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Erschienen in: Die Ophthalmologie 10/2023

Open Access 24.05.2023 | Originalien

Einarbeitungskonzept für Mitarbeiter:innen einer Hochschulambulanz: Entwicklung und Evaluation eines strukturierten Einarbeitungskonzeptes

verfasst von: Judith-Lisa Lieberum, Helena Siegel, PD Dr. med. Katrin Wacker, FEBO, Thomas Reinhard

Erschienen in: Die Ophthalmologie | Ausgabe 10/2023

Zusammenfassung

Hintergrund

Die Einarbeitung neuer Mitarbeiter:innen ist entscheidend für eine effektive Zusammenarbeit und Bindung.

Ziel der Arbeit

Entwicklung und Evaluation einer strukturierten Einarbeitung in die Prozessabläufe der Hochschulambulanz.

Material und Methoden

Wir entwickelten ein Modell zum Kennenlernen der Mitarbeiter:innen, Räumlichkeiten, Prozessabläufe und Untersuchungen: Teilnehmer:innen durchliefen als fiktive Patient:innen alle Stationen eines Ambulanzbesuchs. Es folgte die Selbsteinschätzung allgemeiner, ablaufbezogener und spezifischer, untersuchungsbezogener Kompetenzen.

Ergebnisse

Es durchliefen 11 Ärzt:innen in Weiterbildung, 8 Operationspflegekräfte und 6 Studierende das Modell. Das Kompetenzlevel und der Kompetenzzugewinn variierten je nach Station und Berufsgruppe. Vor allem erlebten Ärzt:innen und Studierende eine allgemeine Kompetenzsteigerung (je 98 %; Operationspflegekräfte 64 %). Spezifische Kompetenzzugewinne der Ärzt:innen zeigten sich beim Kennenlernen prozessbezogener Schnittstellen, bei Software und Untersuchungstechniken und der Orientierung in der Ambulanz (Kompetenzsteigerung an 83 % der Stationen). Die Operationspflege profitierte von einer verbesserten Kommunikation mit Mitarbeiter:innen (Kompetenzsteigerung an 33 % der Stationen).

Schlussfolgerung

Eine allgemeine Kompetenzsteigerung kann durch ein strukturiertes Einarbeitungskonzept bei allen Berufsgruppen, besonders bei neuen Ärzt:innen, erreicht werden. Ein je nach Wirkungsfeld adaptierter Ambulanzdurchlauf erscheint für einen maximalen Kompetenzzugewinn empfehlenswert.
Hinweise

Zusatzmaterial online

Zusätzliche Informationen sind in der Online-Version dieses Artikels (https://​doi.​org/​10.​1007/​s00347-023-01877-7) enthalten.
Die Autor:innen J.-L. Lieberum und H. Siegel haben zu gleichen Teilen zum Manuskript beigetragen.
Die Autor:innen K. Wacker und T. Reinhard haben zu gleichen Teilen zum Manuskript beigetragen.
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Abkürzungen
CIRS
Critical Incident Reporting System
OCT
Optische Kohärenztomographie

Einleitung

Das deutsche Gesundheitssystem ist mit einem Mangel an qualifiziertem Personal konfrontiert. Durch die Unterbesetzung steigen die Aufgaben für die verbleibenden Mitarbeiter:innen, und die Versorgung wie auch die im Qualitätsmanagement hoch bewertete Zufriedenheit von Patient:innen ist gefährdet. Eine frühzeitige Eingliederung und Mitarbeiterbindung vom ersten Tag der Beschäftigung an sind daher von entscheidender Bedeutung. In verschiedenen Branchen wurden „Onboarding“-Verfahren entwickelt, Maßnahmen zur zielgerichteten Einarbeitung und zum „an Bord holen“ neuer Mitarbeiter:innen, um deren Leistung und Zufriedenheit frühzeitig zu steigern. In der Medizinbranche fehlen diese Strategien bisher jedoch weitgehend.

