Erschienen in:
01.07.2011 | Originalien
Anästhesie beim Angelman-Syndrom
verfasst von:
Dr. W. Witte, M.A., C. Nobel, J. Hilpert
Erschienen in:
Die Anaesthesiologie
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Ausgabe 7/2011
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Zusammenfassung
Das Angelman-Syndrom (AS) ist eine seltene Erkrankung mit einer Inzidenz von 1:10.000 bis 1:40.000, der ein fehlerhaftes genetisches „imprinting“ im Chromosomensegment 15q11–q13 zugrunde liegt. Ergebnisse experimenteller Studien legen nahe, dass davon der γ-Aminobuttersäure-A- (GABAA-)Rezeptor, aber auch der N-Methyl-D-Aspartat- (NMDA-) oder der „α-Amino-3-hydroxy-5-methyl-4-isoxazolepropionic-acid-receptor“- (AMPA-)Rezeptor betroffen sein können. Die Patienten fallen durch ihr fröhliches Erscheinungsbild bei stark eingeschränkter oder fehlender verbaler Kommunikation auf. Ruckartige, fahrige Bewegungsmuster liegen regelhaft vor. Die meisten Hospitalisierungen sind durch Epilepsien bedingt; die häufigsten operativen Eingriffe finden in der Zahnheilkunde statt. Die erste publizierte anästhesiologische Fallbeschreibung stammt aus dem Jahr 2001. In diesem Beitrag werden die bislang veröffentlichten Fälle mit 6 Patienten einer Berliner anästhesiologischen Klinik verglichen, die im Zeitraum von 14 Jahren 15 Anästhesien erhalten hatten. Basierend darauf lassen sich Empfehlungen für die Narkoseführung bei Patienten mit AS ableiten. Die wichtigsten vital bedrohlichen Komplikationen sind Bradykardien bei einem potenziell erhöhten Vagotonus, die zur Asystolie führen können und auf Atropin verzögert ansprechen. Die Anwendung bradykardisierender Medikamente sollte vermieden werden; eine Antagonisierung der neuromuskulären Blockade sollte unterbleiben. Die Indikation für laparoskopische Eingriffe ist streng zu stellen. Ausgehend von den vorliegenden Erfahrungen ist nicht mit vermehrten Intubationsproblemen zu rechnen. Balancierte Anästhesien sind ebenso wie totale intravenöse Anästhesien problemlos verabfolgt worden. Anhaltspunkte dafür, dass eine bestimmte anästhesiologische Substanzgruppe oder ein Hypnotikum Vorteile gegenüber anderen aufweist, liegen nicht vor. Die Wirkdauer der Substanzen sollte jeweils bedacht werden. Die Abschätzung perioperativer Schmerzen ist schwierig, da die üblichen Beurteilungskriterien nicht angewendet werden können.