Skip to main content
Erschienen in: Die Ophthalmologie 1/2024

Open Access 10.10.2023 | Verletzungen des Auges | Originalien

Spektrum von Feuerwerksverletzungen an einer Universitäts-Augenklinik nach dem COVID-19-Lockdown

verfasst von: C. Framme, B. Book, K. Hufendiek, E. Panidou-Marschelke, E. Sinicin, M. Lindziute, J. Rauscher, M. Hamann, H. Agostini, A. Gabel-Pfisterer

Erschienen in: Die Ophthalmologie | Ausgabe 1/2024

Zusammenfassung

Hintergrund

Der Umgang mit Feuerwerkskörpern führt regelmäßig zu vielfältigen Verletzungen im Augenbereich. Nachdem unter dem COVID-Lockdown und dem Verbot des Feuerwerk-Verkaufes für den privaten Bereich in den beiden vergangenen Jahren die Verletzungszahlen massiv gesunken sind, musste zum letzten Jahreswechsel wieder ein erheblicher Anstieg registriert werden. Ziel dieser Arbeit war es, den Umfang und das Spektrum solcher Verletzungen in einem Zentrum der Maximalversorgung in Hannover darzustellen.

Methoden

Im Rahmen der bundesweiten Erhebung feuerwerksassoziierter Augenverletzungen in notfallversorgenden Augenkliniken wurde die Daten der MHH-Augenklinik über den Zeitraum von 3 Tagen (30.12.22 bis 01.01.23) zusammengetragen und bezüglich Geschlecht, Alter, Schweregrad, Verletzungsmuster, Art der Feuerwerkskörper und der Behandlung bewertet.

Ergebnisse

Von insgesamt n = 25 Verletzten waren n = 19 (76 %) männlichen Geschlechts. Die meisten Patienten stellten sich am Neujahrstag vor (n = 14); (Silvester: n = 9; 30.12.22: n = 2), wobei in der Mehrzahl der Fälle leichte Verletzungen mit Reizungen und Erosiones der Augenoberfläche registriert wurden (n = 15; 60 %). Bei 4 Patienten ergaben sich mittelschwere Verletzungen mit Bulbuskontusion, Hyphäma und ggf. Irisbasiseinrissen (16 %). Sechs Patienten zogen sich schwerste, überwiegend offene Augenverletzungen zu (24 %), wobei 2 Augen mittels Eviszeration primär versorgt werden mussten. Das Zünden von Feuerwerksbatterien offenbarte das höchste Risiko für schwere Verletzungen, wobei hauptsächlich Männer zwischen dem 31. und 40. Lebensjahr betroffen waren. Kinder bis zum 12. Lebensjahr verletzten sich in der Regel nur leicht, wobei es aber hier wie auch bei den Jugendlichen Ausnahmen gab. Der Verursacher der Feuerwerksverletzung war in 52 % der Fälle selbst betroffen, in 48 % wurde ein Zuschauer Opfer des Unfalls. Im Fall von komplexen Verletzungen konnte unter Umständen erst die chirurgisch explorative Diagnostik zur korrekten Diagnose und bestmöglichen Versorgung führen.