Hintergrund und Fragestellung

Das deutsche Gesundheitswesen ist von einem Mangel an qualifiziertem Personal geprägt: In einer internationalen Studie gaben bereits 2012 36 % der befragten deutschen Krankenpflegekräfte an, ihre Stelle innerhalb des nächsten Jahres verlassen zu wollen, und 30 % äußerten eine Unzufriedenheit hinsichtlich der Ausbildungsmöglichkeiten [1]. Laut der Deutschen Krankenhausgesellschaft sind im Januar 2022 6 % der Stellen auf Normalstationen und 12 % der Stellen auf Intensivstationen unbesetzt gewesen [18]. In 2019 konnten 76 % der Krankenhäuser offene Arztstellen nicht besetzen [18]. In der Mitgliederbefragung „MB-Monitor 2022“ des Berufsverbands der angestellten Ärzt:innen Marburger Bund gaben 25 % der Befragten an, einen Berufswechsel weg von der ärztlichen Tätigkeit zu erwägen [19]. Ausmaß und Entwicklung der Probleme bei der Stellenbesetzung im ärztlichen Dienst waren weitgehend unabhängig von der Krankenhausgröße [20]. Die dadurch entstehende Unterbesetzung führt zu einer vermehrten Arbeitslast für das verbleibende Personal und einer möglichen Patient:innengefährdung [2].
Um dieser Entwicklung in der eigenen Einrichtung entgegenzuwirken, bedarf es einer frühzeitigen Integration und langfristigen Bindung der Mitarbeiter:innen, beginnend ab dem ersten Arbeitstag [4], denn: Bereits dann erwägen 15 % neuer Mitarbeiter:innen eine Kündigung der neuen Stelle, wiederum 80 % der tatsächlich während der Probezeit ausgesprochenen Kündigungen wurden schon am ersten Arbeitstag beschlossen [6]. In großen internationalen Wirtschaftsunternehmen wurde erstmals im Jahr 1998 der Begriff des „War for Talent“ [3] – „Krieg“ oder Wettbewerb der Arbeitgeber:innen um Talente als Arbeitnehmer:innen – geprägt, und seitdem wurden u. a. standardisierte Prozesse des „Onboarding“ – des „an Bord holen“ neuer Mitarbeiter:innen – etabliert. Obwohl diese auch in der Gesundheitsbranche die Zufriedenheit, Leistungsmotivation und Identifikation der Mitarbeiter:innen nachhaltig steigern können, fehlen in der Medizin bis heute weitgehend vergleichbare Ansätze und beziehen sich v. a. auf intensivmedizinische Tätigkeitsbereiche [5, 16]. Aus personellen, organisatorischen und zeitlichen Gründen sind die Einführung und Einarbeitung von Pflegekräften und Ärzt:innen in Krankenhäusern häufig unzureichend [7, 16].
Neben einer hochqualitativen Therapie und Behandlung ist zudem die Patient:innenzufriedenheit als wichtiges Ziel in den Fokus der Leistungserbringer im Gesundheitswesen gerückt [8, 15]. Bei Personalmangel und fehlender Mitarbeiter:innenbindung liegt ein Fehlen der Kapazitäten zur notwendigen Patient:innenzuwendung und -orientierung nahe: Insbesondere eine gründliche und verständliche Aufklärung, enge Kommunikation und Erfassung von Erfahrungen und Zufriedenheit [3] gelten als Qualitätsziele in der ambulanten Behandlung, um Defiziten aus Patient:innensicht entgegenzuwirken, nämlich u. a. zu wenig Zuhören, zu wenig Zeit sowie unverständliche Wissenschaftssprache [17]. Um diesen Defiziten aktiv entgegenwirken zu können, ist ein Verständnis der Patient:innensicht, z. B. durch einen Perspektivenwechsel, elementar.
Insbesondere für neue Mitarbeiter:innen stellt die Arbeit in der Hochschulambulanz aufgrund der hohen Arbeitsdichte, Fülle an apparativen Untersuchungen und bisher unbekannten Abläufen eine besondere Herausforderung dar. An der Klinik für Augenheilkunde des Universitätsklinikums Freiburg wird bereits seit 2006 ein strukturiertes Konzept zur Facharztweiterbildung von Ärzt:innen in Weiterbildung eingesetzt [13]. Erweiternd haben wir seit 2021 nun das hier präsentierte, strukturierte Einarbeitungskonzept spezifisch für die Prozessabläufe unserer Hochschulambulanz und für alle hieran beteiligten Berufsgruppen sowie zum Kennenlernen der Patient:innensicht entwickelt, erprobt und ausgewertet. Ziele der Entwicklung und Evaluation des hier präsentierten Einarbeitungskonzeptes in die Hochschulambulanz waren durch ein frühzeitig gesteigertes Verständnis der Prozessabläufe und Kommunikationsmöglichkeiten eine gesteigerte Zufriedenheit aller Mitarbeiter:innen sowie Patient:innen und im Ergebnis eine hohe Mitarbeiter:innenbindung und Fehlerreduktion.

