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Erschienen in: Monatsschrift Kinderheilkunde 11/2023

Open Access 29.09.2023 | Ernährung | Pädiatrie aktuell | Für Sie gelesen

Fencheltee für Kinder?

Die aktuelle Richtlinie der Europäischen Arzneimittelagentur EMA zur Verwendung von estragolhaltigen Produkten

verfasst von: Prim. MedR. Ass.-Prof. DDr. Peter Voitl, MBA

Erschienen in: Monatsschrift Kinderheilkunde | Ausgabe 11/2023

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Redaktion

Reinhold Kerbl, Leoben
Tim Niehues, Krefeld
Peter Voitl, Wien
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Originalpublikation
EMA Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC) Public statement on the use of herbal medicinal products containing estragole, 12 May 2023 EMA/HMPC/137212/2005 Rev 1 Corr 1.
Fencheltee hat weite Verbreitung u. a. zur Behandlung von Blähungen und Bauchschmerzen bei Säuglingen gefunden, obwohl nur wenig Evidenz zu Wirksamkeit und Sicherheit vorliegt. Im Zuge der Diskussion über die Sicherheit von Tee-Zubereitungen, die Estragol enthalten, liegt nun eine aktuelle Bewertung durch die Europäische Arzneimittelagentur (EMA) vor. Hier wurde durch das zuständige Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC) erstmals bereits im Jahr 2007 in einer Monografie festgestellt, dass Arzneimittel auf der Basis von süßem Fenchel erst ab einem Alter von 4 Jahren angewandt werden sollen [1]. Für Kinder unter 4 Jahren werden diese Arzneimittel nicht empfohlen, da für die sichere Anwendung in dieser Altersgruppe keine ausreichenden Informationen vorliegen. Zudem wird auch stillenden Müttern abgeraten, fenchelhaltige Produkte zu konsumieren. Dies hat angesichts der langjährigen weiten Verbreitung von Produkten für Säuglinge, die Fenchel enthalten, für eine Verunsicherung bei den Anwendern gesorgt, die auf die langjährige Anwendung von Fencheltee bei Säuglingen als „natürliche“ Therapie hinweisen.
Zusammenfassung der Studie.
Bei dieser Veröffentlichung handelt es sich um eine wissenschaftliche Richtlinie vom Mai 2023 des HMPC-Komitees der EMA. In dieser Aufarbeitung der EMA zu den Daten, die speziell zu Estragol zur Verfügung stehen, wurde anhand von Tierversuchen mit sehr hohen Dosen von Estragol eine Hepatokanzerogenität in zahlreichen Studien nachgewiesen. Dies ist insofern trotz dieser ungewöhnlich hohen Dosen von Bedeutung, als der tatsächliche Gehalt von Estragol in Fencheltees außerordentlich stark schwanken kann. In einer hervorragenden österreichischen Übersichtsarbeit von Mihats et al. [2] wurde ein teilweise außerordentlich hoher Gehalt von Estragol in Fencheltees nachgewiesen. Der Gehalt von Estragol lag in den untersuchten Tees in einem weiten Bereich zwischen 78,0 µg/l und 4633,5 µg/l. Bei Säuglingen schwankte die verabreichte Tagesdosis dementsprechend stark zwischen 0,008 µg/kgKG und Tag und 20,78 µg/kgKG und Tag.
Bedenkt man zusätzlich, dass Fenchel auch in einzelnen Babynahrungsmitteln in Breiform enthalten ist, so muss die tatsächlich erreichte bzw. erreichbare Tagesdosis ungewiss bleiben und kann möglicherweise dem hepatotoxischen Bereich durchaus nahekommen. Das erklärt die zurückhaltende Position der EMA angesichts der fehlenden Daten zur Sicherheit von estragolhaltigen Produkten bei Säuglingen.

Kommentar

In Summe muss empfohlen werden, estragolhaltige Produkte so wenig wie möglich anzuwenden und die Gabe auf ein kurzes Zeitintervall zu beschränken. Entscheidend ist v. a. die korrekte pharmakologische Zubereitung, die einen standardisierten Gehalt von Estragol in einem sicheren Dosisbereich in den Tees garantiert. Selbstverständlich sollte die Zubereitung auch kindgerecht, also ohne Zucker und Alkohol, erfolgen.
Es darf nicht übersehen werden, dass es sich bei der Unruhe von Babys häufig gar nicht um Blähungen handelt, sondern eine Interaktionsproblematik im Vordergrund stehen kann. Diesfalls ist der Einsatz von Fencheltees ohnedies fragwürdig und trägt mitunter zu einer Verschleierung der zugrunde liegenden Ursache und einer verzögerten Therapie bei. Jedenfalls sollte bei starken Beschwerden neben einer kinderärztlichen Abklärung professionelle psychologische Unterstützung in Anspruch genommen werden. Das Schreien eines Säuglings stellt einen der höchsten Stressfaktoren für die Eltern dar, und Eltern-Kind-therapeutische Unterstützungen können oft schon nach einigen wenigen Sitzungen bei „Schreibabys“ deutliche Entlastungen bringen. Die Gabe von Fencheltee wird seitens der EMA jedenfalls angesichts der Bewertung als „natürliches Kanzerogen“ für Kinder unter 4 Jahren nicht und für Kinder unter 11 Jahren nur sehr zurückhaltend empfohlen, zudem auch der Nachweis der Wirksamkeit von Fencheltee bei unruhigen Säuglingen nicht ausreichend belegt ist.

Interessenkonflikt

P. Voitl gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Literatur
1.
Zurück zum Zitat Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC) (2007) Community herbal monograph on Foeniculum vulgare. Doc. Ref. EMEA/HMPC/137428/2006 Corr Committee on Herbal Medicinal Products (HMPC) (2007) Community herbal monograph on Foeniculum vulgare. Doc. Ref. EMEA/HMPC/137428/2006 Corr
2.
Zurück zum Zitat Mihats D, Pilsbacher L, Gabernig R, Routil M, Gutternigg M, Laenger R (2017) Levels of estragole in fennel teas marketed in Austria and assessment of dietary exposure. Int J Food Sci Nutr 68(5):569–576CrossRefPubMed Mihats D, Pilsbacher L, Gabernig R, Routil M, Gutternigg M, Laenger R (2017) Levels of estragole in fennel teas marketed in Austria and assessment of dietary exposure. Int J Food Sci Nutr 68(5):569–576CrossRefPubMed
Metadaten
Titel
Fencheltee für Kinder?
Die aktuelle Richtlinie der Europäischen Arzneimittelagentur EMA zur Verwendung von estragolhaltigen Produkten
verfasst von
Prim. MedR. Ass.-Prof. DDr. Peter Voitl, MBA
Publikationsdatum
29.09.2023
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Monatsschrift Kinderheilkunde / Ausgabe 11/2023
Print ISSN: 0026-9298
Elektronische ISSN: 1433-0474
DOI
https://doi.org/10.1007/s00112-023-01852-1

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