Pathophysiologie
Eine Kreislaufumstellung ähnlich wie nach einem
Trauma wird bei systemischer Entzündungsreaktion beobachtet. Dabei ist es für das Reaktionsmuster sekundär, ob tatsächlich eine Infektion (
Sepsis im eigentlichen Sinne) oder lediglich die entsprechende klinische Situation des „systemic inflammatory response syndrome“ (
SIRS)
ohne Nachweis eines Erregers vorliegt. Eine Schlüsselrolle für die Ausprägung des Syndroms spielt die Interaktion von Gefäßendothel, zirkulierenden Zellen und Mediatoren. Zwar sind Permeabilitätserhöhung und Ödembildung, Störung der Vasomotorik und Gerinnungsaktivierung zunächst lokal begrenzt. Über die Verstärkerfunktion verschiedener Mediatoren („Cytokinsturm“) und aktivierter Zellen können diese Phänomene jedoch auch systemisch auftreten und so die Grundlage für sekundäre Organschäden wie Nieren- oder Lungenversagen sein.
Im Vergleich zum Trauma weist die Stressantwort auf
Sepsis/
SIRS eine Besonderheit auf: Die Kreislaufreaktion ist durch eine anhaltende, ausgeprägte Reduktion des peripheren Gefäßwiderstands gekennzeichnet, deren Folge eine therapierefraktäre Hypotension sein kann.
Im Gegensatz dazu ist der pulmonale Gefäßwiderstand meist erhöht, eine Störung der pulmonalen Funktion zählt zu den häufigsten Organmanifestationen der
Sepsis.
Von zahlreichen Untersuchern wird auch eine direkte myokardiale
Funktionseinschränkung in der
Sepsis beschrieben und einem „myocardial depressant
factor“
(MDF) zugeschrieben, der möglicherweise mit Interleukin 6
identisch ist [
21]. Es ist noch nicht klar, ob es sich bei MDF auch um mehrere verschiedene Substanzen handeln könnte. Zusammenhänge mit der Freisetzung von plättchenaktivierendem Faktor (PAF) und Tumornekrosefaktor α (TNF-α)
sowie Angiotensin II
und
Stickstoffmonoxid
sind zwar beschrieben, aber die Konzentrationen der Cytokine korrelieren nicht mit der kardialen Dysfunktion [
15]. Eine lastunabhängige Reduktion der kardialen Funktion lässt sich experimentell durch Infusion von Endotoxin
erzeugen [
27], aber auch mit der sog. Takotsubo
- oder Stressmyopathie gibt es Überschneidungen.
Untersuchungen, wonach der koronare Blutfluss im septischen Schock normal ist und das Myokard aus dem Koronarblut sogar
Laktat aufnimmt, machen eine globale Ischämie als Ursache der Myokarddepression unwahrscheinlich. Zwar könnten Patienten mit anfänglich eingeschränkter kardialer Funktion eine bessere Prognose haben, wie vergleichende Untersuchungen von Gesunden, nichtseptisch kritisch Kranken und Patienten mit septischem Schock zeigen. Die Überlebenden zeigten am Beginn der Intensivtherapie eine signifikant niedrigere links- und rechtsventrikuläre EF und ein niedrigeres Verhältnis von maximalem systolischem Druck zu endsystolischem Volumenindex. Im Verlauf der Behandlung besserten sich diese Parameter bei den Überlebenden deutlich, während sie bei den Gestorbenen unverändert blieben [
20]. Allerdings widerspricht eine größere klinische Untersuchung dieser Hypothese und zeigt durchaus einen negativen Vorhersagewert einer niedrigen Ejektionsfraktion und der Freisetzung von BNP als Marker der globalen myokardialen Schädigung [
28].
Zunehmend wird die Bedeutung der diastolischen Funktion des linken Ventrikels in diesem Zusammenhang untersucht; eine ausgeprägte Störung korreliert mit rechtsventrikulärer Dysfunktion und kennzeichnet eine schlechte Prognose [
14]. Eine Anpassung der diastolischen Funktion des linken Ventrikels an eine erhöhte Vorlast wird als möglicherweise prognostisch positiv diskutiert, ist jedoch nicht bewiesen [
29].
Als Parameter mit bewiesen positivem Vorhersagewert für das Überleben des septischen Schocks finden sich dagegen eine Herzfrequenz <106/min zu Beginn der Intensivtherapie sowie ein Abfall von Herzfrequenz (um 20/min) und Herzindex (um 0,5 l/min/m2) in den ersten 24 h der Behandlung.
Wenn speziell die Lunge im Rahmen der
Sepsis geschädigt ist, hat das eine Erhöhung der rechtsventrikulären Nachlast zur Folge. Bei diesen Patienten kann das Versagen des rechten Ventrikels limitierend für die Kreislaufleistung sein.
