Hintergrund
Die erworbene Hörbeeinträchtigung ist ein häufig auftretendes Phänomen im zunehmenden Alter [
2]. Definiert wird Altersschwerhörigkeit als ein symmetrisch progressiver und degenerativer Hörverlust in zunehmenden Alter [
5,
6]. Sie ist vorwiegend im Corti-Organ (Innenohr) und auch im Hörnerv lokalisiert [
7]. Aufgrund des altersphysiologischen und -pathologischen Prozesses mag die Annahme legitim erscheinen, dass diese Form von Hörminderung früher oder später jeden Menschen betreffen kann. Allerdings weisen Hesse et al. [
5] darauf hin, dass statistisch gesehen die Wahrscheinlichkeit für die Verschlechterung des Gehörs im Alter höher ist, d. h. allerdings dass nicht jeder ältere Mensch auch zwangsläufig schwerhörig wird. Eine Unschärfe existiert zudem in der Erklärung für Altersschwerhörigkeit, da Höreinbußen bei einigen älteren Menschen aufgrund einer sog. Gesamtlärmsumme entstehen können [
5,
8], die auch der Lärmschwerhörigkeit zugeordnet werden können [
9].
Schuknecht [
10] hat den Versuch unternommen, Altersschwerhörigkeit zu klassifizieren und in diesem Zuge die Hörminderung in insgesamt 4 Typen eingeteilt:
-
sensorischer Typ (Verlust der inneren und/oder äußeren Haarzellen),
-
neuraler Typ (Degeneration von Nerven und Ganglienzellen),
-
metabolischer bzw. strialer Typ (Degeneration der Stria vascularis) und
-
Innenohrschallleitungstyp (Degeneration des Ligamentum spirale, Versteifung der Basalmembran) [
11].
Am häufigsten treten jedoch nur der sensorische und neurale Typ von Schwerhörigkeit auf, noch dazu überwiegend in Kombination (sensorineural). Diese sensorineurale symmetrische Altersschwerhörigkeit ist deutlich im Hochtonfrequenzbereich ausgeprägt [
5,
12].
Die altersbedingte Hörminderung kann entweder auf lebenslange exogene und endogene Einflüsse sowie auf genetische Faktoren zurückzuführen sein [
7,
13,
14]. Die Lärmexposition (Intensität und Dauer des Lärms) tritt in der Literatur als prädisponierender exogener Risikofaktor auf [
5]. Zu den negativen Einflüssen zählen zudem Ototoxine (ohrschädigende Substanzen), Rauchen [
12], Infektionen, Schlaganfall [
6,
14], Hypertonie, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Diabetes und Durchblutungsstörungen [
7,
13]. Das Potenzial der Komorbiditäten als Risikofaktoren für Altersschwerhörigkeit wird in der Forschung kontrovers diskutiert. Um diesen Aspekt verlässlich belegen zu können, empfehlen Hesse et al. [
5] Langzeitbeobachtungen.
Die Kompensation bzw. Behandlung der Altersschwerhörigkeit erfolgt hauptsächlich durch die Benutzung von Hörgeräten, welche komplexe Klangsignale verstärken. Diese Hörhilfen können zwar das Sprachverständnis in verschiedensten Hörsituation erheblich verbessern. Allerdings kann die gewohnte normale Hörfähigkeit nicht mehr wiederherstellt werden [
15].
Im Bereich Public Health wird Altersschwerhörigkeit als ein zunehmendes Problem angesehen, da die Population der altersschwerhörigen Menschen stetig ansteigt. Gemäß der demographischen Entwicklung wird erwartet, dass es bis 2025 weltweit 1,2 Mrd. Menschen im Alter von 60 Jahren oder älter geben wird. Davon werden laut Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätzungsweise 500 Mio. von einer altersbedingten Hörminderung betroffen sein [
16].
