„Borna disease Virus 1“ (BoDV-1) wurde vor kurzem erstmals als Auslöser einer humanen Erkrankung im Sinne einer fulminanten Enzephalitis bei 4 Patienten (3-mal tödlich) in Deutschland diagnostiziert. Drei dieser 4 Bornavirus-Enzephalitis-Patienten waren kurz nach einer Organspende, die sie alle vom selben Organspender erhalten hatten, an dieser Enzephalitis erkrankt und verstorben. Eine spenderassoziierte Transmission von BoDV-1 erscheint also möglich. Soweit bekannt, hatte der Organspender keine Zeichen einer viralen Infektion zum Zeitpunkt des Hirntodes bzw. unmittelbar davor [
4,
20,
21].
Bereits in den Jahren 2011 bis 2013 hatten 3 Männer – alle drei Züchter von Bunthörnchen – eine letztlich innerhalb von wenigen Monaten tödlich verlaufende Enzephalitis entwickelt. Als Ursache war ein bisher unbekanntes Bornavirus („variegated squirrel bornavirus 1“, VSBV-1) identifiziert worden [
5,
21].
Epidemiologie und Mikrobiologie
Das European Centre for Disease Prevention and Control (ecdc) und die deutschen Gesundheitsbehörden stufen BoDV-1 beim Menschen als potenzielles enzephalitisauslösendes virales Pathogen ein [
19,
20]. Neben einer Organtransplantation – als Transmissionsweg von Bornaviren – erscheint erhöhte Umsicht und Vorsicht bei allen aus menschlichem „Material“ gewonnenen Substanzen („substances of human origin, SoHO“) geboten. Das ecdc ruft daher alle Kliniker, Intensivmediziner und Transplantationschirurgen auf, sich dieses „neuen“/„emerging“ viralen Pathogens beim Management der Organspende und -transplantation bewusst zu sein, speziell in Gebieten, in denen Bornaviren als endemisch (vor allem in der Veterinärmedizin) bekannt sind [
4,
21,
22].
BoDV-1 sind sphärische, 80–100 nm messende Einzelstrang-RNA-Viren des Genus
Bornavirus, der Familie Bornaviridae, Ordnung Mononegavirales [
23,
24].
Zum Genus
Bornavirus gehören – entsprechend der akzeptierten Taxonomie des International Committee on Taxonomy of Viruses (ICTV) – 8 Spezies und 16 Viren. Überwiegend sind Bornaviren mit Vögeln und Reptilien assoziiert, es gibt jedoch auch säugetierassoziierte Spezies, diese sind die Spezies
„Mammalian 1 bornavirus“ mit „Borna disease virus 1“ und 2 (BoDV-1 und BoDV-2) sowie die Spezies
„Mammalian 2 bornavirus“ mit dem „variegated squirrel (Bunthörnchen) bornavirus 1“ (VSBV-1; [
23,
24]).
Die Feldspitzmaus ist das wichtigste bisher bekannte Bornavirus-Reservoirtier
Vor mehr als 20 Jahren wurde auf Basis von Seroprävalenzstudien eine potenziell kausale Assoziation zwischen psychiatrischen Erkrankungen (z. B. Schizophrenie) und einer positiven „Bornavirus-Serologie“ diskutiert [
25,
26]. Bereits im 19. Jahrhundert wurde die „Borna disease“ bei Pferden als schwere neurologische Erkrankung erstbeschrieben. Der Name ist von der nahe Leipzig gelegenen Stadt Borna abgeleitet, in der Ende des 19. Jahrhundert Militärpferde an einer „subakuten Enzephalitis“ erkrankt waren. Bis heute wurde bei vielen anderen Säugetieren (Rinder, Ziegen, selten auch Hunde und Katzen, aber auch Zootiere wie Flusspferde, Lamas, Affen) eine vergleichbare subakute bis akute Enzephalitis beschrieben. Auch bei Reptilien und diversen Vögeln wurde diese Erkrankung bereits diagnostiziert. Bei diesen Tieren wurden unterschiedliche und unterschiedlich schwere – häufig auch tödliche – enzephalitische Verläufe – nach einer Inkubationszeit von zwei Wochen bis mehreren Monaten – gesehen [
27‐
32].
In Mitteleuropa sind als endemische Regionen derzeit Ost- und Süddeutschland, Liechtenstein, die Ostschweiz, das westliche Österreich und Oberösterreich bekannt, insbesondere Regionen, in denen die Feldspitzmaus (
Crocidura leucodon), das wichtigste bisher bekannte Bornavirus-Reservoirtier, endemisch vorkommt [
29‐
32]. Dies bedeutet, dass wesentlich größere Bereiche Europas, in denen die Feldspitzmaus endemisch/oder heimisch ist, potenzielle Bornavirus-Foci sein könnten und somit auch im wesentlichen Ost‑, Mittel- und Südeuropa (mit Ausnahme von Westfrankreich, Iberische Halbinsel und Süditalien). Die Feldspitzmaus ist auch auf der Krim, im Kaukasus und im Iran heimisch. Im Bergland reicht das Habitat – Wiesen, Felder, Hecken, Gärten – bis 1000 m Seehöhe. Die BoDV-1 Übertragungswege von Tier auf Mensch sind nicht bekannt [
31,
32].
