Begleiterkrankungen erheblich beeinflusst. Dennoch gilt, dass unterhalb von 10.000–5.000 Thrombozyten/μl das Risiko für spontane Blutungen deutlich ansteigt. Typisch dafür sind, neben Petechien, Haut- und Schleimhautblutungen (Magen-Darm-Trakt einschließlich Mundhöhle; Urogenitaltrakt, insbesondere Menorrhagien), die seltenen, aber potenziell bedrohlichen intrakraniellen Blutungen.

Diagnostik

Bei Patienten mit isolierter Thrombozytopenie ohne Blutungsneigung sollten als wichtige Differenzialdiagnosen eine Pseudothrombozytopenie und eine heparininduzierte Thrombozytopenie-Typ-2 (HIT-Typ-2) ausgeschlossen werden. Die Pseudothrombozytopenie kann durch Vergleichsmessungen der Thrombozytenzahlen aus EDTA-, Citrat- und heparinantikoaguliertem Vollblut erkannt werden. Es handelt sich um ein reines Laborartefakt mit einer zeitabhängigen Verklumpung der Thrombozyten im Entnahmeröhrchen. Für den Patienten ist dies ohne Bedeutung, seine Thrombozytenwerte sollten zukünftig aber in einem geeigneten Antikoagulans (Citrat oder Heparin) bestimmt werden. Bei der HIT-Typ-2 handelt es sich um eine schwerwiegende Nebenwirkung von unfraktionierten und niedermolekularen Heparinen, bei der eine gegen Heparin und Plättchenfaktor 4 gerichtete Immunantwort zur Aktivierung von Thrombozyten führt. Die Thrombozytopenie ist hier Ausdruck einer massiven prokoagulatorischen Veränderung mit Thrombozytenaktivierung, dementsprechend dominieren thromboembolische Ereignisse das klinische Bild. Die Diagnose kann durch Anamnese (Heparinapplikation, Verlauf der Thrombozytenzahlen), ggf. ergänzt durch den Nachweis der aktivierenden Antikörper in Labortests, gestellt werden (Warkentin 2011).
Typische Ursachen einer Thrombozytopenie sind in Tab. 1 zusammengefasst.
Tab. 1
Ursachen von Thrombozytopenien
Verminderte Produktion im Knochenmark
 
Knochenmarkaplasie, Fibrose
Knochenmarkinfiltration durch maligne Zellen
Alkoholtoxische oder medikamententoxische Wirkung
HCV, HIV
Seltene, angeborene Störungen (TAR, kongenitale amegakaryozytäre Hypoplasie)
Vermehrte Sequestration
 
Splenomegalie
Vermehrter Abbau
Nichtimmunogen
Vaskulitiden, TTP/HUS
Gefäßprothesen, Herzklappen
Sepsis, disseminierte Gerinnung
Immunogen
Medikamentenabhängige Antikörper
Zirkulierende Immunkomplexe (z. B. SLE, bakterielle Sepsis)
Posttransfusionspurpura

Differenzialdiagnostik

Zur Differenzialdiagnostik der Thrombozytopenie sind die Anamnese unter besonderer Berücksichtigung von Typ und Ausmaß der Blutungsneigung und einer möglichen Medikamenteneinnahme, das Differenzialblutbild mit optischer Beurteilung eines Blutausstrichs (Thrombozytenmorphologie) und die orientierende Oberbauchsonographie (Leber, Milz) wegweisend. Ist die Thrombozytopenie nur Symptom einer der genannten Grunderkrankungen (s. Tab. 1), liefern Anamnese, Blutbild und Sonografie in der Regel bereits die ausschlaggebenden Hinweise. Im Rahmen der Schwangerschaft sollte ferner an die schwangerschaftsassoziierte Thrombozytopenie gedacht werden, bei der die Thrombozyten bis auf Werte um 70.000/μl abfallen können und bei der kein Blutungsrisiko besteht; einige Wochen nach Entbindung normalisieren sich die Thrombozytenzahlen.
Sind die Thrombozytenzahlen sehr schnell unter 10.000/μl gefallen und Blutungszeichen aufgetreten, ist differenzialdiagnostisch an eine akute medikamenteninduzierte Immunthrombozytopenie zu denken. Vor allem Antibiotika und Schmerzmittel können eine Immunreaktion hervorrufen, die wenige Tage nach Therapiebeginn zu einem massiven Abfall der Thrombozytenzahlen (bei Reexposition auch schneller) führt. Nach Absetzen des Präparats steigt die Thrombozytenzahl in der Regel rasch wieder an. Der klinische Verdacht sollte im Labor gesichert werden, der Patient einen Notfallausweis erhalten. Eine weitere, sehr seltene Differenzialdiagnose ist die Posttransfusionspurpura wenige Tage nach Bluttransfusion. In der Regel sind ältere Frauen mit positiver Schwangerschaftsanamnese betroffen, die Hämorrhagie kann lebensbedrohlich sein. Ursächlich ist die Reaktivierung einer Immuantwort gegen thrombozytäre Merkmale aus der Zeit der Schwangerschaft. Therapie der Wahl sind Immunglobuline.

