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Orthopädie und Unfallchirurgie
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Publiziert am: 25.12.2021

Morbus Scheuermann

Verfasst von: Fritz Hefti und Carol Hasler
Bei Morbus Scheuermann handelt es sich um Wachstumsstörung der Wirbelsäule mit Verschmälerung der Bandscheiben, Keilwirbelbildung, Deckplatteneinbrüchen und Kyphose im betroffenen Bereich. Die Krankheit kann thorakal, thorakolumbal oder lumbal auftreten. Mechanische, genetische, haltungsbedingte und eventuell auch psychologische Faktoren spielen bei der Ätiologie eine Rolle. Pathogenetisch liegt eine Verminderung der mechanischen Festigkeit des Knorpels des Apophysenrings während des pubertären Wachstumsschubes zugrunde. Durch den hohen Innendruck des Nucleus pulposus der Bandscheiben kommt es zum Durchbrechen von Bandscheibengewebe durch die knorpelige Apophyse in den Wirbelkörper. Im thorakalen Bereich liegt eine zunehmende, fixierte Kyphose und im lumbalen Bereich liegen eher Schmerzen und Flachrücken vor. Typische Veränderungen im Röntgenbild sind Schmorl-Knötchen, Randleistenhernien, Keilwirbel und Bandscheibenverschmälerungen. Langzeitstudien zeigen, dass Patienten mit Morbus Scheuermann ein erhöhtes Risiko für Rückenschmerzen haben und dass die Kyphose auch im Erwachsenenalter weiter zunimmt. Bis zu einem Gesamtkyphosewinkel von 50° ist in der Regel keine Therapie notwendig, bei Fixation oder schwerer Haltungsinsuffizienz eventuell Physiotherapie. Ab einer Kyphose von 50° und erhaltenem Wachstumspotenzial erfolgt Korsettbehandlung. Ab einer Kyphose von 70° ist eventuell eine Operation indiziert.

Definition

Wachstumsstörung der Wirbelsäule mit Verschmälerung der Bandscheiben, Keilwirbelbildung, Deckplatteneinbrüchen und Kyphose im betroffenen Bereich. Die Krankheit kann thorakal, thorakolumbal oder lumbal auftreten.
Synonyme: Adoleszentenkyphose, Kyphosis juvenilis („roundback deformity, Scheuermann’s disease“).

Geschichte

Die Krankheit wurde 1921 durch H. W. Scheuermann erstmals beschrieben (Scheuermann 1921). Im Jahre 1936 prägte derselbe Autor den Ausdruck Kyphosis juvenilis. C. G. Schmorl entdeckte 1930 die für die Krankheit typischen Bandscheibeneinbrüche (Aufdermauer 1981).

Häufigkeit

Die Angaben über die Häufigkeit variieren sehr stark, da nach sehr unterschiedlichen Kriterien beurteilt wird. Je nach vorgegebenem Grenzwert der Kyphose wird eine Häufigkeit von 4–8 % angegeben (Damborg et al. 2006; Tsirikos und Jain 2011) mit einem leichten Überwiegen des männlichen Geschlechts (Damborg et al. 2006). Unserer Erfahrung nach sind Fälle von Morbus Scheuermann mit der Notwendigkeit einer Behandlung viel seltener als therapiebedürftige Skoliosen.