„Borna disease“ beim Menschen
In den Jahre 2011 bis 2013 hatten 3 Männer eine letztlich – innerhalb von wenigen Monaten – tödlich verlaufende Enzephalitis entwickelt. Alle drei hatten Gemeinsamkeiten
-
Symptome einer Enzephalitis mit Fieber, qualitativer und letztlich quantitativer Bewusstseinstörung, mit initialer zerebellärer Symptomatik, Myoklonien und Hirnnervenparesen
-
alle drei lebten in Sachsen-Anhalt, waren Züchter von Bunthörnchen (Sciurus variegatoides) und hatten Kontakt miteinander bzw. tauschten ihre Bunthörnchen mehrfach untereinander aus,
-
bei allen drei Patienten wurde mittels metagenomischer Methoden ein bisher unbekanntes Bornavirus („variegated squirrel bornavirus 1“, VSBV-1) aus dem Liquor cerebrospinalis identifiziert. Dieses wurde außerdem in einem Bunthörnchen, das Kontakt mit ihnen hatte, isoliert [
5].
Am 07.03.2018 wurden von den Behörden Deutschlands nun über das Early Warning and Response System (EWRS) der ecdc 4 Fälle einer akuten Enzephalitis bedingt durch BoDV-1 gemeldet. Drei dieser 4 Patienten waren Organempfänger, die Niere und Leber von einem einzigen Organspender aus Süddeutschland erhalten hatten. Die beiden Nierenempfänger – unter der üblichen Post-Transplantations-Immunsuppression – erkrankten und verstarben unter dem Bild einer akuten Enzephalitis etwas mehr als 3 Monate nach der Transplantation. Der Leberempfänger überlebte die Akuterkrankung mit der Residualsymptomatik einer Nervus-opticus-Atrophie. Die Todesursache des Organspenders ist nicht bekannt und weitere Organe waren nicht transplantiert worden. Alle drei Organempfänger waren untereinander nicht verbunden, sie lebten und wurden in unterschiedlichen deutschen Städten behandelt und mit Ausnahme des gemeinsamen Spenders gab es keinerlei epidemiologische oder weitere Gemeinsamkeiten. Im Rahmen der Aufarbeitung dieser 3 Fälle wurde ein vierter BoDV-1-Patient aus Süddeutschland mit tödlich verlaufender Enzephalitis gefunden, der aber in keiner Weise mit den 3 erkrankten Organempfängern oder dem Organspender in Verbindung stand [
4,
20‐
22].
Die initiale diagnostische Aufarbeitung wurde durch das Friedrich-Löffler-Institut durchgeführt. BoDV-1-Genom wurde bei beiden Nierentransplantierten mittels RT-qPCR und „next-generation-sequencing“ gefunden/bestätigt [
20]. Eine BoDV-1-spezifische Serokonversion wurde bei allen drei Patienten nachgewiesen (Universität Freiburg und Bernhard-Nocht-Institut für Tropenmedizin in Hamburg) und mittels Immunhistochemie und In-situ-Hybridisierung (Universität Gießen) wurden BoDV-1-Antigen und -RNA bestätigt [
4,
21,
22].
Auch bei Immunkompetenten sollte bei Enzephalitis an BoDV-1 gedacht werden
Alle diese sehr rezenten Untersuchungsergebnisse belegen die ersten gesicherten BoDV-1-Erkrankungen beim Menschen. Dieses „klassische“ Bornavirus unterscheidet sich von dem im Jahr 2015 bei Züchtern exotischer Hörnchen (Bunthörnchen; [
5]) als Auslöser einer Enzephalitis beschriebenen Bornavirus der Bunthörnchen (VSBV-1, „variegated squirrel bornavirus 1“; Spezies
„Mammalian 2 bornavirus“).
Derzeit gehen die Gesundheitsbehörden und das Robert-Koch-Institut (RKI) übereinstimmend davon aus, dass es sich bei den BoDV-1-Erkrankungen der oben beschriebenen Organempfänger um sehr seltene Einzelfälle handelt [
4,
20‐
22]. Unabhängig von den transplantationsassoziierten Erkrankungen ist eine fatale Infektion des ZNS mit dem klassischen Bornavirus (BoDV-1) bei einer weiteren, zurzeit noch einzigen Patientin höchst bemerkenswert [
4,
21]. Aus diesen Gründen sollte bei einer unklaren, offensichtlich erregerbedingten Enzephalitis auch bei Immunkompetenten auf BoDV-1 untersucht werden.