Schlussfolgerung

Das Ausmaß von Feuerwerksverletzungen ist vielfältig, und die Folgen inklusive Erblindung können gravierend sein. Die Belastung für die diensthabenden Ärztinnen und Ärzte an Silvester und Neujahr war dieses Jahr enorm, da mit der Freigabe des privaten Feuerwerkes wieder konzentriert eine Vielzahl von zu versorgenden Patienten über die Notaufnahme hinzukommen, die teilweise komplexer chirurgischer Versorgung bedürfen. Um schwere Augenverletzungen zu verhindern, sollte die gezielte Aufklärung über die Risiken von privatem Feuerwerk intensiviert und es sollten Möglichkeiten der Erhöhung der Sicherheit diskutiert werden.
Hinweise
QR-Code scannen & Beitrag online lesen
In Deutschland dürfen unter den in der 1. Verordnung zum Sprengstoffgesetz Abschnitt V § 20–25 aufgeführten Bedingungen [1] zum Jahreswechsel private Feuerwerke gezündet werden. Im Rahmen der COVID-19-Pandemie wurde für die beiden Jahreswechsel 2020/21 und 2021/22 allerdings sowohl ein Verkaufsverbot von Feuerwerksartikel erlassen als auch eine Versammlungsbegrenzung ausgesprochen, um die Krankenhäuser zu entlasten. Es ist bekannt, dass viele Verletzungen gerade im Hand- und Gesichtsbereich – und hier insbesondere auch mit Beteiligung der Augen – durch den unsachgemäßen Umgang mit privatem Feuerwerk hervorgerufen werden. Die deutsche „Feuerwerks-Verletzungen-Studiengruppe“ untersucht nun seit 7 Jahren über eine jeweils bundesweite internetgestützte standardisierte Umfrage an allen deutschen notdienstleistenden Augenkliniken die entsprechenden Verletzungen inklusive der demografischen Daten, Daten zum Unfallhergang, Art der Feuerwerkskörper und dem augenärztlichen Befund [2]. Zum Jahreswechsel 2019/20 vor der Pandemie wurden von 59 Notfallzentren n = 523 Fälle gemeldet, was zu einer relativen Fallzahl von n = 8,7 pro Klinik führte [2]. In den beiden COVID-Jahren wurden von 75 Zentren n = 79 Fälle (2020/21; relative Fallzahl n = 1,1) und von n = 77 Zentren n = 193 Fälle (2021/22; relative Fallzahl n = 2,5; Anstieg durch geplantes Ausweichen in Nachbarländer zum Kauf von Feuerwerkskörpern möglich) gemeldet, sodass auf Basis dieser Erhebung konstatiert werden konnte, dass die pandemiebedingten gesetzlichen Regelungen einschließlich des Verkaufsverbotes von Feuerwerksartikeln zu einem deutlichen Rückgang von Augenverletzungen geführt haben [2]. Die Autoren führten weiterhin aus, dass der Anteil inoffiziell erworbener Feuerwerksartikel nur geringfügig für die Augenverletzungen verantwortlich war, sodass es viele Stimmen in der Bevölkerung gibt, die ein entsprechendes Verkaufsverbot von Pyrotechnik für den privaten Markt auch ohne Pandemie befürworten [25].
Die MHH als Versorgungszentrum in Niedersachsen ist häufig an überdurchschnittlich vielen Versorgungen von entsprechenden Verletzungen beteiligt. Seit Beginn der Datenerhebung der Studiengruppe wurden vor der COVID-Pandemie zum Jahreswechsel jeweils zwischen 11 und 20 Patienten an der MHH behandelt (durchschnittlich 15,25 Patienten); während der beiden Jahre des Feuerwerkverbotes wurden 0 und 5 Patienten behandelt (Abb. 1).
Für den Jahreswechsel 2022/2023 und die Folgetage gab es kein Verkaufsverbot mehr und so konnte davon ausgegangen werden, dass die Notaufnahmen erneut mit einer höheren Anzahl von feuerwerksassoziierten Verletzungen konfrontiert werden. In der Tat wurde in den Medien von einer folgenschweren Bilanz der Silvesternacht – auch mit Todesfällen – berichtet [6] und auch an der MHH musste eine besonders hohe Zahl von Patienten behandelt werden (Abb. 1). Ziel dieser Arbeit war die Darstellung des Spektrums der stattgehabten Augenverletzungen an der MHH als Schwerpunktversorger innerhalb der bundesweiten Registerstudie der „Feuerwerks-Verletzungen-Studiengruppe“ [2], was ggf. auch durch entsprechende Falldarstellung einen Anteil an möglicher Prävention haben könnte.

Material und Methoden

Initiiert über die bundesweite Studiengruppe für Feuerwerksverletzungen und der entsprechenden standardisierten Online-Befragung durch die Deutsche Ophthalmologische Gesellschaft (DOG) [2] wurden alle Patienten mit Feuerwerksverletzungen über die 3 Haupttage vom 30.12.22 bis 01.01.23 an der MHH-Augenklinik erfasst. Dabei wurden neben den demografischen Daten wie Alter, Geschlecht und Wohnort auch die Art des Feuerwerkproduktes, welches zur Verletzung führte, sowie der Status des Betroffenen („selbst“ oder „Zuschauer“) und schließlich das Ausmaß der Schädigung und Behandlung dokumentiert. Oberflächliche Verletzungen wurden als „leicht“ klassifiziert, nicht durchgreifende Hornhaut- und Skleraverletzungen und Kontusionsverletzungen mit und ohne Tensiodekompensation waren „mittelschwer“, und Bulbusrupturen, offene Augenverletzungen mit Beteiligung intraokulärer Strukturen mit/ohne intraokulärem Fremdkörper sowie starke Verbrennungen mit Limbusischämien schließlich wurden als „schwere“ Verletzungen klassifiziert. Untersucht wurden weiterhin die Verteilung der Notfälle über die 3 Tage, die Verteilung der Altersgruppen (Kinder: 0 bis 12 Jahre, Teens: 13 bis 19 Jahre, Erwachsene: 20 bis 30 Jahre, 31 bis 40 Jahre, 41 bis 50 Jahre und 51 bis 60 Jahre) sowie die Schwere der Verletzungen bezüglich der Altersgruppen und der Geschlechterverteilung. Schließlich wurde in unserem Kollektiv auch evaluiert, in welchem Maß die Schwere der Verletzung mit der Art der Feuerwerkstypen zusammenhing und ob das Risiko für den Zündenden unterschiedlich hoch zu dem eines Zuschauenden war. Die Falldarstellungen dokumentieren das Ausmaß und die Therapie der schweren Verletzungen.

