Definition
Das Merkelzellkarzinom (MCC)
ist ein seltener, primär kutaner, aggressiver Hauttumor
. Die erste Beschreibung erfolgte 1972 durch Cyril Toker als „trabekuläres Karzinom der Haut“ (Toker
1972). Die malignen Zellen teilen viele Eigenschaften mit den Merkelzellen der Haut. Der genaue Ursprung der Tumorzellen ist derzeit jedoch nicht eindeutig. Neue Erkenntnisse weisen darauf hin, dass sie von epidermalen Stammzellen abstammen (Tilling und Moll
2012). In einer signifikanten Zahl von Merkelzellkarzinomen konnten zuletzt Marker von Vorläufer-B-Zellen (TDT und PAX5) nachgewiesen werden (Zur Hausen et al.
2013). Der bedeutendste immunhistochemische Marker zur Diagnostik des Merkelzellkarzinoms ist das
Zytokeratin 20
(CK20) (Moll und Moll
1992). Weitere umfassende immunhistochemische Färbungen werden zur Abgrenzung gegenüber anderen malignen Erkrankungen durchgeführt.
In Deutschland liegt eine zuletzt 2012 aktualisierte Leitlinie zur Diagnostik und Behandlung des Merkelzellkarzinoms vor (Becker et al.
2013).
Pathophysiologie
Die langjährige UV-Exposition stellt einen wichtigen Risikofaktor für die Entstehung des Merkelzellkarzinoms dar. Besonders UV-B-Strahlen scheinen dabei bedeutend zu sein. Merkelzellkarzinome entstehen normalerweise in der älteren, weißen Bevölkerung an Arealen lichtexponierter Haut. Eine Korrelation zwischen Inzidenz des Merkelzellkarzinoms in der weißen Bevölkerung und des geografischen Wohnortes mit entsprechendem UV-B-Sonnenindex konnte nachgewiesen werden (Agelli et al.
2010). In einer amerikanischen Untersuchung an 2384 Patienten mit Merkelzellkarzinom zeigte sich eine asymmetrische Verteilung der Tumoren. Die Autoren erklären die hauptsächliche Verteilung im Bereich der linken Körperhälfte mit der gesteigerten Lichtexposition beim Autofahren (Paulson et al.
2011). Chronische UV-Strahlung führt zu Mutationen im Erbgut, so konnten in Proben von Merkelzellkarzinomen C→T- und CC→TT-Mutationen im p53-Gen nachgewiesen werden. Diese entstehen hauptsächlich durch UV-B-Strahlung (Popp et al.
2002).
Merkelzellkarzinome treten in immunsupprimierten Patienten deutlich häufiger auf. Das Risiko, an einem Merkelzellkarzinom zu erkranken, ist bei Organtransplantierten 5- bis 10-fach erhöht. Immunsupprimierte Patienten sind bei der Erstdiagnose Merkelzellkarzinom im Vergleich zu nicht immunsupprimierten Patienten deutlich jünger (Zwald und Brown
2011). HIV-infizierte und an
AIDS erkrankte Patienten weisen ebenfalls ein erhöhtes Risiko auf, an einem Merkelzellkarzinom zu erkranken (Engels et al.
2002). Wie andere maligne Erkrankungen, die besonders bei immunsupprimierten Patienten auftreten, konnte eine virale Onkogenese des Merkelzellkarzinoms nachgewiesen werden. Das 2008 identifizierte Merkelzellpolyomavirus
ist ein kleines, doppelsträngiges DNA-Virus und kodiert für verschiedene Proteine, wie z. B. das „large T antigen“. Hierdurch kann es zu einer Interaktion mit
Tumorsuppressorgenen, wie z. B. p53, in den befallenen Zellen kommen (Feng et al.
2008). An MCC-Zelllinien, in denen das T-Antigen durch „knockdown“ herabreguliert wurde, konnte jedoch keine p53-Aktivität induziert werden. Die p53-Restriktion im Merkelzellkarzinom ist von der virusbedingten T-Antigen-Interaktion unabhängig (Houben et al.
2013).
Die Expression von p63 in Patienten mit lokal metastasiertem MCC korrelierte mit einem aggressiveren Verlauf der Erkrankung. p63 gehört zur p53-Familie und wird vor allem in den basalen Keratinozyten sowie in Stammzellen der Epidermis exprimiert (Asioli et al.
