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Erschienen in: Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz 9/2018

Open Access 30.07.2018 | Leitthema

Elektronisch unterstützte Kooperation ambulant tätiger Ärzte und Apotheker zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit

Die Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen (ARMIN)

verfasst von: Dr. Uta Müller, Prof. Dr. Martin Schulz, Mike Mätzler

Erschienen in: Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz | Ausgabe 9/2018

Zusammenfassung

Die Anzahl der verordneten und in der Selbstmedikation vom Patienten selbst erworbenen Arzneimittel nimmt in Deutschland stetig zu. Damit steigt auch der Anteil von Patienten, die regelmäßig mehrere Medikamente einnehmen. Dies hat ein höheres Risiko für unerwünschte Arzneimittelereignisse zur Folge.
Mit dem „Zukunftskonzept Arzneimittelversorgung“ haben die ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V. und die Kassenärztliche Bundesvereinigung im Jahr 2011 ein Konzept zur Steigerung der Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) und Therapietreue vorgestellt, bei dem Arzt und Apotheker gemeinsam die Umsetzung und Optimierung der Arzneimitteltherapien koordinieren. Es umfasst die Module „Wirkstoffverordnung (WiVo)“, „Medikationskatalog (MedKat)“ und „Medikationsmanagement (MM)“. Die Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen (ARMIN) ist ein Modellvorhaben nach § 63 SGB V, das 2014 startete und in dem erstmalig alle drei Module praktisch umgesetzt werden.
Zur Umsetzung von WiVo und MedKat wurden Datensätze erarbeitet und in die Primärsoftware von Ärzten und Apothekern integriert. Für das MM wurden Zuständigkeiten und Prozesse sowie die technische Infrastruktur zum elektronischen Datenaustausch entwickelt.
Ende 2017 nahmen 546 Ärzte und 969 Apotheken an ARMIN teil, wovon 297 Ärzte und 285 Apotheken technisch in der Lage waren, das MM umzusetzen. Sie betreuten zu diesem Zeitpunkt etwa 3200 Patienten.
Mit ARMIN wurde ein zukunftsfähiges Konzept zur kontinuierlichen, interdisziplinären Betreuung multimorbider Patienten entwickelt. Abgestimmte Verantwortlichkeiten und die Integration der Module in die Primärsoftware erleichtern die Implementierung. Inwieweit das Konzept die Effektivität und die AMTS verbessert, müssen zukünftige Evaluationen zeigen.