Wachstumsphysiologie

Die postnatale Wirbelsäulenentwicklung ist durch asynchrones Wachstum des Wirbelkörpers und der dorsalen Strukturen, Reifung des neurozentralen Knorpels und des apophysären Ringknorpels, Ausbildung des sagittalen Profils, relative Lageänderung des Rückenmarks und Differenzierung der Fazettengelenke gekennzeichnet. Enchondrales Längenwachstum und periostales, appositionelles Breitenwachstum sind Wirbelsäule und Röhrenknochen gemeinsam. Das Wachstum der metameren humanen Wirbelsäule ist daher hochkomplex, wird es doch durch die dreidimensionale alters- und höhenabhängige Aktivität von insgesamt 96 Wachstumsfugen (48 an den Endplatten, 48 neurozentrale Knorpel) generiert. Bei Geburt ist vom Wirbelkörper nur der ovaläre Knochenkern zu sehen, zusätzlich zeigt sich bilateral in den Laminae je ein Ossifikationskern, der sich in der Folge in 3 Zentren fragmentiert. Die Höhe des Wirbels entspricht zu jener Zeit der Höhe der angrenzenden Diszi. Zwischen dem 2.–5. Lebensjahr gewinnt er an absoluter und relativer Höhe und wird durch weitere Ossifikation auch radiologisch rechteckig.
Die knorpeligen Deck- und Bodenplatten sind zu gleichen Teilen für das enchondrale Längenwachstum der Wirbelkörper zuständig. Bei den häufigsten Wirbelsäulenpathologien im Wachstumsalter, Morbus Scheuermann und Skoliose, gehören sie zu den primär betroffenen Strukturen. Sie grenzen direkt an die Diszi an und sind daher radiologisch nicht abgrenzbar. Histologisch und funktionell entsprechen sie den Epiphysenfugen der langen Röhrenknochen. Fehlende knöcherne Epiphysen unterscheiden humane Wirbel von denen vierbeiniger Säugetiere, bei denen die Wirbel radiologisch wie lange Röhrenknochen aufgebaut sind. Wachstumsbiologisch ähneln auch menschliche Wirbel den Röhrenknochen mit dem Unterschied allerdings, dass die Wirbelkörperepiphyse beim Menschen wie auch bei anthropoiden Affen nie ossifiziert, aber lebenslang als hyaline Grenzschicht (Chondrophyse, Knorpelanlagenrest) zwischen Wirbelkörper und Diskus persistiert. Die Fuge ist infolge ihres keilförmigen, zentrifugalen Wachstums ab dem 5.–10. Lebensjahr vor allem im Bereich der unteren Brustwirbelsäule (BWS) und oberen Lendenwirbelsäule (LWS) durch Furchen im Wirbelkörper verzahnt und dadurch vor Scherkräften geschützt. Trotzdem ist diese Grenzschicht mechanisch der vulnerabelste Teil im Verbund Wirbelkörper-Wachstumszone-Chondrophyse und Diskus. Die Wachstumsfugen schließen in der oberen BWS früher als in der unteren und können, obwohl nach der Pubertät praktisch kein Wachstum mehr stattfindet, bis zum Alter von 25 Jahren nachgewiesen werden.
Der neurozentrale Knorpel befindet sich an der Pedikelbasis am Übergang zum Wirbelkörper und dehnt sich kraniokaudal von Deck- zu Bodenplatte aus. Radiologisch sind neurozentrale Knorpel aufgrund ihrer schrägen Ausrichtung in den Standardprojektionen meist nicht zu erkennen. Der neurozentrale Knorpel kontrolliert das Tiefenwachstum des hinteren Wirbelkörperdrittels und des Wirbelbogens. Seine maximale Aktivität erreicht er mit 5–6 Jahren. Der Fugenschluss beginnt lumbal und hochthorakal und setzt sich gegen mitthorakal fort. Der Rückenmarkskanal als Indikator der Wachstumsaktivität des neurozentralen Knorpels erreicht schon mit 4 Jahren 90 % der Erwachsenenbreite und mit 6 Jahren seine endgültige sagittale Ausdehnung.
Im Bereich der Deck- und Bodenplatten trägt die Wachstumsfuge durch interstitielles Wachstum und Zellteilung zur zirkumferenziellen Zunahme in diesem Bereich bei. Das Breiten- bzw. Dickenwachstum des Wirbelkörpers erfolgt jedoch durch membranöses, periostal appositionelles Anlagern seitlich und an der Vorderwand bis ins Erwachsenenalter.
Die Ringapophyse trägt nicht zum Längenwachstum bei, sondern dient vorwiegend der Verankerung der Randleistenlamelle des diskalen Anulus fibrosus. Die übrigen Bandscheibenfasern strahlen in die zeitlebens knorpelig bleibenden Abschlussplatten ein. Dieses sekundäre Ossifikationszentrum verknöchert über multiple kleine Knochenherde um das 6.–8. Lebensjahr mikroskopisch und ist dann radiologisch nur als Eindellung am oberen und unteren vorderen Wirbelkörperrand zu erkennen. Um das 11.–13. Lebensjahr ist die Ossifikation auch makroskopisch und radiologisch nachweisbar. Sie setzt sich von anterior nach posterior fort und bildet die zunächst spangenartige, später ringförmige knöcherne Randleiste. Diese entspricht entwicklungsgeschichtlich einer rudimentären Epiphyse. Sie ist zunächst durch eine Knorpelfuge, die Randepiphyse, vom Wirbelkörper getrennt. Die Fusion mit dem Wirbelkörper wird ab 14.–15. Lebensjahr beobachtet und kann sich in Abhängigkeit der anatomischen Höhe über mehrere Jahre bis zum 25. Lebensjahr hinziehen.