Studiendesign und Untersuchungsmethoden

Entwicklung des Einarbeitungskonzepts

Im Rahmen von Ärzt:innen in Weiterbildung durchgeführten Projekten zur Qualitätsverbesserung wurde das strukturierte Konzept zur Einarbeitung in die Hochschulambulanz entwickelt. Zielsetzungen waren ein erleichtertes Zurechtfinden in den Ambulanzräumlichkeiten, Kennenlernen der nichtärztlichen Kolleg:innen, des Ambulanzalltages aus Sicht von Patient:innen und nichtärztlichen Kolleg:innen sowie ein Einblick in die gängigsten Untersuchungsmethoden und somit übergeordnet eine Optimierung der Prozesse für Patient:innen und ärztliche wie nichtärztliche Mitarbeiter:innen [14]. Hierbei sollte die Sicht von Patient:innen als Selbsterfahrung eingenommen werden: In der allgemeinen Hochschulambulanz der Klinik für Augenheilkunde in Freiburg werden Patient:innen in insgesamt drei Warteräumen, vier Räumen für pflegerische Voruntersuchungen, einem pflegerischen Behandlungszimmer, vier Diagnostikzimmern mit spezifischen Gerätschaften, drei Gesichtsfeldzimmern, einer Fotografieabteilung, dreizehn ärztlichen Untersuchungszimmern, zwei Räumen des Aufnahmemanagements und einem ambulanten Operationsraum untersucht und behandelt. Kernelement zur Koordination zwischen diesen Stellen ist der Informationsschalter am Eingang der Ambulanz. Die einzelne Patient:in wird anhand eines digitalen Patientenleitsystems durch alle notwendigen Stationen gelotst; Anforderungen für Untersuchungen können durch alle Mitarbeiter:innen digital erstellt werden. Bereits mit dem postalisch zugesandten Terminzettel, im Falle einer notfallmäßigen Vorstellung vor Ort an der Patient:innenanmeldung vor der Ambulanz, wird ein individualisierter Strichcode erstellt und mit der den einzelnen Patient:innen klinikweit lebenslang zugeteilten Patient:innenidentifikationsnummer verknüpft. Im Weiteren erfolgen datenschutzkonforme Aufrufe der Patient:in und die digitale Dokumentation der jeweiligen Untersuchungen stets über diesen in jedem Ambulanzraum per Barcode einlesbaren Strichcode und werden so unmittelbar in der klinikeigenen Computersoftware zusammengeführt. Bis zu 56 Ärzt:innen in Weiterbildung und Fachärzt:innen und 52 nichtärztliche Mitarbeiter:innen betreuten in diesem Umfeld im Jahr 2022 insgesamt 39.712 ambulante Patient:innenbesuche in unserer allgemeinen Hochschulambulanz.
Mitarbeiter:innen der Operationspflege wünschten im Rahmen des Qualitätsmanagements ebenfalls ein Kennenlernen anderer Abteilungen unserer Klinik für Augenheilkunde, wobei die Ambulanz als Ort für die meisten Operationsindikationen sowie Voruntersuchungen eine besondere Schnittstelle darstellte. Bei Studierenden wurde seitens der ausbildenden Ärzt:innen wiederholt der Wunsch teilzunehmen geäußert. Wir weiteten daher unser initial von und für Ärzt:innen in Weiterbildung entstandenes Modell aus: Teilnehmer:innen der hier vorgestellten Untersuchung waren schließlich Studierende, die im Rahmen des praktischen Jahres oder einer Famulatur für mehrere Wochen in unserer Ambulanz tätig waren, Mitarbeiter:innen der Operationspflege sowie Ärzt:innen im ersten Weiterbildungsjahr.

