Zu den „Osnabrücker Thesen zur Psychotherapie“ – „Mehr Vielfalt im Psychotherapiestudium“
Ideen zur Umsetzung für die nächsten 5 Jahre3
In verschiedenen Arbeitsgruppen (AG1–5) wurden während der Veranstaltung am 24. und 25.10.2019 Ideen dazu zusammengetragen, wie eine dynamische Weiterentwicklung und ein Pluralismus insbesondere im zukünftigen Studium zur Approbation in Psychotherapie gefördert werden können. Diese Ideen wurden von der unterzeichnenden Steuerungsgruppe zusammengeführt, geordnet und in konkrete Anregungen überführt. Dabei stand im Mittelpunkt, Formulierungen zu wählen, die zu einer Berücksichtigung motivieren, sowie Impulse für die Umsetzung zu setzen, ohne eine Wertung vorzunehmen. Deshalb stellen diese Vorschläge keine konsentierten Abschlusspositionen dar, sondern eine Sammlung zum Beginn einer weiterzuführenden Diskussion zur Entwicklung der Vielfalt der Psychotherapie in Forschung, Aus- und Weiterbildung.
Folgende Themengruppen werden vorgestellt:
Lehre in den unterschiedlichen Behandlungsverfahren, -methoden und Neuentwicklungen,
weitere Lehrschwerpunkte, Kooperationen,
Dozentinnen und Dozenten, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler,
Hochschulambulanzen,
Förderprogramme.
Wichtig ist uns folgender Hinweis: Ein Studium mit dem Abschluss einer Approbation muss neben einem Verfahrens- und Methodenpluralismus auch zahlreiche weitere Ausbildungsinhalte abdecken. Da diese Aspekte jedoch in der Fachdiskussion zwischen Kammern, Verbänden und Universitätsvertretungen besonders viel Aufmerksamkeit finden, wurden sie für den Anhang zum Thesenpapier in den Mittelpunkt gestellt. Letztlich nahmen wir die Diskussion in Osnabrück so wahr, dass vom Teilnehmerkreis zum einen ein kompletter Verzicht auf die Verfahrensspezifität als nichtzielführend bewertet wurde, insbesondere vor dem Hintergrund der aktuellen Psychotherapierichtlinie. Zum anderen wurden aber auch Forderungen nach Professuren zu allen wissenschaftlich anerkannten Verfahren an allen Ausbildungsstandorten in den nächsten Jahren als nichtumsetzbar angesehen, auch wenn dies die Universitätsinstitute nicht von der Verantwortung entbindet, eine fachlich qualifizierte Lehre der Basiskompetenzen in den wissenschaftlich anerkannten Verfahren und Methoden zu gewährleisten.
Prof. Dr. C. Antoni, Prof. Dr. W. Rief, Prof. Dr. B. Strauß, PD Dr. H. Vogel
Lehre in den unterschiedlichen Behandlungsverfahren, -methoden und Neuentwicklungen
1. Erstellung eines detaillierten Katalogs mit inhaltlichen und wissenschaftlichen Lehrinhalten für die einzelnen Behandlungsansätze, insbesondere für aktuell universitär noch wenig repräsentierte wissenschaftlich fundierte Therapieverfahren, -methoden und Neuentwicklungen, durch akademisch qualifizierte Verfahrensrepräsentantinnen und -repräsentanten. Ein solcher Katalog mit Lehrinhalten kann allen Lehrenden zur Verfügung gestellt werden (AG1).
2. Wissenschaftliche Bewertung von den einzelnen Therapieansätzen nach vergleichbaren Prinzipien. Leitlinienempfehlungen (z. B. Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften [AWMF], Deutsche Gesellschaft für Psychologie [DGPs], National Institute for Health and Care Excellence [NICE], American Psychological Association [APA]) sollten hierzu berücksichtigt, können aber auch durch neuere wissenschaftliche Ergebnisse ergänzt werden. Die wissenschaftliche Bewertung zu allen Ansätzen soll nicht nur eine Darstellung von Stärken, sondern auch von Schwächen und Forschungslücken berücksichtigen, was dem Ziel, das allgemeine Wissen über Psychotherapie („core knowledge“) zu mehren und Psychotherapie als (selbst-)kritische Wissenschaft aufzufassen, dienen soll (Plenum).