Ergebnisse

Der Jahreswechsel 2022/23 führte zu einem erheblichen Anstieg der Verletzungszahlen in der MHH. In den Fachgebieten der plastischen Chirurgie und Verbrennungsmedizin, der Mund‑, Kiefer- und Gesichtschirurgie und Augenheilkunde der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH) mussten innerhalb von 96 h neben dem sonstigen Notfallaufkommen der Kliniken n = 36 Personen mit feuerwerkassoziierten Verletzungen zum Teil interdisziplinär behandelt werden (interne Auswertung der MHH). Im Bereich Augenheilkunde mussten n = 25 Patienten (69,4 %) in den 3 Tagen vom 30.12.22 bis 01.01.23 entsprechend behandelt werden.

Klassifikation der Verletzungen

Das Geschlechterverhältnis betrug 19 männliche vs. 6 weibliche Patienten in unserem Kollektiv (76 %/24 %). Von den insgesamt 25 Patienten waren n = 15 (60 %) leicht verletzt (Abb. 2). Bei n = 5 von diesen Patienten (20,8 %) lagen unspezifische Bindehaut- und Hornhautreizungen vor. Diese wurden oberflächlich mit Tränenersatzmittel behandelt. Sechs Patienten (25,0 %) zeigten eine Erosio corneae, die entsprechend antibiotisch abgedeckt wurde, und 4 Patienten (16,6 %) präsentierten sich mit konjunktivalen und kornealen Schmauchfremdkörpern, die soweit möglich abgetragen wurden.
Bei einem von 4 Patienten, deren Trauma als „mittelschwer“ klassifiziert wurde (16 %), waren Schmauchfremdkörper transkonjunktival sehr tief bis in die oberflächliche Sklera eingedrungen und mussten operativ entfernt werden. Drei weitere Patienten mit mittelschwerem Trauma erlitten eine geschlossene Kontusion (Bulbusprellung) mit Hyphäma, wobei sich einer dieser Patienten direkt mit einer Entgleisung des Augeninnendruckes präsentierte.
Unter den 6 als schwerverletzt klassifizierten Patienten (24 %), die eine intraokulare Beteiligung und/oder verminderte Visusprognose infolge der Verletzung hatten, ergab sich bei einem Patienten mit Bulbusprellung und Hyphäma ein sektorieller Irisabriss. Ein Patient mit Bulbusprellung und Hyphäma zeigte zudem eine ausgeprägte Commotio retinae mit subretinaler Blutung am hinteren Pol und entsprechender Visusreduktion. Alle Patienten mit Bulbusprellung (auch die mittelschweren Traumata) konnten zunächst konservativ behandelt werden; 2 Patienten wurden zur Überwachung und Augeninnendrucksenkung jedoch kurzfristig stationär aufgenommen. Ein Patient erlitt eine Verbrennung der Augenoberfläche mit ausgeprägten Bindehautnekrosen, Limbusischämie und vollständiger Erosio corneae. Schließlich mussten 3 andere Patienten aufgrund einer offenen Augenverletzung notfallmäßig chirurgisch versorgt werden. Zwei von diesen Patienten hatten eine schwerste Bulbusberstung mit großem Substanzdefekt sowie intraokularen und intraorbitalen Fremdkörpern, sodass ein Erhalt des Auges nicht möglich war und eine Eviszeration durchgeführt wurde. Insgesamt zeigten 4 Patienten neben Verletzungen der Augen auch Riss-Quetsch-Wunden der Lider.