Ablauf des Einarbeitungskonzepts

Im ersten Schritt durchliefen alle Teilnehmer:innen anhand eines Laufzettels für 2 bis 4 h als fiktive Patient:in möglichst alle Stationen eines möglichen Patient:innenaufenthalts in unserer allgemeinen Hochschulambulanz, im Einzelnen umfasste dies: allgemeine Patient:innenanmeldung einschließlich Ausgabe des individuellen Strichcodes, Informationsschalter in der Ambulanz, Erstuntersuchung durch das medizintechnische Assistenzpersonal inklusive Sehtest und Augeninnendruckmessung, optische Kohärenztomographie (OCT) der Netzhaut und der Papille, Fotografie, Perimetrie, Biometrie, Behandlungsraum, ärztlicher Untersuchungsraum mit ärztlichen Kolleg:innen, Hornhauttopographie, Endothelzellfoto, Vorderabschnitts-OCT, ambulanter Operationsraum und Aufnahmemanagement (Abb. 1).
Ziel war nicht das fehlerfreie Beherrschen aller Untersuchungstechniken, sondern ein allgemeines Verständnis der dazugehörigen Abläufe, das Kennenlernen der hieran jeweils beteiligten Kolleg:innen und das Erleben des Prozesses aus Patientensicht. An jeder Station waren die Teilnehmer:innen daher angehalten, sich vorzustellen, die Mitarbeiter:innen kennenzulernen und zunächst die Untersuchung gezeigt zu bekommen, im nächsten Schritt ggf. selbst aus Patient:innensicht zu erhalten und im Idealfall abschließend einmal eigenständig durchzuführen.

Evaluation des Einarbeitungskonzepts

Anschließend wurden die Teilnehmer:innen im zweiten Schritt anonym um eine Selbsteinschätzung des Lernzugewinns durch Ausfüllen eines kompetenzstufenbasierten Fragebogens gebeten; ergänzend waren Freitextbewertungen jeder Station möglich. Hierbei unterschieden wir zwischen allgemeinen, übergeordnet auf Abläufe und interpersonelle Kommunikation bezogenen Kompetenzen gegenüber an den Einzelstationen zu erwerbenden, gezielt auf die einzelnen Untersuchungen bezogenen spezifischen Kompetenzen. Allgemeine Kompetenzen umfassten u. a. das Kennenlernen neuer Kolleg:innen oder neuer, vorher noch nicht bekannter Kompetenzen. Als spezifische Kompetenzen konnten z. B. die „Durchführung einer Endothelzellmessung“ oder „steriles Ankleiden“ evaluiert werden.
Der Zugewinn allgemeiner Kompetenzen wurde abschließend eingeschätzt: „Stimme gar nicht zu“, „Stimme eher nicht zu“, „Unentschieden“, „Stimme eher zu“, „Stimme voll zu“ (Online supplementary). Spezifische Kompetenzen konnten, angelehnt an kompetenzbasierte Lernziele für das Medizinstudium im deutschsprachigen Raum, im Vorher-Nachher-Vergleich mit den Kompetenzstufen „Keine Kenntnisse“, „Theoretisch“, „Gesehen“, „Unter Aufsicht durchführbar“ und „Selbstständig durchführbar“ bewertet werden (Online supplementary) [12]. Wurde die eigene Kompetenz nach Durchlauf des Einarbeitungskonzeptes in die Hochschulambulanz um mindestens eine Kompetenzstufe höher als vor Durchlauf angegeben, wurde dies als Kompetenzsteigerung gewertet. Wurde bereits vor Ambulanzdurchlauf die höchste Kompetenzstufe angegeben, wurde die jeweilige Station nicht in die Untersuchung zur Kompetenzsteigerung mit einbezogen, um die teils deutlich variierenden Vorkenntnisse der Teilnehmer:innen auszugleichen.