Ätiologie

Mechanische Faktoren

  • Groß gewachsene Adoleszente
  • Leistungssportler (Leichtathleten, Speerwerfer, Ruderer, Radrennfahrer)
In kyphosierenden Sportarten mit hoher axialer Belastung, wie zum Beispiel beim alpinen Skirennsport, Skispringen und Wasserskispringen, werden radiologische Veränderungen in über 50 % der Aktiven beschrieben (Horne 1987; Rachbauer et al. 2001; Wojtys et al. 2000). Zudem scheint sich das sagittale Profil in Abhängigkeit der Anzahl Trainingsstunden pro Woche zu akzentuieren.
Unter übermäßig großen Mädchen ist der Morbus Scheuermann besonders häufig. In einer Studie wurde bei Scheuermann-Patienten ein verkürztes Sternum gefunden (Fotiadis et al. 2008). Ob dies primär oder sekundär ist, lässt sich nicht mit Sicherheit sagen. Häufig sieht man die Krankheit aber auch im Zusammenhang mit der Trichterbrust, und auch nach Sternumfrakturen kommt es zu fixierten Kyphosen. Die ungenügende ventrale mechanische Abstützung könnte also ein Faktor sein.

Genetische Faktoren

Genetische Faktoren scheinen eine Rolle zu spielen. In einer großen Zwillingsstudie war die paarweise Konkordanz der Krankheit bei monozygoten dreimal so hoch wie bei dizygoten Zwillingen (Damborg et al. 2006; Graat et al. 2002).

Haltung

Im Gegensatz zur Skoliose spielt die Haltung bei der Entstehung des Morbus Scheuermann eine wesentliche Rolle. Eine dauerhafte hyperkyphotische Haltung führt zu einem erhöhten Druck in den ventralen Anteilen der Wirbelsäule und begünstigt die Entstehung eines Morbus Scheuermann.

Psychologische Faktoren

Auch wenn es nur wenige wissenschaftliche Daten gibt, ist es doch eindeutig, dass psychische Faktoren bei der Entstehung eines Morbus Scheuermann eine wichtige Rolle spielen. Häufig sind es Jugendliche, die unter dem Eindruck eines sehr dominierenden Elternteils eine unterwürfige Haltung zeigen, nicht zu widersprechen wagen oder deren Persönlichkeit nur mangelhaft ausgebildet ist, denen es oft an Selbstwertgefühl mangelt, wie wir in einigen Fällen beobachten konnten. Oft sind es auch Patienten, die unbewusst etwas verstecken möchten, zum Beispiel eine Trichter- oder Hühnerbrust (wobei hier – wie oben erwähnt – auch mechanische Faktoren mitspielen; Fotiadis et al. 2008). Einen indirekten Hinweis auf die psychische Problematik (sei sie nun primär oder sekundär) gibt die Tatsache, dass sich das Selbstwertgefühl nach einer aufrichtenden Operation verbessert (Toombs et al. 2018).