2011).
Zur Hausen et al. konnten 2013 nachweisen, dass Merkelzellkarzinome Marker von Vorläufer-B-Zellen aufweisen. Die Infektion von Vorläufer-B-Zellen mit dem Merkelzellpolyomavirus führte zur Expression von
Zytokeratin 20. Möglicherweise liegt damit ein neues onkogenetisches Konzept des Merkelzellkarzinoms vor (Zur Hausen et al.
2013).
Die mitogenaktivierte Protein(MAP)-Kinase-Signalkaskade spielt in vielen Tumoren eine bedeutende Rolle für Proliferation, Suppression von
Apoptose und Differenzierung. In Patienten mit MCC ist die MAP-Kinase
-Signalkaskade weitgehend inaktiv.
Diagnostik
Zu Beginn der Diagnostik steht die Probebiopsie oder Exzision des Tumors. Anhand des entnommenen Tumormaterials sollte eine histologische und immunhistochemische Aufarbeitung erfolgen. Die
Immunhistochemie ist vor allem auch zur Abgrenzung anderer kutaner Tumoren
und Metastasen sinnvoll. Nach den aktuellen Leitlinien werden die in Tab.
1 genannten Marker zur Untersuchungen empfohlen.
Tab. 1
Immunhistochemische Untersuchung nach Becker (Becker et al.
2013)
| + | – | – | – |
Neuronspezifische Enolase (NSE) | + (in der Mehrzahl der Fälle) | – | – | +/– |
| +/– | – | – | +/– |
„Huntingtin-interacting protein 1“ (HIP1) | + | +/– | – | – |
| – | + | + | – |
Melan A/MART-1 | – | – | + | – |
„Leukocyte-common antigen“ (LCA) (Passos et al. 2012) | – | + | – | – |
„Thyroid transcription factor 1“ (TTF-1) | – | – | – | + |
Aufgrund des hohen Risikos einer Metastasierung in die lokale Lympknotenregion sollte, wenn aufgrund des meist hohen Alters der betroffenen Patienten möglich, zusätzlich eine Exzision des Wächterlymphknotens (SLND) erfolgen. Dieses Vorgehen ist zur Einschätzung der Prognose sinnvoll, da diese bei einem positiven Nachweis von Tumorzellen im Wächterlymphknoten deutlich schlechter ist (Lemos et al.
2010).
Zusätzlich sollten radiologische Untersuchungen durchgeführt werden. Nach den aktuellen Leitlinien werden Ultraschalluntersuchungen der lokoregionären Lymphknotenstationen sowie des Abdomens und Röntgen-Thorax empfohlen. Alternativ sind radiologische Schnittbildgebungen (
Computertomographie) möglich. Im Fall von Fernmetastasen haben sich stoffwechselbezogene Untersuchungen des Somatostatinrezeptors bewährt, wie z. B. die 68Ga-DOTATATE-PET/CT (Schneider et al.
2012). Diese diagnostischen Untersuchungen werden derzeit noch nicht routinemäßig durchgeführt. Anhand der Befunde erfolgt die Stadieneinteilung (Tab.
2 und
3).
Tab. 2
TNM Klassifikation (Lemos et al.
2010)
Tx | Primärtumor kann nicht beurteilt werden | Nx | Regionale Lymphknoten können nicht beurteilt werden | Mx | Fernmetastasen können nicht beurteilt werden |
T0 | Kein Primärtumor | N0 | Keine Lymphknotenmetastasen | M0 | Keine |
Tis | In-situ-Primärtumor | cN0 | Lymphknotenmetastasen klinisch nicht nachweisbar | M1 | Fernmetastasen |
T1 | Primärtumor ≤2 cm | cN1 | Lymphknotenmetastasen klinisch nachweisbar | M1a | Fernmetastasen Haut, Weichteile, Lymphknoten |
T2 | Primärtumor >2 und ≤5 cm | pN0 | Lymphknoten histopathologisch tumorfrei | M1b | Fernmetastasen Lunge |
T3 | Primärtumor >5 cm | pNx | Lymphknoten histopathologisch nicht untersucht | M1c | Alle anderen Organmetastasen |
T4 | Primärtumor infiltriert Knochen, Muskel, Faszie oder Knorpel | N1a | Mikrometastasen | | |
| | N1b | Makrometastasen | | |
| | N2 | In-Transit-Metastasen | | |
Tab. 3
Stadieneinteilung nach Lemos (Lemos et al.