Ergebnisse

Im Jahr 2022 durchliefen 25 Teilnehmer:innen das Einarbeitungsmodell, zusammengesetzt aus 6 Studierenden (24 %), 8 Mitarbeiter:innen der Operationspflege (32 %) und 11 Ärzt:innen im ersten Weiterbildungsjahr (44 %; Abb. 2). Die Dauer des jeweiligen Durchlaufs variierte zwischen 2 und 4 Stunden. Parallel hierzu wurden im Jahr 2022 39.712 Patient:innenbesuche in unserer Allgemeinambulanz von bis zu 52 nichtärztlichen Mitarbeiter:innen begleitet.
Durch alle Berufsgruppen hinweg wurde einer Steigerung der allgemeinen Kompetenzen (Abb. 3a) zugestimmt, also beim Kennenlernen der ärztlichen wie nicht-ärztlichen Ambulanzmitarbeiter:innen, der Kommunikationsmöglichkeiten untereinander und der Patient:innensicht. Ärzt:innen in Weiterbildung stimmten einem allgemeinen Kompetenzzugewinn zu 98 % zu (bei insgesamt 56 beantworteten Fragen 77 % „Stimme voll zu“, 21 % „Stimme eher zu“), in 2 % der Antworten wurde eine allgemeine Kompetenzsteigerung als „Unentschieden“ bewertet. Ein identisches Bild hinsichtlich der allgemeinen Kompetenzen zeigte sich bei Studierenden (77 % „Stimme voll zu“, 21 % „Stimme eher zu“, 2 % „Unentschieden“). Bei den Mitarbeiter:innen der Operationspflege zeigte sich eine insgesamt breitere Streuung: In 64 % der insgesamt 63 auswertbaren Antworten wurde einer allgemeinen Kompetenzsteigerung zugestimmt (30 % „Stimme voll zu“, 34 % „Stimme eher zu“), in 32 % der Antworten zeigten sich die Mitarbeiter:innen der Operationspflege als „Unentschieden“, in 14 % wurde einer Kompetenzsteigerung nicht zugestimmt („Stimme nicht zu“).
Das Ausgangsniveau vor Durchlauf des Einarbeitungskonzeptes in die Hochschulambulanz hinsichtlich der spezifischen Kompetenzen, also der Kenntnisse der gängigsten Untersuchungsmethoden, Räumlichkeiten und technischen Ausstattungen, variierte: Ärzt:innen im ersten Weiterbildungsjahr gaben durchschnittlich bei einem Fünftel der 28 absolvierbaren Stationen (Mittelwert 5,43; Spannweite 0–13 Stationen) bereits zu Beginn des Ambulanzdurchlaufes die höchstmögliche Kompetenzstufe „Selbstständig durchführbar“ an; Studierende bei 3 Stationen (Mittelwert 3,16; Spannweite 0–5), Mitarbeiter:innen der Operationspflege bei 2 Stationen (Mittelwert 2; Spannweite 0–3).
Der Zugewinn der spezifischen Kompetenzen (Abb. 3b) wurde an den übrigen Stationen gemessen und unterschied sich deutlich je nach Berufsgruppe: Ärzt:innen im ersten Weiterbildungsjahr gaben an einer Mehrheit der absolvierten Stationen eine Kompetenzsteigerung um mindestens 1 Kompetenzstufe an (83 %; Mittelwert 18; Spannweite 9–24), Medizinstudierende an zwei Drittel der Stationen (66 %; Mittelwert 16; Spannweite 8–25), Mitarbeiter:innen der Operationspflege vergleichsweise am seltensten an nur einem Drittel der Stationen (33 %; Mittelwert 8,13; Spannweite 0–14).
Das Freitext-Feedback zu den einzelnen Stationen findet sich als Auszug in Abb. 4.

