Geografie
Die wesentlichen Ursachen für geografische Variationen sind unterschiedliche Ernährungsgewohnheiten und persönliche Verhaltensweisen. Andere Faktoren sind Klima, Umwelt, Ethnizität und Heredität. Migranten behalten das erhöhte Steinerkrankungsrisiko ihrer Herkunftsländer auch in der neuen Umgebung bei.
In Nordamerika, Europa und Asien werden
Prävalenzen von 7–13 %, 5–9 % und 1–5 % angegeben In wirtschaftlich hoch entwickelten Ländern finden wir für das Harnsteinleiden Prävalenzraten zwischen 4 und 20 %. In diesen Regionen ist die Urolithiasis hauptsächlich ein Nieren- und Harnleitersteinleiden.
Eine Ernährung reich an tierischem Eiweiß und Fett, aber arm an Ballaststoffen wird als wesentlicher Risikofaktor angesehen.
Diese Ansicht steht in Einklang mit der Tatsache, dass
Adipositas ebenfalls ein Risikofaktor für das Harnsteinleiden ist. Bis vor 150–100 Jahren war auch in den sogenannten Industrieländern die Urolithiasis
vor allem ein Harnblasensteinleiden. Die Verschiebung vom Blasen- zum Nieren-/Harnleitersteinleiden ging einher mit einer Verschiebung vom Infekt- (Apatit-Struvit) zum Kalziumoxalat-/Kalziumphosphatstein. Ursache waren die veränderten sozioökonomischen Bedingungen und die damit verbundenen Änderungen in den Lebens- und Ernährungsgewohnheiten. Auch noch während der letzten Jahre haben
Prävalenz und Inzidenz des Harnsteinleidens in diesen Ländern weiter zugenommen (Tab.
1).
Tab. 1
Epidemiologie der Harnsteine in Deutschland 1979 und 2000 (Hesse et al.
2003)
Inzidenz | 0,54 % | 1,47 % |
Rezidiv | 0,42 % | 0,75 % |
Prävalenz | 4,0 % | 4,7 % |
Prävalenz <20. Lebensjahr | 1,1 % | 0,7 % |
In einigen Ländern hat das Alter der Erstmanifestation der Steinerkrankung abgenommen. Diese Veränderung konnte aber nicht in allen Industrieländern beobachtet werden. Auch in unserem Krankengut waren in den letzten Jahren nur 3 % aller Erststeinbildner jünger als 20 Jahre. In den vergangenen beiden Dekaden entwickelten viele Schwellenländer ein ähnliches Muster des Harnsteinleidens, hauptsächlich als Folge verbesserter sozioökonomischer Bedingungen mit Übernahme westlicher Ernährungsgewohnheiten. In den Entwicklungsländern finden wir häufig noch die endemische kindliche Harnblasensteinbildung wie im Europa des 18. und 19. Jahrhunderts. Dieses Verteilungsmuster ist auf vorzeitiges Absetzen der Ernährung mit Muttermilch und eine Mangelernährung in den ersten Lebensjahren zurückzuführen.
Laut Asper sind zusammenfassend folgende Charakteristika des Steinleidens typisch für eine hoch entwickelte Population (Asper
1984):
-
häufigstes Vorkommen bei Erwachsenen,
-
weniger als 10 % Harnblasensteine,
-
mehr als 25 % weibliche Patienten,
-
mehr als 60 % Kalziumoxalat- und weniger als 20 % Harnsäure-/Uratsteine.
Für Entwicklungsländer sind die genannten Charakteristika gerade anders herum. Schwellenländer liegen dazwischen.
Persönliche Verhaltensweisen spielen ebenfalls eine wichtige Rolle: Stress erhöht das Risiko, an einem Harnstein zu erkranken.
Auch das
Klima beeinflusst die Häufigkeit der Harnsteinerkrankung: In Folge eines starken Flüssigkeitsverlustes über die Haut steigt die Übersättigung des
Urins mit steinbildenden Substanzen und konsequenterweise das Risiko der Harnsteinbildung. Auch der Urin-pH-Wert sinkt mit steigender Temperatur. Diese Zusammenhänge dürften auch der Grund für saisonale Schwankungen der Harnsteinbildung in Ländern mit gemäßigtem Klima sein. Durch die globale Erderwärmung ist in den nächsten Jahrzehnten mit einer weiteren Zunahme des Harnsteinleidens zu rechnen.