Pathogenese

Während Scheuermann selbst annahm, dass die Kyphosis juvenilis eine aseptische Knochennekrose ähnlich wie der Morbus Perthes ist (Scheuermann 1921), kam man bei späteren Untersuchungen (Aufdermauer 1981) zu der Auffassung, dass es sich um eine Schwächung der knorpeligen Ringapophysen der Grund- und Deckplatten der Wirbelkörper handelt. Während des pubertären Wachstumsschubes kann es zur Verminderung der mechanischen Festigkeit dieses Knorpels, ähnlich wie bei der Epiphyseolysis capitis femoris, kommen. Durch den hohen Innendruck des Nucleus pulposus der Bandscheiben ist ein Durchbrechen von Bandscheibengewebe durch die knorpelige Apophyse in den Wirbelkörper möglich, wodurch die Knochenbälkchen lokal verdrängt werden. Diese bilden reaktiv um das Bandscheibengewebe herum einen Sklerosesaum. Auf diese Weise entsteht ein Schmorl-Knötchen bzw. ein Deckplatteneinbruch oder – falls sich das Geschehen am ventralen Rand des Wirbelkörpers abspielt – eine Randleistenhernie. Da das herausgetretene Gewebe das Volumen des Nucleus pulposus vermindert, erscheint die Bandscheibe auf dem Röntgenbild verschmälert.
Das Wachstum des knorpeligen Apophysenrings ist insgesamt durch den ventralen Dauerdruck gestört, sodass eine Atrophie, das heißt eine Höhenverminderung des Wirbelkörpers ventral, und eine Keilwirbelbildung die Folgen sind. Durch die zunehmende Kyphose wird der Druck ventral immer größer, was wiederum das Wachstum hemmt. Durch diesen Circulus vitiosus kommt es zur Progredienz der Kyphose. Die Krankheit kann sich aber auch in einem primär lordotischen Bereich der Wirbelsäule abspielen. Hier ist weniger der Dauerdruck als der intermittierende besonders starke Druck bei gewissen Sportarten (zum Beispiel Rennradfahrer) und die konstitutionelle Schwäche der knorpeligen Apophyse von Bedeutung. Durch das Minderwachstum ventral kommt es auch lumbal schließlich zur Kyphose.

Diagnostik

Klinik

Klinische Manifestationen zeigen sich im Pubertätsalter. Sie sind stark von der Lokalisation der Krankheit abhängig. Thorakale Kyphosen verursachen selten Beschwerden, sie führen jedoch zu einer sichtbaren Deformität. Auf der anderen Seite sind Patienten mit einem thorakolumbalen oder lumbalen Morbus Scheuermann oft auffallend gerade und weisen einen Flachrücken auf. Diese Patienten können schon früh, das heißt schon während der Pubertät, symptomatisch werden.
Bei Jugendlichen mit starken lumbalen Rückenbeschwerden ohne vorhergehendes Trauma muss man stets an einen lumbalen oder thorakolumbalen Morbus Scheuermann denken. Äußerlich sichtbares Zeichen einer lokalen Kyphose im LWS-Bereich ist oft eine Pigmentierung über den Dornfortsätzen.
Bei der Untersuchung ist es wichtig, die Fixation der Kyphose zu beachten. Eine flexible Kyphose ist nicht Ausdruck eines Morbus Scheuermann. Erst wenn die Kyphose bei der Untersuchung nicht mehr auszugleichen ist, weist sie auf einen Morbus Scheuermann hin.
Auffällig ist, dass Patienten mit einem Morbus Scheuermann fast immer einen großen Finger-Boden-Abstand aufgrund einer Verkürzung der ischiokruralen Muskulatur aufweisen. Dies gilt für alle Lokalisationen der Krankheit. Bei der thorakalen Form besteht immer auch eine Verkürzung der Pektoralismuskulatur, klinisch sichtbar als sogenannte Schulterprotraktion, das heißt Verlagerung der Schultern nach vorne.

Bildgebung

Röntgenuntersuchung

Die typischen Röntgenveränderungen sind in Abb. 1 und 2 dargestellt.
Auf dem seitlichen Röntgenbild der BWS bzw. LWS ist zu beobachten:
  • Schmorl-Knötchen
  • Randleistenhernien
  • Keilwirbel
  • Bandscheibenverschmälerungen
Diese Befunde können rein thorakal (Abb. 2), thorakolumbal oder lumbal (Abb. 3) lokalisiert sein. Thorakal sind sie mit einer Hyperkyphose assoziiert, während lumbal initial nur eine Abflachung der Lendenlordose zu beobachten ist; erst in schwereren Fällen tritt eine eigentliche lumbale Kyphose auf. Abb. 4 zeigt die Messung des Gesamtkyphosewinkels und des Winkels an Keilwirbeln.

