Skip to main content
Erschienen in: Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5/2012

01.05.2012 | Leitthema

Implizite versus explizite Rationierung von Gesundheitsleistungen

verfasst von: Prof. Dr. F. Breyer

Erschienen in: Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz | Ausgabe 5/2012

Einloggen, um Zugang zu erhalten

Zusammenfassung

Im vorliegenden Beitrag werden die herkömmliche Verwendung des Begriffs der Rationierung im Gesundheitswesen als „Vorenthaltung notwendiger Leistungen“ kritisch hinterfragt und sein Verhältnis zum Begriff der Priorisierung geklärt. Im Weiteren werden verschiedene Formen der Rationierung, insbesondere „harte“ versus „weiche“ sowie „implizite“ versus „explizite“ Rationierung dargestellt und ihre Vor- und Nachteile diskutiert. Am Ende beziehen wir diese Begriffsklärung auf die Situation in Deutschland und diskutieren inhaltliche und prozedurale Fragen einer möglichen expliziten Rationierung in der GKV. Damit soll ein Beitrag dazu geleistet werden, eine längst überfällige offene Debatte über die Knappheit und Verteilung von Gesundheitsleistungen in Deutschland zu initiieren.
Fußnoten
1
Viele der hier geäußerten Gedanken basieren auf früheren Arbeiten des Verfassers [1] sowie anderer Autoren wie Althammer [2] und Kliemt [3], [4].
 
2
„Rationing – which means the withholding of care expected to be of net benefit – occurs throughout every health care system and is unavoidable“ ([8], 335–336). Ähnlich sieht es die Zentrale Ethikkommission [9], S.A-1019.
 
3
Diesen Denkfehler hat bereits Jeremy Bentham [11] angeprangert: „But reasons for wishing there were such things as rights, are not rights; – a reason for wishing that a certain right were established, is not that right – want is not supply – hunger is not bread.“
 
4
Gemeint ist wohl, dass der Preis die Nachfrage rationiert, indem er das knappe Angebot unter den konkurrierenden Nachfragern verteilt.
 
5
Auch private Versicherungen teilen im Augenblick des Leistungsempfangs unterhalb des Marktpreises zu. Der Vertrag verleiht das Recht, an einer Rationierung teilzunehmen.
 
6
Allerdings kann man die Rationierung nach dem Lebensalter gerade als fundamentale Gleichbehandlung ansehen, da das Alter keine unveränderliche Eigenschaft des Menschen ist, sondern eine Abfolge von Zuständen, die jeder durchläuft.
 