Weitere Lehrschwerpunkte, Kooperationen
3. Verbesserter Austausch und Kooperation zwischen Medizin und Psychologie: An vielen Universitäten haben in der (klinischen) Psychologie Lehrende eine Fachkunde in Ansätzen der kognitiven Verhaltenstherapie (KVT), während in der Medizin (Psychosomatik, z. T. medizinische Psychologie und Psychiatrie) Lehrende oftmals eine Fachkunde in psychodynamischen oder anderen Verfahren haben (AG4, AG5).
4. Vernetzung auch mit anderen psychosozialen und Versorgungsinstitutionen und Professionen (z. B. Sozialarbeiter/-innen, Lehrer/-innen, Juristen/Juristinnen u. a.; AG2).
5. Umfassende Kompetenzen in den Bereichen Forschungsmethodik und psychologischen Grundlagen als eine wesentliche Grundlage für die Weiterentwicklung wissenschaftlich fundierter Psychotherapieansätze in Forschung und Praxis. Diese für einen wissenschaftlich fundierten Heilberuf wichtigen Kompetenzen sollten deshalb nicht nur von angehenden Forscherinnen und Forschern, sondern auch von praktizierenden Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten beherrscht werden (AG2).
6. Ausreichende Kompetenzen zur Nutzung neuer Medien in der Therapie. Psychotherapeutinnen/Psychotherapeuten sollen die entsprechenden digitalen Entwicklungen mitgestalten. Eine Zusammenarbeit mit Ingenieuren und Informatikern kann eine wertvolle Ergänzung darstellen (AG2).
7. Die Ausbildung soll zur lebenslangen Fort- und Weiterbildung motivieren, um sicherzustellen, dass kontinuierlich neue Erkenntnisse in das praktische Handeln integriert werden (AG2).
Dozentinnen und Dozenten; Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler
8. Beteiligung von Dozentinnen/Dozenten mit unterschiedlichen Fachkunden und unterschiedlichen Schwerpunkten an der Lehre und Forschung an einem Standort (AG1, AG3, AG5).
9. Vergabe von Lehraufträgen: Insbesondere in den Umstellungsphasen auf die neuen Studiengänge ist die Vergabe von Lehraufträgen vermutlich unumgänglich. Es sollte jedoch bedacht werden, dass Lehrbeauftragte oftmals wenig in die Lehre- und Forschungsteams eingebunden sind, möglicherweise unzureichend über aktuelle wissenschaftliche Befunde informiert sind, und dass die durch sie vertretenen Bereiche dadurch wissenschaftlich auch weniger stimuliert werden. Außerdem sind übliche Vergütungen bei Lehraufträgen oftmals nicht konkurrenzfähig mit den Einkünften niedergelassener Psychotherapeutinnen/Psychotherapeuten (AG3, AG5, Plenum).
10. Bevorzugte Besetzung neuer Stellen an einer Universität auf unterschiedlicher Ebene (Professur, Juniorprofessur, Mitarbeiterstellen) durch Personen mit bislang unterrepräsentierter Fachkunde, denen auch eine wissenschaftliche Weiterqualifikation ermöglicht wird. Personen mit bislang unterrepräsentierter Fachkunde können in bestehende Arbeitsgruppen integriert werden, auch wenn dort bislang primär andere Verfahren beforscht wurden. Dadurch sind ein enger fachlicher Austausch sowie hohe wissenschaftliche Qualität erreichbar (AG3, AG4, AG5)
11. Förderung von Promotionen (und anderen wissenschaftlichen Qualifikationen) durch Personen mit unterschiedlichen Verfahrensorientierungen, die parallel zur Weiterbildung erfolgen (AG3, AG4, AG5).