Diskussion

Das entwickelte Einarbeitungskonzept zur Einführung in die Augenambulanz umfasste ein erfolgreiches Durchlaufen und Kennenlernen der Ambulanz aus Patient:innensicht und beinhaltete alle möglichen Prozessabläufe inklusive Anmeldung, Warteraum, apparativer Diagnostik, ärztlicher und pflegerischer Räumlichkeiten sowie Aufnahmemanagement. Nach jeder Station wurde der Lernzugewinn durch Selbsteinschätzung der eigenen Kompetenzen vorher und hinterher erhoben.
Hinsichtlich der Steigerung der spezifischen Kompetenzen, also dem Kennenlernen der verschiedenen Stationen und Untersuchungsmöglichkeiten innerhalb unserer Ambulanz, profitierten die Ärzt:innen in Weiterbildung verglichen mit den anderen Berufsgruppen am deutlichsten. Während auch die Studierenden an zwei Drittel der Stationen eine Kompetenzsteigerung angaben, war der Zugewinn für die Operationspflege am geringsten. Eine Diskrepanz zwischen den Berufsgruppen zeigte sich auch in Bezug auf die Steigerung der allgemeinen Kompetenzen, also beim Kennenlernen der übrigen Mitarbeiter:innen der Ambulanz, der Kommunikationsmöglichkeiten untereinander und der Patientensicht: Während ein Großteil der Ärzt:innen in Weiterbildung und Studierende dieser deutlich zustimmten (exemplarische Freitextantwort: „Es war schön zu sehen, wie viel Unterstützung wir von nichtärztlichen Kollegen in unserer Arbeit bekommen“), zeigte sich seitens der Operationspflege ebenfalls in der Mehrheit, jedoch ein weniger ausgeprägter Zugewinn. Ein möglicher Erklärungsansatz für diese beobachtete Abweichung zwischen den Berufsgruppen liegt in der Zusammensetzung der Stationen unseres Einarbeitungskonzeptes in die Hochschulambulanz verbunden mit abweichenden Zielsetzungen der Teilnehmer:innen und bietet Optimierungsmöglichkeit für zukünftig fachgruppenspezifischere Einarbeitungen und der Einteilung entsprechend den Ausgangskompetenzen („Anfänger“, „Fortgeschrittene“ und „Erfahrene“) [16]. Der als Basis für unser Modell genutzte Laufzettel war in seiner ursprünglichen Form zur Einarbeitung junger Ärzt:innen in Weiterbildung entwickelt worden; entsprechend lag bei der Auswahl der einzelnen Stationen ein Augenmerk auf der Unterstützung einer frühzeitigen, selbstständigen ärztlichen Arbeit und Erreichen der „Dienstreife“. Dies spiegelte sich z. B. auch im Kennenlernen wichtiger Qualitätsmanagementdokumente oder der für Konsile benötigten Materialien oder auch der Anleitung zum selbstständigen sterilen Ankleiden im ambulanten Operationsraum wider, bei der die Operationspflege – logischerweise – keine Kompetenzsteigerung mehr erfahren konnte.
Für das im Alltag in der Hochschulambulanz nicht präsente Operationspersonal erschienen jedoch v. a. der allgemeine Ablauf und das Kennenlernen des Teams und dessen Arbeit in der Ambulanz von Bedeutung, im Weiteren Untersuchungstechniken mit unmittelbarem Bezug zu ihrer Tätigkeit im Operationssaal, z. B. Biometrieuntersuchungen. Spezifische Fertigkeiten einschließlich detaillierter Abläufe der im Operationssaal nicht unmittelbar vertretenen apparativen Diagnostik oder die Lokalisation verschiedener Instrumente in der Ambulanz sind im Alltag von untergeordneter Bedeutung, so z. B. die Lokalisation des Konsilrucksacks oder die Lokalisation wichtiger Dokumente. Gerade bei enger Personalstruktur erscheint aber eine zielgerichtete Einarbeitung als besonders wichtig, um effektive Kommunikation mit Kolleg:innen zu ermöglichen und Verständnis für Abläufe zu fördern. Insbesondere Missstände in der Kommunikation unter Mitarbeiter:innen waren in einer vorangegangenen Analyse unseres klinikinternen Meldesystems im Rahmen des klinischen Risikomanagements (Critical Incident Reporting System [CIRS]) die häufigste berichtete Ursache für fehlerhafte Vorgänge [9].
