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Erschienen in: Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie 3/2020

29.06.2020 | Begutachtung | Übersicht

Gutachtenflut in der Straf- und Maßregelvollstreckung – rechtliche Probleme und (mögliche) Lösungen

verfasst von: Dr. Thomas Wolf

Erschienen in: Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie | Ausgabe 3/2020

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Zusammenfassung

Im Anschluss an den Beitrag von Eusterschulte erörtert der zweite Teil zunächst verfassungsrechtliche Bedenken, die sich aus der Umsetzung der Novellierung des Rechts der Unterbringung ergeben haben. Sodann werden Vorschläge erarbeitet, die Probleme der Gutachtenflut wenigstens teilweise zu verringern, indem anderorts bestehende Vorschriften der Strafprozessordnung (StPO) auf die Gutachtenerstattung auch im Vollstreckungsverfahren angewendet werden.
Fußnoten
1
Prot. 85. Sitzung vom 15.02.2016.
 
2
z. Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN: „Die vorgeschlagenen Änderungen zur externen Begutachtung und zu den Überprüfungsintervallen (in § 463 Abs. 4 StPO-E) lassen (trotz Soll-Regelung) zu wenig Ermessensspielraum. Es sind durchaus Konstellationen denkbar, in denen eine frühere oder spätere als die zunächst vorgesehene Begutachtung sinnvoller ist. Insofern sollte die Regelung dahingehend erweitert werden, dass auf Antrag der untergebrachten Personen und/oder ihres Anwalts eine Abweichung vom Zeitpunkt der Begutachtung sowie der Person des Gutachters zulässig ist“ (BTDruckS 18/8267 v. 27.04.2016). Dagegen CDU/CSU-Fraktion: „Die insbesondere aus der öffentlichen Anhörung gewonnenen Erkenntnisse seien in den Koalitionsfraktionen intensiv beraten, dann aber mit sehr guten Gründen verworfen worden.“
 
3
Eine Rückkehr zum Status quo ante dürfte politisch nicht möglich sein.
 
4
Nach wie vor verweist das BVerfG auf seine Entscheidungen v. 08.10.1985 – 2 BvR 1150/80 –, BVerfGE 70, 297 = NJW 1986, 767 und BVerfGE 117,71 = NJW 2007,1933, vgl. BVerfG, Beschluss vom 11.01.2016 – 2 BvR 2961/12; s. auch die Nachweise weiterer Entscheidungen in den „Mindestanforderungen für Prognosegutachten“ NStZ 2006, 537, und den überarbeiteten „Empfehlungen“ derselben (beide Boetticher et al. 2005), NStZ 2019, 553.
 
5
Ein recht umfassender Nachweis der zu Prognosegutachten ergangenen Rechtsprechung findet sich in den in Fußnote 5 genannten „Mindestanforderungen“ und „Empfehlungen“.
 
6
BVerfG, Beschluss vom 23.03.2011 – 2 BvR 882/09 –, BVerfGE 128, 282 <311 ff.>.
 
7
So schon BVerfG, Beschluss vom 10.02.1960 – 1 BvR 526/53 –, BVerfGE 10, 302, Leitsatz 5.
 
8
Anders die Fälle bei OLG Hamm, Beschluss vom 14.08.2018 – 3 Ws 355/18 –, juris: Lange Freiheitsentziehung plus lange zurückliegendes frühere Gutachten plus zweifelhafte Stellungnahme der Klinik.
 
9
Statt vieler vgl. OLG Hamm – III-3 Ws 361/18, juris, OLG Hamm, Beschluss vom 1408.2018 – 3 Ws 346/18 –, juris.
 
10
S. Fußnote 5.
 
11
Missverständlich daher z. B. OLG Hamm, Beschluss vom 14.08.2018 – 3 Ws 346/18 –, Rdn 32 juris, wo es den Anschein hat, als handele es sich bei den „Mindestanforderungen“ um gesetzesgleiche oder -ähnliche Vorgaben.
 
12
Cirener, StraFo (2018, S. 373 ff).
 
13
Z. B. BGH 2 StR 505/18; 1 StR 463/18; 4 StR 505/18; 2 StR 523/18; 3 StR 385/17; 5 StR 109/19; 5 StR 609/16; 3 StR 535/16.
 
14
St. Rechtsprechung des BVerfG, z. B. BVerfG 28, 264 <278>; 32, 98 <109>; 45, 187 <253 f.>.
 
15
Z. B. deutlich bei OLG Hamm, Beschluss vom 14.08.2018 – 3 Ws 355/18 –, juris: Die Aufhebung des Beschlusses der StVK wird gerade nicht entscheidend auf übergangene Fünf- oder Dreijahresfristen zur Einholung von Gutachten gestützt, sondern auf die im Fall fehlende gebotene vertiefte Aufklärung der Tatsachengrundlage; das der StVK vom OLG grundsätzlich zugebilligte Ermessen bezüglich des Einholens eines Gutachtens sei aus sachlichen Gründen nicht vorhanden.
 
