Einige Studien und Übersichtsarbeiten gaben schon vor der Jahrtausendwende Hinweise auf eine Steigerung des allgemeinen (gesundheitlichen) Wohlbefindens der Bevölkerung durch die Nutzung von Naturräumen (vgl. u. a. [
19‐
22]), auch wenn die Quantität und Qualität des betrachteten „Grüns“ häufig nicht systematisch erfasst wurde. Inzwischen gibt es aber eine Vielzahl an Studien, die direkte und indirekte positive Einflüsse von Naturräumen auf das Wohlbefinden von Individuen und Bevölkerungsgruppen betrachten [
3,
8,
9]. Hierbei spielt auch der Typus des Naturraums (naturnah oder stark anthropogen überformt, Wald oder Park, vgl. [
23]) eine Rolle. An dieser Stelle ist jedoch der Hinweis angezeigt, dass die Erkenntnisse zumeist aus epidemiologischen Querschnittstudien mit teils sehr unterschiedlichen Naturraumdefinitionen stammen und somit Assoziationen, aber keine gesicherten Wirkungen beschreiben. In experimentellen Studien werden hingegen häufig typisch urbane Szenerien eher ländlichen, naturnahen Szenerien gegenübergestellt. Nachfolgend wird die Evidenzlage zu Zusammenhängen zwischen Naturräumen und mentalem, physischem und sozialem Wohlbefinden dargestellt, wobei eine strikte Trennung schwierig ist, da die Übergänge gerade zwischen Psyche und Physis fließend sind.
Mentales Wohlbefinden
Im Hinblick auf das mentale (psychische) Wohlbefinden, das stark von der individuellen Raumwahrnehmung, -bewertung und -konstruktion beeinflusst wird, sind Naturräume über die Komponente des Erlebens besonders wirksam (u. a. [
22]). So konnte gezeigt werden, dass das Natur- und Landschaftserlebnis eine stressreduzierende, blutdrucksenkende, aufmerksamkeitserhöhende, konzentrationssteigernde und restorative Wirkung haben kann (siehe folgende Abschnitte, vgl. u. a. [
9]). Insbesondere die Ergebnisse zur Aufmerksamkeits- und Konzentrationssteigerung gehen konform mit der Attention-Restoration-Theory [
19], nach der es in der Natur zu einer kognitiven Erholung kommt. Zudem gibt es mittlerweile Hinweise aus der Forschung, die einen positiven Zusammenhang zwischen der langfristigen Exposition gegenüber Grünräumen und der kognitiven Entwicklung von Kindern sowie der kognitiven Funktion Erwachsener nahelegen [
24].
Neben der Bedeutung für Aufmerksamkeit und kognitive Funktionen haben Naturräume u. a. einen Einfluss auf Emotionen, psychische Belastungen und Stressempfinden. Hartig et al. [
25] konnten nachweisen, dass durch einen Spaziergang in der Natur der positive Affekt zunahm, während Ärger abnahm, verglichen mit einem Spaziergang entlang einer urbanen Straße. Auch Roe und Aspinall [
26] konnten in einer quasiexperimentellen Studie mit zwei Gruppen (eine mit guter mentaler Verfassung, eine mit einer klinisch diagnostizierten psychischen Störung) zeigen, dass der Spaziergang in ländlicher Gegend sich für beide Gruppen positiv auf die Stimmung und das Stresserleben auswirkte. Darüber hinaus führte der Spaziergang im ländlichen Raum zu einem höheren restorativen Effekt in der Gruppe derer mit psychischer Störung [
26]. Dies weist auf das Potenzial von Naturräumen als Coping-Ressource bei bestehenden psychischen Störungen hin, zum einen aufgrund der restorativen Wirkung, zum anderen durch die Förderung körperlicher Bewegung und sozialer Kontakte bei gemeinschaftlichen Aktivitäten (s. unten).
In weiteren Studien konnte gezeigt werden, dass ein höheres Maß an Grün im Wohnumfeld mit geringerem Auftreten von Angststörungen, geringerem Stresserleben und weniger depressiven Symptomen assoziiert ist [
9,
27,
28]. Längsschnittevidenz kommt von Alcock et al. [
29], in deren Studie sich die selbstbewertete psychische Gesundheit von Studienteilnehmenden nach einem Umzug in eine grünere Gegend langfristig verbesserte.