Fallbeispiele

Bezüglich der schweren Verletzungen haben 2 Patienten eine einseitige Erblindung erlitten. Ein 50-jähriger Mann zog sich beim Zünden einer Feuerwerksbatterie eine Berstung seines rechten Auges und eine erhebliche Orbita- und Jochbogenfraktur zu (Abb. 3). Nach entsprechender CT-Diagnostik wurde der Gesichtsschädel durch die hiesige MKG-Chirurgie zunächst stabilisiert, bevor anschließend die Bulbusexploration, der Versuch einer Rekonstruktion und schließlich eine Eviszeration erfolgte. Primär sollte hier zunächst regelhaft das Auge versorgt werden, damit es bei potenzieller traumatischer Eröffnung nicht weiteren Schaden durch die Knochenchirurgie nimmt. In diesem Fall war allerdings der Befund so schwerwiegend, dass zunächst die Gesichtsstabilisierung erfolgen musste. Da man aus ethischen Gründen immer eine primäre Enukleation – gerade bei traumatisierten und unwissenden Patienten – vermeiden sollte, wurde eine Eviszeration des Augapfels durchgeführt, sodass zumindest noch die Sklera als funktionsloses „Organ“ vorhanden war. Der zweite Patient war ein 39-jähriger Mann, der sich ebenfalls beim Zünden einer Batterie erheblich verletzte (Abb. 4a). Neben den notwendigen Rekonstruktionen des Lid- und Tränenwegapparates konnte die massive Berstung des Auges mit mehreren großen Kunststofffremdkörpern (Abb. 4b, c) ebenfalls nur noch mit einer primären Eviszeration versorgt werden.
Auch beim Zünden einer Batterie erlitt ein 36-jähriger Mann multiple Einsprengsel von Schmauchfremdkörpern im gesamten Gesicht und an beiden Augen, die bis tief episkleral lokalisiert werden konnten (Abb. 5). Eine Penetration der Augen fand nicht statt. Die Fremdkörper mussten beidseits im Rahmen eines ophthalmochirurgischen Eingriffes entfernt werden.
Ebenfalls eine schwere Verletzung trotz geschlossenen Bulbus zog sich ein Patient durch „römisches Licht“ zu, welche zu erheblichen Verbrennungen und einer totalen Bindehaut- und Limbusischämie geführt hatte (Abb. 6). Die initiale Behandlung mit sofortigem Spülen und einer Notfallperitomie wurde – neben der entsprechenden medikamentösen Therapie – mit konsekutiver Nekroseentfernung, Tenonplastik und Amnionmembrantransplantation weitergeführt. Die Prognose bleibt ungewiss.
Ein 10-jähriger Junge erlitt im Rahmen einer Böllerverletzung eine große Riss-Quetsch-Wunde des lateralen Oberlids mit Lidkanten-, aber ohne Tränenwegbeteiligung (Abb. 7). Okulär zeigte sich im Rahmen einer ersten Sichtung des Patienten im Schockraum eine Erosio und Trübung der temporalen Hornhaut mit Hyphäma. Nach Ausschluss anderweitiger Verletzungen erfolgte eine gründliche Spaltlampenuntersuchung, die eine Abflachung der Vorderkammer zeigte, sodass der hochgradige Verdacht auf eine Eröffnung des Augapfels bestand. Es erfolgten eine Versorgung der Lidwunde und eine Exploration des Auges in Intubationsnarkose. Dabei stellte sich eine komplexe multilamelläre Hornhautpenetration temporal dar; eine sklerale Eröffnung lag nicht vor. Nach Spülung der Vorderkammerblutung zeigten sich schließlich ein Irisabriss mit Glaskörperprolaps in die Vorderkammer sowie eine traumatische Katarakt. Es erfolgte eine vordere Vitrektomie mit Entfernung der Linse und abschließender Versorgung der Hornhaut. Dieser Fall zeigt, wie wichtig auch die operative Exploration bei augenscheinlich primär milderen Verletzungen ist.