2010)
IA | T1 | pN0 | M0 |
IB | T1 | cN0 | M0 |
IIA | T2/T3 | pN0 | M0 |
IIB | T2/T3 | cN0 | M0 |
IIC | T4 | N0 | M0 |
IIIA | Jedes T | N1a | M0 |
IIIB | Jedes T | N1b/N2 | M0 |
IV | Jedes T | Jedes N | M1 |
Therapie
Primärtumoren sollten in Abhängigkeit von der Lokalisation und, wenn aufgrund der Lokalisation möglich, mit einem Sicherheitsabstand von 2–3 cm exzidiert werden (Assouline et al.
2011). Zusätzlich ist nach Möglichkeit die Entfernung des Wächterlymphknotens indiziert, und entsprechende bildgebende Verfahren sollten durchgeführt werden. Im Fall einer positiven Lymphknotenbiopsie sollte den Patienten eine komplette Lymphadenektomie in dem betroffenen Areal angeboten werden (Becker et al.
2013).
Merkelzellkarzinome sind strahlensensible Tumoren. Aufgrund des hohen Risikos eines Lokalrezidivs ist es notwendig, das Tumorbett des Primarius sowie die lokoregionären Lymphknotenstationen adjuvant zu bestrahlen. Ob bei histologisch negativem Sentinel- Lymphknoten auf die Mitbestrahlung der regionären Lymphabflußregion verzichtet werden kann, ist nicht abschließend geklärt. Es wird eine Gesamtdosis von ≥50 Gy (2 Gy 5×/Woche) empfohlen. Im Fall von Lymphknotenmetastasen scheinen höhere Dosen von ≥55 Gy bessere Ansprechraten zu erzielen (Foote et al.
2010).
Im Fall der Fernmetastasierung stehen verschiedene Behandlungsoptionen zur Verfügung, die dem Alter und den Komorbiditäten der Patienten angepasst werden sollten. Die Teilnahme an klinischen Studien ist bei fehlenden Standardtherapien grundsätzlich zu empfehlen. Generell können systemische Chemotherapien zu einem inital guten Ansprechen führen. Im Verlaufe der Behandlung wurden aber Resistenzen und zunehmende Toxizitäten beschrieben.
Häufig werden Kombinationstherapien aus zwei oder drei der folgenden Chemotherapeutika verwendet:
Aufgrund der Toxizität dieser systemischen Therapie und der eingeschränkten Durchführbarkeit insbesondere bei älteren und multimorbiden Patienten können auch mittels metronomer Monochemotherapie längere progressionsfreie Überlebenszeiten erreicht werden (Schlaak et al.
2012).
Bestrahlungen und chirurgische Maßnahmen von kutanen Fernmetastasen sind als palliative Behandlung im Rahmen eines multimodalen Therapiekonzepts abzuklären (Henness und Vereecken
2008). Ebenfalls lassen sich palliative Lokaltherapien wie das Verfahren der Elektrochemotherapie in der Behandlung von kutanen Fernmetastasen einsetzen (Scelsi et al.
2013).
Aufgrund der neuroendokrinen Charakteristika der Merkellzellkarzinome lassen sich die Somatostatinrezeptoren mittels 68-Ga-Dota-markierten Peptiden nachweisen. Auf diesem Prinzip beruhen neue Therapieansätze wie die „peptide receptor radiotherapy
“ (PRRT
). In Einzelfällen konnte durch die Behandlung mit 90-Y-DotaTATE oder 177-Lu-DotaTATE in Kombination mit Capeticabin eine Stabilisierung der Erkrankung erreicht werden (Schmidt et al.
2012).
Besondere Aspekte
Klinische Studien zur Evaluierung von Nachsorgeintervallen für Patienten mit Merkelzellkarzinom liegen nicht vor. Aufgrund der Aggressivität und des hohen Risikos von Lokalrezidiven sind an vielen deutschen Hochschulkliniken Nachsorgeintervalle von sechs Wochen in den ersten zwei Nachsorgejahren etabliert. Die lokregionären Lymphknotenstationen sollten alle drei Monate mittels Lymphknotensonographie kontrolliert werden. Weitere bildgebende Untersuchungen sollten in sechsmonatigen Abständen durchgeführt werden.