Literatur
1.
Zurück zum Zitat Breyer F, Schultheiss C (2003) Altersbezogene Rationierung von Gesundheitsleistungen? In: Wille E (Hrsg) Rationierung im Gesundheitswesen und ihre Alternativen. Nomos, Baden-Baden, S 169–193 Breyer F, Schultheiss C (2003) Altersbezogene Rationierung von Gesundheitsleistungen? In: Wille E (Hrsg) Rationierung im Gesundheitswesen und ihre Alternativen. Nomos, Baden-Baden, S 169–193
2.
Zurück zum Zitat Althammer J (2008) Rationierung im Gesundheitswesen aus ökonomischer Sicht. Sozialer Fortschritt 12:289–294CrossRef Althammer J (2008) Rationierung im Gesundheitswesen aus ökonomischer Sicht. Sozialer Fortschritt 12:289–294CrossRef
3.
Zurück zum Zitat Kliemt H (1996) Rationierung im Gesundheitswesen als rechts-ethisches Problem. In: Oberender P (Hrsg) Rationalisierung und Rationierung im Gesundheitswesen; SM Verlagsgesellschaft, Gräfelfing, S 23–31 Kliemt H (1996) Rationierung im Gesundheitswesen als rechts-ethisches Problem. In: Oberender P (Hrsg) Rationalisierung und Rationierung im Gesundheitswesen; SM Verlagsgesellschaft, Gräfelfing, S 23–31
4.
Zurück zum Zitat Kliemt H (2010) Das Gut der Rationierung. Z Wirtschaftspolitik 59:267–274 Kliemt H (2010) Das Gut der Rationierung. Z Wirtschaftspolitik 59:267–274
5.
Zurück zum Zitat Welt-online (2009) Wie Ärztechef Hoppe Krankheiten priorisieren will. 9.5.2009 Welt-online (2009) Wie Ärztechef Hoppe Krankheiten priorisieren will. 9.5.2009
6.
Zurück zum Zitat RP-online (2009) Rote Karte für Prioritätenliste beim Arzt. 20.5.2009 RP-online (2009) Rote Karte für Prioritätenliste beim Arzt. 20.5.2009
7.
Zurück zum Zitat Schultheiss C (2001) Überlegungen zur Notwendigkeit einer offenen Rationierungsdebatte. Ethik Medizin 13:2–16CrossRef Schultheiss C (2001) Überlegungen zur Notwendigkeit einer offenen Rationierungsdebatte. Ethik Medizin 13:2–16CrossRef
8.
Zurück zum Zitat Buchanan A (1997) Health-care delivery and resource allocation. In: Veatch RM (Hrsg) Medical ethics. Jones and Bartlett, New York, S 321–361 Buchanan A (1997) Health-care delivery and resource allocation. In: Veatch RM (Hrsg) Medical ethics. Jones and Bartlett, New York, S 321–361
9.
Zurück zum Zitat Zentrale Ethikkommission der Deutschen Ärztekammer (2000) Prioritäten in der medizinischen Versorgung im System der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV): Müssen und können wir uns entscheiden? Dtsch Arztebl 97(15):A1017–A1023 Zentrale Ethikkommission der Deutschen Ärztekammer (2000) Prioritäten in der medizinischen Versorgung im System der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV): Müssen und können wir uns entscheiden? Dtsch Arztebl 97(15):A1017–A1023
10.
Zurück zum Zitat Ubel PA (2000) Pricing life. Why it’s time for health care rationing. MIT Press, Cambridge/Mass Ubel PA (2000) Pricing life. Why it’s time for health care rationing. MIT Press, Cambridge/Mass
11.
Zurück zum Zitat Bentham J (1843) Anarchical fallacies, Bd. 2 of Bowring (Hrsg) Works, Article 2. Russell & Russell, New York Bentham J (1843) Anarchical fallacies, Bd. 2 of Bowring (Hrsg) Works, Article 2. Russell & Russell, New York
12.
Zurück zum Zitat Gabler Verlag (2011) Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: Rationierung, online im Internet: http://wirtschaftslexikon.gabler.de/Archiv/17968/rationierung-v8.html Gabler Verlag (2011) Gabler Wirtschaftslexikon, Stichwort: Rationierung, online im Internet: http://​wirtschaftslexik​on.​gabler.​de/​Archiv/​17968/​rationierung-v8.​html
13.
Zurück zum Zitat Samuelson PA, Nordhaus WD (2007) Volkswirtschaftslehre, 3. Aufl. Ueberreuter, Landsberg/Lech Samuelson PA, Nordhaus WD (2007) Volkswirtschaftslehre, 3. Aufl. Ueberreuter, Landsberg/Lech
14.
Zurück zum Zitat Case KE, Fair RC (2008) Principles of economics, 8. Aufl. Pearson, Upper Saddle River, New York Case KE, Fair RC (2008) Principles of economics, 8. Aufl. Pearson, Upper Saddle River, New York
15.
16.
Zurück zum Zitat Garland MJ (1992) Rationing in public: Oregon’s priority-setting methodology. In: Strosberg MA, Wiener JM, Baker R (Hrsg) Rationing America’s medical care: the Oregon Plan and beyond. Brookings Institution, Washington, S 37–59 Garland MJ (1992) Rationing in public: Oregon’s priority-setting methodology. In: Strosberg MA, Wiener JM, Baker R (Hrsg) Rationing America’s medical care: the Oregon Plan and beyond. Brookings Institution, Washington, S 37–59
17.
Zurück zum Zitat Montgomery FU (2011) Ehrliche Priorisierung medizinischer Leistungen statt heimlicher Rationierung, Interview. Forschung Lehre 18(8):580–582 Montgomery FU (2011) Ehrliche Priorisierung medizinischer Leistungen statt heimlicher Rationierung, Interview. Forschung Lehre 18(8):580–582
