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Die Urologie
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Publiziert am: 06.01.2015

Besondere Situationen bei Urolithiasis: Kinder

Verfasst von: Patrick Krombach
Steine bei Kindern sind eine sehr seltene Situation. Metabolische oder anatomische Risikofaktoren bieten in der Regel die Grundlage einer frühen Steinbildung und auch zukünftiger Rezidive. Sowohl die Behandlung dieser Risikofaktoren wie auch eine minimalinvasive Steinbehandlung bilden die beiden Grundpfeiler der Steintherapie bei Kindern. Durch die Entwicklung der Instrumente können heutzutage die gleichen Therapieverfahren eingesetzt werden wie bei Erwachsenen, teilweise sogar mit besseren Ergebnissen (ESWL).

Epidemiologie

Harnsteine bei Kindern werden in der Literatur mit 1–4 % des gesamten Steinkollektivs beschrieben (Daudon et al. 2004, Jungers 1999, Miyake et al. 1998, Braun et al. 2002). Obwohl in den letzten 100 Jahren die Inzidenz im Westen deutlich abgenommen hat, scheinen sich die Fälle in den letzten 10 Jahren, analog zu den Steinerkrankungen bei Erwachsenen, wieder zu häufen (Sarica 2006, VanDervoort et al. 2007).
Die Prävalenz der kindlichen Steinerkrankung wird stark von geographischen und soziokulturellen Umständen beeinflusst. So kann man global 3 verschiedene Steinregionen mit unterschiedlichen epidemiologischen Eigenschaften ausmachen: Entwicklungsländer, Schwellenländer und die westlichen Länder.
In Entwicklungsländern, wie z. B. Pakistan oder Indien, liegt der Anteil an Kindern im Gesamtpatientenkollektiv der Steinträger mit 5–15 % deutlich höher als die 1–4 %, über die in den Industrieländern berichtet wird. Blasensteine, Ammoniumurat- und Harnsäuresteine sind ebenfalls wesentlich häufiger vorzufinden, während jene in westlichen Regionen wie den USA oder Europa bei Kindern eine Seltenheit sind (Rizvi et al. 2002). Der überwiegende Teil der Steine in diesen Ländern liegt im oberen Harntrakt und besteht zumeist aus Kalziumoxalat. Tab. 1 vergleicht die Angaben der Literatur bezüglich der Steinzusammensetzung bei Kindern und Erwachsenen.
Tab. 1
Steinzusammensetzung bei Kindern und Erwachsenen (Krombach 2008)
 
Kinder
Erwachsene
Kalziumoxalat
37–90%
60–90%
Kalziumphosphat
4–31%
4–22%
5–27%
4–20%
2–16%
5–10%
Zystin
0,2–8%
0,5–3%
Die Geschlechtsverteilung männlich : weiblich schwankt zwischen 1–3:1, wobei der Unterschied in endemischen Ländern wie Pakistan oder Tunesien am höchsten ist. Auch hier zeichnet sich jedoch ein deutlicher Trend zum Gleichstand ab. 30–50 % der Kinder haben eine positive Familienanamnese (Stapleton 2002).
Häufig diagnostizierte Risikofaktoren bei Kindern sind vor allem metabolischen Ursprungs, Tab. 2. Es finden sich jedoch ebenfalls anatomische oder infektiöse Ätiologien.
Tab. 2
Identifizierte Risikofaktoren in regionaler Abhängigkeit (Krombach 2008)
 
Entwicklungsländera
Schwellenländerb
Westenc
N
1440
215
661
Metabolisch
25%
25%
44–96%
Anatomisch
12%
7,5–9%
5–37%
Infektiös
27%
33–70%
23–49%
Idiopathisch
55%
25%
4–26%
a Pakistan; b Türkei, Tunesien; c USA, Island, England, N: Anzahl der Patienten in der jeweiligen Gruppe
Bei den metabolischen Risikofaktoren dominiert die Hyperkalzurie und die Hypozitraturie. Die familiär vererbliche idiopathische Hyperkalzurie ist die häufigste Variante der Hyperkalzurie und ist somit für den größten Teil der Steinbildner verantwortlich.
Die Hyperoxalurie ist ein weiterer häufiger Risikofaktor. Der Oxalatpool wird durch die endogene Produktion, die orale Aufnahme mit der Nahrung, die Absorption im Dünndarm und die Ausscheidung über die Niere bestimmt. Außer bei der primären Hyperoxalurie ist die Oxalurie also größtenteils durch die Nahrung bedingt. Bei Kindern unter 10 Jahren ist die Oxalatausscheidung im Vergleich zu Erwachsenen deutlich vermindert.
Harnsäuresteine entstehen bei einem pH <5,5. Diese können auch als Matrix für eine heterogene Kristallisation dienen und zu einem Kalziumoxalatstein führen.
Gründe für eine Hyperurikosurie sind eine purinreiche Ernährung oder myeloproliferative Syndrome und genetische Defekte (Lesh-Nyhan, Glykogenspeichererkrankungen, wie z. B. ein Glukose-6-Phophatase Defizit).
Andere seltenere Risikosituationen sind die Ceftriaxon-Einnahme, das Vorhandensein einer Transplantatniere, die Frühgeburt und die Nephrokalzinose.

