Entfernung der gelockerten/ausgerissenen Pedikelschraube. Austasten des Schraubenkanals und Reimplantation unter Verwendung einer anderen Trajektorie, eines größeren Schraubendurchmessers oder einer zementaugmentierten Pedikelschraube.
Weiterbehandlung
Frühfunktionelle Mobilisation und ggf. Einleitung einer Osteoporosetherapie.
Ergebnisse
In einer biomechanischen Studie an humanen Kadaverwirbelkörpern erfolgte ein Dauerbelastungstest mit augmentierten sowie nichtaugmentierten Pedikelschrauben. Nach eingetretener Lockerung wurden eine nachträgliche Augmentation der gelockerten, nichtaugmentierten Schrauben und ein erneuter Dauerbelastungstest durchgeführt. Sowohl die initiale (p = 0,009) als auch die Augmentation nach Lockerung (p = 0,001) zeigten einen signifikanten Anstieg der Versagenslast verglichen mit den nichtaugmentierten Pedikelschrauben. In unserem eigenen Patientenkollektiv aus dem Zeitraum April 2016 bis August 2018 zeigte sich bei 11 von 542 mit Pedikelschrauben versorgten Patienten eine intraoperative Schraubenlockerung. Diese wurde in 6 Fällen mit einer nachträglichen Augmentation und in 5 Fällen mit einem dickeren Schraubendurchmesser revidiert. In der postoperativen Kontrolle nach 6 Wochen zeigte sich keine dieser Schrauben erneut gelockert.
Hinweise
Redaktion
K. Dresing, Göttingen
Zeichner
R Himmelhan, Mannheim
Vorbemerkungen
Die Lockerung von Pedikelschrauben ist die häufigste Versagensursache dorsaler Instrumentationen im postoperativen Verlauf [1‐3]. Jedoch kann es auch bereits intraoperativ zu einem Versagen der eingebrachten Schrauben kommen. Bei der Reposition von Frakturen oder bei Distraktions-Kompressions-Manövern, wird bereits eine relevante Kraft auf das Schrauben-Knochen-Interface ausgeübt und somit kann es bereits in diesem Stadium zu einer Schraubenlockerung kommen.
Aus biomechanischen Studien ist bekannt, dass Pedikelschrauben bei osteoporotischer/osteopener Knochenstruktur nur noch unzureichend stabil im Wirbelkörper verankert werden können und somit bei einer Knochendichte unter 80 mg/cm3 die Versagenslast im Vergleich zu einem Wirbelkörper mit normaler Knochendichte um 40 % abfällt [4].
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Die Zementaugmentation von Pedikelschrauben wurde bereits vielfach biomechanisch untersucht. Sowohl aus „Pull-out“-Versuchen als auch aus Dauerbelastungstests ist bekannt, dass die Pedikelschraubenstabilität signifikant gesteigert werden kann [5‐7]. Auch bei einer Pseudarthrose mit konsekutiv eingetretener Lockerung der einliegenden Instrumentation konnte die Schraubenstabilität mittels nachträglicher Zementaugmentation wiederhergestellt werden [8].
Bei osteopener/osteoporotischer Knochenqualität kann es, wie oben erwähnt, jedoch bereits intraoperativ zu einer Pedikelschraubenlockerung kommen. Aus unserer Sicht ist in solchen Fällen eine Zementaugmentation auch noch nachträglich, nach intraoperativ bereits eingetretener Lockerung möglich.
Ein weiteres Verfahren, um eine intraoperativ gelockerte Pedikelschraube erneut stabil im Wirbelkörper zu verankern, ist die Wahl eines größeren Schraubendurchmessers oder die Implantation in einer anderen Schraubentrajektorie [9‐12].
Operationsprinzip und -ziel
Ziel des Eingriffs ist die Revision einer intraoperativ gelockerten Pedikelschraube. Die eingebrachten Pedikelschrauben sollten anschließend eine ausreichende Stabilität aufweisen, um eine gegebenenfalls durchgeführte Reposition zu halten, eine Frakturheilung zu gewährleisten oder eine knöcherne Fusion zu ermöglichen.