Zeitpunkt, Alters- und Geschlechterverteilung sowie Schwere der Verletzungen

Die meisten Patienten mit Feuerwerksverletzungen stellten sich am Neujahrstag vor (n = 14). Am Silvestertag waren dieses n = 9 und am 30.12. lediglich n = 2 (Abb. 8), wobei bereits hier eine schwerste Bulbusberstung mit intraokularem Fremdkörper behandelt werden musste (Abb. 2 und 3). Insgesamt stellten sich n = 8 Kinder bis zum 12. Lebensjahr und n = 4 „Teens“ zwischen 13 und 19 Jahren – zumeist am Neujahrstag – vor (Abb. 9). Gerade kleine Kinder beim Aufsammeln von Feuerwerkskörpern am Neujahrstag sind entsprechend gefährdet. Schwere Verletzungen erlitten in unserer Erhebung insbesondere die 31- bis 40-jährigen Männer (Abb. 10), von denen 2 Patienten einseitig erblindeten (s. oben). Diese beiden Fälle mit primärer Eviszeration fanden dabei am 30.12. und am 31.12. noch deutlich vor dem eigentlichen Neujahrsfeuerwerk statt. Die Kinder verletzten sich zumeist nur leicht (Abb. 10).
Wie bereits oben angedeutet, zeigt die Geschlechterverteilung in unserer Erhebung bezüglich der Verletzungsschwere eine deutliche Assoziation zum männlichen Geschlecht (Abb. 11). Alle Schwerverletzen waren männlichen Geschlechts. Betrachtet man die Abhängigkeit der Schwere der Verletzung von den verwendeten Feuerwerkstypen, so fällt auf, dass gerade die Batterien ein erhebliches Risikopotenzial für besonders schwere Verletzungen aufzeigen (Abb. 12). Die bereits oben genannten schwersten Verletzungen waren allesamt auf das Zünden einer Batterie zurückzuführen. In unserem Kollektiv ergab sich für die beiden Gruppen der Zündenden vs. der Zuschauenden ein etwa gleich großes Risiko, sich – unabhängig von der Schwere – zu verletzen. Dabei erlitt der Zündende in 52 % der Fälle die Verletzung und der Zuschauende in 48 % (Abb. 13).

