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Von-Willebrand-Faktor

Verfasst von: T. Stief und P. Kiefer
Von-Willebrand-Faktor
Synonym(e)
VWF
Englischer Begriff
von Willebrand factor; vWF
Definition
Hochmolekulares Adhäsionsprotein, das insbesondere die Bindung der Thrombozyten an das Kollagen des Subendothels vermittelt und durch Bindung an den Gerinnungsfaktor VIII (F8) dessen vorzeitigen Abbau verhindert.
Synthese – Verteilung – Abbau – Elimination
Das VWF-Gen ist auf dem kurzen Arm des Chromosoms 12p13 lokalisiert und umspannt 178 kb genomische DNA und 52 Exons. Das primäre Translationsprodukt besteht aus 2813 Aminosäuren. VWF wird in Endothelzellen und in Megakaryozyten synthetisiert. Im endoplasmatischen Retikulum wird vom primären Translationsprodukt ein 22 Aminosäuren langes Signalpeptid abgespalten. Das reife VWF-Monomer – nach Prozessierung des Prä-Propeptides – besteht aus 2050 Aminosäuren und enthält vier zueinander ähnliche Repeat-Sequenzen (N-D1-D2-D’-D3-A1-A2-A3-D4-B1-B2-B3-C1-C2-COOH), wie folgende schematische Darstellung zeigt (modifiziert nach Keeney und Cumming 2001):
Der multimere VWF besteht aus C-terminal dimerisierten Homodimeren (Molmasse VWF-Dimer: ca. 800 kDa), die über N-terminale Disulfidbrücken zu Multimeren (Molmasse bis zu ca. 20 Mio. Da) zusammengesetzt sind. Im Golgi-Apparat werden die N-Glykosylierungen des VWF modifiziert, die C-terminal (über Disulfidbrücken) dimerisierten Formen N-terminal (über Disulfidbrücken) multimerisiert und diese dann in Weibel-Palade-Granula (Endothelzellen) gespeichert und nach Aktivierung der Endothelzelle freigesetzt. In Thrombozyten wird VWF in den α-Granula gespeichert und von dort freigesetzt. Die mittlere Plasmakonzentration beträgt 10 mg/L. Plasma-VWF kann durch Trypsin-ähnliche Proteasen wie Plasmin und Elastase oder insbesondere durch die Metalloprotease ADAMTS-13 abgebaut werden.
Funktion – Pathophysiologie
VWF hat eine zentrale Funktion in der primären Hämostase. VWF vermittelt die Adhäsion von Blutplättchen an das geschädigte Gefäßsubendothel und fördert auch die Adhäsion der Plättchen untereinander. Die adhäsive Funktion des VWF ist besonders ausgeprägt unter hohen Scherkräften, wie sie in den kleinen Gefäßen auftreten. Die Bindung des Plättchenrezeptors GPIb an subendothelial Kollagen-gebundenen konformationsveränderten VWF aktiviertu die Thrombozyten (vWF = Brücke zwischen subendothelialem Kollagen und Thrombozyt). Wenn die lokale Konzentration an VWF hoch ist, bindet VWF auch an den GPIIb-IIIa-Plättchenrezeptor, der physiologischen Bindungsstelle für Fibrinogen. Die VWF-Bindung an GPIb wird auch durch das nicht mehr therapeutisch eingesetzte Antibiotikum Ristocetin (dem Vancomycin verwandt) induziert. ADP, Adrenalin (epinephrin) oder Thrombin stimulieren die Bindung von VWF an den GPIIb-IIIa-Rezeptor. Patienten mit einer reduzierten Größe der Multimere (Typ 2A) haben in der Regel eine höhere Blutungsneigung als Patienten mit einer normalen Verteilung der Multimere aber reduzierter Antigenkonzentration (Typ 1).
Endothelzellen und Plättchen geben ultragroße hochadhäsive VWF-Multimere in die Zirkulation ab. Sie werden dort oder an der Zelloberfläche der Endothelzellen von einer spezifischen Plasmaprotease gespalten, der VWF-cleaving Protease (ADAMTS-13, „a zinc and calcium dependent disintegrin and metalloprotease with thrombospondin type 1 domains“). Ein Mangel an der VWF-cleaving Protease resultiert in unprozessierte sehr hochmolekulare VWF-Multimere im Plasma. Diese ungewöhnlich großen VWF-Multimere können zu einer erhöhten Plättchenaggregation führen mit konsekutiver Thrombosierung von Mikrogefäßen und ischämischer Organschädigung. Bei der vererbten Form der thrombotisch-thrombozytopenischen Purpura (TTP) finden sich Defekte des ADAMTS13-Gens, während bei der erworbenen Form der TTP zirkulierende Autoantikörper die Aktivität der Metalloprotease ADAMTS-13 inhibieren.
