Generell gelten komplementärmedizinische Verfahren, was Infektionen betrifft, als risikoarm. Kontrollierte Studien oder systematische Übersichtsarbeiten über die Häufigkeit von Infektionen bei komplementärmedizinischen Therapieverfahren liegen nur sehr vereinzelt, zum Beispiel zur Akupunktur und Moxibustion (Wärmebehandlung bei Akupunktur), vor. Die Einschätzung einer potenziellen Infektionsgefahr stützt sich zumeist auf Kohortenstudien, Fallberichte und theoretische Überlegungen. Grundsätzlich gelten die in Kap.
Basishygienemaßnahmen im Krankenhaus vorgestellten allgemeinen
Hygienemaßnahmen. Lediglich bei einigen speziellen komplementärmedizinischen Verfahren sind besondere präventive Maßnahmen zu beachten. Komplementärmedizinische Therapieverfahren sind aus hygienischer Sicht risikoarme Verfahren, wenn die allgemeinen Hygienemaßnahmen beachtet werden.
Hygienemaßnahmen bei speziellen Therapieverfahren
Akupunktur und traditionelle chinesische Medizin (TCM)
Akupunktur kann insgesamt als sehr sicheres Verfahren gelten. Bei fast 100.000 Patienten mit ca. 760.000 Behandlungen wurden keine Infektionen gefunden (Melchart et al.
2004).
Wenn hygienische Standardmaßnahmen nicht beachtet werden und beispielsweise keine sterilen Einmalnadeln verwendet wurden, kann es allerdings zu Infektionen, insbesondere zur Übertragung von Hepatitis (B, C), aber auch
Mycobacterium abscessus kommen (Gnatta et al.
2013; Chung et al.
2003; Yamashita et al.
2001; Walsh et al.
1999). Die Verwendung steriler Einmalnadeln muss deshalb strikt gefordert werden (Board of Science and Education of the British Medical Association
2000). Bei Verwendung steriler Einmalnadeln ist aus juristischer Sicht das Verfallsdatum zu beachten.
Generell sollte der Arzt vor der Therapie eine hygienische Händedesinfektion durchführen. Hautläsionen an den Händen des Arztes sollten wasserdicht verbunden werden. Eine Hepatitis-B-Impfung wird für alle Akupunkteure empfohlen (Walsh
2001).
Akupunkturnadeln sind keine Hohlnadeln. Somit ist die Gefahr einer Verschleppung von Mikroorganismen in tiefe Gewebsschichten gering. Eine Desinfektion der Haut des Patienten ist nicht zwingend notwendig bzw. nur, wenn die Nadel in Bereiche besonderer Gefährdung eingestochen wird (wie z. B. Gelenke oder bei der Ohrakupunktur). Die Haut sollte sauber und an der Injektionsstelle nicht infiziert sein.
Obwohl bei der Akupunktur nur mit dem Austreten einer geringen Blutmenge gerechnet werden muss, wird das Tragen von Handschuhen aus präventiver Sicht, besonders beim Entfernen der Nadeln, empfohlen.
Bei der Moxibustion
, ein in der traditionellen chinesischen Medizin (TCM) häufig angewendetes punktuelles Erwärmungsverfahren, werden Beifußkraut-(Moxa-)Kügelchen in unmittelbarer Hautnähe abgebrannt. Hierbei kann es, wenn glühendes Kraut auf die Haut fällt oder das Abbrennen zu nahe an der Haut erfolgt, zu Verbrennungen und konsekutiven Hautinfektionen kommen (Xu et al.
2014). Wichtigste Präventivmaßnahme ist, dass Patienten während dieser Prozedur nicht allein gelassen werden.
Neuraltherapie
Hier gelten die allgemeinen Richtlinien für Injektionen. Generell sollte der Arzt vor der Therapie eine Händedesinfektion durchführen und Handschuhe tragen. Zu beachten ist auch, dass das Lokalanästhetikum unter sterilen Bedingungen in die Spritze aufgezogen werden muss. Beim Patienten ist generell eine sorgfältige Desinfektion der Haut zu fordern (30 s), je nach Lokalisation (Gelenke, Periduralraum, Ganglien) auch länger (3 min). Insgesamt sind bei diesem Verfahren nur sehr wenige therapieassoziierte Infektionen bekannt geworden, bei denen dann hygienische Standardmaßnahmen nicht beachtet worden waren. Die niedrige Infektionsrate führen die Anwender der Neuraltherapie auf eine antibakterielle Wirkung des meist verwendeten Procains zurück (Dosch
1986).
Eigenbluttherapie
Hier sind die allgemeingültigen Regeln für intramuskuläre Injektionen zu beachten, d. h Händedesinfektion und Tragen von Handschuhen für den Arzt und Hautdesinfektion beim Patienten.
