Erkrankungen
Eine
akute Hepatitis B kann asymptomatisch verlaufen oder sich nach einer Inkubationszeit von durchschnittlich 60–120 Tagen zunächst durch unspezifische Symptome (z. B. Appetitlosigkeit, Übelkeit, Erbrechen,
Gelenkschmerzen) äußern. In manchen Fällen schließt sich Tage später eine ikterische Phase an, die einige Wochen andauern kann. Der Verlauf einer HBV-Infektion ist insbesondere abhängig von der übertragenen Virusmenge und dem
Immunstatus des Infizierten. Bei immunkompetenten Erwachsenen heilen über 90 % der HBV-Infektionen aus. Unter Immunsuppression oder bei Säuglingen und Kleinkindern mit noch nicht komplett ausgereiftem Immunsystem verläuft die HBV-Infektion in 30–90 % chronisch. Eine chronische Infektion liegt vor, wenn HBs-Ag länger als 6 Monate im Blut nachgewiesen werden kann.
Die chronische Infektion wird je nach klinischem Verlauf weiter unterteilt in:
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Chronische
Hepatitis B (vorliegende Leberzellschädigung)
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Hochvirämischer HBs-Ag-Trägerstatus (ohne Leberzellschädigung, meist bei Mutter-Kind-Übertragung oder bei Infektion Immundefizienter; eine chronische Hepatitis B kann sich ausbilden)
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Niedrigvirämischer HBs-Ag-Trägerstatus (ohne Leberzellschädigung, entzündliche Aktivität kann reaktivieren, besonders unter Immunsuppression)
Aufgrund des häufig asymptomatischen oder nur von unspezifischen Symptomen begleiteten Verlaufs bleibt die HBV-Infektion oft unbemerkt. Bei 2–10 % der chronisch Infizierten entwickelt sich eine
Leberzirrhose verbunden mit dem erhöhten Risiko, in ein Leberzellkarzinom überzugehen. Als extrahepatische Manifestation können Immunkomplexerkrankungen bei Patienten mit sehr hoher Virämie auftreten.
Auch nach Ausheilung einer HBV-Infektion kann das Virus in geringer Menge in den Leberzellen verbleiben. Besonders unter Immunsuppression besteht dann das Risiko einer Reaktivierung. Diese Reaktivierung kann klinisch und serologisch nicht von einer akuten HBV-Infektion unterschieden werden. Da Co- oder Superinfektionen mit HDV großen Einfluss auf den Verlauf der Krankheit haben, sollte bei Patienten mit einer HBV-Infektion immer eine zusätzliche HDV-Infektion (
Hepatitis D-Virus (HDV)) abgeklärt werden.
Laut WHO-Angaben aus dem Jahr 2015 haben ungefähr 3 % der Weltbevölkerung eine chronische HBV-Infektion, ca. 2 Milliarden haben eine aktive oder durchgemachte HBV-Infektion. HBV-Infektionen zählen zu den häufigsten Infektionskrankheiten weltweit. Die
Prävalenz der chronischen HBV-Infektion ist regional unterschiedlich. Regionen mit hoher Prävalenz sind z. B. Teile Afrikas und Ostasiens (bis zu 10 % chronisch Infizierte), auch in der Türkei ist die chronische HBV-Infektion häufig (ca. 7 %). Deutschland gehört zu den Niedrigprävalenzländern. Etwa 0,3 % der Allgemeinbevölkerung haben eine aktive Infektion, ca. 5,1 % sind HBc-Ak positiv, d. h. haben eine aktive oder durchgemachte HBV-Infektion. In Risikogruppen ist die Prävalenz deutlich höher.
