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Erschienen in: Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie 1/2019

09.01.2019 | Originalarbeit

Fürsorgeerziehung in Einrichtungen der Diakonie von 1945 bis 1975

verfasst von: Dr. phil. Ulrike Winkler

Erschienen in: Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie | Ausgabe 1/2019

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Zusammenfassung

In den Jahren von 1945 bis 1975 waren in der Bundesrepublik rund 800.000 Jugendliche und Kinder in Heimen der Erziehungsfürsorge untergebracht, viele von ihnen in Heimen der Diakonie. Gewalt und Unterdrückung, übermäßige Arbeit und mangelnde Qualifikation für „das Leben danach“ sowie Verzweiflung und Einsamkeit prägten den Alltag etlicher Jungen und Mädchen. Warum konnte dies in Einrichtungen passieren, die sich ausdrücklich der christlichen Nächstenliebe verschrieben hatten? Welches pädagogische Konzept griff dort? Bildeten die speziellen Strukturen der konfessionellen Personengenossenschaften die Einfallstore zu einer in Teilen menschenunwürdigen Behandlung Hilfebedürftiger? Welche Verantwortung trug die Gesellschaft? Diese Fragen werden am Beispiel eines ehemaligen Heimbewohners von Freistatt, einer sog. pädagogischen „Endstation“, diskutiert und analysiert. Ein Blick in die Zukunft öffentlicher Ersatzerziehung beschließt den Beitrag.
Fußnoten
1
Pseudonym.
 
2
Diese Holzschuhe waren kein Relikt aus den Anfängen Freistatts, sondern waren erst nach 1945 eingeführt worden, um das Weglaufen zu erschweren. Zöglinge, die sich „bewährt“ hatten, erhielten Gummistiefel. Riss ein „Gummistiefelträger“ bei der Arbeit im Moor aus, wurde er, wenn er wieder aufgegriffen wurde, „degradiert“ und musste wieder „Botten“ tragen.
 
3
Die Westfälische Diakonenanstalt Nazareth/Bethel wurde 1877, zunächst unter dem Namen „Zoar“, gegründet und entwickelte sich rasch zur größten deutschen Brüderschaft.
 
4
§ 1, Abs. 2, Jugendarbeitsschutzgesetz. Gesetz zum Schutze der arbeitenden Jugend vom 09.08.1960.
 
5
Vermerk [Verfasserin unbekannt] vom 24.02.1959, Archiv der Diakonischen Stiftung Ummeln, unverzeichnet.
 
6
Diese Diskrepanz wurde vor allem anlässlich der (zwangsweise zu besuchenden) Gottesdienste empfunden.
 
7
Subsidiaritätsprinzip meint hier den in der deutschen Theorie der Selbstverwaltung seit dem frühen 19. Jh. maßgeblichen Grundsatz, dass eine Aufgabe der Daseinsvorsorge auf der jeweils untersten Ebene wahrgenommen werden soll, die sie zu erfüllen vermag: Wo die Kräfte des Einzelnen und der Familie nicht hinreichen, soll die bürgerliche Gesellschaft in Form freier Assoziationen tätig werden; und erst, wenn die gesellschaftliche Selbsthilfe überfordert ist, sollen die Städte und Gemeinden, Länder und Provinzen und schließlich der Nationalstaat einspringen.
 
8
Papier für die Sitzung des erweiterten Vorstands des Mutterhauses am 22.11.1972, (Verfasser unklar), Hauptarchiv der von Bodelschwinghschen Stiftungen (HAB), Sar 1, 2461. Danach auch das folgende Zitat.
 
9
Desorganisation bezeichnet die mangelnde Stabilität der Familie in der industriell entwickelten Gesellschaft, die durch die Auflösung oder auch Schwächung der familialen Beziehungen verursacht wird. Desintegration beschreibt das Verhältnis der Familie zur Gesamtgesellschaft, die – komplexer und differenzierter werdend – viele Aufgaben der Familie übernimmt. Je mehr die Familie an Aufgaben, etwa als Ort der Produktion und Ausbildung, sowie ihre Versorgungs- und Sicherungsfunktion verliert, umso mehr konzentriert sie sich auf ihren Kern; sie kommt quasi zu sich selbst.
 