Diskussion

Für die diensthabenden Ärztinnen und Ärzte einer Augenklinik stellt der Jahreswechsel eine erhebliche Mehrbelastung dar, wobei der Neujahrstag (ab 0.00 Uhr) nach unserer Erhebung diesbezüglich arbeitsintensiver erscheint als der Silvestertag. Augenverletzungen durch den Umgang mit Feuerwerksartikeln sind vielfältig und reichen von leichten Oberflächenreizungen bis hin zu schwersten Berstungen des Augapfels [7, 8]. Größere Datensammlungen zu feuerwerksassoziierten Verletzungen stammen aus den jeweilig jährlichen Online-Abfragen der behandelnden Notfallzentren in Deutschland durch die Feuerwerks-Verletzungen-Studiengruppe [8], die standardisiert erhoben werden und wo sich die Teilnehmerzahl bisher jährlich erhöht hat [2]. Bemerkenswert ist dabei, dass sich die Anzahl an entsprechenden Verletzungen, wie bereits einleitend erläutert, unter dem bundesweiten Verkaufsverbot von Feuerwerkskörpern während der COVID-Pandemie drastisch reduziert hatte [2]. Unsere Erhebung zeigt mit dem erneuten Freiverkauf demgegenüber aber nun wieder einen erheblichen Anstieg der Verletzungszahlen.
Im besagten Zeitraum wurden insgesamt 36 Patienten an der MHH mit Feuerwerksverletzungen behandelt, wobei der Anteil an augenverletzten Patienten mit knapp 70 % (n = 25) deutlich war und dieses gerade die besondere Gefährdung des Sehorgans unterstreicht. Schwere Augenverletzungen traten dabei in 24 % aller 25 Augenpatienten auf. Dieses deckt sich mit den Erhebungen der bundesweiten Registerstudie wie sich auch der Anteil der Kinder (n = 8) und die Altersverteilung mit „Peak“ um das 30. Lebensjahr in etwa gleichen [2]. Bemerkenswert war, dass bereits in den ersten beiden Tagen – noch vor dem eigentlichen Silvesterfeuerwerk zur direkten Jahreswende – 2 Patienten mit schwersten Verletzungsmustern (Abb. 3 und 4) notfallmäßig bei uns vorstellig wurden. Hier war eine interdisziplinäre Versorgung nötig und das Auge einseitig jeweils so schwer verletzt, dass es erblindete. Solche ausgedehnten Verletzungen sind für das versorgende Team in jeglicher Hinsicht belastend. Gilt bei Verdacht auf offene Augenverletzungen die Regel, dass das Auge vor der Orbita behandelt wird, um durch Manipulation weiteren möglichen Austritt von Augeninhalt zu vermeiden, so war dieses bei dem ersten Patienten (Abb. 2) aufgrund der ausgedehnten Knochen- und Weichteilverletzungen nicht möglich. Bei beiden Patienten musste bei deletärem Augenbefund eine Eviszeration durchgeführt werden. Da eine primäre Enukleation bei massiven offenen Augenverletzungen in unserem Haus – insbesondere aus psychischen Gründen bei den traumatisierten Patienten – vermieden werden soll, kann dieses – natürlich ohne funktionellen Benefit – durch die Eviszeration umgangen werden. Generell besteht aber natürlich immer das Bestreben, eine offene Augenverletzung primär zu verschließen und, falls sinnvoll, primär oder zumindest zeitnah auch die Vitrektomie zur internen Rekonstruktion durchzuführen. Dieses war hier nicht möglich.
In beiden Fällen wurde das erhebliche Trauma mit Indikation zur Eviszeration durch das selbsttätige Zünden einer Feuerwerksbatterie ausgelöst. Batterien trugen in unserer Erhebung das größte Risiko für schwere Augenverletzungen (Abb. 12). Problematisch können hier zeitversetzt zündende Sprengkörper sein, die dann explodieren, wenn man sich einer vermeintlich abgebrannten Batterie nähert. Ähnliches passiert, wenn am Neujahrstag vornehmlich Kinder „alte“ Feuerwerkskörper finden, aufsammeln und sich akzidentell Explosionen ereignen können oder die Knallkörper – bei vielleicht zu kurzer Zündschnur – nochmals angezündet werden. Die meisten Patienten und auch eben die Kinder stellten sich am Neujahrstag vor. Der 10-jährige Junge mit dem Lidkanteneinriss (Abb. 7) hatte den verursachenden Kracher in der Tat am Neujahrstag aufgesammelt und selbst nochmals gezündet. Die initiale Präsentation in der Notaufnahme ließ aufgrund des Hyphämas und des palpatorisch regulären Augeninnendruckes zunächst nur an eine geschlossene Kontusion denken, eine Penetration aber nicht ausschließen, sodass neben der Lidnaht eine Exploration indiziert wurde, bei der sich dann die Hornhauteröffnung, die Linsenverletzung und der Glaskörperprolaps offenbarten. Wolf et al. veröffentlichten 2019 einen Diagnose- und Therapiealgorithmus, der die Komplexität feuerwerksbedingter Augenverletzungen darstellt und als Leitfaden zum Management schwerer Verletzungen dienen kann [7]. Dieses zeigt, wie wichtig im Traumabereich eine Untersuchung in Narkose und Operationsbereitschaft sein kann.
Wie unsere Falldarstellung insgesamt aufzeigt, waren es nicht die Jugendlichen, sondern insbesondere die 30 bis 40 Jahre alten Männer, die sich besonders schwer verletzten. Patienten männlichen Geschlechts wurden signifikant häufiger verletzt als Patientinnen; sie zündeten aber auch häufiger. Frauen waren überwiegend leichtverletzt. Dieses deckt sich weitestgehend mit Ergebnissen anderer Untersuchungen, wobei die meisten Verletzten in der Tat männlich und in einem Alter von durchschnittlich 25 Jahren sind und wobei etwa die Hälfte der Verletzten minderjährig ist [912]. In unserem Kollektiv war die Anzahl der Minderjährigen unter 50 %. Da sie in der Gesamtbevölkerung allerdings einen deutlich niedrigeren Anteil ausmachen, sind sie in dem hier beschriebenen Verletzungskollektiv stark überrepräsentiert, was bezüglich Prävention ein wichtiger Aspekt ist. Als besonders gravierend muss auch der Umstand gewertet werden, dass in etwa der Hälfte der Fälle der Zuschauende und nicht der Zündende Opfer des Unfalls wurde. Dieses stellt sich durchaus als ein Hauptproblem dar, weil man als vielleicht Unbeteiligter zufällig am falschen Ort war und schuldlos eine erhebliche Verletzung erleiden kann. Auch diesbezüglich ist Aufklärung zur Prävention nötig. Die Feuerwerks-Verletzungen-Studiengruppe hat 2019 die ersten 3‑Jahres-Ergebnisse ihrer bundesweiten Erhebung publiziert und festgestellt, dass insbesondere Kinder und Zuschauer mehr Schutz benötigen [8]. In eben bis zu 60 % der Verletzungen sind unbeteiligte Zuschauer oder Passanten betroffen [9], was sich durchaus auch mit unseren Daten deckt.
Wie soll nun mit der offensichtlichen Verschärfung von Feuerwerksverletzungen nach Beendigung des pandemiebedingten Verkaufsverbotes umgegangen werden, und was können wir tun, um schwere Augenverletzungen in Zukunft zu vermeiden? Kurzfristig sinnvoll und notwendig sind Aufklärungskampagnen, die beispielsweise über entsprechende Info-Clips im Fernsehen, im Radio und im Internet sowie in Zeitschriften und Zeitungen auf die Risiken von Feuerwerkskörpern auch der Kategorie 1 und 2 [13] hinweisen. Überreste von abgebrannten Feuerwerksartikeln müssen sofort vom Zündenden entsorgt werden, damit Kinder und Entsorger sich nicht zeitverzögert verletzen können. Gleichzeitig sollte das Tragen von Schutzbrillen empfohlen und selbstverständlich gemacht werden, etwa über einen obligaten Mitverkauf von zertifizierten Schutzbrillen zu Feuerwerksartikeln. Untersuchungen aus den Niederlanden und Finnland zeigen, dass entsprechende gesetzgeberische Maßnahmen, die ein Verkaufsverbot bestimmter Feuerwerksartikel und die Reduktion der Betriebszeit von privatem Feuerwerk von 16 Stunden auf 8 Stunden beinhalten, zu einem deutlichen Rückgang der Zahlen von feuerwerksassoziierten Verletzungen führten [14]. Da jedoch auch mit den entsprechenden Sicherheitsmaßnahmen Verletzungen bei Beteiligten und Unbeteiligten möglich sind, muss konstatiert werden, dass öffentliche Feuerwerke die höchste Sicherheit bieten.

