Manchmal lohnt es sich, Patienten trotz ungünstiger Prognose nicht gleich aufzugeben: Eine 36-jährige Frau zeigte 20 Tage nach einem Herzstillstand bei den somatosensibel evozierten Potenzialen keine N20-Antwort. Einige Tage später wachte sie auf.
Im Zweifel doch noch einen Versuch wagen – das ist Botschaft aus einem ungewöhnlichen Verlauf bei einer 36-jährigen Frau, die nach einem Herzstillstand im Koma lag. Die Ärzte sahen eigentlich keine Chance mehr auf eine Erholung, die Angehörigen pochten aber auf eine aggressive Weiterbehandlung. Entgegen aller Wahrscheinlichkeit wachte die Frau nach fast 30 Tagen tatsächlich wieder auf und gewann langsam ihr Leben zurück.
Dabei hätten ihre Chancen tatsächlich äußerst schlecht gestanden, berichten Neurointensivmediziner um Dr. Jessica Weinstein von der Universität in Philadelphia. Die Patientin erlitt am Arbeitsplatz einen Herzstillstand; Mitarbeiter versuchten zwar eine Herzdruckmassage, einen stabilen Rhythmus erzielten jedoch erst die Rettungssanitäter nach fünf Schocks und drei Adrenalingaben.
In der Klinik wurde die komatöse Frau leitliniengerecht für 24 Stunden auf 33°C Körpertemperatur gekühlt. Zwei Tage später entwickelte sie gelegentlich Myoklonien, verblieb aber im Koma. Das EEG offenbarte häufige periodische epileptogene Entladungen, die auch unter Levetiracetam und Lacosamid persistierten. Die Muskelzuckungen ließen sich schließlich mit Propofol und Midazolam begrenzen, allerdings hatte die Medikation nur wenig Einfluss auf die Entladungen im EEG.
Malignes EEG
Nach 20 Tagen Koma untersuchten die Ärzte die kortikalen somatosensibel evozierten Potenziale. Dabei fanden sie bilateral keine N20-Antwort. In solchen Fällen liege die Wahrscheinlichkeit für eine günstige Prognose bei weniger als 0,5%, berichtet das Team um Weinstein. Sie teilten den Angehörigen daraufhin mit, dass sie letztlich keine Chance für eine bedeutsame neurologische Erholung sähen. Dennoch wollte die Familie der Betroffenen weiterhin eine maximale medizinische Versorgung.
29 Tage nach dem Herzstillstand öffnete die Patientin völlig überraschend die Augen und schien den Bewegungen des Pflegepersonals zu folgen, nach weiteren zwei Tagen konnte sie auf Ansprache reagieren.
In den folgenden beiden Wochen sahen die Ärzte deutliche kognitive Verbesserungen, nach 45 Tagen entließen sie die Patientin in die Reha. Zu diesem Zeitpunkt erkannte sie bereits wieder Freunde und Familie und sprach in ganzen Sätzen. Sechs Monate später zeigte sie nur noch eine leichte Dysarthrie und geringe Defizite beim Kurzzeitgedächtnis, auch konnte sie wieder mithilfe eines Stocks gehen.
Die Intensivmediziner um Weinstein weisen darauf hin, dass bei der Patientin neben der fehlenden N20-Antwort auch ein malignes EEG-Muster bestanden habe. Hinzu komme die lange Komadauer, die ein Erwachen sehr unwahrscheinlich mache. Letztlich hätte es wohl kaum jemand für möglich gehalten, dass sich ein Patient unter solchen Umständen wieder erholt.
Ärzte sollten daher mit ihrer Prognose sehr vorsichtig sein und nicht in die Falle einer selbsterfüllenden Prophezeiung tappen, indem sie bei Patienten mit angeblich schlechter Prognose die intensivmedizinische Versorgung zurückfahren und so erst für die schlechte Prognose sorgen. Ein früher Verzicht auf medizinische Maßnahmen wegen vermeintlich schlechter Aussichten sollte unbedingt vermieden werden, schlussfolgern die US-Neurologen.