Vereinzelte Studien geben auch Hinweise darauf, dass eine wahrgenommene hohe Biodiversität im Vergleich mit Flächen geringerer Biodiversität positiv assoziiert ist mit einem gesteigerten mentalen Wohlbefinden (vgl. u. a. [
30]).
Mit dem Erlebnis von Gewässerstrukturen wird in vereinzelten Studien unabhängig von Gewässertypus und -größe zudem eine über die Wirkung reiner Grünräume hinausgehende erholsame, stressmildernde Wirkung assoziiert [
31,
32]. Jedoch gilt es auch, die Art von Grünräumen zu berücksichtigen: Insbesondere Waldgebieten wird ein positiver Einfluss auf die Stresslinderung und die Stimmung zugeschrieben sowie eine verminderte Aktivität des sympathischen Nervensystems (vgl. [
33,
34]). Kühn et al. [
35] stellten in einer Untersuchung älterer Menschen in Berlin eine signifikant bessere strukturelle Integrität der Amygdala bei Probanden fest, die nah am (Stadt‑)Wald wohnen, im Vergleich zu solchen, die nah am Wasser oder sonstigen Grünräumen wohnen. Dies könnte auf eine höhere Stressresilienz bei Menschen hinweisen, die in der Nähe eines Waldgebiets wohnen. Da die Stressreaktion und die Funktionsweise der Amygdala eine Rolle in der Entstehung bestimmter psychischer Störungen wie der Depression spielen, könnten die Ergebnisse ein Indiz für ein vermindertes Risiko des Auftretens von durch neuronale Prozesse ausgelösten psychischen Störungen darstellen. An den aufgeführten Studienergebnissen zeigt sich auch die enge Verquickung von psychischer und physischer Gesundheit über physiologische Prozesse.
Körperliches Wohlbefinden
In Studien zu den direkten Wirkungen von Natur und Stadtgrün auf die physische Gesundheit wurden mögliche Effekte auf die Mortalität, die Morbidität sowie kurzzeitige körperliche Reaktionen, wie beispielsweise eine verminderte Expression von Stresshormonen, beschrieben.
Erste statistisch abgesicherte Hinweise zu direkten Wirkungen von Naturräumen auf die physische Gesundheit finden sich in den 1980er-Jahren. In einer kleinen, aber vielbeachteten Studie untersuchte Ulrich [
36] retrospektiv in einem quasiexperimentellen Design den Heilungsprozess von stationären Patienten nach Gallenblasenentfernung. Bei ansonsten vergleichbaren Bedingungen machte der Blick aus dem Fenster den Unterschied. Eine Gruppe schaute auf eine Baumgruppe, die andere Gruppe hingegen auf eine gegenüberliegende Backsteinwand. Die Ergebnisse zeigten, dass diejenigen Personen mit Blick auf die Baumgruppe u. a. früher entlassen wurden und deutlich weniger Schmerzmittel einnahmen [
36].
Hartig et al. [
25] zeigten die Wirkung des Naturerlebnisses auf den Blutdruck, welchen sie als Indikator für das Stresslevel der Probanden nutzen. Der diastolische Blutdruck sank in einer Probandengruppe während des Spaziergangs durch einen ländlichen Naturraum ab, während dieser in der Gruppe mit Spaziergang entlang der Straße nach kurzzeitigem Absinken wieder deutlich anstieg [
25]. Zwischenzeitig sind zahlreiche Studien durchgeführt worden, die die Ergebnisse von Hartig et al. [
25] stützen. Stets geht die Exposition gegenüber natürlichen Umgebungen einher mit einer Absenkung des Blutdrucks sowie des Cortisolspiegels und weiterer Stresshormone als Indikator für ein reduziertes Stressniveau (vgl. u. a. [
9]).