Nach epidemiologischen Studien liegt die Prävalenz von erworbener Schwerhörigkeit in den Vereinigten Staaten bei 45,1 % bei Menschen im Alter von 45–74 Jahren [
17], bei 63,1 % im Alter von 70 Jahren oder älter [
18] und steigt im Alter deutlich an [
15,
19]. Altersschwerhörigkeit tritt häufiger bei Männern als bei Frauen auf [
17,
20]. In der Literaturübersicht von Roth et al. [
21] wird die Prävalenz der Hörminderung in Europa auf 30 % bei Männern bzw. 20 % bei Frauen in der 7. Altersdekade geschätzt, und auf 55 % bei Männern bzw. 45 % bei Frauen im 8. Lebensjahrzehnt [
14,
21]. In Deutschland wurde zwischen 2010 und 2012 eine umfassende epidemiologische Studie zu Schwerhörigkeit durchgeführt. Insgesamt wurden unter den 50- bis 59-Jährigen knapp 7 % als schwerhörig klassifiziert, 20 % unter den 60- bis 69-Jährigen. Unter 70- bis 79-Jährigen lag der Anteil mit 42 % etwa doppelt so hoch. Und 72 % der Probanden im Alter von 80 Jahren oder älter waren schwerhörig [
19]. Schlussfolgernd können diese Forschungsergebnisse diverser Studien zur Prävalenz von Hörminderung im Alter kein einheitliches bzw. klares Bild liefern. Laut Roth et al. [
21] kann dies auf
-
unterschiedliche standardisierte Verfahren in der Datensammlung,
-
die Verwendung verschiedener Klassifikationen von Schwerhörigkeit und
-
verschiedenartige Berichterstattung der epidemiologischen Daten
zurückgeführt werden.
Mit der Altersschwerhörigkeit können negative emotionale und soziale Konsequenzen einhergehen, die den Alltag der Betroffenen beeinflussen [
22]. Ventry u. Weinstein [
23] charakterisieren das Hörhandicap als ein komplexes Phänomen, dessen Wahrnehmung beeinflusst wird durch Faktoren wie Persönlichkeit, Alter, physische Gesundheit, psychosoziale Einstellung, soziale Rolle der Betroffenen und das Verhalten nahestehender Personen [
24]. Dies verdeutlicht, dass sich die Wahrnehmung des Hörhandicaps individuell unterscheidet [
23].
Das subjektiv eingeschätzte Hörhandicap bei älteren Menschen wurde bereits in einigen Studien untersucht. In qualitativen Studien wurden anhand von Interviews (psychosoziale) Erfahrungen mit den Folgen von Schwerhörigkeit im Lebensalltag erfasst [
1,
25,
26]. In quantitativen Studien wurden Daten mit verschiedenen standardisierten Assessmentinstrumenten erhoben, hierzu dienten z. B. der Fragebogen Hearing Handicap Inventory for the Elderly (HHIE) von Ventry u. Weinstein [
23] oder der Fragebogen Amsterdam Inventory for Auditory Disability and Handicap (AIADH) von Kramer et al. [
27]. Studienergebnisse belegen u. a. eine Assoziation zwischen dem Grad des Hörverlusts und der Stärke des wahrgenommenen Hörhandicaps [
28‐
32].
Die Intention der vorliegenden Studie war, sich dem Forschungsthema multimethodisch zu nähern. Die aus quantitativen und qualitativen Zugangsformen gewonnenen Erkenntnisse können entweder konvergieren, sich widersprechen oder komplementär zueinander verhalten, wodurch das erforschte Phänomen mehrdimensionaler erfasst werden kann. Ziel dieser Studie war es, (1) die Selbsteinschätzung der Hörhandicaps von altersschwerhörigen Menschen quantitativ zu erfassen sowie die Assoziation zwischen Hörhandicap und Hörverlust zu bestimmen und (2) ein tieferes Verständnis von Erfahrungen mit dem Hörverlust und dessen Auswirkungen auf den Lebensalltag mittels qualitativer Interviews zu gewinnen.
Studiendesign und Untersuchungsmethoden
Die Umsetzung der Ziele erfolgte unter Anwendung von quantitativen und qualitativen Erhebungsmethoden im Sinne der Methodentriangulation [
33]. Durch multimethodische Zugänge kann das Forschungsthema besser begriffen sowie überraschende und unverständliche Befunde des jeweils anderen Methodenstrangs erklärt werden [
34]. Die vorliegende Studie wurde von der Ethikkommission der Medizinischen Universität Graz bewilligt.
Stichprobe
Für die Studie wurden folgende Einschlusskriterien definiert: Frauen und Männer, 55 Jahre und älter, im Alter erworbene beidseitige Schwerhörigkeit, kommunikationsfähig und der deutschen Sprache mächtig. Ausgeschlossen wurden Personen, deren Schwerhörigkeit operativ oder medikamentös kompensiert werden konnte, sowie Personen mit schwerwiegenden Erkrankungen, Demenz oder kognitiver Beeinträchtigung.