Im weiteren Verlauf der
Sepsis scheinen dann Patienten mit einer hyperdynamen Kreislaufsituation
(Herzindex
>4,5 l/min/m
2, O
2-Transportkapazität >600 ml/min/m
2) eine bessere Prognose zu haben. Vergleichende Untersuchungen zeigen jedoch zwei Probleme auf: Erstens gelingt die therapeutische „Einstellung“ des hyperdynamen Kreislaufs nur bei einem Teil der behandelten Patienten, zweitens ist die Kreislaufsituation bei vielen Patienten schon ohne Intervention hyperdynam. In einer großen multizentrischen Studie konnte auch in den Untergruppen, in denen die hämodynamischen Therapieziele erreicht wurden (lediglich 45–67 % der behandelten Patienten!) kein Effekt gesichert werden: Weder ein hoher Herzindex noch eine „normale“ gemischtvenöse O
2-Sättigung (S
vO
2) verbesserten die Überlebensrate der Patienten [
12].
Diagnostik
Neben dem invasiv gemessenen arteriellen Blutdruck ist für die rationale Therapie der peripheren Vasodilatation in der
Sepsis die Messung des HZV mit Berechnung der Gefäßwiderstände sinnvoll. Pulmonalarterienkatheter
, die eine kontinuierliche Messung von HZV und gemischtvenöser O
2-Sättigung (S
vO
2) erlauben, vereinfachen die Bestimmung von Sauerstofftransportkapazität (
\( \dot{\mathrm{D}}{\mathrm{O}}_2 \)) und Sauerstoffverbrauch (
\( \dot{\mathrm{V}}{\mathrm{O}}_2 \)). Mit Hilfe dieser Werte kann die Kreislaufleistung als nicht ausreichend, normal oder hyperdynam klassifiziert werden (Tab.
1).
Tab. 1
Einschätzung der Kreislaufleistung anhand von Herzindex (CI) und O2-Transportkapazität (\( \dot{\mathrm{D}}{\mathrm{O}}_2 \))
CI [l/min/m2] | <2,2 | 2,8–4,2 | >4,5 |
\( \dot{\mathrm{D}}{\mathrm{O}}_2 \) [ml/min/m2] | <400 | 450–600 | >650 |
Wenn der linksventrikuläre Füllungsdruck anhand des pulmonalarteriellen Verschlussdrucks (
PCWP)
überwacht wird, muss der Einfluss des positiven endexspiratorischen Drucks (PEEP)
bedacht werden: Ab einem PEEP von ca. 10mbar kommt es zu einer signifikanten Erhöhung des gemessenen PCWP-Werts über den tatsächlichen linksatrialen Druck hinaus. In diesem Fall korreliert der nach kurzer Diskonnektion der
Beatmung gemessene PCWP jedoch gut mit dem linken Vorhofdruck.
Wegen der hohen Invasivität und des fehlenden prognostischen Vorteils nimmt die Bedeutung des Pulmonaliskatheters ab, und die zentralvenöse O2-Sättigung ist als Zielparameter anstelle der gemischtvenösen untersucht worden. Meist wird ein Wert von 70 % oder höher angestrebt – allerdings ebenfalls ohne klare Vorteile für das Überleben der Patienten.
Zunehmend wichtig ist die regelmäßige
echokardiographische Beurteilung der linksventrikulären Füllung und des Schweregrads der Myokarddepression. Aus dem Gesamtbild aller Befunde ergibt sich, wie die Komponenten der Kreislaufleistung therapeutisch beeinflusst werden müssen und damit die Gewichtung von
Volumentherapie, positiv inotroper und vasopressorischer Medikation.
Therapie
Trotz fehlender Beweise für den Nutzen einer hyperdynamen „Kreislaufeinstellung“ sollten zumindest normale Werte für Herzindex (≥2,5 l/min/m2) arteriellen Mitteldruck (≥70 mmHg) und zentralvenöse O2-Sättigung (≥70 %) angestrebt werden.
Volumentherapie
Durch den gesteigerten Grundumsatz ist der Flüssigkeitserhaltungsbedarf in der
Sepsis um bis zu 40 % erhöht. Zusätzlicher Bedarf entsteht durch die periphere Vasodilatation und die Störung der Kapillarpermeabilität. Diese Erkenntnis hat zum Konzept der „Fluid Resuscitation
“ geführt. In den aktuellen Leitlinien wird entsprechend die Gabe von mindestens 30 ml/kgKG Flüssigkeit innerhalb der ersten sechs Stunden nach der Diagnose Sepsis/
SIRS empfohlen [
9]. Diese Menge wird von vielen Intensivmedizinern allerdings eher als Obergrenze angesehen, da die Lungenfunktion sich mit größeren Infusionsmengen deutlich verschlechtert und es Hinweise gibt, dass sehr hohe Volumina mit einem schlechten Ergebnis verbunden sind.