Für Medizinstudierende mit naturgemäß im Schnitt weniger Vorkenntnissen als junge Ärzt:innen in Weiterbildung überwog das Grundinteresse am Fach Augenheilkunde und dessen Untersuchungsmöglichkeiten gegenüber der akuten Notwendigkeit einer zeitnahen selbstständigen Arbeit. Entsprechend profitierten sie auch in den mündlichen und Freitextauswertungen insbesondere durch Kennenlernen der Diagnostikmöglichkeiten, auch praktische Fertigkeiten wie ein oft erstmals selbstständiges steriles Ankleiden wurden gerne angenommen. Detaillierte Kenntnisse zu z. B. klinikeigener Computersoftware erschienen für diese Gruppe vergleichsweise weniger relevant und interessant.
Speziell für Ärzt:innen in Weiterbildung erhielten wir abseits der statistischen Auswertung sehr positive Rückmeldung, die, ähnlich wie von Patel et al. in Großbritannien berichtet [11], mit Freistellung von allen anderen Verpflichtungen essenzielles ophthalmologisches Wissen und praktische Fähigkeiten vermittelt bekamen und so auch schnelle Akzeptanz im Team fanden. Eine Erweiterung des Konzepts auf Kommunikationskompetenzen beispielsweise bei der Beratung von Patient:innen [10] könnte mit dem hier beschriebenen Verfahren zur Erweiterung der spezifischen Kompetenzen angewendet werden.
Während alle Berufsgruppen wiederholt ein explizites Interesse an der Einarbeitung äußerten und daher das initial für Ärzt:innen in Weiterbildung und Studierende entwickelte Konzept auf Pflegeberufe ausgeweitet wurde, muss in den nächsten Schritten eine Anpassung an verschiedene Berufsgruppen und den Kenntnisstand vor Beginn erfolgen, um den Lernerfolg zu maximieren. Unabhängig von den spezifischen Kompetenzen kann auch langjährigen Mitarbeiter:innen der Perspektivwechsel mit Selbsterfahrung einer Vielzahl von Untersuchungen mit Fixation und kurzer Reaktionszeit sowie das Erleben eines Warteraums die Augen öffnen. Ob durch den Perspektivwechsel empathischer mit Patient:innen interagiert, bei Konflikten z. B. bei der Wartezeit zielgewandter reagiert und im Ergebnis die Patient:innenzufriedenheit hinsichtlich des Leistungserbringers gesteigert wird, müssen Folgeuntersuchungen zeigen.
Zusammenfassend kann mithilfe eines strukturierten Einarbeitungskonzepts bei geringem zeitlichem Aufwand für alle Berufsgruppen eine messbare allgemeine Kompetenzsteigerung in Form von Kennenlernen der ärztlichen wie nichtärztlichen Mitarbeiter:innen und der sie verbindenden, teils komplexen Abläufe einer Hochschulambulanz erzielt werden. Im Ergebnis profitieren von der Einführung in die spezifischen Kompetenzen der einzelnen Ambulanzstationen v. a. neue Ärzte:innen in Weiterbildung. Ein an das jeweilige Wirkungsfeld des Mitarbeiters adaptierter Ambulanzdurchlauf erscheint für einen maximalen spezifischen Kompetenzzugewinn empfehlenswert.