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Vorteile
Stabile Verankerung der Pedikelschrauben im Wirbelkörper
Reduzierung der Komplikationsrate durch Verbesserung der Implantatstabilität
Einfach zu erlernende und anzuwendende Techniken
Frühfunktionelle Nachbehandlung des oftmals geriatrischen Patientenkollektivs
Nachteile
Allgemeine Operationsrisiken
Möglichkeit der Implantatfehllage und Verletzung benachbarter Strukturen
Möglichkeit einer Zementembolie oder einer Zementleckage, anaphylaktischer Reaktionen mit relevanten Kreislaufreaktionen sowie thermischer Schäden [13]
Symptomatische Komplikationen in 5,5 % der Fälle
Asymptomatische Zementleckage in 66,7 % der Fälle
Anaphylaktische Reaktion in 1,2 % der Fälle
Im Revisionsfall muss von einem höheren Leckagerisiko ausgegangen werden, da der Schraubenkanal erweitert ist und ggf. eine Perforation vorliegt
Indikationen
Intraoperativ gelockerte oder ausgerissene Pedikelschrauben
Kontraindikationen
Allgemeine Kontraindikationen bezüglich Anästhesie und Operation
Patientenaufklärung
Allgemeine Operationsrisiken
Verletzungen benachbarter Strukturen z. B. Spinalnerv, Dura, Myelon, Gefäße
Ausführliche Anamnese und Untersuchung des Patienten.
Bestimmung der Knochendichte in den zu instrumentierenden Wirbelkörpern mittels quantitativer Computertomographie (qCT) oder DXA-Messung („dual energy X‑ray absorptiometry“)
Planung der Schraubenlänge und -dicke anhand der vorhandenen Bildgebung
Instrumentarium
Pedikelschraubensystem
Bildwandler
Bei Zementaugmentation kanülierte, fenestrierte Schrauben und Augmentationskit mit Knochenzement
Anästhesie und Lagerung
Vollnarkose
Bauchlage auf einem röntgendurchlässigen Tisch
Während der Zementaugmentation Erhöhung des PEEP („positive end-expiratory pressure“) zur Prävention einer Zementleckage
Direkt postoperative Kontrolle der peripheren Durchblutung, Motorik und Sensibilität
Mobilisation ab dem 1. postoperativen Tag
Radiologische Kontrolle mit konventionellem Röntgenbild und ggf. CT
Funktionelle Nachbehandlung unter Vermeidung des Hebens schwerer Lasten >5 kg
Medikamentöse Behandlung der Osteoporose
Ggf. Materialentfernung im Verlauf (>6 Monate)
Fehler, Gefahren, Komplikationen
Zementleckage und -embolie
Verletzungen benachbarter Strukturen, insbesondere Spinalnerv, Dura, Myelon
Materialfehllage, Materiallockerung
Ergebnisse
In einer von den Autoren durchgeführten biomechanischen Studie wurde die nachträgliche Augmentation nach intraoperativer Schraubenlockerung untersucht. Es wurden 14 humane LWK 2 Wirbelkörper (Durchschnittsalter 72 ± 14 Jahre) in die Studie eingeschlossen. Bei allen Präparaten lag eine Osteopenie/Osteoporose vor (Mittelwert BMD [„bone mineral density“] 72 ± 22 mg/cm3; qCT). Es erfolgte ein sinusförmiger Dauerbelastungstest (50–100 N) mit einer zyklischen Laststeigerung um 0,1 N bis zur Lockerung der Schrauben. Die Testung erfolgte zunächst auf der einen Seite mit augmentierten und auf der anderen Seite mit nichtaugmentierten Pedikelschrauben. Nach eingetretener Lockerung der eingebrachten Schrauben, erfolgte eine nachträgliche Augmentation der gelockerten, nichtaugmentierten Schraube und es wurde ein erneuter Dauerbelastungstest durchgeführt. Die injizierten Zementvolumina richteten sich nach dem radiologischen Befund während der Augmentation und betrugen im Fall der initialen Augmentation 2–3 ml und im Falle der Augmentation nach Lockerung 2–5 ml. Ausgewertet wurden die gemessenen Steifigkeiten sowie die Zyklen und die Kraft bis zum Versagen.