18.
Zurück zum Zitat Calabresi G, Bobbitt P (1978) Tragic choices. Norton, New York Calabresi G, Bobbitt P (1978) Tragic choices. Norton, New York
19.
Zurück zum Zitat Breyer F, Kliemt H (1994) Lebensverlängernde medizinische Leistungen als Clubgüter? In: Homann K (Hrsg) Wirtschaftsethische Perspektiven. Duncker & Humblot, Berlin, S 131–158 Breyer F, Kliemt H (1994) Lebensverlängernde medizinische Leistungen als Clubgüter? In: Homann K (Hrsg) Wirtschaftsethische Perspektiven. Duncker & Humblot, Berlin, S 131–158
20.
Zurück zum Zitat Krämer W (1989) Die Krankheit des Gesundheitswesens. Die Fortschrittsfalle der modernen Medizin, 2. Aufl. Fischer, Frankfurt/M Krämer W (1989) Die Krankheit des Gesundheitswesens. Die Fortschrittsfalle der modernen Medizin, 2. Aufl. Fischer, Frankfurt/M
21.
Zurück zum Zitat Hall MA (1994) The problems with rules-based rationing. J Med Philos 19:315–332PubMed Hall MA (1994) The problems with rules-based rationing. J Med Philos 19:315–332PubMed
22.
Zurück zum Zitat Mechanic D (1992) Professional judgment and the rationing of medical care. University of Pennsylvania Law Review 140:1713–1754PubMedCrossRef Mechanic D (1992) Professional judgment and the rationing of medical care. University of Pennsylvania Law Review 140:1713–1754PubMedCrossRef
23.
Zurück zum Zitat Hunter DJ (1995) Rationing of health care: the political perspective. Br Med Bull 51(4):876–884PubMed Hunter DJ (1995) Rationing of health care: the political perspective. Br Med Bull 51(4):876–884PubMed
24.
Zurück zum Zitat Kliemt H (1993) Gerechtigkeitskriterien in der Transplantationsmedizin – eine ordoliberale Perspektive. In: Nagel E, Fuchs C (Hrsg) Soziale Gerechtigkeit im Gesundheitswesen. Springer, Berlin u. a., S 262–276 Kliemt H (1993) Gerechtigkeitskriterien in der Transplantationsmedizin – eine ordoliberale Perspektive. In: Nagel E, Fuchs C (Hrsg) Soziale Gerechtigkeit im Gesundheitswesen. Springer, Berlin u. a., S 262–276
25.
Zurück zum Zitat Loewy EH (1991) Cost should not be a factor in medical care. N Engl J Med 302:697 Loewy EH (1991) Cost should not be a factor in medical care. N Engl J Med 302:697
26.
Zurück zum Zitat Popper KR (1980) Die offene Gesellschaft und ihre Feinde I. Der Zauber Platons, 6. Aufl. Francke, Tübingen Popper KR (1980) Die offene Gesellschaft und ihre Feinde I. Der Zauber Platons, 6. Aufl. Francke, Tübingen
27.
Zurück zum Zitat Schultheiss C (2004) Im Räderwerk impliziter Rationierung Auswirkungen der Kostendämpfung im deutschen Gesundheitswesen. Psychoneuro 30:221–226, 568–574CrossRef Schultheiss C (2004) Im Räderwerk impliziter Rationierung Auswirkungen der Kostendämpfung im deutschen Gesundheitswesen. Psychoneuro 30:221–226, 568–574CrossRef
28.
Zurück zum Zitat Strech D, Synofzik M, Marckmann G (2008) How physicians allocate scarce resources at the bedside: a systematic review of qualitative studies. J Med Philos 33:80–99PubMedCrossRef Strech D, Synofzik M, Marckmann G (2008) How physicians allocate scarce resources at the bedside: a systematic review of qualitative studies. J Med Philos 33:80–99PubMedCrossRef
29.
Zurück zum Zitat Marckmann G, Siebert U (2002) Kosteneffektivität als Allokationskriterium in der Gesundheitsversorgung. Z Med Ethik 48:171–190 Marckmann G, Siebert U (2002) Kosteneffektivität als Allokationskriterium in der Gesundheitsversorgung. Z Med Ethik 48:171–190
30.
Zurück zum Zitat Häußler B, Albrecht M (2010) Eine Versicherung für den Fortschritt. In: Häußler B, Isenberg T, Klusen N, Penk A (Hrsg) Jahrbuch der medizinischen Innovationen, Bd. 6: Innovation und Gerechtigkeit. Schattauer, Stuttgart, S 81–86 Häußler B, Albrecht M (2010) Eine Versicherung für den Fortschritt. In: Häußler B, Isenberg T, Klusen N, Penk A (Hrsg) Jahrbuch der medizinischen Innovationen, Bd. 6: Innovation und Gerechtigkeit. Schattauer, Stuttgart, S 81–86
31.
Zurück zum Zitat Kingreen T (2011) Knappheit und Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen. In: Höfling W (Hrsg) Der Schutzauftrag des Rechts. Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer. de Gruyter, Berlin Boston, S 152–194 Kingreen T (2011) Knappheit und Verteilungsgerechtigkeit im Gesundheitswesen. In: Höfling W (Hrsg) Der Schutzauftrag des Rechts. Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer. de Gruyter, Berlin Boston, S 152–194
Metadaten
Titel
Implizite versus explizite Rationierung von Gesundheitsleistungen
verfasst von
Prof. Dr. F. Breyer
Publikationsdatum
01.05.2012
Verlag
Springer-Verlag
Erschienen in
Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz / Ausgabe 5/2012
Print ISSN: 1436-9990
Elektronische ISSN: 1437-1588
DOI
https://doi.org/10.1007/s00103-012-1467-6