Magnetresonanztomografie (MRT)

Eine MRT-Untersuchung ist normalerweise nicht notwendig, es sei denn, man indiziert eine operative Therapie (siehe dort).

Diagnosestellung

Schwierig ist manchmal die Abgrenzung zum Normalbefund. Reichen unregelmäßige Deckplatten aus für die Diagnose eines Morbus Scheuermann? Macht ein Schmorl-Knötchen schon einen Morbus Scheuermann aus? Wie viele Keilwirbel mit welchem Winkel sind für die Diagnose notwendig? Die Angaben aus der Literatur sind sehr widersprüchlich.
Man sollte sich an folgende Regel halten:
  • Im thorakalen Bereich entscheiden der Gesamtkyphosewinkel und die Klinik. Die Diagnose eines thorakalen Morbus Scheuermann wird bei einem Gesamtkyphosewinkel von mehr als 50° mit klinischer Fixation der Kyphose unabhängig von den Veränderungen im Röntgenbild gestellt.
Es gibt in der Therapie der Hyperkyphose – im Gegensatz zur idiopathischen Adoleszentenskoliose – keine klaren, verbindlichen, evidenzbasierten Bereiche von Winkelwerten, bei denen eine Korsetttherapie oder operative Therapie angezeigt ist. Krümmungen von >65–70° werden als für eine Korsetttherapie ungeeignet betrachtet, vor allem wenn es sich um rigide Kyphosen handelt. Der untere Grenzwinkel, ab dem eine Korsetttherapie bei noch vorhandener Beweglichkeit, noch genügendem Restwachstum und motiviertem Patienten in Betracht gezogen werden kann, ist 50° (Polly et al. 2019; Tsirikos und Jain 2011). Dies ist auch der Grund, weshalb wir die Diagnose eines Morbus Scheuermann im thorakalen Bereich erst ab diesem Winkel stellen.
  • Im thorakolumbalen und lumbalen Bereich kann die Diagnose schon bei einem Keilwirbel von mehr als 5° oder einem Schmorl-Knötchen bzw. einer Randleistenhernie gestellt werden. Der gemessene Kyphosewinkel spielt für die Diagnosestellung keine Rolle, wohl aber für die Beurteilung der Schwere und die Prognose des Leidens.

Differenzialdiagnose

Manchmal ist es nicht ganz einfach, die durch einen Morbus Scheuermann bedingten Keilwirbel von durch Kompressionsfrakturen verursachten Keilwirbeln abzugrenzen. Folgende Beobachtungen auf dem seitlichen Röntgenbild sprechen für eine Kompressionsfraktur:
  • Unregelmäßigkeiten der Wirbelkörpervorderkante, eventuell vorstehendes Fragment
  • Fehlende Bandscheibenverschmälerung oberhalb des Keilwirbels
  • Glatte Begrenzung der oberen Deckplatte des betroffenen Wirbelkörpers
Natürlich spielt auch die Anamnese eine wesentliche Rolle, wobei beachtet werden sollte, dass Angaben über Traumata bei Jugendlichen sowohl im positiven wie auch im negativen Sinne irreführend sein können. Nicht jeder Jugendliche bezeichnet den Sturz mit dem Moped als „Trauma“, andererseits werden Schmerzen am Rücken gerne mit einer Begebenheit in Zusammenhang gebracht, die gar nicht geeignet war, eine Verletzung hervorzurufen.

Assoziierte Krankheiten

Skoliose

Bei etwa einem Drittel der Patienten mit Morbus Scheuermann besteht auch eine mehr oder weniger starke Skoliose (Tsirikos und Jain 2011). Diese hängt direkt mit dem Morbus Scheuermann zusammen und hat nichts mit einer idiopathischen Skoliose zu tun. Sie entsteht, wenn Keilwirbel sich asymmetrisch ausbilden, also ein lateraler Keil geformt wird. Dieser Mechanismus steht in starkem Gegensatz zum Geschehen bei der Entwicklung einer idiopathischen Skoliose, bei der die Wirbelkörper ventral stärker wachsen als dorsal und sich durch Rotation Platz schaffen, während beim Morbus Scheuermann ventral ein Minderwachstum stattfindet. Entsprechend ist die Scheuermann-Skoliose mit weniger Rotation assoziiert als die idiopathische, meist linkskonvex, von geringem Ausmaß und naturgemäß nicht lordotisch (wie die idiopathische), sondern kyphotisch. Die Prognose der Scheuermann-Skoliose ist relativ gut, schwere seitliche Verkrümmungen bilden sich selten aus.

