Ein 50-jähriger Patient mit akuter Nierenschädigung wurde zur differenzialdiagnostischen Abklärung stationär aufgenommen. Initial stellte er sich in der Notaufnahme mit petechialen Blutungen der Haut und der Mundschleimhaut vor. Die Thrombozytenzahl betrug 5/nl, sodass ein Rezidiv einer kürzlich diagnostizierten Immunthrombozytopenie (ITP) vermutet wurde. Nachdem eine Prednisolontherapie keinen Nutzen erbrachte, stiegen die Thrombozyten nach Hinzunahme von Romiplostim, einem Thrombopoetinrezeptoragonisten (TPO-RA), auf 81/nl an. Überraschenderweise wurde dies von einem deutlichen Anstieg des Serumkreatinins auf bis zu 10,6 mg/dl begleitet (Abb. 1). Ansonsten bestanden keine relevanten Vorerkrankungen.
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Klinische Befunde
Die klinische Untersuchung war bis auf unspezifische abdominelle Beschwerden unauffällig. Weitere Laboruntersuchungen ergaben ein erniedrigtes Haptoglobin und eine erhöhte Fragmentozytenzahl. Die Urindiagnostik zeigte eine Mikroalbuminurie. Untersuchungen auf antinukleäre Antikörper (ANA), antineutrophile zytoplasmatische Antikörper (ANCA), C3, C4, Hepatitis B, Hepatitis C, humanes Immundefizienzvirus (HIV), Hantavirus und ADAMTS13 („a disintegrin and metalloproteinase with a thrombospondin type 1 motif, member 13“) waren unauffällig. Es konnten jedoch Antiphospholipidantikörper (aPL) nachgewiesen werden, worauf der Patient auch vor mehr als 12 Wochen bereits positiv getestet wurde.
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Eine Notfall-CT (Computertomographie) aufgrund zunehmender abdomineller Beschwerden ergab disseminierte hypodense Läsionen beider Nieren (Abb. 2).
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Weiteres Prozedere
Zur definitiven Abklärung der Nierenschädigung wurde eine Nierenbiopsie durchgeführt. Hier zeigten sich eine glomeruläre Endotheliose sowie ein frischer Thrombus in der afferenten Arteriole (Abb. 3).
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Wie lautet Ihre Diagnose?
Diagnose
In Zusammenschau zeigte sich das Bild einer thrombotischen Mikroangiopathie (TMA). Die hypodensen Läsionen der Nieren in der CT sind Ausdruck disseminierter Thrombosen, die in der Nierenbiopsie exemplarisch miterfasst wurden. Die Ursache der TMA scheint in der Kombination aus der Positivität für aPL und der Therapie der ITP begründet zu sein: Der Patient erfüllte mit mehr als 12 Wochen anhaltender Positivität für aPL das serologische Kriterium für ein Antiphospholipidsyndrom (APS). Aufgrund der gleichzeitig bestehenden schweren Thrombozytopenie konnte sich das APS jedoch nicht klinisch manifestieren, da den Antikörpern ausreichend Antigen zur Formation einer relevanten Thrombuslast fehlte. Durch die Kombinationstherapie aus Prednisolon und TPO-RA wurde mit Rekonstitution der Thrombozyten gleichzeitig das Substrat für die pathogenen Antikörper geschaffen.
Therapie und Verlauf
Im Rahmen der differenzialdiagnostischen Abklärung wurde der Patient dialysepflichtig. Während die Ergebnisse der umfangreichen und zeitintensiven Komplementdiagnostik ausstanden, wurde der Patient unter der differenzialdiagnostischen Erwägung eines atypischen hämolytisch-urämischen Syndroms (aHUS) vorübergehend mit Eculizumab therapiert. Nach Ausschluss eines funktionellen oder genetischen Defekts im Komplementsystem wurde diese Therapie beendet. Gleichzeitig erfolgte eine Therapie mit einem Vitamin-K-Antagonisten zur Sekundärprophylaxe. Der Patient wurde über die folgenden 6 Monate in teilstationärer Anbindung überwacht. Nach Beendigung der Dialysetherapie stabilisierte sich seine Nierenfunktion bei einem Serumkreatinin von 2,0 mg/dl.
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Diskussion
Obwohl petechiale Blutungen die offensichtlichen und intuitiv verständlichen Folgen einer schweren Thrombozytopenie sind, sind diese oft ein Warnzeichen für thrombotische Komplikationen [3]. So ist auch die vermeintliche Rarität einer Kombination aus ITP und positiven aPL schon lange bekannt: Bereits 1985 berichteten Harris et al., dass fast 30 % der Patienten mit primärer ITP positiv auf aPL getestet wurden [2]. Später stellte sich heraus, dass die aPL-Titer mit Exazerbationen und Remissionen der ITP korrelieren [1]. Auch die Tatsache, dass eine Therapie der ITP in dieser Situation thrombotische Ereignisse auslösen kann, ist beschrieben. So zeigte eine kürzlich erschienene Metaanalyse einen (allerdings nicht statistisch signifikanten) Trend für erhöhte Thromboseraten bei Patienten, die mit einem TPO-RA behandelt wurden [4].
Diagnose: thrombotische Mikroangiopathie mit akuter Nierenschädigung bei Antiphospholipidsyndrom und Immunthrombozytopenie
Zusammenfassend berichten wir über einen Patienten mit schwerer akuter Nierenschädigung als Erstmanifestation eines APS, das durch die Therapie einer koexistenten ITP ausgelöst wurde. Der Fallbericht zeigt, dass es wichtig ist, die Thrombozytenzahl bei Patienten mit diesen beiden Diagnosen im Auge zu behalten. Während Thrombozytopenien in erster Linie an Blutungsgefahren (hier z. B. im Rahmen der Nierenbiopsie) denken lassen, sind sie ein Warnzeichen für bevorstehende thrombotische Komplikationen mit potenziell letalen Konsequenzen. In unserem Fall war der Verlauf der Thrombozytenzahl nicht nur ein Warnsignal, sondern die Rekonstitution der Thrombozyten mit einem TPO-RA scheint der Auslöser für eine disseminierte intrarenale Thrombenbildung gewesen zu sein, die letztlich zur zwischenzeitlichen Dialysepflicht führte.
Fazit für die Praxis
Das gleichzeitige Auftreten einer primären Immunthrombozytopenie (ITP) und einer Positivität für Antiphospholipidantikörper (aPL) ist häufiger, als man vermuten würde.
Thrombozytopenie ist bei diesen Patienten ein Risikofaktor für thrombotische Ereignisse.
Die Behandlung der ITP mit Thrombopoetinrezeptoragonisten kann in dieser Situation zu schweren thrombotischen Komplikationen führen.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Interessenkonflikt
J.F. Nies, E. Tahir, T.B. Huber, T. Wiech und U.O. Wenzel geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patient/-innen zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern/Vertreterinnen eine schriftliche Einwilligung vor.
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