Weitere Artikel der Ausgabe 5/2012

Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 5/2012 Zur Ausgabe

Leitlinien kompakt für die Allgemeinmedizin

Mit medbee Pocketcards sicher entscheiden.

Seit 2022 gehört die medbee GmbH zum Springer Medizin Verlag

Facharzt-Training Allgemeinmedizin

Die ideale Vorbereitung zur anstehenden Prüfung mit den ersten 24 von 100 klinischen Fallbeispielen verschiedener Themenfelder

Mehr erfahren

Niedriger diastolischer Blutdruck erhöht Risiko für schwere kardiovaskuläre Komplikationen

25.04.2024 Hypotonie Nachrichten

Wenn unter einer medikamentösen Hochdrucktherapie der diastolische Blutdruck in den Keller geht, steigt das Risiko für schwere kardiovaskuläre Ereignisse: Darauf deutet eine Sekundäranalyse der SPRINT-Studie hin.

Therapiestart mit Blutdrucksenkern erhöht Frakturrisiko

25.04.2024 Hypertonie Nachrichten

Beginnen ältere Männer im Pflegeheim eine Antihypertensiva-Therapie, dann ist die Frakturrate in den folgenden 30 Tagen mehr als verdoppelt. Besonders häufig stürzen Demenzkranke und Männer, die erstmals Blutdrucksenker nehmen. Dafür spricht eine Analyse unter US-Veteranen.

Metformin rückt in den Hintergrund

24.04.2024 DGIM 2024 Kongressbericht

Es hat sich über Jahrzehnte klinisch bewährt. Doch wo harte Endpunkte zählen, ist Metformin als alleinige Erstlinientherapie nicht mehr zeitgemäß.

Myokarditis nach Infekt – Richtig schwierig wird es bei Profisportlern

24.04.2024 DGIM 2024 Kongressbericht

Unerkannte Herzmuskelentzündungen infolge einer Virusinfektion führen immer wieder dazu, dass junge, gesunde Menschen plötzlich beim Sport einen Herzstillstand bekommen. Gerade milde Herzbeteiligungen sind oft schwer zu diagnostizieren – speziell bei Leistungssportlern. 

Update Allgemeinmedizin

Bestellen Sie unseren Fach-Newsletter und bleiben Sie gut informiert.