Spondylolyse

Bei Jugendlichen mit Morbus Scheuermann besteht auch eine erhöhte Inzidenz der Spondylolyse (Lowe und Line 2007). Dies ist vor allem bei der thorakalen Form der Fall, die durch Hyperlordosen der Halbwirbel- und Lendenwirbelsäule kompensiert wird, wodurch der Druck auf die Interartikularportion L5 erhöht wird. Die Spondylolyse hat bekanntlich vorwiegend mechanische Ursachen.

Verlauf, Prognose

  • Fixierte, thorakale Kyphosen von weniger als 50° sind im Erwachsenenalter unproblematisch; es werden nicht häufigere und stärkere Rückenschmerzen als bei Normalpersonen festgestellt. Die äußerlich sichtbare Deformität kann allerdings (vor allem bei Frauen) eine psychologische Beeinträchtigung bedeuten.
  • Bei fixierten, thorakalen Kyphosen von mehr als 50° sind laut Langzeitstudien im Erwachsenenalter häufigere und intensivere Rückenschmerzen zu erwarten als bei Normalpersonen (Ristolainen et al. 2012; Ristolainen et al. 2017). Solche Patienten wählen körperlich weniger anspruchsvolle Berufe. Die Lungenfunktion hingegen wird erst bei sehr schweren Kyphosen beeinträchtigt (Lowe und Line 2007; Tsirikos und Jain 2011). Eine neue Studie aus Helsinki mit einer Nachkontrollzeit von 46 Jahren zeigte, dass das Risiko für Rückenschmerzen bei Patienten mit Morbus Scheuermann erhöht ist, die Krankheit aber nicht zu vermehrten Berufsabsenzen und Invalidität führt und die Lebensqualität auch nicht negativ beeinflusst (Ristolainen et al. 2017). Allerdings kommt es im Laufe der Jahrzehnte zu einer Zunahme der Kyphose (in dieser Studie von durchschnittlich 46° auf 60°).
  • Noch stärkere Progredienz im Erwachsenenalter ist bei Kyphosen von mehr als 70° zu erwarten (Lowe und Line 2007; Ristolainen et al. 2012; Ristolainen et al. 2017; Tsirikos und Jain 2011).
  • Thorakolumbale und lumbale Formen des Morbus Scheuermann sind oft im Jugendalter schon schmerzhaft und haben bezüglich Schmerzen im Erwachsenenalter wegen des Flachrückens bzw. der lumbalen Kyphose eine ungünstige Prognose. Lumbale Kyphosen bewirken eine Verlagerung des Oberkörperschwerpunkts nach ventral, was durch vermehrte Haltearbeit der paravertebralen Muskulatur kompensiert werden muss.

Therapie

Therapeutische Möglichkeiten:
  • Physiotherapie
  • Korsettbehandlung
  • Operation

Physiotherapie

Diese ist nur bei fixierter Kyphose und/oder röntgenologisch vorhandenem Morbus Scheuermann während des pubertären Wachstumsschubes indiziert. Solange die Kyphose flexibel ist und keine Röntgenveränderungen vorhanden sind, handelt es sich nicht um einen Morbus Scheuermann, sondern um eine Haltungsstörung. Haltungsstörungen sind durch Motivation zur sportlichen Tätigkeit besser zu beeinflussen als durch Physiotherapie. Jugendliche haben selten Freude an der Physiotherapie, und es gelingt kaum, regelmäßige tägliche Übungen durchzusetzen. Es ist sinnvoller, den Jugendlichen die Ausübung einer Sportart zu ermöglichen, die ihnen wirklich gefällt. Um welche Sportart es sich handelt, spielt dabei eine untergeordnete Rolle. Bei einer fixierten Kyphose allerdings ist eine aktive aufrichtende Physiotherapie indiziert. Auch bei sehr ausgeprägter Haltungsinsuffizienz kann sie sinnvoll sein.
Ungeeignete Sportarten sind lediglich Rudern, Fahrradfahren mit Rennlenkern und Gewichtheben. Auch Ski- und Wasserskifahren kann sich ungünstig auswirken (Rachbauer et al. 2001), wenn diese Sportarten leistungsmäßig betrieben werden. Je mehr kumulative Trainingszeit, desto akzentuierter das sagittale Profil: Es hängt also nicht nur davon ab, was man macht, sondern viel mehr davon, wie viel man macht (Wojtys et al. 2000).