10
H. an Schimmelpfeng, 25.11.1961, Archiv Hephata Diakonie, Vw 417.
 
Literatur
Zurück zum Zitat Becker W (1953) Jugend am Abgrund – Wie helfen wir? Bethel-Verlag, Bielefeld Becker W (1953) Jugend am Abgrund – Wie helfen wir? Bethel-Verlag, Bielefeld
Zurück zum Zitat Bourdieu P (1983) Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: Kreckel R (Hrsg) Soziale Ungleichheiten. Soziale Welt, Sonderband, Bd. 2. Schwartz, Göttingen, S 183–198 Bourdieu P (1983) Ökonomisches Kapital, kulturelles Kapital, soziales Kapital. In: Kreckel R (Hrsg) Soziale Ungleichheiten. Soziale Welt, Sonderband, Bd. 2. Schwartz, Göttingen, S 183–198
Zurück zum Zitat Festinger L (1957) A Theory of Cognitive Dissonance. Stanford University Press, Stanford CA Festinger L (1957) A Theory of Cognitive Dissonance. Stanford University Press, Stanford CA
Zurück zum Zitat Foitzik D (1997) „Sittlich verwahrlost“. Disziplinierung und Diskriminierung geschlechtskranker Mädchen in der Nachkriegszeit am Beispiel Hamburg. 1999 Z Sozial 20 21 Jhd 12:68–82 Foitzik D (1997) „Sittlich verwahrlost“. Disziplinierung und Diskriminierung geschlechtskranker Mädchen in der Nachkriegszeit am Beispiel Hamburg. 1999 Z Sozial 20 21 Jhd 12:68–82
Zurück zum Zitat Goffman E (1973) Asyle. Über die soziale Situation psychischer Patienten und anderer Insassen. Suhrkamp, Frankfurt am Main Goffman E (1973) Asyle. Über die soziale Situation psychischer Patienten und anderer Insassen. Suhrkamp, Frankfurt am Main
Zurück zum Zitat Schmuhl H‑W (2010) Die doppelte Buchführung in Freistatt. In: Damberg W, Frings B, Jähnichen T, Kaminsky U (Hrsg) Mutter Kirche – Vater Staat? Geschichte, Praxis und Debatten der konfessionellen Heimerziehung seit 1945. Aschendorff, Münster, S 211–228 Schmuhl H‑W (2010) Die doppelte Buchführung in Freistatt. In: Damberg W, Frings B, Jähnichen T, Kaminsky U (Hrsg) Mutter Kirche – Vater Staat? Geschichte, Praxis und Debatten der konfessionellen Heimerziehung seit 1945. Aschendorff, Münster, S 211–228
Zurück zum Zitat Schmuhl H‑W (2018) Sachzwänge und Gewaltverhältnisse. Das Leben „auf Station“ in den 1950er/60er Jahren. In: Wilke K, Schmuhl H‑W, Wagner S, Winkler U (Hrsg) Hinter dem Grünen Tor. Die Rotenburger Anstalten der Inneren Mission 1945–1975, 3. Aufl. Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld, S 241–303 Schmuhl H‑W (2018) Sachzwänge und Gewaltverhältnisse. Das Leben „auf Station“ in den 1950er/60er Jahren. In: Wilke K, Schmuhl H‑W, Wagner S, Winkler U (Hrsg) Hinter dem Grünen Tor. Die Rotenburger Anstalten der Inneren Mission 1945–1975, 3. Aufl. Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld, S 241–303
Zurück zum Zitat Schmuhl H‑W, Winkler U (2012) „Als wären wir zur Strafe hier“. Gewalt gegen Menschen mit geistiger Behinderung – der Wittekindshof in den 1950er und 1960er Jahren, 3. Aufl. Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld Schmuhl H‑W, Winkler U (2012) „Als wären wir zur Strafe hier“. Gewalt gegen Menschen mit geistiger Behinderung – der Wittekindshof in den 1950er und 1960er Jahren, 3. Aufl. Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld
Zurück zum Zitat Schmuhl H‑W, Winkler U (2013) Gewalt in der Körperbehindertenhilfe. Das Johanna-Helenen-Heim von 1947 bis 1967, 2. Aufl. Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld Schmuhl H‑W, Winkler U (2013) Gewalt in der Körperbehindertenhilfe. Das Johanna-Helenen-Heim von 1947 bis 1967, 2. Aufl. Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld
Zurück zum Zitat Schneider M, Süss J (2015) Nebelkinder. Kriegsenkel treten aus dem Traumaschatten der Geschichte. Europaverlag, Berlin München Wien Schneider M, Süss J (2015) Nebelkinder. Kriegsenkel treten aus dem Traumaschatten der Geschichte. Europaverlag, Berlin München Wien
Zurück zum Zitat Ubbelohde J (2002) Der Umgang mit jugendlichen Normverstößen. In: Herbert U (Hrsg) Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung 1945–1980. Wallstein, Göttingen, S 402–435 Ubbelohde J (2002) Der Umgang mit jugendlichen Normverstößen. In: Herbert U (Hrsg) Wandlungsprozesse in Westdeutschland. Belastung, Integration, Liberalisierung 1945–1980. Wallstein, Göttingen, S 402–435
Zurück zum Zitat Willensbacher B (1990) Zerrüttung und Bewährung der Nachkriegs-Familie. In: Broszat M, Henke K‑D, Woller H (Hrsg) Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland. Oldenbourg, München, S 595–618 Willensbacher B (1990) Zerrüttung und Bewährung der Nachkriegs-Familie. In: Broszat M, Henke K‑D, Woller H (Hrsg) Von Stalingrad zur Währungsreform. Zur Sozialgeschichte des Umbruchs in Deutschland. Oldenbourg, München, S 595–618
Zurück zum Zitat Winkler U (2012) „Es war eine enge Welt“ Menschen mit Behinderungen, Heimkinder und Mitarbeitende in der Stiftung Kreuznacher Diakonie, 1947 bis 1975. Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld Winkler U (2012) „Es war eine enge Welt“ Menschen mit Behinderungen, Heimkinder und Mitarbeitende in der Stiftung Kreuznacher Diakonie, 1947 bis 1975. Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld
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Zurück zum Zitat Winkler U (2016b) „Wir sind in der Lage, den Erziehungserfolg zu sichern“. Heimerziehung im Evangelischen Johannesstift. Die Jahre von 1945 bis 1975 aus der Perspektive ehemaliger Bewohner und ehemaliger Erzieher. Eigenverlag Ev. Johannesstift, Berlin Winkler U (2016b) „Wir sind in der Lage, den Erziehungserfolg zu sichern“. Heimerziehung im Evangelischen Johannesstift. Die Jahre von 1945 bis 1975 aus der Perspektive ehemaliger Bewohner und ehemaliger Erzieher. Eigenverlag Ev. Johannesstift, Berlin
Zurück zum Zitat Winkler U (2018a) Drinnen und Draußen. Die Rotenburger Anstalten und die Stadt Rotenburg als Sozialräume. In: Wilke K, Schmuhl H‑W, Wagner S, Winkler U (Hrsg) Hinter dem Grünen Tor. Die Rotenburger Anstalten der Inneren Mission 1945–1975, 3. Aufl. Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld, S 151–208 Winkler U (2018a) Drinnen und Draußen. Die Rotenburger Anstalten und die Stadt Rotenburg als Sozialräume. In: Wilke K, Schmuhl H‑W, Wagner S, Winkler U (Hrsg) Hinter dem Grünen Tor. Die Rotenburger Anstalten der Inneren Mission 1945–1975, 3. Aufl. Verlag für Regionalgeschichte, Bielefeld, S 151–208
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Zurück zum Zitat Winkler U, Schmuhl H‑W (2014) Die Behindertenhilfe der Diakonie Neuendettelsau 1945–1945. Alltag, Arbeit, kulturelle Aneignung. Kohlhammer, Stuttgart Winkler U, Schmuhl H‑W (2014) Die Behindertenhilfe der Diakonie Neuendettelsau 1945–1945. Alltag, Arbeit, kulturelle Aneignung. Kohlhammer, Stuttgart
Metadaten
Titel
Fürsorgeerziehung in Einrichtungen der Diakonie von 1945 bis 1975
verfasst von
Dr. phil. Ulrike Winkler
Publikationsdatum
09.01.2019
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie / Ausgabe 1/2019
Print ISSN: 1862-7072
Elektronische ISSN: 1862-7080
DOI
https://doi.org/10.1007/s11757-018-00513-4

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