Besondere Anforderungen sind an alle Geräte zu stellen, mit denen das Blut vor der Reinjektion behandelt wird, wie zum Beispiel Ozongeräte. Sämtliche Geräte bzw. deren Teile, die Blutkontakt haben, müssen sterilisiert werden oder sterile Einmalgeräte sein.
Mehrere Fälle von
Hepatitis C, darunter auch eine Koinfektion mit
HIV, sind nach Therapien mit durch Ozon angereichertem Blut bekannt, wobei hier die Spritze, mit der das Ozon in das Blutgefäß gespritzt wurde, nicht immer zwischen 2 Patienten gewechselt wurde (Daschner
1997; Gabriel et al.
1996).
Homöopathisch aufbereitetes Eigenblut sollte nur noch Spuren bzw. gar kein Blut mehr enthalten, ausgeschlossen werden kann dies aber besonders bei der häufig verwandten Einglasmethode nicht. Es ist von daher sicherzustellen, dass das Eigenblut auch nur von dem Patienten selbst eingenommen wird. Eine Lagerung ist unproblematisch, wenn der Alkoholgehalt der Lösung über 40 % beträgt.
Misteltherapie
Die subkutane Injektion der Mistelpräparate kann, wie bei Diabetikern gebräuchlich, ohne besondere Desinfektion der Haut erfolgen. Da zumindest theoretisch ein Infektionsrisiko durch Desinfektion der Haut weiter vermindert werden kann, wird eine Hautdesinfektion (30 s) jedoch allgemein und insbesondere bei Immunsupprimierten und Krebskranken empfohlen.
Homöopathie
In der Homöopathie ist das Phänomen einer „Erstverschlimmerung“ der Beschwerden bekannt, das auch Infektionen betreffen kann. Aus der regulären Literatur sind keine Infektionen bekannt, die auf den oralen Gebrauch homöopathischer Medikamente zurückzuführen sind. Sobald homöopathische Medikamente gespritzt werden, gelten die allgemeinen Verhaltensregeln für Injektionen (Kap.
Basishygienemaßnahmen im Krankenhaus).
Heilpflanzen
Heilpflanzen können bei unsachgemäßer Lagerung mit
Bakterien, aber vor allem auch Pilzen bewachsen sein. Insbesondere dem Vorkommen von Aflatoxinen muss Beachtung geschenkt werden. Eine sachgerechte, d. h insbesondere trockene Lagerung der Heilpflanzen und ein Bezug aus hygienisch einwandfreien Quellen sind daher zu fordern. Bei Bezug über deutsche Apotheken kann davon ausgegangen werden, dass eine Kontamination ausgeschlossen ist, da die Chargen entsprechend getestet wurden. Unsicher ist dagegen der Bezug über das Internet, aus dem Ausland oder auf Märkten.
Mikrobiologische Präparate
Infektionen nach Anwendung oraler mikrobiologischer Präparate sind selten (Borriello et al.
2003). In Einzelfällen wurde über Diarrhö durch
Bacillus cereus berichtet (Kniehl et al.
2003). Infektionen nach Gabe von Milchsäurebakterien (Laktobazillen) oder
Saccharomyces boulardii sind bei kritisch Kranken (z. B. im AIDS-Endstadium) beschrieben worden (Lherm et al.
2002). Diese Präparate werden bei
HIV-Infektionen eingesetzt, um Candidainfektionen oder Diarrhöen zu behandeln. Bei nicht kritisch Kranken kann die Therapie als sicher gelten (Wolf et al.
1998).
Physikalische Therapie
Beim Saunieren
und in Badeanstalten
jeder Art kann es gehäuft zum Auftreten von Fußpilz kommen (Lundell
1974). Vorbeugemaßnahmen bestehen in gründlichem Abtrocknen der Zehen und Zehenzwischenräume sowie dem Verzicht auf den Besuch von Badeanstalten durch Betroffene. Da Saunen insbesondere in Asien zum Teil als Treffpunkte für sexuelle Kontakte genutzt werden, kommt es hier gehäuft zur Übertragung von Geschlechtskrankheiten und
HIV (Lau et al.
2013). Ansonsten ist bei der physikalischen Therapie die Gefahr von Infektionen sowohl innerhalb als auch außerhalb des Krankenhauses für Patienten wie Therapeuten gering (Näheres Kap. Physiotherapie: Hygienische Maßnahmen).
Schröpfen
Bei blutigem Schröpfen muss die Haut zuvor desinfiziert werden. Der Therapeut muss Handschuhe tragen. Es dürfen nur Einmalgeräte oder sterilisierte Geräte zum Anritzen der Haut verwendet werden, und die Schröpfgläser müssen nach der Behandlung desinfiziert oder sterilisiert werden.
Beim unblutigen Schröpfen sind keine besonderen Desinfektionsmaßnahmen nötig; es genügt eine Reinigung der Haut und der Gläser.