12. Allgemeine Ausschreibungen für Professuren in klinischer Psychologie/Psychotherapie ohne Verfahrensbindung. Die Besetzung solcher Professuren sollte primär nach wissenschaftlichen Kriterien erfolgen; niemand sollte wegen der erworbenen spezifischen Fachkunde benachteiligt werden (AG3; Plenum). Bei allgemeinen Ausschreibungen für Professuren in klinischer Psychologie und Psychotherapie könnte eher eine Beschreibung von Bereichen und Aufgaben vorgenommen werden, anstatt eine Verfahrensvertiefung zu fordern. In den Auswahlkommissionen könnte eine wohlwollende Prüfung von Bewerberinnen/Bewerbern erfolgen, die in Verfahren ausgebildet sind, die noch wenig im Fachbereich vertreten sind (Komplementierung; Vermeidung von Kompetenzdopplungen) (AG3).
13. Sicherstellung/Befragung bei Bewerbungsverfahren, dass eine offene Einstellung zu anderen Verfahren und Methoden besteht, für die die Bewerberin/der Bewerber keine Weiterbildung oder Vertiefungsqualifikation hat (AG5).
14. Verfahrens- oder methodenspezifische Ausschreibungen von Professuren: Die Ausschreibung von Junior- oder Seniorprofessuren kann eine Alternative sein, sofern eine Neuausschreibung von Professuren zu Psychotherapieverfahren, -methoden oder Neuentwicklungen, die an den Universitäten bisher nicht gut repräsentiert sind, nicht möglich erscheint. Vor Ausschreibungen von Professuren wird eine Analyse der Bewerbungslage unter Berücksichtigung der Berufbarkeit empfohlen (AG3, AG4, Plenum).
15. Zusätzliche Professuren zur Profilbildung des Instituts, z. B. bei Schwerpunkten wie klinische Neuropsychologie oder digitale Medien. Diese können wiederum auch Bezüge zum Lehr- und Forschungsprofil in anderen Master-Programmen des Standorts aufweisen (AG4).
16. Differenzierung über die Universitäten hinweg: Unterschiedliche Universitäten/Institute können auch unterschiedliche Schwerpunkte haben (AG5).
Hochschulambulanzen
17. Enge Vernetzung der Lehre mit den Hochschulambulanzen und deren Psychotherapeuten/Psychotherapeutinnen: Dies erscheint besonders wertvoll, um entsprechende Erfahrungen für die Lehre nutzen zu können. In der Ambulanz muss auch die Möglichkeit bestehen, neue Entwicklungen (Techniken, Methoden), etwa im Sinne von Heilversuchen, einzusetzen, um Neuentwicklungen zu ermöglichen und wissenschaftlich abzusichern (AG2).
18. Mitarbeit von Personen mit verschiedenen Fachkunden in den Hochschulambulanzen (AG5).
Förderprogramme
19. Initiierung eines Förderprogramms für Professuren, die unterrepräsentierte Bereiche der Psychotherapie vertreten (z. B. über Bundesministerium für Bildung und Forschung [BMBF] oder Bundesministerium für Gesundheit [BMG] oder Stiftungen). Ein solches Programm könnte eine gewisse Anzahl von Professuren umfassen. Universitäten sollten sich um Professuren bewerben können, indem sie nachweisen, dass die avisierte Psychotherapieexpertise der Professur bislang am Standort nicht vertreten ist, aber einen bedeutsamen Zugewinn in Forschung und Lehre darstellen würde (AG5, Plenum).
20. Besondere Förderung von Forschungsinitiativen, die Zusammenhänge und Kombinationsmöglichkeiten unterschiedlicher Behandlungsansätze untersuchen sowie integrative Konzepte weiterentwickeln (Plenum).