Durch die initiale Augmentation zeigte sich ein Anstieg der Versagenslast um 45 % verglichen mit den nichtaugmentierten Schrauben (nichtaugmentiert 207 N, 1078 Zyklen vs. augmentiert 301 N, 2012 Zyklen; p = 0,009). Die nach bereits eingetretener Lockerung augmentierten Schrauben zeigten einen Anstieg der Versagenslast um 79 % verglichen mit den nichtaugmentierten Schrauben (370 N, 2728 Zyklen; p = 0,001). Der weitere Anstieg der Versagenslast bei den nach Lockerung augmentierten Schrauben ist vermutlich darauf zurückzuführen, dass durch die Lockerung ein Cavum für den Zement geschaffen wird und die instabile Spongiosa bereits bricht. Anschließend kann ein größeres Zementvolumen appliziert werden und durch die somit größere Auflagefläche kommt es zum Anstieg der Versagenslast. Der Unterschied der Last bis zum Versagen zwischen den augmentierten und den nach Lockerung augmentierten Schrauben ist jedoch nicht signifikant (p = 0,056). Es ist daher zu schlussfolgern, dass die nachträgliche Augmentation einer intraoperativ gelockerten Schraube möglich und bezüglich der Schraubenstabilität mindestens gleichwertig verglichen mit der Augmentation nichtgelockerter Pedikelschrauben ist.
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In unserem eigenen Patientenkollektiv aus dem Zeitraum April 2016 bis August 2018 zeigte sich bei 11 Patienten eine intraoperative Schraubenlockerung. Definiert wurde die Lockerung hierbei als radiologische Dislokation einer eingebrachten Schraube beziehungsweise klinisch signifikante Lockerung in Form einer wackelnden Schraube im Wirbelkörper ohne relevantes Eindrehmoment. Diese Lockerungen behandelten wir in 6 Fällen mit einer nachträglichen Augmentation über fenestrierte Pedikelschrauben und in 5 Fällen durch Auswahl eines dickeren Schraubendurchmessers. In der postoperativen Kontrolle nach 6 Wochen zeigte sich keine dieser Schrauben radiologisch erneut gelockert (konventionelles Röntgen-CT) und die Patienten berichteten nicht über eine erneut zunehmende Beschwerdesymptomatik.
Die Entscheidung, ob eine nachträgliche Augmentation der gelockerten Schrauben erfolgen oder diese durch eine dickere Schraube ersetzt werden sollte, richtet sich – nach unserer Meinung – nach der vorliegenden Knochendichte. Kiner et al. beschrieben in ihrer biomechanischen Untersuchung, dass die Wahl einer dickeren Pedikelschraube der Zementaugmentation überlegen sei [9]. Jedoch erfolgte die Zementaugmentation nicht über fenestrierte Schrauben, welche eine signifikant höhere Stabilität verglichen mit per Vertebroplastie augmentierten Schrauben aufweisen [5]. Des Weiteren wurde in den Experimenten die Knochendichte, welche aus unserer Sicht den entscheidenden Faktor darstellt, nicht ausreichend berücksichtigt und die Testung erfolgte nicht bis zur Schraubenlockerung.
Zusammenfassend sollte aus unserer Sicht im Fall einer intraoperativen Schraubenlockerung immer eine an die Pedikelweite optimierte Schraubendicke gewählt werden und in Abhängigkeit der vorliegenden Knochendichte über eine zusätzliche Augmentation entschieden werden.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
L. Weiser, S. Sehmisch, L. Viezens und W. Lehmann geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autoren keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
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