Hintergrund

Die Arzneimitteltherapie nimmt ständig an Bedeutung zu. Durchschnittlich wird bei jedem Arztbesuch ein Rezept ausgestellt. Die Menge der zulasten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verordneten definierten Tagesdosen (DDD) steigt. Waren es 1997 noch 27,7 Mrd. DDD, wurden 2016 bereits 41,1 Mrd. DDD verordnet [1]. Hinzu kommen die Arzneimittel (AM) im Rahmen der Selbstmedikation, die inzwischen mehr als 40 % der in Apotheken abgegebenen Packungen umfassen [2]. Insgesamt steigt auch der Anteil der Patienten, die regelmäßig mehrere AM einnehmen [35], und damit das Risiko für unerwünschte Arzneimittelereignisse (UAE), wie Nebenwirkungen und Medikationsfehler, die für 3–7 % der Krankenhauseinweisungen verantwortlich sind [6, 7] und häufig vermeidbar wären [812]. Meist handelt es sich bei den betroffenen Patienten um Ältere, bei denen außer Polymedikation weitere Risikofaktoren vorliegen, wie beispielsweise eingeschränkte Organfunktionen, verringerte metabolische Kapazität, eine gesteigerte Sensitivität von Zielorganen, Rezeptoren und Kanälen oder auch insgesamt ein schlechter Allgemeinzustand [11, 13, 14]. Hierdurch erhöht sich das Risiko für UAE weiter [15].
Bereits 2011 veröffentlichten die ABDA – Bundesvereinigung Deutscher Apothekerverbände e. V. und die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) ihr gemeinsames „Zukunftskonzept Arzneimittelversorgung“ (ABDA/KBV-Konzept; [16]), um die Arzneimitteltherapiesicherheit (AMTS) zu verbessern. Das Konzept besteht aus den drei Modulen „Wirkstoffverordnung (WiVo)“, „Medikationskatalog (MedKat)“ und „Medikationsmanagement (MM)“.
Bei der WiVo wird auf dem Rezept nur der Wirkstoff anstelle eines Präparates verordnet. Das soll die Aufmerksamkeit aller Beteiligten auf den Wirkstoff lenken und so die Nachvollziehbarkeit und damit die Akzeptanz des Patienten bei einem Wechsel auf ein anderes Fertigarzneimittel erhöhen sowie die Gefahr von Doppelmedikationen reduzieren. Der MedKat soll Ärzte bei einer evidenzbasierten, sicheren und indikationsgerechten Verordnungsentscheidung unterstützen [17]. Das MM ist das wichtigste Element zur Erhöhung der AMTS und Therapietreue. Es umfasst einige wesentliche Faktoren, die über die im Berufsalltag übliche Patientenbetreuung hinausgehen und mit denen nachweislich eine höhere Anzahl arzneimittelbezogener Probleme (ABP) erkannt und gelöst werden konnten [18, 19]. Diese Faktoren sind: ein systematisches, also standardisiertes und strukturiertes Vorgehen [20, 21], intensive persönliche Gespräche mit dem Patienten [22], die systematische Erfassung und Analyse aller AM [23] sowie eine Kooperation von Arzt und Apotheker im Rahmen der Patientenbetreuung [24]. Nationale und internationale Studien belegen, dass damit Risiken für die Patienten reduziert und Therapieerfolge wahrscheinlicher gemacht werden [2528].
Die Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen (ARMIN) ist ein Modellvorhaben auf der gesetzlichen Grundlage von § 63 SGB V [29], in dem das ABDA/KBV-Konzept seit 2014 mit den drei Modulen WiVo, MedKat und MM erstmalig umgesetzt wird (Abb. 1). Vertragspartner sind die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) Sachsen und Thüringen, die Landesapothekerverbände (LAV) Sachsen und Thüringen sowie die AOK PLUS. ABDA und KBV begleiten ARMIN beratend (siehe auch www.​arzneimittelinit​iative.​de).
Dieser Beitrag erläutert das Gesamtkonzept, zeigt neben der inhaltlichen auch die technische Umsetzung unter Einbezug der in Arztpraxen und Apotheken vorhandenen Softwaresysteme mit ihren Möglichkeiten und Grenzen und diskutiert die Machbarkeit.

Wirkstoffverordnung

Bei der WiVo werden statt spezifischer Präparate Wirkstoffe verordnet [30]. Soweit das Praxisverwaltungssystem (PVS) des Arztes die Umsetzung unterstützt, der Arzt die betreffende Funktion in seinem PVS freigeschaltet und ein entsprechendes Fertigarzneimittel ausgewählt hat, bietet das PVS eine WiVo an. Der Arzt hat die Möglichkeit, im Einzelfall aus medizinischen Gründen, mit einem Klick auf das Fertigarzneimittel zurück zu wechseln, was gleichzeitig zum Setzen des Aut-idem-Kreuzes bei dieser Verordnung führt. Um unabhängig von dem verwendeten PVS einheitliche Verordnungen ausstellen zu können, wurde ein Standarddatensatz entwickelt und in die Arztsoftware integriert. Die Umsetzung erfolgte für 188 Wirkstoffe oder Wirkstoffkombinationen, die als für eine solche Umsetzung geeignet bewertet wurden [30]. Für jede Stärke, Darreichungsform und Packungsgröße eines umgesetzten Wirkstoffes wurde eine eigene Codierung, die sogenannte WG14-Nummer (Wirkstoffgruppe 2014) vergeben (Abb. 2). Mit dieser Codierung sind Apotheken in der Lage, der entsprechenden Verordnung schnell und eindeutig den passenden Pool an Fertigarzneimitteln zuzuordnen, aus dem, unter Berücksichtigung der rechtlichen Rahmenbedingungen inkl. bestehender Rabattverträge, die Fertigarzneimittelauswahl erfolgt. Apotheken sind berechtigt, von den Vorgaben der Aut-idem-Regelung abzuweichen, wenn kein Rabattvertrag besteht. Das Ziel ist eine möglichst kontinuierliche medikamentöse Einstellung des Patienten. Wechsel von Fertigarzneimitteln sollen reduziert werden. Deshalb soll die Apotheke bei einer Folgeverordnung bevorzugt das Präparat abgeben, das der Patient zuvor bereits eingenommen hatte, unabhängig davon, ob dies eines der drei preisgünstigsten AM ist. Durch die reine Verordnung eines Wirkstoffes soll außerdem die Aufmerksamkeit des Patienten verstärkt auf diesen und nicht auf den Namen des Fertigarzneimittels gelenkt werden. Sollte es dennoch zu einem Präparatewechsel kommen (z. B. wegen fehlender Lieferbarkeit des bislang erhaltenen Fertigarzneimittels), ist es für den Patienten so leichter nachvollziehbar, dass es sich um ein vergleichbares AM handelt, da sich die vom Arzt ausgestellte Verordnung nicht ändert. Zusätzlich können keine Differenzen mehr zwischen dem verordneten und dem abgegebenen Fertigarzneimittel auftreten. Im Rahmen des Modellvorhabens ARMIN startete die Umsetzung der WiVo im Versorgungsalltag am 01.07.2014.