Fazit für die Praxis

Im Hinblick auf den zunehmenden Fachkräftemangel ist für die Kliniken die aktive Werbung um die begrenzte Anzahl an Fachkräften und die Bindung dieser an die Klinik umso wichtiger.
Ein entscheidendes Instrument, um die Attraktivität als Arbeitsstelle und die Bindung an die Klinik zu steigern, stellt ein Einarbeitungskonzept für neue Mitarbeiter:innen dar.
Spezifische Kompetenzzugewinne der ärztlichen Mitarbeiter:innen zeigten sich v. a. beim Kennenlernen wichtiger prozessbezogener Schnittstellen zwischen Ärzten in Weiterbildung, Operationspflege und Patient:innen, bei Software und Untersuchungstechniken sowie verbesserter Orientierung in der Ambulanz.
Das strukturierte Einarbeitungskonzept in einer augenärztlichen Hochschulambulanz führte zu einer messbaren allgemeinen Kompetenzsteigerung für unterschiedliche Berufsgruppen.
Insbesondere neuen Ärzt:innen in Weiterbildung wird der Einstieg in komplexe Prozessabläufe und das Kennenlernen der nichtärztlichen Mitarbeiter:innen ermöglicht.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

J.-L. Lieberum, H. Siegel, K. Wacker und T. Reinhard geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Für diesen Beitrag wurden von den Autor/-innen keine Studien an Menschen oder Tieren durchgeführt. Für die aufgeführten Studien gelten die jeweils dort angegebenen ethischen Richtlinien.
Open Access Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.
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Literatur
3.
Zurück zum Zitat Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin (2008) 3 Qualitätsmanagement und die Sicht der Patienten. In: Kompendium Q‑M‑A Ärztliches Zentrum für Qualität in der Medizin (2008) 3 Qualitätsmanagement und die Sicht der Patienten. In: Kompendium Q‑M‑A
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Zurück zum Zitat Chambers EG, Foulon M, Handfield-Jones H et al (1998) The war for talent. McKinsey Q 3:44–57 Chambers EG, Foulon M, Handfield-Jones H et al (1998) The war for talent. McKinsey Q 3:44–57
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Zurück zum Zitat Stötzner K (2001) Einbindung von Patienten und ihren Anliegen in die evidenzbasierte Medizin. Z Arztl Fortbild Qualitatssich 95:131–136 Stötzner K (2001) Einbindung von Patienten und ihren Anliegen in die evidenzbasierte Medizin. Z Arztl Fortbild Qualitatssich 95:131–136
Metadaten
Titel
Einarbeitungskonzept für Mitarbeiter:innen einer Hochschulambulanz: Entwicklung und Evaluation eines strukturierten Einarbeitungskonzeptes
verfasst von
Judith-Lisa Lieberum
Helena Siegel
PD Dr. med. Katrin Wacker, FEBO
Thomas Reinhard
Publikationsdatum
24.05.2023
Verlag
Springer Medizin
Erschienen in
Die Ophthalmologie / Ausgabe 10/2023
Print ISSN: 2731-720X
Elektronische ISSN: 2731-7218
DOI
https://doi.org/10.1007/s00347-023-01877-7

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