Korsettbehandlung

Bei einer thorakalen Kyphose von mehr als 50° bei noch nicht abgeschlossenem Wachstum ist eine Korsettbehandlung in Betracht zu ziehen. Im Gegensatz zur Skoliose lässt sich mit der Korsettbehandlung eine Kyphose bei noch genügendem Wachstumspotenzial nicht nur stabilisieren, sondern auch korrigieren (Lowe und Line 2007; Tsirikos und Jain 2011; Wenger und Frick 1999). Es kommt dann auch zur Aufrichtung der Keilwirbel durch kompensatorisches Wachstum der ventralen Anteile (Abb. 5) (Aufdermauer 1981). Bedingung hierfür ist natürlich eine gute Compliance, das heißt, das Korsett muss tatsächlich auch mehr als 18 Stunden pro Tag getragen werden. Erfahrungsgemäß ist dies häufig nicht in genügendem Ausmaß der Fall.
Für den thorakalen Morbus Scheuermann kommen einerseits aufrichtende Korsette mit 3-Punkte-Wirkung infrage (zum Beispiel Gschwend-Korsett), andererseits extendierende Korsette mit einem Halsring, wie zum Beispiel das Milwaukee-Korsett. Wir verwenden in der Regel jedoch das kleinere Becker-Korsett (Abb. 6) und versehen es mit einem Reklinationsbügel. Das Prinzip dieses Becker-Korsetts besteht darin, dass es in maximaler Kyphosierung der lumbalen Wirbelsäule angefertigt wird. Dorsal reicht das Korsett nur bis unter den Beginn der Kyphose. Beim Tragen des Korsetts wird durch die Kyphosierung der lumbalen Wirbelsäule der Schwerpunkt nach vorne verlagert, sodass der Patient seine BWS aktiv aufrichten muss, wenn er nicht nach vorne kippen will. Mit dem Reklinationsbügel kann auch eine zusätzliche passive Aufrichtung erreicht werden (Abb. 7). Neuerdings fertigt man Korsette häufig auch nach einem Scan des Rumpfes computergesteuert an, manchmal auch mit dem 3-D-Drucker.
Resultat der Korsettbehandlung bei guter Compliance ist die Korrektur des Kyphosewinkels am Ende der Behandlung um 30 % mit einem Korrekturverlust nach 2 Jahren um 15 %, das heißt eine definitive Korrektur um 15 % (Abb. 8) (Lowe und Line 2007). Die Compliance ist (wie bei der Skoliose) das größte Problem dieser Behandlung. Da die kyphotische Haltung oft ein Protest ist gegen die Erwachsenen, ist die Eigenmotivation zur Aufrichtung manchmal nicht da. Ab einer Kyphose von 70° ist das Korsett nicht mehr wirksam (Wenger und Frick 1999). Will man eine optimale Compliance, muss ein Gipskorsett angefertigt werden.
Beim thorakolumbalen und beim lumbalen Morbus Scheuermann kann ein lordosierendes 3-Punkte-Korsett angewendet werden. Da die Prognose bei dieser Form der Krankheit in Bezug auf spätere Rückenschmerzen schlecht ist, wenden wir eher ein Gipskorsett an, das im ventralen Durchhang angefertigt wird. Damit kann es im Wachstumsalter gelingen, die lumbale Kyphose wieder in eine Lordose aufzurichten (Abb. 9).
Tragedauer des Korsetts: Es besteht heute weitgehende Übereinstimmung unter den Experten, dass das Korsett bei Kyphosebehandlung bis zum Wachstumsabschluss getragen werden sollte (de Mauroy et al. 2010). Dies dauert in der Regel 2–3 Jahre.
Klinische und radiologische Kontrollen: Bei der Indikationsstellung zur Korsettbehandlung werden anterior-posteriore und seitliche Röntgenbilder der ganzen Wirbelsäule benötigt. Nach Fertigstellung des Korsetts muss dessen Wirkung radiologisch im seitlichen Bild kontrolliert werden. Anschließend folgen alle 3 Monate klinische Kontrollen und halbjährliche Röntgenbilder (nur seitlich) bis zur Korsettentwöhnung.