Auch Li et al. [
37] bestätigten in verschiedenen Studien, in der die Wirkung des längeren Aufenthalts im Wald (das sogenannte Forest Bathing oder Shinrin-Yoku) analysiert wurde, den Abbau der Stresshormone Adrenalin und Noradrenalin. Darüber hinaus wiesen sie auch eine krebspräventive Wirkung durch den Aufbau sogenannter Krebskillerzellen („human natural killer activity“) sowie die Ausschüttung von intrazellulären Krebsabwehrproteinen nach ([
37], vgl. auch [
38]). Als Erklärung wird die erhöhte Konzentration von Phytonziden (pflanzliche Biozide) in der Waldluft diskutiert.
Maas et al. [
28] konnten in einer niederländischen Untersuchung zeigen, dass Menschen, die im städtischen Umfeld mit höherem Grünanteil in der direkten Nachbarschaft (1 km Radius) leben, signifikant seltener an kardiovaskulären, muskuloskelettalen, psychischen, respiratorischen, neurologischen und intestinalen Krankheitsbildern sowie weiteren Erkrankungen wie Diabetes leiden als Personen, die einen geringeren Grünanteil im Wohnumfeld haben oder in größerer Entfernung zu Grünräumen leben. In dieser Studie wurden Grünräume jedoch sehr weit gefasst und enthielten auch landwirtschaftliche Nutzflächen.
Ergebnisse einer Studie aus Japan von Takano et al. [
39] weisen darauf hin, dass eine gute Versorgung mit und ein guter Zugang zu städtischen Grünflächen signifikant positiv mit Lebensqualität und Lebenserwartung älterer Menschen assoziiert ist.
Mitchell und Popham [
40] fanden in einem englischen Forschungsprojekt zudem weniger Ungleichheiten hinsichtlich Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Mortalität zwischen Menschen mit hohem und niedrigem sozioökonomischen Status in grüneren Gegenden als in Gebieten mit einem geringen Zugang zu natürlichen Grünräumen. Dies ist auch deshalb bedeutsam, da die Verteilung von qualitativ hochwertigen und sicheren Grünflächen meist zuungunsten von Gruppen mit niedrigem sozioökonomischen Status sowie ethnischen Minderheiten ausfällt [
41].
Untersuchungen von Richardson und Mitchell [
42] zu möglichen geschlechtsspezifischen Unterschieden ergaben, dass die Mortalitätsraten durch kardiovaskuläre und respiratorische Erkrankungen bei Männern umso geringer waren, je größer der Grünanteil war. Diese Assoziation ließ sich jedoch für Frauen nicht nachweisen. Dies erklärten die Autoren mit der geschlechterdifferenzierten Wahrnehmung und Nutzung von Grünräumen.
In den vergangenen Jahren konnten zudem verschiedene Querschnittstudien in Spanien und Deutschland einen Zusammenhang zwischen dem Grünraumanteil in der Wohnumgebung und dem Geburtsgewicht von Neugeborenen identifizieren ([
43]; vgl. [
9,
44]). Nach Adjustierung für Luftverunreinigungen, Abstand zu stark befahrenen Straßen, Bevölkerungsdichte und Bildungsgrad verstärkte sich der statistische Zusammenhang [
43]. Erklärungsversuche sehen eine höhere Grundzufriedenheit und Aktivität der Schwangeren als moderierende Faktoren.
Anreiz für körperliche Aktivität
Immer wieder steht die Frage im Raum, inwieweit Naturräume insbesondere in urbanen Gebieten Anreiz und Motivation für eine verstärkte körperliche Aktivität (alltägliche Bewegung, Sport) bieten und somit indirekte Gesundheitseffekte erwarten lassen im Hinblick auf die Stärkung des Herz-Kreislauf- und Immunsystems sowie zur Prävention zahlreicher Zivilisationskrankheiten (z. B. Adipositas, Bluthochdruck, Diabetes mellitus Typ II oder Rückenschmerzen). Frank et al. [
45] konnten für Bielefeld zeigen, dass für 71 % der Befragten Bewegung der Grund für das Aufsuchen von Grünräumen ist. Ähnliches konnten Völker und Kistemann [
32] auch für den Aufenthalt an Gewässern nachweisen. Fraglich ist jedoch, ob ein Mehr an Naturräumen auch ein Mehr an Bewegung bedingt. Maas et al. [
46] konstatieren, dass der Grad der physischen Aktivität kaum mit einer grünen Umgebung in Beziehung steht und der Anteil der physischen Bewegung in einer grüneren Umgebung den Zusammenhang zwischen Grünräumen und selbstwahrgenommener Gesundheit nicht erklären kann. Ebenso wiesen Dadvand et al. [
47] darauf hin, dass der Zusammenhang zwischen subjektiver Gesundheit und Grünflächen in Barcelona zwar u. a. durch den psychischen Gesundheitsstatus und die wahrgenommene soziale Unterstützung mediiert werden, allerdings nur in sehr geringem Maße durch die physische Aktivität, wobei hier jedoch nicht zwischen Indoor- und Outdooraktivität unterschieden wurde. De Vries et al. [
48] konnten hingegen in einem Review anhand zahlreicher Studien Anreiz und Motivation von einer grünen Umgebung zu zusätzlicher Bewegung feststellen, beschreiben jedoch auch, dass die Evidenz gemischt ist und es an ausreichenden, qualitativ hochwertigen Studien mangelt.