Ein wichtiger
Umweltfaktor ist die Zusammensetzung des Trinkwassers. Widersprüchlich sind die Aussagen über den Einfluss des Härtegrades des Trinkwassers. Niedrige Quotienten für Kalzium,
Strontium,
Magnesium : Strontium und Magnesium : Kalzium werden in Zusammenhang mit einem erhöhten Steinbildungsrisiko gebracht.
Die
Ethnizität spielt ebenfalls eine bedeutende Rolle. Verschiedene Studien zeigen, dass Steine bei farbigen Afrikanern selten auftreten. Dafür sind nicht nur Ernährungsgewohnheiten verantwortlich. Farbige Afrikaner haben auch einen anderen Kalzium- und Oxalatstoffwechsel als weiße Afrikaner. Außerdem besitzen verschiedene inhibitorische Urinproteine wie
Tamm-Horsfall-Protein und
Albumin bei farbigen ein höheres inhibitorisches Potenzial als bei weißen Afrikanern.
Die Heredität ist ein wichtiger Faktor bei einigen seltenen Harnsteinarten (z. B. Zystinurie, primäre Hyperoxalurie). Für die häufigste Steinart, den Kalziumoxalatstein, konnte eine hereditäre Transmission bisher nicht gezeigt werden. Die hier beschriebene familiäre Prädisposition ist eher auf gleichartige Lebens- und Ernährungsgewohnheiten zurückzuführen.
Steinzusammensetzung
Die wichtigsten Harnsteinarten
zeigt Tab.
2.
Tab. 2
Wichtigste Harnsteinarten
Kalziumoxalate | Kalziumoxalatdihydrat | |
| Kalziumoxalatmonohydrat | |
| Harnsäure | Uricit |
| Harnsäuredihydrat | |
| Ammoniumurat | |
| Kalziumphosphat | Brushit |
| Kalziumphosphat | Karbonatapatit |
| Kalziumphosphat | Hydroxylapatit |
| Magnesiumammoniumphosphat | |
Zystin | Zystin | |
| Xanthin | |
2,8-Dihydroxyadenin | 2,8-Dihydroxyadenin | |
Indinavir | Indinavir | |
Melamin | Melamin | |
Sulfonamide | Sulfonamide | |
In den Industrieländern besteht die Mehrzahl der Harnsteine aus Kalziumoxalat
und Kalziumphosphat
. Sie machen 70–90 % aller Steine aus. Andere Komponenten wie
Harnsäure,
Struvit und Zystin sind weniger häufig anzutreffen. Aus verschiedenen Gründen (Ernährung, Genetik) findet man in bestimmten Regionen aber deutlich häufiger Harnsäuresteine (Tab.
3).
Tab. 3
Häufigkeit verschiedener Steinarten in Deutschland und unterschiedliche regionale Verteilung in Oberfranken
Kalziumoxalat | 70–80 | 50–70 |
Kalziumphosphat | 10–30 | 10–20 |
Infekt | 5–10 | 5–10 |
Harnsäure | 5–15 | 20–25 |
Kalziumoxalat | 70–80 | 50–70 |
Zystin | <1 | <1 |
Xanthin- und 2,8-Dihydroxyadeninsteine sowie Konkremente aus Medikamenten (Indinavir, Melamin, Sulfonamide) sind Raritäten.
Die endemischen
kindlichen Harnblasensteine in den Entwicklungsländern bestehen hauptsächlich aus
Struvit.
Die Steinzusammensetzung ist der wesentliche prognostische Faktor im Hinblick auf den natürlichen Verlauf der Steinerkrankung und die Rezidivrate.
Kalziumsteine
Kalziumhaltige Steine
(
Weddellit,
Whewellit, Apatite und Brushit) sind die häufigsten Steine (70–90 % aller Steine). Das Verhältnis Männer : Frauen beträgt etwa 1,2–2:1. Für Weddellit, Whewellit und Apatit wird die durchschnittliche Rezidivrate mit 30–4 % angegeben. Darüber hinaus sind innerhalb der Whewellit- und Apatitsteine abhängig vom morphologischen Typ unterschiedliche Rezidivraten bekannt.
Die Steinfrequenz beträgt ohne Metaphylaxe 0,10–0,15 Steine/Patient/Jahr. Für Brushit ist mit einer Rezidivrate von rund 65 % zu rechnen.