Fazit

Durch privates Feuerwerk entstehen zum Teil schwerste Verletzungen mit lebenslangen Behinderungen. In den Notaufnahmen der Kliniken müssen dienstleistende Augenärztinnen und Augenärzte erhebliche Anstrengungen unternehmen, um allen Patienten eine adäquate Diagnostik und Therapie anbieten zu können. Um die Zahl von feuerwerksbedingten Augenverletzungen, die hohe Kosten mit sich bringen [11], zu reduzieren und Entlastungen für die Kliniken zum Jahreswechsel zu gewährleisten, sollte die Bevölkerung jeweils vor Silvester intensiv und über viele Kanäle über die Risiken von privatem Feuerwerk informiert werden. Die sicherste und schönste Variante bleibt ein öffentliches Feuerwerk in professioneller Obhut.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

C. Framme, B. Book, K. Hufendiek, E. Panidou-Marschelke, E. Sinicin, M. Lindziute, J. Rauscher, M. Hamann, H. Agostini und A. Gabel-Pfisterer geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patient/-innen zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern/Vertreterinnen eine schriftliche Einwilligung vor.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
Die in diesem Artikel enthaltenen Bilder und sonstiges Drittmaterial unterliegen ebenfalls der genannten Creative Commons Lizenz, sofern sich aus der Abbildungslegende nichts anderes ergibt. Sofern das betreffende Material nicht unter der genannten Creative Commons Lizenz steht und die betreffende Handlung nicht nach gesetzlichen Vorschriften erlaubt ist, ist für die oben aufgeführten Weiterverwendungen des Materials die Einwilligung des jeweiligen Rechteinhabers einzuholen.
Weitere Details zur Lizenz entnehmen Sie bitte der Lizenzinformation auf http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de.

Unsere Produktempfehlungen

Die Ophthalmologie

Print-Titel

  • Umfassende Themenschwerpunkte mit klaren Handlungsempfehlungen
  • Praxisrelevante CME-Fortbildung in jedem Heft
  • Organ der Deutschen Ophthalmologischen Gesellschaft

e.Med Interdisziplinär

Kombi-Abonnement

Für Ihren Erfolg in Klinik und Praxis - Die beste Hilfe in Ihrem Arbeitsalltag

Mit e.Med Interdisziplinär erhalten Sie Zugang zu allen CME-Fortbildungen und Fachzeitschriften auf SpringerMedizin.de.