Soziales Wohlbefinden
Als öffentliche und frei zugängliche Begegnungsräume wirken sich Naturräume vor allem in der Stadt auch positiv auf das soziale Wohlbefinden der Menschen aus [
49,
50]. Denn hinsichtlich der Möglichkeiten, soziale Kontakte zu schließen und zu pflegen, gelten urbane Grünräume und Gewässerufer als bedeutsame Begegnungsstätten [
50,
51], die zudem als Identifikationsorte eine große Symbolkraft entfalten können [
32]. Man denke hier z. B. an den Central Park in New York, den Berliner Tiergarten oder die Kölner Rheinpromenade. Insbesondere in Parks erfolgen eine Durchmischung sowie ein Nebeneinander unterschiedlichster sozialer Gruppen (z. B. in Bezug auf Alter, Geschlecht, ethnische Herkunft). Damit besitzen städtische Naturräume ein nicht zu unterschätzendes Potenzial zur sozialen Integration, Inklusion und Akzeptanzsteigerung [
50] und können im Wohnumfeld als unbelasteter Begegnungs- und Kommunikationsraum den sozialen Zusammenhalt der dort ansässigen Bevölkerung stärken [
52]. Dies spiegelt sich auch in aktuellen Bewegungen wie Urban Gardening wider (u. a. [
53]). Darüber hinaus verfügen Grünräume auch über das Potenzial, der Kriminalitätsentstehung beispielsweise in sozial benachteiligten Stadtgebieten entgegenzuwirken, sofern sie offen und einladend gestaltet sind und damit zum häufigeren Aufenthalt draußen im Sinne eines „Outdoorwohnzimmers“ anregen [
9,
51,
52]. Im Falle konkurrierender Nutzungsinteressen (Grillen, Skaten, Radfahren, Joggen, Spielen, Lesen, Ruhen etc.) unterschiedlicher Gruppen in kleinflächigen Grünräumen und auf grünen Wegeverbindungen können indes auch Konflikte entstehen (vgl. [
54]).
Einfluss der Qualität von Naturräumen
Wie aus den vorangehenden Abschnitten ersichtlich wurde, können Naturräume insgesamt, aber insbesondere urbane Grünräume und Gewässer verschiedenste Funktionen ausüben im Hinblick auf gesundheitsschützende und gesundheitsfördernde Wirkungen (siehe Abb.
2).
Die bisher genannten Studien haben gemeinsam, dass sie vornehmlich die Quantität von Naturräumen im Studiendesign zugrunde legten, nicht jedoch qualitative Aspekte. Van Dillen et al. [
55] und de Vries et al. [
56] konnten hingegen in einer Untersuchung in 80 niederländischen Wohnquartieren zeigen, dass sowohl die Verfügbarkeit als auch die Qualität von Grünräumen und Straßenbegleitgrün positiv mit der selbstbewerteten Gesundheit der Studienteilnehmenden assoziiert waren, wobei diese für Straßenbegleitgrün besonders ausgeprägt waren. Auch in einer australischen Studie wurde deutlich, dass im urbanen Raum nicht allein die Quantität von Grünräumen ausschlaggebend, sondern eine hohe Qualität mit einem niedrigeren psychosozialen Stresslevel assoziiert ist [
57].