Potenzielle Teilnehmende wurden Ende 2015/Anfang 2016 in einer HNO-Praxis (Steiermark) und in einer Hörakustikabteilung (Vorarlberg) für die quantitative Befragung rekrutiert. Die nichtrepräsentative Auswahl der Probanden erfolgte konsekutiv nach Datum des Aufsuchens der Praxis oder der Hörakustikabteilung aufsuchten. Potenzielle Probanden wurden über die Studie informiert und anschließend gebeten, an der quantitativen Befragung teilzunehmen. Danach erhielten die interessierten altersschwerhörigen Menschen den Fragebogen, die Einwilligungserklärung, ihr aktuelles Audiogramm und ein vorfrankiertes Kuvert für die Rücksendung.
In diesem Zeitraum wurden zudem weitere potenzielle Probanden gebeten, an den qualitativen Interviews teilzunehmen (sie waren nicht Teil der quantitativen Stichprobe). Die konsekutive, nichtrepräsentative Rekrutierung erfolgte bei einem Beratungs- bzw. Behandlungstermin in der genannten Hörakustikabteilung oder in Pflegeheimen (Vorarlberg). Nach der Zusage zur Studienteilnahme nahm die Erstautorin mit ihnen Kontakt auf und vereinbarte daraufhin einen Termin. Vor der Durchführung der Interviews, die im Wohnort der Teilnehmenden stattfanden, nahm die Interviewerin die unterzeichnete Einwilligungserklärung entgegen. Um ein ungestörtes und problemloses Gespräch führen zu können, erfolgte das Gespräch in hellen Räumlichkeiten, ohne Hintergrundgeräusche. Die Dauer der Leitfadeninterviews lag bei zwischen 20 und 60 min.
Quantitativer Forschungsteil
Hearing Handicap Inventory for the Elderly
Für die Bestimmung des Hörhandicaps eignete sich das Instrument Hearing Handicap Inventory for the Elderly (HHIE) von Ventry u. Weinstein [
23]. Dabei wurden die Teilnehmenden gebeten, ihre Hörwahrnehmung ohne Hörhilfen einzuschätzen. HHIE besteht aus 25 Items, davon erfassen 13 die emotionalen und 12 die sozialen Folgen des Hörverlusts [
23,
24]. Die Antwortmöglichkeiten sind „ja“ (4 Punkte), „manchmal“ (2 Punkte) und „nein“ (0 Punkte). Der Gesamtwert kann von 0 bis 100 Punkte reichen (0–16 Punkte: kein Hörhandicap; 17–42: leichtgradiges Hörhandicap; >42 Punkte: moderates bis schwerwiegendes Hörhandicap). Der Fragebogen HHIE wurde von Bertoli, Probst und Jordan [
24] ins Deutsche (Anhang, Tab.
3) übersetzt und hinsichtlich seiner Reliabilität überprüft.
Audiogramm
Anhand des Reintonaudiogramms konnte die Hörkapazität des Individuums bestimmt werden [
15]. Für die Berechnung des Schwerhörigkeitsgrads wurde der Durchschnitt des Hörverlusts (angegeben in „decibel hearing level“, dB HL, [
23]) in den Frequenzen 500, 1000, 2000 und 4000 Hertz (Hz) beider Ohren berechnet [
35]. Die Einteilung des Schweregrads erfolgte nach der WHO-Klassifikation [
36]: kein Hörverlust (0–24 dB HL), leichtgradiger (25–40 dB HL), moderater (41–60 dB HL), hochgradiger Hörverlust (61–80 dB HL) und an Taubheit grenzend (>81 dB HL).
Analyse der quantitativen Daten
Für die quantitative Datenanalyse wurde das Programm SPSS (Version 22, Fa. IBM, Ehningen) verwendet. Die deskriptive Statistik wurde für die Stichprobenbeschreibung herangezogen. Zur Bestimmung von Zusammenhängen wurde die Korrelationsanalyse nach Pearson verwendet. Mit dem Verfahren der Regressionsanalyse ließ sich die Prädiktorkraft unabhängiger Variablen (Hörverlust, Alter, Geschlecht, Bildung und Multimorbidität) auf die abhängige Variable (Hörhandicap) untersuchen. Das Signifikanzniveau wurde auf einen p-Wert von <0,05 festgelegt.