Diagnostik

Symptomatik

Das klinische Erscheinungsbild der Urolithiasis im Kindesalter unterscheidet sich von dem der Erwachsenen. Die Häufigkeit folgender Symptome beschreibt die Literatur (VanDervoort et al. 2007, Rizvi et al. 2002, Stapleton 2002, Sternberg et al. 2005):
  • 18–75 % Bauchschmerzen,
  • 15–55 % Makrohämaturie,
  • 75–100 % Mikrohämaturie,
  • 16–70 % Harnwegsinfekt,
  • 13–31 % Dysurie,
  • 12 % Irritabilität,
  • 17 % asymptomatische Urolithiasis.
Je älter das Kind ist, umso wahrscheinlicher wird die klassische Kolik als klinisches Bild.

Bildgebung

Zur schnellen und sicheren Identifizierung hat sich die Computertomographie (CT) in der Diagnostik der Harnsteine durchgesetzt. Im Vergleich zur Ultraschalluntersuchung, der Abdomenleeraufnahme (LA) oder des intravenösen Urogramms (IVU) besteht eine höhere Sensibilität und Spezifizität, Tab. 3. Insbesondere Harnsäuresteine und Zystinsteine, die im konventionellen Röntgenbild gar nicht bis sehr schwer zu erkennen sind, werden mit der CT sowie in der Sonographie gut dargestellt.
Tab. 3
Sensibilität und Spezifität der verschiedenen bildgebenden Verfahren in der Stein- und Ektasieerkennung
 
Ultraschall
LA
IVU
CT
Sensibilität Steinerkennung
12–93%
44–95%
64–95%
90–100%
Sensibilität Ektasieerkennung
70–100%
kA
kA
kA
Spezifizität Steinerkennung
90%
65–90%
92–100%
92–100%
Spezifizität Ektasie
100%
kA
kA
kA
LA: Abdomenleeraufnahme, IVU: intravenöses Urogramm, CT: Computertomographie, kA: keine Angaben
Wichtig
Aufgrund der höheren Strahlensensibilität von Kindern und der wegen der geringeren Körpermasse schwieriger durchzuführenden Low-dose-Protokollen, wird die Indikation zur CT bei Kindern weiterhin sehr streng gestellt.

Therapie

Durch rezidivierende Steinbildung und die damit verbundenen Therapien besteht bei Kindern theoretisch ein deutlich erhöhtes Risiko bleibender Nierenschäden.
Merke
Eine möglichst nierenschonende Steinsanierung und eine wirksame Metaphylaxe sind die Herausforderungen der modernen Steintherapie bei Kindern.

Extrakorporale Stoßwellenlithotripsie

Kurz nach ihrer Einführung 1980 wurde die extrakorporale Stoßwellenlithotripsie (ESWL) auch bei Kindern ab 1986 angewendet. Initiale Bedenken zu möglichen Nierenschäden und dadurch bedingte Nierenentwicklungsstörungen oder Kollateralschäden konnten in multiplen prospektiven Studien wiederlegt werden. Bei Gerinnungsstörungen oder unkontrollierten Harnwegsinfekten sollte die ESWL nicht angewandt werden (Tiselius 2003). Nierensteine bis zu einer Größe von 2 cm können mit ESWL behandelt werden. Auch wenn sie mit einer geringeren Steinfreiheitsrate wie die URS (Ureterorenoskopie), die PCNL (perkutane Nephrolitholapaxie) oder die offen-chirurgische Steinsanierung behaftet ist, ist die ESWL doch speziell bei Kindern wegen ihrer geringen Invasivität und dem seltenen Bedarf an auxiliaren Maßnahmen wie DJ’s (Doppel-J's) oder PCN’s (perkutane Nephrostomie) die Methode der Wahl. Bei Geräten der 3. Generation kann in manchen Fällen auf Vollnarkose verzichtet werden. Aufgrund der kleineren Körpermasse der Kinder wird vermutet, dass geringere Energieverluste bei der Schallwellenübertragung durch den Patienten zu besseren Ergebnissen führen als bei Erwachsenen (Muslumanoglu et al. 2003). Restfragmente werden nach einer ESWL bei Kindern besser ausgeschieden als bei Erwachsenen (Gofrit et al. 2001). Bei Steinen unter 10 mm werden Steinfreiheitsraten nach nur einer Sitzung von 100 % berichtet (Landau et al. 2001, Tab. 4).
Tab. 4
Behandlungsmöglichkeiten von Harnsteinen bei Kindern mit ihren jeweiligen Steinfreiheitsraten (ohne spontanabgangsfähige Restkonkremente) bezogen auf Steingröße, Komplikationen und auxiliare Maßnahmen (andere Therapie, DJ; Krombach 2008)
 