Zur Klassifizierung des angeborenen Mangels oder Defekts des VWF (Von-Willebrand-Syndroms) vgl. Tab. 1.
Tab. 1
Klassifizierung des angeborenen Mangels oder Defekts des Von-Willebrand-Faktors (Von-Willebrand-Syndrom, VWS). (Beschreibung nach Keeney und Cumming 2001)
Typ
Defektbeschreibung
Typ 1
1–30:1000 >70 % von VWS
Partieller quantitativer VWF-Defekt. Erbgang typischerweise autosomal dominant mit reduzierter Penetranz und variabler Expressivität des Genotyps. Charakteristisch eine gleichsinnige Minderung des VWF:Ag und der VWF-Aktivität. Verteilung der Multimere ist normal. Vielzahl von Mutationen beschrieben, kein einheitlicher Defekt
Typ 2A
10–15 % von VWS
Qualitativer VWF-Defekt, gekennzeichnet durch den Verlust hochmolekularer Multimere und durch eine VWF:RCo-Aktivität zu VWF:Ag-Relation <0,7. Autosomal dominant, Mutationen im A2-Repeat, verursachen einen gestörten intrazellulären Transport oder beschleunigten Abbau im Plasma
Typ 2B
<5 % von VWS
Qualitativer VWF-Defekt, in der Regel assoziiert mit einer Verminderung der hochmolekularen Multimere. Autosomal dominant vererbt. Agglutination auslösbar mit niedrigen Ristocetin-Konzentrationen. Mutationen im A1-Repeat können in einer erhöhten Bindungsaffinität an GPIb resultieren
Typ 2M
Qualitativer VWF-Defekt, autosomal dominant vererbt, Mutationen und Deletionen im A1-Repeat, Verteilung der Multimere normal
Typ 2N
Qualitativer VWF-Defekt, der zu einer reduzierten Bindung an FVIII führt und damit zum beschleunigten Abbau des zirkulierenden FVIIIs; Erbgang ist autosomal rezessiv
Typ 3
1–5:1.000.000
Klinisch schwerste Form des VWS mit einer deutlich verminderten oder fehlenden VWF-Aktivität und einer hieraus stark verminderten FVIII-Aktivität. Autosomal rezessiver Erbgang, gelegentlich auch homozygotes oder compound heterozygotes VWS Typ 1
Ursachen eines erworbenen Mangels an VWF können Hemmkörper sein, die vWF inhibieren oder einen beschleunigten Abbau des Faktors bewirken können. Ein erworbener Mangel kann auch Folge eines vermehrten Abbaus durch Proteolyse durch Plasmin oder Elastase (Hyperfibrinolyse, Sepsis, Promyelozytenleukämie) sein oder der Verlust an hochmolekularen Multimeren durch hohen Scherstress (z. B. an stenosierten Aortenklappen).
Untersuchungsmaterial – Entnahmebedingungen
Citratplasma.
Präanalytik
Citratplasma (<2 h alt; gelagert bei Raumtemperatur).
Analytik
Mögliche Analysetechniken sind:
Bestimmung des Ristocetinkofaktors (VWF:RCo „VWF-Aktivität“)
Ristocetin begünstigt die Bindung des konformationsveränderten VWF an den GPIb-Rezeptor (z. B. von fixierten normalen) Blutplättchen. Die Rictocetin-vermittelte Thrombozytenagglutination ist insbesondere von dem Vorhandensein der hochmolekularen VWF-Multimere abhängig und Zeigt damit die Aktivität des VWF. Während in quantitativen VWF-Defekten VWF:Ag und VWF:Rco sich parallel verhalten, findet sich bei VWF Typ 2 ein deutlich verminderter VWF:RCo/VWF:Ag-Quotient.
Bestimmung des VWF-Antigens (VWF:Ag)
Die Plasmakonzentrationen des VWF-Antigens können durch immunologische Methoden (EIA oder Partikel-verstärkte Turbidimetrie) gemessen werden.