Qualitative Studienphase
Problemzentrierte Interviews
Anhand von qualitativen Methoden wird danach getrachtet, Einblick in menschliches Verhalten sowie Selbstinterpretationen zu gewinnen und zu beschreiben [
33]. Um auf das Forschungsthema im qualitativen Sinne einzugehen, wurden semistrukturierte problemzentrierte Interviews nach Witzel [
37] durchgeführt. Unterstützt wurden diese Gespräche durch die Anwendung eines Leitfadens als Gedächtnisstütze und Orientierungshilfe. Durch die qualitativen Interviews wurde den Teilnehmenden Raum und Zeit gewährt, in ihren eigenen Worten ihre subjektive Hörwahrnehmung zu beschreiben bzw. die erlebten psychosozialen Folgen des Hörverlusts in ihrem Lebensalltag darzustellen. Basierend auf der Methodentriangulation können diese subjektiven Wahrheiten entweder als Bestätigung, Ergänzung oder Kontrast zu den quantitativen Ergebnissen des Messinstruments HHIE dienen.
Analyse der qualitativen Daten
Das transkribierte qualitative Datenmaterial wurde entsprechend der Methode der thematischen Kodierung analysiert [
33]. Im ersten Schritt erfolgte die Erstellung von Steckbriefen aller Interviewten. Daraufhin folgte bei den ersten Interviews die Zuordnung der Aussagen zu Kategorien, die entweder schon bei der Leitfadenerstellung vorgegeben waren oder neu herausgearbeitet wurden. Anhand dieser Kategorien wurde eine thematische Struktur erstellt, welche die Basis für die Auswertung der restlichen Interviews bildete [
33]. Für die Datenanalyse wurde die Software MAXQDA (Fa. VERBI GmbH, Berlin) herangezogen.
Diskussion
Hörminderung ist ein häufig auftretendes Phänomen in der älteren Population, deren Prävalenz im zunehmenden Alter zunimmt. Aufgrund der demographischen Entwicklung wird Altersschwerhörigkeit als ein Problem im Public-Health-Bereich betrachtet. Aktuelle Forschungsliteratur zeigt Assoziationen zwischen Altersschwerhörigkeit und depressiven Symptomen [
4,
40‐
42], Angstgefühlen [
4,
41,
43], Isolation und Einsamkeit [
3,
44,
45], kognitiven Einbußen [
4,
46‐
49], erhöhter Mortalität [
43,
50,
51] und erhöhtem Sturzrisiko [
52,
53]. Demzufolge können die Konsequenzen der Hörminderung den Lebensalltag älterer Menschen auf der physischen, mentalen und sozialen Ebene beeinflussen [
22].
In diesem Zusammenhang widmet sich diese Studie der Frage, wie altersschwerhörige Menschen die Folgen des Hörverlusts wahrnehmen und beschreiben. In der quantitativen Befragung wurde am häufigsten von sozialen Konsequenzen, u. a. Schwierigkeiten, geflüsterte Sprache zu verstehen, fernzusehen und Radio zu hören, und einer eingeschränkten Teilnahme auf Festen oder Veranstaltungen berichtet. Das Gefühl, durch die Hörprobleme gehandicapt zu sein, war die häufigste genannte emotionale Konsequenz. Diese Ergebnisse stimmen mit den Erkenntnissen anderer Studien [
1,
22,
25,
26,
28] und den aktuellen qualitativen Daten überein. Mehrheitlich wurde von schwerwiegenden Kommunikationsproblemen in Gruppen oder in lauten Umgebungen gesprochen – wie in Hallberg et al. [
32]. Gruppengespräche nicht vollständig verfolgen zu können, geht mit Frustrationsgefühlen einher. Betroffene bevorzugen daher Einzelgespräche von Angesicht zu Angesicht, da sie sich besser auf den Kommunikationspartner konzentrieren können. Zudem mag es in diesem Rahmen auch angenehmer sein, Kommunikationspartner darum zu bitten, laut und deutlich zu sprechen. Bennion u. Forshaw [
25] fanden allerdings heraus, dass ihre Studienteilnehmenden nicht einmal mehr an Einzelgesprächen teilnehmen und die meiste Zeit lieber zu Hause verbringen wollten.