Medikationskatalog

Der MedKat wurde von der KBV für das Modellvorhaben ARMIN erarbeitet. Zu Beginn listete er für 8, mittlerweile für 14 Indikationsgebiete alle zugelassenen Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen auf [17]. Er soll den Arzt bei einer evidenzbasierten, sicheren und wirtschaftlichen Verordnungsentscheidung unterstützen. Dabei ist die Einteilung der Wirkstoffe und Wirkstoffkombinationen in die Kategorien „Standard“, „Reserve“ und „nachrangig zu verordnen“ als Empfehlung zu verstehen; die freie Therapieentscheidung des Arztes im Einzelfall bleibt unberührt. Der MedKat soll für den Arzt eine Entscheidungshilfe sein, um qualitätsbasiert die Arzneimittelversorgung zu steuern. Der Einteilung in die Kategorien geht eine Evidenzbewertung voraus. Dieser liegen die Leitlinien mit der höchstmöglichen Evidenz, Beschlüsse und Therapiehinweise des Gemeinsamen Bundesausschusses (G-BA), Therapieempfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AkdÄ), Abschlussberichte des Instituts für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Cochrane-Reviews, die Publikationen „Arzneiverordnungen“ und „Wirkstoff AKTUELL“ sowie Bewertungen der atd-Arzneimitteldatenbank des arznei-telegramm® (A.T.I. Arzneimittelinformation Berlin GmbH, Deutschland) zugrunde. Die Regelungen der AM-Richtlinien des G‑BA, die PRISCUS-Liste [31] sowie Rote-Hand-Briefe sind ebenfalls berücksichtigt.
Der MedKat wird mindestens einmal jährlich aktualisiert. Die KBV wird dabei von der PMV forschungsgruppe an der Universität zu Köln (Leitung Frau Dr. Ingrid Schubert) unterstützt. Wie die WiVo wird auch der MedKat seit Juli 2014 in der Praxis umgesetzt.