Literatur
2.
Zurück zum Zitat Gabel-Pfisterer A, Böhringer D, Agostini H (2022) Feuerwerks-Verletzungen-Studiengruppe. Pandemiebedingtes Verkaufsverbot von Feuerwerkskörpern in Deutschland führt zu einer deutlichen Abnahme der Augenverletzungen [Pandemic-related sales ban of fireworks in Germany leads to a significant reduction of firework-related eye injuries. Ophthalmologie 119(12):1257–1266CrossRefPubMedPubMedCentral Gabel-Pfisterer A, Böhringer D, Agostini H (2022) Feuerwerks-Verletzungen-Studiengruppe. Pandemiebedingtes Verkaufsverbot von Feuerwerkskörpern in Deutschland führt zu einer deutlichen Abnahme der Augenverletzungen [Pandemic-related sales ban of fireworks in Germany leads to a significant reduction of firework-related eye injuries. Ophthalmologie 119(12):1257–1266CrossRefPubMedPubMedCentral
7.
Zurück zum Zitat Wolf A, Schrader W, Agostini H, Gabel-Pfisterer A (2019) Diagnostik und Akuttherapie von Augenverletzungen durch Feuerwerkskörper [Fireworks injuries of the eye: an overview of current diagnostic and treatment options]. Ophthalmologe 116(12):1152–1161CrossRefPubMed Wolf A, Schrader W, Agostini H, Gabel-Pfisterer A (2019) Diagnostik und Akuttherapie von Augenverletzungen durch Feuerwerkskörper [Fireworks injuries of the eye: an overview of current diagnostic and treatment options]. Ophthalmologe 116(12):1152–1161CrossRefPubMed
8.
Zurück zum Zitat Gabel-Pfisterer A, Böhringer D, Agostini H (2019) Feuerwerks-Verletzungen-Studiengruppe. Dreijahresergebnisse der deutschlandweiten Umfrage zu Augenverletzungen durch Feuerwerkskörper [3-year results of the German nationwide survey on eye injuries caused by fireworks]. Ophthalmologe 116(12):1138–1151CrossRefPubMed Gabel-Pfisterer A, Böhringer D, Agostini H (2019) Feuerwerks-Verletzungen-Studiengruppe. Dreijahresergebnisse der deutschlandweiten Umfrage zu Augenverletzungen durch Feuerwerkskörper [3-year results of the German nationwide survey on eye injuries caused by fireworks]. Ophthalmologe 116(12):1138–1151CrossRefPubMed
11.
Metadaten
Titel
Spektrum von Feuerwerksverletzungen an einer Universitäts-Augenklinik nach dem COVID-19-Lockdown
verfasst von
C. Framme
B. Book
K. Hufendiek
E. Panidou-Marschelke
E. Sinicin
M. Lindziute
J. Rauscher
M. Hamann
H. Agostini
A. Gabel-Pfisterer
Publikationsdatum
10.10.2023
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Die Ophthalmologie / Ausgabe 1/2024
Print ISSN: 2731-720X
Elektronische ISSN: 2731-7218
DOI
https://doi.org/10.1007/s00347-023-01927-0

Weitere Artikel der Ausgabe 1/2024

Die Ophthalmologie 1/2024 Zur Ausgabe

Neu im Fachgebiet Augenheilkunde

Ophthalmika in der Schwangerschaft

Die Verwendung von Ophthalmika in der Schwangerschaft und Stillzeit stellt immer eine Off-label-Anwendung dar. Ein Einsatz von Arzneimitteln muss daher besonders sorgfältig auf sein Risiko-Nutzen-Verhältnis bewertet werden. In der vorliegenden …

Operative Therapie und Keimnachweis bei endogener Endophthalmitis

Vitrektomie Originalie

Die endogene Endophthalmitis ist eine hämatogen fortgeleitete, bakterielle oder fungale Infektion, die über choroidale oder retinale Gefäße in den Augapfel eingeschwemmt wird [ 1 – 3 ]. Von dort infiltrieren die Keime in die Netzhaut, den …

Bakterielle endogene Endophthalmitis

Vitrektomie Leitthema

Eine endogene Endophthalmitis stellt einen ophthalmologischen Notfall dar, der umgehender Diagnostik und Therapie bedarf. Es sollte mit geeigneten Methoden, wie beispielsweise dem Freiburger Endophthalmitis-Set, ein Keimnachweis erfolgen. Bei der …

So erreichen Sie eine bestmögliche Wundheilung der Kornea

Die bestmögliche Wundheilung der Kornea, insbesondere ohne die Ausbildung von lichtstreuenden Narben, ist oberstes Gebot, um einer dauerhaften Schädigung der Hornhaut frühzeitig entgegenzuwirken und die Funktion des Auges zu erhalten.   

Update Augenheilkunde

Bestellen Sie unseren Fach-Newsletter und bleiben Sie gut informiert.