Die durch den Hörverlust bedingten sozialen und emotionalen Folgen im Lebensalltag wurden in vielen quantitativen Studien nachgewiesen, in denen der Fragebogen HHIE verwendet wurde [
22,
28‐
30]. Dieser Fragebogen lässt allerdings erlebte Unsicherheitsgefühle außen vor. Diesbezügliche Erkenntnisse wurden ausschließlich auf der Basis qualitativer Daten zutage gefördert. Sie werfen die Frage auf, ob schwerhörige Menschen überhaupt in der Lage sind, Warnsignale (z. B. Feueralarm) erfassen zu können, wenn bereits die Türklingel nicht wahrgenommen werden kann. Ein erwähnenswerter Aspekt ist auch die Sicherheit auf den Straßen. Die Ergebnisse zeigen, dass Töne auf der Straße nicht lokalisiert werden können. Diese reduzierte Fähigkeit der Klanglokalisierung wurde auch in der Arbeit von Hallberg et al. [
32] identifiziert. Das Sicherheitsthema auf der Straße ist insoweit relevant, als altersschwerhörige Menschen Schwierigkeiten haben könnten, z. B. Fahrradklingeln oder die Annäherung eines leisen Autos zu hören. Diese Situation könnte durch deren gesenkte Körperhaltung, eingeschränkte Mobilität und Sehkraft sowie verlangsamte Reaktion zusätzlich erschwert werden. Daher wäre es auch nicht überraschend, dass diese Situationen im öffentlichen Raum zu beängstigenden Erlebnissen führten und Unsicherheitsgefühle im öffentlichen Raum auslösten. Andersson u. Hägnebö [
54] eruierten einen Zusammenhang zwischen Hörschwierigkeiten und Angstgefühlen. Allerdings wurde der Aspekt über den Zusammenhang von Sicherheit und Angstgefühlen bislang nur marginal in Studien berücksichtigt.
Im aktuellen quantitativen Datensatz ist darüber hinaus die unterschiedliche Einschätzung des Hörhandicaps auffallend. Fast ein Drittel der Teilnehmenden nahm kein Hörhandicap wahr. Vermutlich sträubten sie sich oder waren nicht willig, die Konsequenzen des Hörverlust in ihrem Leben anzuerkennen [
32]. Der Zusammenhang sowie auch die Diskrepanz zwischen Schwerhörigkeit und Hörhandicap spiegelten sich auch im Ergebnis der Korrelationsanalyse wider. Es bestand eine signifikante moderate positive Beziehung zwischen diesen Variablen. Die Untersuchung des Hörverlusts als Prädiktorvariable zeigte, dass der Grad der Schwerhörigkeit einen Einfluss auf die Wahrnehmung des Hörhandicaps hat (mit mittlerem Effekt), auch bei der Berücksichtigung von Kovariaten (wie in [
22,
31]).
Allerdings zeigen die quantitativen Ergebnisse auch, dass sich einige Teilnehmende trotz ihrer Schwerhörigkeit der Konsequenzen der Hörminderung nicht bewusst sind bzw. kein oder kaum ein Hörhandicap wahrnehmen [
29,
31]. Laut Bertoli et al. [
24] erwarten Betroffene, die von keinen Hörschwierigkeiten berichten, keinen Nutzen von Hörgeräten und werden diese somit eher nicht akzeptieren. Daraus lässt sich schließen, dass objektive Messungen des Hörverlusts anhand von audiometrischen Tests nicht ausreichend sind, um die Folgen der Schwerhörigkeit auf den Lebensalltag der Betroffenen zu erfassen. Diese Studie stützt die Diskussion in der audiologischen Forschung, dass zusätzlich zu den objektiven Hörmessungen eine umfassende subjektive Einschätzung des Hörhandicaps eine hilfreiche und effektive Methode in der Behandlung von Altersschwerhörigkeit darstellt [
23,
24]. Hierfür eignet sich beispielsweise das Messinstrument HHIE oder dessen Kurzversion HHIE-S [
24,
55]. Zudem sehen Manchaiah u. Stephens [
56] subjektive Erzählungen über die eigene Hörwahrnehmung von den Betroffenen durch kompetentes bzw. sachkundiges Fragen als adäquaten Ansatz in der Planung von Behandlungsstrategien bzw. in der Hörgeräteversorgung. Durch die individuelle Anpassung von Hörgeräten – unter der Berücksichtigung von objektiven und subjektiven Daten zu den Hörschwierigkeiten – kann die Tragedauer von und die Zufriedenheit mit Hörgeräten erhöht werden. Darüber hinaus wurde in diversen Studien ein positiver Effekt von Hörgeräten belegt. So scheinen diese Hörhilfen zum einen Schutz vor Einsamkeitsgefühlen darzustellen [
57] und zum anderen den psychosozialen Status und kognitive Funktionen zu verbessern [
58].
Die Schwächen dieser Studie bestehen einerseits darin, dass die Studienergebnisse sich nicht für die Gesamtpopulation generalisieren lassen. Andererseits wurde zwar ein standardisiertes Messinstrument verwendet, die Antworten basierten jedoch auf Selbsteinschätzungen, was das Risiko einer Über- oder Untereinschätzung birgt. Dennoch ist eine bedeutende Stärke dieser Studie der multimethodische Ansatz.