16
So schon BGHSt 19, 325 (Tagebuchfall), in Bezug genommen von BVerfGE 33, 367, 383.
 
17
Meyer-Goßner StPO Einleitung Rdn. 2, 4.
 
18
Z. B. BVerfGE 32, 373, 383; zuletzt grundlegend BVerfGE 122, 248 (Rügeverkümmerung).
 
19
Grundlegend BVerfGE 70, 297.
 
20
Ausführlich BVerfG Beschluss vom 14.06.2007 – 2 BvR 1447/05 –, BVerfGE 118, 212–244, insbesondere Rdn 110 f. juris.
 
21
Ebenda Rdn. 121.
 
22
Fußnote 12 sowie die über 50 Nachweise, auch zum BVerfG, bei Cirener Fußnote 13.
 
23
Gesetz zur Bekämpfung der organisierten Kriminalität vom 15.07.1992, BGBl Teil I, S 1302.
 
24
Pohlmann et al. (2016), § 33 Rdn. 2 ff, § 61 Rd. 2.
 
25
BT-Drucks. 12/989, S. 44.
 
26
Gesetz vom 13.04.2017 BGBl. I 872.
 
27
Urteil vom 14.10.2009 – 2 StR 205/09 –, BGHSt (o.J.) 54, 177–184, Rdn. 4 bis 6 juris.
 
28
BVerfG, Beschluss vom 03.06.1992 – 2 BvR 1041/88 –, BVerfGE 86, 288–369.
 
29
BVerfG, Beschluss vom 08.10.1985 – 2 BvR 1150/80 –, BVerfGE 70, 297-323, Rn. 34, juris.
 
30
Ausführlich Nedopil in: Müller und Nedopil (2017), Forensische Psychiatrie, S. 411 ff.
 
31
Ausnahme: „dichte und letztlich eindeutige Befundlage“, OLG Karlsruhe, B. v. 03.04.2018 – 2 Ws 329/17 –, Rn. 22, juris.
 
32
Zu den Voraussetzungen der Unbeachtlichkeit einer solchen Weigerung: KG Berlin, B. v. 26.11.2018 – 2 Ws 188/18.
 
33
In der Sache so schon EGMR-Urteil vom 25.04.1992 – 63/1991/315/386 –, MDR 1993, 163.
 
34
§ 36 Abs. 2 und § 54 Abs. 1 StVollstrO sprechen nur von „rechtzeitiger“ Aktenvorlage, die Dreimonatsfrist des § 54a Abs. 2 StVollstrO ist deutlich zu knapp.
 
35
Aufschlussreich zum Umfang der eigenen Sachprüfung durch das Beschwerdegericht (hier: Weisungen nach § 68b Abs. 1 StGB): OLG Rostock, Beschluss vom 19.12.2018 – 20 Ws 252/18 –, juris.
 
36
BVerfG Beschluss vom 14.06.2007 – 2 BvR 1447/05 – Rn. 121, juris.
 
37
Zu diesem Bild: vorhergehenden Beitrag von Eusterschulte.
 
Literatur
Zurück zum Zitat (2005) Nervenarzt 2005(2019):1154–1553 (2005) Nervenarzt 2005(2019):1154–1553
Zurück zum Zitat BGBl: Bundesgesetzblatt, zit. nach Teil, Jahr, Seite BGBl: Bundesgesetzblatt, zit. nach Teil, Jahr, Seite
Zurück zum Zitat BGHSt: Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen, zit. nach Band, Seite BGHSt: Entscheidungssammlung des Bundesgerichtshofs in Strafsachen, zit. nach Band, Seite
Zurück zum Zitat BT-Drs.: Bundestagsdrucksache, zit. nach Wahlperiode, Nummer der Drucksache, Seite BT-Drs.: Bundestagsdrucksache, zit. nach Wahlperiode, Nummer der Drucksache, Seite
Zurück zum Zitat BVerfGE: Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts, zit. nach Band, Seite BVerfGE: Entscheidungssammlung des Bundesverfassungsgerichts, zit. nach Band, Seite
Zurück zum Zitat Cirener Die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB. In: Strafverteidiger Forum (StraFo) 2018, S 373 Cirener Die Unterbringung im psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB. In: Strafverteidiger Forum (StraFo) 2018, S 373
Zurück zum Zitat Meyer-Goßner Strafprozessordnung (2018) Kommentar, 61. Aufl. Beck, München Meyer-Goßner Strafprozessordnung (2018) Kommentar, 61. Aufl. Beck, München
Zurück zum Zitat Müller N (2017) Forensische Psychiatrie, 5. Aufl. Lehr- und Praxisbuch, Stuttgart Müller N (2017) Forensische Psychiatrie, 5. Aufl. Lehr- und Praxisbuch, Stuttgart
Zurück zum Zitat Pohlmann, Jabel, Wolf (2016) Strafvollstreckungsordnung und gesetzliche Grundlagen, Kommentar, 9. Aufl. Gieseking, Bielefeld Pohlmann, Jabel, Wolf (2016) Strafvollstreckungsordnung und gesetzliche Grundlagen, Kommentar, 9. Aufl. Gieseking, Bielefeld
Metadaten
Titel
Gutachtenflut in der Straf- und Maßregelvollstreckung – rechtliche Probleme und (mögliche) Lösungen
verfasst von
Dr. Thomas Wolf
Publikationsdatum
29.06.2020
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Schlagwörter
Begutachtung
Begutachtung
Erschienen in
Forensische Psychiatrie, Psychologie, Kriminologie / Ausgabe 3/2020
Print ISSN: 1862-7072
Elektronische ISSN: 1862-7080
DOI
https://doi.org/10.1007/s11757-020-00609-w

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