Operative Therapie

Diese ist beim Morbus Scheuermann nur selten notwendig. Erst wenn eine thorakale Kyphose 70° übersteigt, kann eine Operation in Erwägung gezogen werden. Bei thorakalen Kyphosen wird die Indikation häufig aus kosmetischen Gründen gestellt. Bei sehr starker Kyphose muss diese mit einer massiven Lordose der Halswirbelsäule kompensiert werden, damit der Patient noch geradeaus sehen kann, was zu chronischen Nackenproblemen führen kann. Auch bestehende Rückenbeschwerden können die Indikation beeinflussen (Polly et al. 2019). Die Prognose nach operativer Therapie bezüglich Beschwerden ist relativ gut. Auch das Selbstwertgefühl kann durch eine operative Aufrichtung verbessert werden (Toombs et al. 2018). Bei thorakolumbalen und lumbalen Kyphosen dagegen ist die Indikation eher medizinisch, da bei stärkeren lumbalen Kyphosen meist dauerhafte wesentliche Beschwerden bestehen. Operative Maßnahmen können von dorsal und von ventral durchgeführt werden. Während wir früher oft kombiniert von ventral und dorsal operierten, verwenden wir heute meist ein rein dorsales Verfahren, bei dem wir Keilosteotomien durchführen und auf diese Weise Platz für die dorsale Kompression schaffen. Diese Aufrichtung ist im Allgemeinen ausreichend (Abb. 10) (Horn et al. 2019; Poolman et al. 2002; Riouallon et al. 2018).
Vor der Operation ist eine MRT-Abklärung indiziert. In einer neueren Studie wurde festgestellt, dass in 5 % der Fälle der MRT-Befund einen Einfluss auf das operative Verfahren hatte (zum Beispiel wegen begleitender Diskushernie oder Spondylolyse) (Lonner et al. 2017).
Die Komplikationsmöglichkeiten bei der operativen Behandlung sind ähnlich wie bei der Skolioseoperation. Bei sehr schweren Kyphosen arbeitet die Schwerkraft gegen alle therapeutischen Bemühungen. So kann es nach Aufrichtung einer Kyphose zur Hyperkyphose im oberen oder untere nicht instrumentierten Bereich (kraniale oder kaudale Anschlusskyphose, „junctional kyphosis“) kommen, weshalb die Instrumentierung, wenn möglich, nicht im kyphotischen Bereich aufhören, sondern bis in den Beginn der Lordose reichen sollte.
Über das Risiko von neurologischen Läsionen gibt es keine statistisch verwertbaren Zahlen; die Gefahr dürfte ähnlich groß oder gar größer sein als bei Skoliosen. Kyphosen sind gefährdeter für vaskuläre Rückenmarksschädigungen, andererseits wird nicht distrahiert, sondern komprimiert, das heißt verkürzt. Andere Komplikationsrisiken sind Infektionen, Pseudarthrosen, Stabbrüche und Korrekturverlust.

Zusammenfassung der Therapieempfehlungen

Eine Zusammenfassung der Therapieempfehlungen bei Morbus Scheuermann gibt Tab. 1.
Tab. 1
Therapieempfehlungen bei Morbus Scheuermann
Gesamtkyphosewinkel
Therapieempfehlung
<50°
Physiotherapie (nur bei fixierter Kyphose oder schwerer Haltungsinsuffizienz, sonst keine Therapie)
50–70°
Korsettbehandlung und Physiotherapie, sofern noch genügend Restwachstum
>70°
Evtl. Kyphoseoperation
Lumbaler und thorakolumbaler Morbus Scheuermann
Evtl. Gipskorsett, Operationsindikation bei starker, fixierter lumbaler Kyphose
Literatur
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