Bestimmung der Kollagenbindungsaktivität (VWF:CB)
Hierbei wird die Fähigkeit des VWF, an immobilisiertes Kollagen zu binden, mithilfe eines ELISA gemessen. Unter optimierten Bedingungen (Konzentration von VWF zu Kollagen und Typ und Struktur des Kollagens) korreliert die Menge des gebundenen VWF direkt mit der Menge der zur Verfügung stehenden großen VWF-Multimere. Ein erniedrigter Quotient VWF:CB/VWF:Ag gibt dann einen Hinweis auf das Fehlen großer Multimere.
Bestimmung der Verteilung der VWF-Multimere
Das multimere Verteilungsmuster des VWF wird in nicht reduzierenden SDS-Agarosegelen untersucht. Die VWF-Multimere werden entsprechend ihrer Molekülgröße aufgetrennt und z. B. densitometrisch ausgewertet. Die Bestimmung der Multimereverteilung ist die Grundlage der VWS-Klassifizierung. Inkubation von aufgereinigten VWF mit Patientenproben und anschließender Immunblotanalyse kann auch eingesetzt werden, um die ADAMTS-13-Aktivität zu bestimmen.
Bestimmung der FVIII-Bindungskapazität (VWF: FVIIIB)
VWF des Patienten wird hierzu durch Immunadsorption immobilisiert und die Bindungskapazität des VFW für gereinigten FVIII mithilfe eines ELISA oder eines chromogenen Tests gemessen. Der Test ist entscheidend für die Diagnose eines VWS Typ 2N zur Unterscheidung von einer milden Hämophilie A.
Bestimmung der Ristocetin-induzierten Plättchenaggregation (RIPA)
Der Test wird mit Plättchen-reichem Plasma (PRP) des Patienten, wenn möglich zeitnah zur Blutentnahme, durchgeführt. Er dient zur Unterscheidung einer erhöhten oder verminderten Bindung des VWF an den Plättchenrezeptor GPIb (Typ 2B und Platelet-Type-VWS).
Molekulargentische Untersuchungen
Eine molekulargenetische Diagnostik ist insbesondere bei klinisch ausgeprägteren VWS-Typ-2-Varianten zu empfehlen. Da in einem wesentlichen Umfang auch beim VWS Typ 1 Mutationen nachgewiesen werden können, die zu qualitativen Defekten führen, ist zu erwarten, dass molekulargenetische Analysen die Klassifizierung des VWS verändern werden.
Referenzbereich – Erwachsene
Hohe physiologische intraindividuelle Schwankungen (Akute-Phase-Protein): 40–240 %, Individuen mit der Blutgruppe 0 haben eine um 25 % niedrigere Aktivität. Während der Schwangerschaft steigt die VWF-Aktivität kontinuierlich an. Ebenso steigt VWF mit dem Alter an.
Referenzbereich – Kinder
Beim Neugeborenen finden sich hohe Werte, im Mittel um 150 %.
Indikation
  • Diagnose eines angeborenen VWF-Mangels
  • Diagnose eines erworbenen VWF-Mangels
  • Überwachung einer Substitutionstherapie mit VWF-haltigen Konzentraten oder Therapie mit dem Vasopressinanalogon 1-Desamino-8-D-Arginin-Vasopressin (DDAVP, Minirin).
Interpretation
Ein VWS lässt sich mit den herkömmlichen Gruppentests nur sehr bedingt (aPTT) oder gar nicht (Quick-Test) erfassen. Die Verdachtsdiagnose muss sich aus der Klinik ergeben. Die erhebliche intraindividuelle Variation der VWF-Aktivität erschwert eine sichere Beurteilung eines milden VWS (kann in operativen Situationen zu Blutungen führen). Zur sicheren Bewertung eines möglichen VWS sollten Tests zur Antigen- und Aktivitätsbestimmung mit Funktionstests des VWF kombiniert werden. Faktorenkonzentrationen unter 5 % werden in der Regel beim Typ 3 des VWS gefunden.
Diagnostische Wertigkeit
Hereditäre Dysfunktionen des VWF sind die häufigsten kongenitalen Blutungsleiden. Wahrscheinlich wird die Häufigkeit des VWS unterschätzt, weil eine spezifische Diagnostik in den Routinelabors oftmals nicht zur Verfügung steht.
Literatur
Favaloro EJ (2000) Detection of von Willebrand disorder and identification of qualitative von Willebrand factor defects. Am J Clin Pathol 114:608–618CrossRefPubMed
Keeney S, Cumming AM (2001) Themolecularbiology of von Willebrand disease. Clin Lab Haematol 23:209–230CrossRefPubMed