N
Steingröße
SFR
Komplikationen
Auxiliare Maßnahmen
ESWL
1563
1–40 mm
51,6–97,4%
0–7% Harnwegsinfekt
0–0,8% perirenales Hämatom
0–0,8% DD-Hämatom
0–17,4% Steinstraßen
0–19% Koliken
7–54%
URS
76
3–40 mm
100%
0–3% Perforation
0–8% Mukosaverletzungen
0–4,5% HWI/Sepsis
63–100%
PCNL
161
1–45 mm
75–100%
0–5% Perforation
0–24% Transfusion
0–25% Hypothermie
0–30% Fieber
0–4% Steinstraße
0–1,6% Darmverletzung
0–5% Konversion auf offene Chirurgie
0–33%
N: Anzahl Kinderpatienten in den diversen Studien, SFR: Steinfreiheitsrate, DD: Dünndarm, DJ: Doppel-J

Ureterorenoskopie

Die Ureterorenoskopie (URS) setzt sich in den letzten Jahren in der pädiatrischen Steintherapie vermehrt durch, nicht zuletzt wegen der Entwicklung immer kleinerer Instrumente und des Holmium-YAG(Yttrium-Aluminium-Garnet)-Lasers. Der Vorteil der URS ist ihre hohe Steinfreiheitsrate nach nur einem Eingriff, vor allem für Steine unter 10 mm. Als Nachteile gelten die höhere Invasivität mit potenziell schwereren Komplikationen, die in jedem Fall dafür notwendige Narkose und die zahlreichen Auxiliarmaßnahmen, wie die Entfernung eines DJ's, die bei Kindern auch einer Allgemeinnarkose bedarf (Tab. 4).

Perkutane Nephrolitholapaxie

Die perkutane Nephrolitholapaxie (PCNL) hat aufgrund eines speziell für sie entwickelten Instrumentariums seit ihrer Einführung in der Kinderurologie 1985 gute Ergebnisse gezeigt (Woodside et al. 1985).
Der Vorteil der PCNL ist die Möglichkeit mit einem Eingriff auch große Steine weitgehend komplikationslos vollständig aus der Niere entfernen zu können. Bei Restfragmenten werden durch Kombinationstherapien mit ESWL Steinfreiheitsraten von 92–100 % erreicht. Die Komplikationsrate ist in geübten Händen gering (Lahme 2006, Tab. 4).
Cave
Aufgrund potenziell möglicher schwerer Komplikationen wie Pleura- bzw. Kolonverletzungen oder intraoperativen Blutungen sollte die PCNL bei Kindern nur in spezialisierten Zentren durchgeführt werden.

Offene Lithotomie

Die Einführung der ESWL, URS und der PCNL haben die offene Steinsanierung nahezu vollständig ersetzt. In nur 1–5,4 % der Fälle werden Steine offen operiert (Paik et al. 1998). Auf westliche Länder bezogen bewegt sich diese Zahl zwischen 1–2 % (Alivizatos und Skolarikos 2006). Bei großen peripheren Steinmassen, gleichzeitig kongenital obstruiertem Harnwegsystem oder fehlgeschlagener ESWL, URS bzw. PCNL stellt die offene Chirurgie eine Alternative dar (Paik et al. 1998). Daneben bleibt bei schweren knöchernen Malformationen, die einen perkutanen Zugang nicht erlauben oder bei gleichzeitig durchzuführender Nierenteilresektion die Chirurgie als einziges Mittel der Wahl (Tiselius et al. 2007, Cohen et al. 1996, Tab. 4).

Spontanabgang

Kleinere Harnleitersteine von 3–4 mm haben eine fast 65%ige Chance in 3-4 Tagen von alleine abzugehen (Pietrow et al. 2002). Über eine Therapie mit Alpha-Blockern gibt es bei Kindern keine Daten.

Steinmetaphylaxe

Nach Steinabgang ist bei Kindern eine metabolische Abklärung sowie eine Metaphylaxe zur Verhinderung eines Rezidivs unverzichtbar. Parallel zu den Erwachsenen gibt es hier allgemeine, diätische sowie medikamentöse Möglichkeiten. Allgemeine Maßnahmen sind erhöhte Flüssigkeitszufuhr und die Normalisierung des BMI (Body-Mass-Index).

Zusammenfassung

  • Seltene Erkrankung mit zuletzt steigender Inzidenz.
  • Häufig metabolische, anatomische oder infektiöse Risikofaktoren.
  • Unspezifische klinische Symptome.
  • Bildgebende Verfahren zur Diagnosesicherung, möglichst wenig Strahlenbelastung.
  • Minimalinvasive Therapien.
  • ESWL Therapie der Wahl.
  • URS und PCNL bieten alternativ gute Resultate bei geringer Invasivität, häufig jedoch auxiliare Maßnahmen.
Literatur
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