Immunthrombozytopenie

Definition

Patienten mit Immunthrombozytopenie (ITP) weisen eine isolierte Thrombozytopenie mit mehr oder weniger stark ausgeprägte Blutungszeichen bei ansonsten unauffälliger Klinik auf.

Pathophysiologie

Ursächlich ist eine Autoimmunreaktion gegen Oberflächenglykoproteine auf Thrombozyten (GP IIb/IIIa, GP Ib/IX), die einen beschleunigten Abbau der Thrombozyten bewirkt (Sachs 2008).

Klinik

Diese chronische Autoimmunerkrankung betrifft meist Patienten im Alter zwischen 20 und 40 Jahren. Oft fallen die Thrombozytenzahlen schleichend ab. Das Ausmaß der Thrombozytopenie kann stark variieren (mäßig reduzierte Thrombozytenzahlen bis hin zu fehlenden Thrombozyten), und auch die Blutungsneigung ist interindividuell sehr unterschiedlich ausgeprägt. Nicht selten ist die Thrombozytopenie bei diesen Patienten ein Zufallsbefund. Bei der ITP korrelieren Thrombozytenzahlen und Blutungsneigung nur sehr bedingt.

Diagnostik

Die ITP ist eine Ausschlussdiagnose. Sie ist wahrscheinlich, wenn keine andere Ursache für die Thrombozytopenie in Betracht kommt. Der positive Nachweis der verursachenden Autoantikörper im Labor kann die Diagnose ITP sichern, ein fehlender Antikörpernachweis ist aber in der Differenzialdiagnostik wenig hilfreich, da die Tests eine schlechte Sensitivität aufweisen. Die Knochenmarkpunktion sollte bei Patienten jenseits des 50. Lebensjahres, bei abweichenden Befunden und vor invasiven Therapiemaßnahmen durchgeführt werden; sie ist Bestandteil der Ausschlussdiagnostik und liefert nur selten einen für ITP typischen Befund. Für die stufenweise Diagnostik und Therapie der ITP wurden Konsensusempfehlungen veröffentlicht (Matzdorff et al. 2010).

Therapie

Da die Erkrankung nicht kurativ behandelt werden kann (Spontanremissionen kommen jedoch vor), sollten nur die ITP-Patienten dauerhaft behandelt werden, die signifikant bluten und/oder ein hohes Blutungsrisiko aufweisen (z. B. sehr niedrige Thrombozytenwerte und arterielle Hypertonie). Es herrscht weitgehend Konsens, dass initial Glukokortikoide eingesetzt werden sollen; viele ITP-Patienten erreichen unter höheren Dosierungen (ca. 1 mg/kg KG) von Glukokortikoiden normale Thrombozytenwerte, zeigen aber unter Dosisreduktion oft wieder einen Abfall auf Ausgangswerte. Die Splenektomie ist bei bis zu zwei Dritteln aller Patienten effektiv und gilt als Therapie der zweiten Wahl. Bei therapierefraktärer ITP (nach Splenektomie) haben Thrombopoietin-Rezeptoragonisten die früher häufig eingesetzten Immunsuppressiva (wie Azathioprin, Cyclophosphamid) verdrängt. In der ärztlichen Versorgung sollte versucht werden, die Patienten nicht auf bestimmte Thrombozytenwerte zu konditionieren, sondern das klinische Bild in den Vordergrund zu stellen. Bei ITP-Patienten mit niedrigen Thrombozytenwerten kann in dringenden Fällen (etwa vor OP) eine Kombination aus intravenösen Immunglobulinen und Glukokortikoiden, bei lebensbedrohlichen Blutungen die Gabe von Thrombozytenkonzentraten und aktiviertem Faktor VII erwogen werden. Patienten mit ITP sollten einen Notfallausweis erhalten und dauerhaft von einem in der ITP-Behandlung erfahrenen Arzt betreut werden. Medikamente, die die Thrombozytenfunktion beeinträchtigen (wie z. B. nichtsteroidale Antiphlogisitika), sind zu meiden.