Blutegel
Bezüglich der Infektion eines Patienten durch Blutegel muss insbesondere bei Risikopatienten besondere Vorsicht gelten, wie der Fall einer
Aeromonas-Meningitis nach einer neurochirurgischen Operation zeigt (Ouderkirk et al.
2004). Da
Aeromonas ein
Keim ist, der häufig in Blutegeln gefunden wird, wird in den USA zum Teil sogar eine präventive Antibiotikatherapie durchgeführt (White und Fries
2003). Aufgrund der geringen Anzahl an berichteten Infektionsfällen halten wir dies aber nur bei Immunsupprimierten für indiziert. Bei diesen sollte die Indikation für eine Blutegeltherapie generell sehr zurückhaltend gestellt werden.
Die vollgesaugten Blutegel sollen nicht ausgesetzt, sondern an den Lieferanten zurückgegeben oder getötet werden (z. B. mit Alkohol oder Salzsäure). Das Blut muss auf dem auch für andere blutige Abfälle üblichen Weg entsorgt werden (Kap.
Technische Hygiene).
Kantharidenpflaster
Kantharidenpflaster sind Pflaster, die mit einer Salbe aus dem getrockneten und gemahlenen „Spanischen Käfer“ (Cantharis vesicatoria bzw. Lytta vesicatoria) bestrichen ist. Sie sollen durchblutungsfördernd und lymphstrombeschleunigend wirken. Das Pflaster verbleibt im Allgemeinen 8–12 Stunden auf der Haut und erzeugt nach einige Stunden eine lokale blasige Hautläsion. Eine Hautdesinfektion vor Applikation des Pflasters ist obligat. Nach Entfernen des Pflasters muss unter streng aseptischen Bedingungen steril die Flüssigkeit entfernt, die Blasenhaut abgetragen und die Wunde verbunden werden. Vor einer vorzeitigen Abnahme des Pflasters ist zu warnen, da dadurch die lokale Wundheilung verzögert wird und so leichter Superinfektionen auftreten können. Eine erneute Behandlung ist erst nach vollständiger Abheilung der Wunde (nach ca. 4 Wochen) möglich.
Baunscheidt-Verfahren
Das zum Anritzen der Haut verwendete Nadelungsgerät muss ein Einmalgerät sein oder gereinigt und sterilisiert werden. Das Baunscheidt-Öl sollte krotonölfrei sein, da eine Kanzerogenität des Krotonöls vermutet wird. Vor dem Anritzen muss die Haut gründlich desinfiziert werden. Beim Auftragen des Öls auf die angeritzte Haut darf keine Keimverschleppung in das Ölgefäß erfolgen.
Heilerde
Bei Heilerde sind bakterielle Sporen (z. B. Clostridien) nachgewiesen worden. Bei innerlicher Verwendung von Heilerde oder möglichem Kontakt mit offenen Wunden ist darum eine sterilisierte Heilerde zu fordern, um theoretisch denkbare Infektionen zu vermeiden. Bisher sind aber keine solchen Fälle bekannt.
Einläufe (z. B. Kolonhydrotherapie)
Hier sollte eine Kontamination der Umgebung und des Personals mit Stuhl sicher vermieden werden, speziell durch Tragen entsprechender Schutzkleidung, wie Handschuhe und Kittel, sowie Abdecken der Umgebung. Danach ist eine Reinigung und Desinfektion kontaminierter Flächen durchzuführen.
Eigenurin
Urin ist normalerweise steril bzw. sehr gering mikrobiell besiedelt, aber ein hervorragendes
Nährmedium. Er sollte immer direkt nach Miktion verwandt werden und nicht trüb sein oder unangenehm riechen. Im Zweifelsfall muss vor Anwendung, zum Beispiel an den Augen, durch einen Urinstix eine bakterielle Besiedlung weitgehend ausgeschlossen werden. Infektionen sind bisher nicht beschrieben.
Injektion von Präparaten tierischen Ursprungs, Frischzellentherapie
Falls es sich um Arzneimittel handelt, ist vom Hersteller zu fordern, dass sichergestellt ist, dass keine Keime, insbesondere auch keine
Prionen in Präparaten tierischen Ursprungs enthalten sind. Bei den Organpräparaten
tierischen Ursprungs in Deutschland, die meist als Homöopathika in Verkehr sind, ist dies durch strenge Qualitätskontrolle und rechtliche Anforderungen gegeben.
Bei der Frischzellentherapie, die nur noch an wenigen Orten in Deutschland angewendet wird, werden embryonale Tierzellen, meist Schafzellen, kurz nach der Schlachtung der Muttertiere injiziert. Keimfreiheit, auch für
Prionen, muss dabei gewährleistet sein. Es wird versucht, dies durch verschiedene Maßnahmen gemäß Empfehlungen des Bundesgesundheitsministeriums von 1991 zu erreichen.