Für die Flüssigkeitssubstitution werden in allen Leitlinien
kristalloide Lösungen empfohlen, da für die kolloidalen keine Vorteile belegt und Risiken nicht ausgeschlossen sind [
6]. Für beide gilt aber, dass wegen der immer vorhandenen Schädigung der endothelialen Glykokalix ein großer Teil das Gefäßsystem verlässt und zu Ödembildung und damit myokardialer und pulmonaler Funktionseinschränkung führt. Die Transfusion von Blutbestandteilen muss wegen der bekannten Risiken und hoher Kosten ebenfalls restriktiv gehandhabt werden.
Die grundsätzliche Indikation für
Kolloide wird weiterhin kontrovers diskutiert, denn auch neue, umfangreiche Studien zeigen keine Vorteile gegenüber
kristalloiden Lösungen und widerlegen die Sorge um Nachteile für die Nierenfunktion nicht [
18,
22‐
24]. Falls die Kolloide nur kurzfristig zum Ersatz eines akuten Flüssigkeitsdefizits gegeben werden, ist der nachteilige Effekt auf die Nierenfunktion eventuell nicht vorhanden [
1]; die entsprechende klinische Studie ist jedoch methodisch kritisiert worden. Zum Ende des Jahres 2013 hat aber die European Medicines Agency (EMA) aufgrund der zitierten Arbeiten die Empfehlung ausgesprochen, HES-Lösungen bei Patienten mit
Sepsis oder Verbrennungen nicht zu verwenden [
11].
Falls zum akuten Flüssigkeitsersatz beim septischen Patienten in einzelnen Fällen dennoch eine Indikation für
kolloide Lösungen gesehen wird, müssen die Maximalmengen streng beachtet (20 ml/kgKG/Tag für ältere und 30–50 ml/kgKG/Tag für neue Präparate) und isoonkotische, balancierte Lösungen eingesetzt werden (Tab.
2).
Tab. 2
Einfluss kristalloider und kolloider Volumenersatzmittel auf klinische Parameter bei septischen Patienten
Verbesserung der Makrozirkulation | + | + |
Verbesserung der Mikrozirkulation | 0 | +a
|
Ödemneigung | + | (+) |
Beeinträchtigung der Nierenfunktion | 0 | (+)b
|
Reduzierte Gerinnungsfunktion | 0 | (+)c
|
Anaphylaktische/anaphylaktoide Reaktionen | 0 | (+)d
|
Um eine adäquate kardiale Vorlast zu erhalten, ist trotz aller dieser Einschränkungen eine
Volumentherapie über den Erhaltungsbedarf hinaus – unter kontinuierlicher invasiver und möglichst engmaschiger echokardiographischer Therapiekontrolle – unverzichtbar.
Besonderes Augenmerk
muss auf die Funktion des rechten Herzens gelegt werden, da bei der
Sepsis die Bedingungen für den rechten Ventrikel durch Funktionseinschränkung, niedrigen koronaren Perfusionsdruck und hohe Nachlast besonders ungünstig sind.
Pharmakotherapie
Trotz der gesteigerten renalen Perfusion wird ein
akutes Nierenversagen durch Dobutamin allerdings nicht verhindert.
Falls HZV und \( \dot{\mathrm{D}}{\mathrm{O}}_2 \) nach Stabilisierung des Blutdrucks nicht ausreichend hoch sind, ist die Kombination mit einem stärker positiv inotropen Katecholamin sinnvoll. Substanz der Wahl ist wegen der günstigen Ergänzung der Wirkungsspektren Dobutamin im oben angegebenen Dosisbereich.
Dennoch gibt es Hinweise, dass Adrenalin im Gegensatz zur Kombination Dobutamin/Noradrenalin den hepatischen und intestinalen Blutfluss reduziert. Auch eine Reduktion des Anteils der Nierenperfusion am HZV ist beschrieben. Diese Reduktion hatte in einer jüngeren Untersuchung allerdings keinen nachteiligen Effekt auf Kreatininclearance und Urinproduktion [
7].
Adrenalin ist bei septischer Kreislaufinsuffizienz nicht das Katecholamin der 1. Wahl, ein Behandlungsversuch beim therapierefraktären Schock ist jedoch gerechtfertigt.
Die Dosierung von Dopexamin sollte mit 0,5 μg/kgKG/min einschleichend begonnen werden und ist durch Tachykardie und arterielle Hypotension limitiert. Bei
Sepsis/
SIRS ist daher wie für Dobutamin eine Kombination mit Noradrenalin zur Begrenzung der Vasodilatation sinnvoll. Vermutete Vorteile von Dopexamin gegenüber Dobutamin haben sich bisher nicht bestätigt.