Diskussion
Als ein integriertes, sektorenübergreifendes und plattformunterstütztes Versorgungskonzept soll sich die Parkinson-Versorgung in PANOS an einem definierten, vorab konsentierten Behandlungspfad orientieren und nachhaltig etabliert werden.
Der in PANOS konsentierte Behandlungspfad [
16] war ein erster wichtiger Schritt, eine kontinuierliche und sichere Versorgung von Parkinson-Betroffenen zu ermöglichen. Dafür wurde eine Plattform mit elektronischer Patientenakte entwickelt, um eine gemeinsame, intersektorale Patientenversorgung in PANOS wahrnehmen zu können. Die Nutzung der Plattform setzt einen Internetzugang mit ausreichender Bandbreite voraus, welche aber aufgrund von praxisinhärenten oder infrastrukturellen Gründen nicht in allen Praxen gegeben ist. Daher ist zu erwarten, dass insbesondere niedergelassene Ärzt*innen Schwierigkeiten haben werden, die Plattform zu erreichen und zu pflegen. Dieser Aspekt wurde auch von der Mehrheit aller Befragten als erschwerender Faktor für eine Akzeptanz von PANOS beurteilt und spiegelt die Problematik wider, dass trotz zunehmender Breitbandverfügbarkeit in Deutschland diese noch nicht flächendeckend existent ist [
22]. Die damit verbundene schwierige Integrierbarkeit der Plattform in den Praxisalltag wurde ebenfalls als potenzielle Barriere bewertet. Dies zeigt die dringende Notwendigkeit, Bemühungen zur Entwicklung niederschwelliger Lösungen zu intensivieren, um derartige intersektoral genutzte Plattformen in bestehende Arzt- bzw. Klinikinformationssysteme zu integrieren und damit deren Nutzenpotential auszuschöpfen. Das Potenzial begründet sich in der gemeinsamen Dokumentation patientenspezifischer Behandlungsdaten durch alle klinischen und ambulanten Leistungserbringer in PANOS und wird einen großen Mehrwert für die Versorgungsqualität der Parkinson-Erkrankten schaffen, da somit ein zügiger Informationsfluss und eine verbesserte Informiertheit aller Behandler gewährleistet werden kann. Für PANOS-assoziierte Ärzt*innen bedeutet dies jedoch, Behandlungsdaten sowohl in ihrer Patientenakte, z. B. im Praxisverwaltungssystem, als auch in der elektronischen Patientenakte auf einer Plattform von PANOS zu dokumentieren. Die mögliche, aus der Doppeldokumentation resultierende zeitliche Einschränkung und Fehleranfälligkeit wurde von den befragten Neurolog*innen als größte Barriere herausgestellt und wurde auch in der bestehenden Literatur als Barriere im deutschen Gesundheitswesen beschrieben [
4]. Ein bereits geschaffener Ansatz, der diese Barriere reduzieren soll, ist die Übernahme eines standardisierten Symptommonitorings der Patient*innen sowie die Auswertung dieser Daten durch die verantwortlichen Neurolog*innen in den Parkinson-Zentren. Auf diese Weise werden die niedergelassenen Hausärzt*innen und Neurolog*innen entlastet und können zugleich auf die Monitoringdaten auf der Plattform zugreifen, um eine lückenlose Information über ihre Patient*innen sicherzustellen. Zudem sind adäquate finanzielle Vergütungen zu empfehlen, um den zeitlichen Mehraufwand der Leistungserbringenden, z. B. durch Doppeldokumentationen, zu kompensieren. Auch die detaillierte Aufklärung der Patient*innen über Datenschutzmaßnahmen erfolgt in PANOS nicht durch die niedergelassenen Hausärzt*innen und Neurolog*innen, sondern zentral durch die Neurolog*innen in den Parkinson-Zentren sowie über ein Informationsschreiben. Etwaige Datenschutzbedenken können somit vor Einschluss in PANOS adressiert werden, was zur Entlastung der niedergelassenen Ärzt*innen sowie zu einer höheren Standardisierung des Aufklärungsprozesses beiträgt. Diese Maßnahmen und der PANOS-inhärente Netzwerkcharakter ebnen zudem den Weg zu einer verbesserten intersektoralen Kommunikation und Kooperation, die v. a. von den befragten Neurolog*innen als ein mögliches Hindernis benannt wurde. Die noch immer bestehende Sektorierung im deutschen Gesundheitssystem kann nachweislich eine integrierte und interdisziplinäre Patientenversorgung in Deutschland erheblich beeinträchtigen [
6,
7,
15]. Vor allem im Hinblick auf die medikamentöse Behandlung, als eine der wichtigsten Therapiesäulen der Parkinson-Erkrankung [
6], ist die Vermeidung von Versorgungsbrüchen in der Patientenversorgung an der Schnittstelle zwischen ambulantem und stationärem Sektor ausschlaggebend, um schwerwiegende Komplikationen bei den Betroffenen zu vermeiden [
14]. Dieser Herausforderung wird in PANOS durch die Nutzung der gemeinsamen Plattform und der Zusammenarbeit in einem interprofessionellen Netzwerk Rechnung getragen.