Die Rezidivrate erhöht sich mit der Beobachtungszeit, allerdings nicht linear. Während der ersten 4 Jahre nach der Erstmanifestation ist das Rezidivrisiko am höchsten. Der Anteil der rezidivfreien Patienten nach 1, 2, 3, 4, 5 und 10 Jahren beträgt rund 90 %, 80 %, 70 %, 60 %, 55 % und 40 %. Mehr als 50 % aller rezidivierenden Steinbildner erleiden nur ein Rezidiv in ihrem Leben. Nur 10 % aller rezidivierenden Steinpatienten erleben mehr als 3 Rezidive.
Die extrakorporale Stoßwellenlithotripsie erhöht das Rezidivrisiko und das Wachstum von Restfragmenten.
Andere Risikofaktoren für das Rezidiv sind männliches Geschlecht, multiple Steine, untere Kelchsteine, frühe Erststeinepisode, familiäre Belastung und Komplikationen bei der Steinentfernung. Die metabolische Abklärung ist kein guter Prädiktor für das Rezidivrisiko nach einer ersten Steinepisode bei Kalziumsteinbildnern. In Anbetracht dieser Zusammenhänge ist es sinnvoll, spezielle Metaphylaxemaßnahmen auf rezidivierende Kalziumsteinbildner zu beschränken (Ausnahme Brushitsteine). Hier senken metaphylaktische Maßnahmen (Diät, Medikamente) die Rezidivrate definitiv auf 5–10 %.
Harnsäuresteine
Rund 5–15 % aller Steine sind Harnsäuresteine
, in manchen Regionen wie beispielsweise in Oberfranken aber auch bis zu 25(–75) %. In der geriatrischen ist die Inzidenz höher als in der allgemeinen Population, insbesondere bei Frauen steigt die Inzidenz nach der Menopause. Bei Männern haben Harnsäuresteine eine wesentlich höhere
Prävalenz als bei Frauen (bis 11:1). Es liegen nur wenige Daten zum natürlichen Verlauf der Harnsäuresteinerkrankung vor. In der Literatur werden Rezidivraten zwischen 20 % in der allgemeinen bis zu 100 % in hoch selektionierten Populationen berichtet. Eine spezielle Metaphylaxe kann die Rezidivraten auf praktisch 0 % senken.
Struvitsteine
Die Struvitsteinbildung
wird durch
Harnwegsinfektionen mit ureasebildenden
Bakterien hervorgerufen. Struvitsteine kommen bei Frauen häufiger als bei Männern vor, ebenso bei Kindern und älteren Menschen.
Struvit als Hauptbestandteil findet man bei 5–15 % aller Steine. Struvit kann rasch innerhalb einiger Wochen wachsen. Im Falle von Restfragmenten nach Steintherapie und/oder persistierenden Harnwegsinfektionen ist die Rezidivrate mit bis zu 70 % außerordentlich hoch. Struvitsteinpatienten haben ein hohes Risiko für eine Verschlechterung der Nierenfunktion. Die adäquate Metaphylaxe (d. h. komplette Steinsanierung mit Entfernung sämtlicher Fragmente, konsequente antibiotische Therapie) kann die Rezidivrate auf rund 10 % senken.
Zystinsteine
Nur maximal 1–2 % aller Harnsteine bestehen aus Zystin. Zystinsteine
bilden sich bei Patienten mit Zystinurie, einem autosomal-rezessiv vererbten Defekt des Aminosäurentransports im Nierentubulus. Zystinsteine trifft man häufiger bei Frauen als bei Männern an. Die Rezidivrate ist außerordentlich hoch (bis zu 90–100 %). Da die Metaphylaxemaßnahmen nur schwer zu befolgen sind (z. B. extrem hohe Trinkmenge >3,5 l/Tag, nächtliches Trinken erforderlich, hohe Dosis Alkalizitrat) und daher nicht ausreichend akzeptiert werden, die
Compliance damit gering ist, sind die Ergebnisse der Metaphylaxe beim Zystinsteinleiden deutlich schlechter als bei anderen Steinarten. Selbst bei Patienten, die sich im Wesentlichen an die Vorgaben halten, beträgt die Steinfrequenz rund 0,2/Patient/Jahr. Daher haben Zystinsteinpatienten ein deutlich höheres Risiko für eine
Niereninsuffizienz als Kalziumoxalatsteinbildner.