Thrombozytopathien

Unter dem Oberbegriff Thrombozytopathien werden Störungen der Thrombozytenfunktion zusammengefasst, die die Adhäsion, Aggregation und Freisetzungsreaktion (Sekretion) der Thrombozyten betreffen. Die häufigsten Thrombozytopathien sind erworben, in der Regel durch Einnahme von Medikamenten, die mit der Thrombozytenfunktion interagieren (Konkle 2011). Die Thrombozytenzahl ist dabei normal. Die Hemmung des Enzyms Cyclooxygenase durch Acetylsalicylsäure (ASS) oder andere nichtsteroidale Antiphlogistika ist die häufigste erworbene Thrombozytopathie. Die resultierende Hämostasestörung ist mild. Im Zusammenspiel mit vorbestehenden Hämostasestörungen kann es jedoch durchaus zu relevanten Blutungen kommen. Weitere Substanzen, die gezielt zur Thrombozytenfunktionshemmung eingesetzt werden, induzieren eine stärkere Beeinträchtigung der Thrombozytenfunktion. Diese führt zwar nur selten zu spontaner Blutungsneigung, muss aber insbesondere vor invasiven Maßnahmen berücksichtigt werden (z. B. ADP-Rezeptorantagonisten). Erworbene Thrombozytopathien finden sich auch bei Erkrankungen, die mit Paraproteinen einhergehen (Amyloidose, Multiples Myelom).
Angeborene Thrombozytopathien sind selten (Nurden AT et al. 2012). Bei einigen hereditären Thrombozytopathien liegt zugleich eine (oft milde oder moderate) Thrombozytopenie vor (s. Tab. 1). Die größte Gruppe angeborener Thrombozytopathien sind Störungen der Signaltransduktion und Sekretion. Bei den Storage Pool-Defekten (SPD) ist die Freisetzung von α-, δ- oder (sehr selten) beider Granula gestört; die Beeinträchtigung der Hämostase ist meist mild. Die Patienten zeigen in der Regel Hämtomneigung, gelegentlich Schleimhautblutungen, sowie eine verlängerte Blutungszeit. Die Diagnostik ist Speziallaboratorien vorbehalten. Sekundäre (erworbene) SPD werden bei myeloproliferativen Erkrankungen, akuten und chronischen Leukämien, beim SLE und nach längerer extrakorporaler Zirkulation (z. B. Herz-Lungen-Maschine) beobachtet. Alle anderen Thrombozytopathien sind Raritäten (Tab. 2). Thrombozytopathien, die mit Riesenthrombozyten und Thrombozytopenie einhergehen (MYH9-assoziierte Makrothrombozytopenien, Bernard-Soulier-Syndrom), sollten differenzialdiagnostisch bei glukokortikoidrefraktärer ITP berücksichtigt werden. Patienten mit Thrombozytopathien sollten keine Medikamente einnehmen, die die Thrombozytenfunktion beeinträchtigen (wie nichtsteroidale Antiphlogistika, trizyklische Antidepressiva etc.); bei Frauen mit Menorrhagien kann die Indikation zur oralen Kontrazeption bestehen. Eine Anbindung an ein hämostaseologisches Zentrum wird empfohlen.
Tab. 2
Hereditäre Thrombozytopathien
Gestörte Funktion
Erkrankung
Klassischer Blutungstyp
Blutbild
Diagnostika
Therapie
Adhäsion
Provoziert
Thrombozytopenie, Riesenthrombozyten
QUANT
TRAG
rFVIIa
Aggregation
Morbus Glanzmann
Spontan
Unauffällig
QUANT
TRAG
rFVIIa
Signaltransduktion, Sekretion
Storage pool disease (SPD)b
Provoziert
Milde Thrombozytopenie bei α- und δ-SPD
TRAG
LUMINO
QUANT
DDAVP
Thrombozytenc
Komplexe Störungen
MYH9-assoziierte Makrothrombozytopeniend
Provoziert
Thrombozytopenie, Makrothrombozyten, Einschlusskörperchen der Leukozyten (Döhle-like)
IFT
DDAVP
Tranexamsäure
aQUANT = Quantifizierung von Rezeptoren auf der Thrombozytenoberfläche; TRAG = Thrombozytenaggregometrie nach Born; LUMINO = Luminoaggregometrie; IFT = Immunfluoreszenztest
bAuch assoziiert mit Hermansky-Pudlak-, Chediak-Higashi-, Wiskott-Aldrich-, Thrombocytopenia-absent-radii-, und Griscelli-Syndrom
cSonderform des Quebec platelet syndroms: Tranexamsäure
dUmfasst May-Hegglin-, Fechter-, Sebastian- und Epstein-Syndrom; beim Epstein-Syndrom fehlen die leukozytären Einschlusskörperchen
Literatur
Kiefel V, Greinacher A (2010) Differential diagnosis and treatment of thrombocytopenia. Internist (Berl) 51(11):1397–1410CrossRef
Konkle BA (2011) Aquired disorders of platelet function. Hematology Am Soc Hematol Educ Program 1:391–396CrossRef
Matzdorff A, Giagounidis A, Greinacher A, Hiller E, Kiefel V, Müller-Beissenhirtz H, Ostermann H, Rummel M, Sachs UJ, Salama A (2010) Diagnosis and therapy of autoimmune thrombocytopenia: recommendations of a joint expert group of DGHO, DGTI, GTH. Onkologie 33(suppl 3):2–20PubMedCrossRef
Nurden AT, Freson K, Seligsohn U (2012) Inherited platelet disorders. Haemophilia 18(Suppl 4):154–160PubMedCrossRef
Sachs UJ (2008) Diagnosis of idiopathic thrombocytopenic purpura. Hamostaseologie 28(1–2):72–76PubMed
Warkentin TE (2011) How I diagnose and manage HIT. Hematology Am Soc Hematol Educ Program 1:143–149CrossRef