Die befragten Hausärzt*innen sehen weiterhin speziell in den restriktiven Verordnungs- und Budgetgrenzen durch die Krankenkassen Schwierigkeiten für die Implementierung von PANOS. Die Bewertung könnte durch die gesetzlichen Vorgaben zur Wirtschaftlichkeitsprüfung (§106b SGB V) begründet sein, die trotz der neuen Rahmenvorgaben des Spitzenverbandes Bund der Krankenkassen und der Kassenärztlichen Bundesvereinigung [
22] Verunsicherungen und Ängste vor Regressforderungen in der Ärzteschaft hinterlässt. Spezielle medikamentöse Verordnungen für Parkinson-Patient*innen können nicht in jedem Fall und Ausmaß durch Hausärzt*innen realisiert werden, ohne dass mögliche Prüfverfahren zur Wirtschaftlichkeit angestoßen würden, die einen möglichen Regress nach sich ziehen könnten [
13]. Für das Verordnungsverhalten der Neurolog*innen besteht in diesem Rahmen eine größere Freiheit, was auch die divergenten Antworten der Befragten erklären kann. In PANOS wurden diesbezüglich Maßnahmen ergriffen, um Regressängsten der Ärzt*innen vorzubeugen. Niedergelassene PANOS-assoziierte Ärzt*innen können alle Verordnungen, die im Rahmen von PANOS getätigt werden, über eine spezifische Gebührenordnungsposition (GOP), eine „Pseudo-GOP“, kenntlich machen, die bei entsprechenden Wirtschaftlichkeitsprüfungen Berücksichtigung finden wird.
Eine geringe Teilnahmebereitschaft der Patient*innen wurde von beiden Arztgruppen als unwahrscheinlichste Hürde zur Akzeptanz beurteilt. Dies könnte insbesondere darin begründet sein, dass die Ziele zur Optimierung der Parkinson-Versorgung durch PANOS den Betroffenen einen hohen Mehrwert durch die Zugehörigkeit im PANOS-Netzwerk bieten werden.
Insgesamt finden sich nach Bewertung durch die ärztlichen und wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen die Konstrukte „Interventionskohärenz“, „Belastung“ und „Opportunitätskosten“ am häufigsten wieder. Die höchste Konsensquote erreichten Konstrukte, welche die Belastung, die Wirksamkeit und die Kohärenz der Intervention fokussieren. Das Ergebnis unterstreicht die Annahme des TFA, dass Implementierungsbarrieren verhaltensassoziiert sind und im Verlauf der Intervention wichtige Anhaltspunkte für eine Veränderung darstellen können. Sekhon et al. weisen darauf hin, dass der Zeitpunkt der Bewertung ein wichtiges Unterscheidungsmerkmal bei der Anwendung des TFA ist und Patient*innen als auch Leistungserbringenden bereits vor einer Intervention in der Lage sind, ein Urteil über die erwartete Akzeptanz fällen zu können [
19]. Zudem kann eine Vorabbewertung von Einflussfaktoren der erwarteten Akzeptanz einer Intervention aufzeigen, welche gezielten Änderungen in diesem Rahmen notwendig sind, um die anwenderseitige Akzeptanz zu erhöhen und damit die Behandlungsergebnisse zu optimieren [
19,
21]. Basierend auf den explorierten Ergebnissen wurden daher Implikationen für die Praxis als netzwerkübergreifende Empfehlungen formuliert (s. Infobox
1).