Zu den Risikogruppen gehören u. a.:
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Männer, die Sex mit Männern haben (MSM)
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Personen mit häufig wechselndem Sexualpartner und ungeschütztem Verkehr
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Dialysepatienten
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HIV-Infizierte
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Drogenanamnese
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Polytransfundierte
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Personen mit Migrationshintergrund aus Hochprävalenzländern
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Personen mit engem Kontakt zu HBV-Infizierten (Partner, Berufstätige im Gesundheitswesen)
Die Übertragung erfolgt hauptsächlich durch Kontakt mit kontaminiertem Blut, aber auch anderen kontaminierten Körperflüssigkeiten. Häufig dienen minimale Verletzungen der Haut oder Schleimhaut als Eintrittspforte, zudem ist HBV gegen Austrocknung und hohe Temperaturen äußerst stabil. Mögliche Infektionswege sind daher Nutzung der gleichen Applikationsutensilien beim Drogenkonsum,
Nadelstichverletzungen, unhygienisches Arbeiten mit kontaminierten Gegenständen (z. B. beim Tätowieren, Piercen, gemeinsame Nutzung von Nagelscheren in Altersheimen), ungeschützter Geschlechtsverkehr, Bisswunden (z. B. unter Kleinkindern) etc. Die HBV-Übertragung infizierter Mütter auf ihr Kind, die primär perinatal erfolgt, ist weltweit der häufigste Infektionsweg. Zum Ausschluss einer aktiven HBV-Infektion wird daher bei Schwangeren nach der 32. Schwangerschaftswoche die HBs-Ag Bestimmung im Blut durchgeführt. Neugeborene HBs-Ag positiver Mütter erhalten innerhalb der ersten 12 Stunden nach Geburt eine Simultanimpfung gegen
Hepatitis B. Bei hochvirämischen Schwangeren ist auch eine antivirale Therapie während der Schwangerschaft zu erwägen. Die Übertragung von HBV durch
Bluttransfusion konnte durch die verpflichtende Testung von HBs-Ag und HBc-Ak sowie die von den meisten Instituten durchgeführte Testung auf HBV-DNA auf ein Risiko von ca. 1:500.000 gesenkt werden.
Da fast alle akuten HBV-Infektionen ausheilen, wird in der akuten Phase nur bei eingeschränkter Leberfunktion eine Therapie mit Nukleos(t)id-Analoga in Betracht gezogen. Als erstes Nukleos(t)id-Analogon wurde 1999 Lamivudin zur virusstatischen Therapie der chronischen HBV-Infektion zugelassen. Vorher wurde es bereits in der HIV-Therapie eingesetzt. Die Therapieindikation chronisch Erkrankter richtet sich nach der Viruslast (Grenzwert 2000 IU/mL) sowie weiteren Faktoren, wie z. B. Entzündungsaktivität, Fibrosegrad und
Immunstatus. Zunächst sollte eine Therapie mit Interferon-alpha (IFN) in Betracht gezogen werden, da praktisch nur unter IFN eine HBs-Ak-Serokonversion zu erreichen ist, unter Nukleos(t)id-Analoga hauptsächlich HBe-Ak-Serokonversion und Senkung der Viruslast. Dies ist meist nur durch lebenslange Einnahme der Medikamente zu erreichen. Mittel der ersten Wahl bei Nukleos(t)id-Analoga sind derzeit Entecavir und Tenofovir, Resistenzentwicklungen sind möglich.
Als präventive Maßnahme existiert seit 1982 eine aktive Impfung mit HBs-Ag (Totimpfstoff). Diese Impfung wurde 1992 von der WHO für alle Personen empfohlen und schützt auch vor einer Hepatitis-D-Infektion. In Deutschland gehört die Hepatitis-B-Impfung im Rahmen der Sechsfachimpfung bereits im frühen Säuglingsalter zu den von der Ständigen Impfkommission (STIKO) empfohlenen
Impfungen. Für das weitere Vorgehen bei „Low-“ oder „Non-Respondern“, Indikationen für Auffrischimpfungen etc. sei auf die aktuellen STIKO-Empfehlungen verwiesen.