Ob die Diskrepanz zwischen den individuellen Erwartungen der Patient*innen und Ärzt*innen und der Versorgungsrealität tatsächlich besteht oder im Verlauf von PANOS reduziert werden kann, bleibt abzuwarten. Es wird ein Vergleich der in dieser Arbeit beschriebenen Barrieren mit jenen, die zum Abschluss der Ergebnisevaluation in PANOS bewertet werden, angestrebt. Dieser Vergleich wird Aufschluss darüber geben, welche Maßnahmen in PANOS effektiv waren und in welchen Bereichen weitere Anpassungen notwendig sind, um das pfadbasierte Netzwerk nachhaltig zu implementieren. Die explorierten Herausforderungen können zudem helfen, die bereits entwickelten Qualitätsindikatoren hinsichtlich einer Akzeptanz und Verstetigung von PANOS auszudifferenzieren. Es ist zu empfehlen, die vorab bewerteten möglichen Herausforderungen für die Akzeptanz und den Prozess der Verstetigung von Netzwerkverbünden zu berücksichtigen, um den Versorgungsprozess für Patient*innen und Ärzt*innen von Beginn an effizient und effektiv zu gestalten und damit die anwenderseitige Akzeptanz zu erhöhen.
Stärken und Limitationen
Die Befragten bewerteten die möglichen Barrieren vor Beginn der Intervention. Dies hat den Vorteil, die Beteiligten für mögliche Einflussfaktoren zu sensibilisieren, die sich auf die Akzeptanz der Intervention auswirken und somit dessen Erfolg reduzieren könnten. Es wurde eine selektive Literaturrecherche durchgeführt. Daher ist es möglich, dass weitere Barrieren in der Literatur existieren, die jedoch nicht mit in die Befragung einbezogen wurden. Da die Akzeptanz des Behandlungspfades in PANOS fortwährend evaluiert wird, könnten im Verlauf weitere Barrieren aufgedeckt werden, die in der Literatur bisher noch nicht beschrieben wurden. In die Befragung wurden Neurolog*innen und Hausärzt*innen eingeschlossen. Die Ergebnisse der Befragung geben somit eine vielschichtige fachliche Expertise wieder. Limitierend ist an dieser Stelle anzumerken, dass die Ergebnisse der Befragung auf einer geringen Teilnehmerzahl basieren. Diese begründet sich darin, dass zum Zeitpunkt der PANOS-Workshops in der ersten Jahreshälfte von 2020 wenige Ärzt*innen involviert waren, die so ausreichend über PANOS informiert waren, um an der Befragung teilnehmen zu können. Die Stichprobengröße wird sich jedoch im Verlauf von PANOS vergrößern und stellt somit weitere Analysen während der Intervention bzw. für eine Schlussbetrachtung von PANOS auf eine verlässlichere Datenbasis. In die Befragung wurden speziell jene Ärzt*innen eingeschlossen, die bereits zuvor Interesse an PANOS zeigten, indem sie aktiv an den Workshops teilnahmen. Unberücksichtigt blieben Ärzt*innen, die bisher im Rahmen von PANOS noch nicht aktiv in Erscheinung getreten sind. Aus diesem Grund ist ein Selektionsbias – zugunsten von Befragungsteilnehmer*innen mit möglicherweise überoptimistischen Erwartungen – nicht auszuschließen. Zudem ist es möglich, dass sich die Befragten im Ausmaß der Informiertheit über die Versorgungsintervention unterschieden.
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