Medikationsmanagement

Das wichtigste Modul für die Verbesserung der AMTS ist das gemeinsam von Arzt und Apotheker durchgeführte MM, bei dem die gesamte Medikation eines Patienten, einschließlich der Selbstmedikation, wiederholt geprüft wird (Infobox 1 und [32]). Das Angebot richtet sich v. a. an Patienten in der ambulanten Versorgung, die 5 oder mehr systemisch wirkende AM dauerhaft anwenden und bei der AOK PLUS versichert sind. Im Einzelfall können auch Patienten mit weniger AM teilnehmen, wenn Hinweise auf eine unzureichende, aber beeinflussbare Therapietreue vorliegen. Der Patient entscheidet sich freiwillig für eine Teilnahme. Er schreibt sich für die Dauer seiner Teilnahme bei seiner betreuenden Apotheke und bei dem Arzt ein, der für die Koordination seiner Gesamtmedikation verantwortlich ist; in der Regel ist dies der Hausarzt. Die Ansprache des Patienten kann sowohl durch den Arzt als auch durch den Apotheker erfolgen.
Arzt und Apotheker sind im MM gleichberechtigte Partner mit definierten Aufgaben und klar voneinander abgegrenzten Verantwortlichkeiten [33]. Dies soll Unklarheiten und potenzielle Konflikte sowie Ineffizienzen durch doppelt erbrachte Leistungen und Patientenirritation aufgrund ggf. differenter Aussagen verhindern. Sämtliche Inhalte des Moduls wurden konsentiert und vertraglich geregelt [34]. Durch die Teilnahme an dem Vertrag erkennen Ärzte und Apotheker diese Bedingungen an.
Die Patienten erhalten einen von Arzt und Apotheker gemeinsam erstellten und geprüften Medikationsplan (MP). Dies setzt die Kenntnis über alle verordneten und vom Patienten selbst erworbenen AM sowie einen Informationsaustausch zwischen Arzt und Apotheker voraus; dieser erfolgt primär elektronisch. Dafür wurde eine technische Infrastruktur zum elektronischen Datenaustausch zwischen Arztpraxis und Apotheke aus den Primärsystemen heraus entwickelt. Die prototypische Umsetzung, Testung und Weiterentwicklung erfolgte in dem vom Bundesministerium für Gesundheit (BMG) geförderten Modellprojekt PRIMA (Primärsystem-Integration des Medikationsplans mit Akzeptanzuntersuchung) in den Jahren 2015 und 2016 ([35, 36]; siehe Beitrag von Dormann et al. in diesem Heft). In PRIMA wurden auch Machbarkeit und Akzeptanz des ARMIN-MM und des bundeseinheitlichen Medikationsplans (BMP) untersucht sowie eine erste Einschätzung des potenziellen Patientennutzens durch die teilnehmenden Ärzte und Apotheker vorgenommen [35].
Infobox 1 Medikationsmanagement – Definition aus dem „Grundsatzpapier zur Medikationsanalyse und zum Medikationsmanagement“ der ABDA [32]
„Ein Medikationsmanagement baut auf einer Medikationsanalyse auf, an die sich eine kontinuierliche Betreuung des Patienten durch ein multidisziplinäres Team anschließt. Mit der kontinuierlichen Betreuung werden vereinbarte Maßnahmen zu detektierten arzneimittelbezogenen Problemen und deren Ergebnis nachverfolgt sowie gegebenenfalls angepasst. Neu auftretende, manifeste und potenzielle arzneimittelbezogene Probleme werden erkannt, gelöst oder vermieden. Ziele sind die fortlaufende und nachhaltige Erhöhung der Effektivität der Arzneimitteltherapie sowie die fortlaufende und nachhaltige Minimierung von Arzneimittelrisiken.“

Ergebnisse

Im Folgenden werden die Ergebnisse der drei ARMIN-Module gemeinsam dargestellt.

Technische Umsetzung

Die Umsetzung der ARMIN-Funktionalitäten der drei Module durch die Arzt- und Apothekensoftwareanbieter in den Primärsystemen erfolgte freiwillig.
Die Funktionen zur WiVo wurden von den ersten Softwareanbietern innerhalb eines halben Jahres integriert. 16 der 147 derzeit für den Einsatz in der vertragsärztlichen Versorgung zertifizierten PVS waren Anfang 2018 in der Lage, die für ARMIN entwickelte standardisierte WiVo zu erzeugen [37]. Da 15 dieser 16 PVS zu den Top 20 der am häufigsten in der Fachgruppe Allgemeinmediziner installierten Systeme gehören (Stand 31.03.2017), besitzen statistisch gesehen 88,5 % aller Allgemeinmediziner in Sachsen/Thüringen die technische Möglichkeit, eine WiVo auszustellen [38].
Außerdem haben nahezu alle in Deutschland vertriebenen Apothekenverwaltungssysteme (AVS) die WiVo umgesetzt. Apotheken sind somit deutschlandweit in der Lage, die auf einem Rezept aufgedruckte WG14-Nummer zu verarbeiten und sich direkt den jeweiligen Pool der abgabefähigen Präparate anzeigen zu lassen. Bisher wurden über drei Millionen WiVo korrekt ausgestellt. Relevante Fehler in der Umsetzung wurden bisher nicht identifiziert, sodass dieses Instrument als sicher eingestuft werden kann.
Der ursprünglich für ARMIN entwickelte MedKat der KBV wurde zum Start des Moduls im Sommer 2014 zunächst als Papierversion zur Verfügung gestellt und danach schrittweise von den die WiVo unterstützenden PVS integriert. Seit der Erweiterung der Schnittstelle für AM-Vereinbarungen nach § 84 Abs. 1 SGB V (ARV-Schnittstelle) zum 20.07.2016 [39] sind alle PVS-Hersteller verpflichtet, Kataloge zur indikationsgerechten wirtschaftlichen Wirkstoffauswahl (IWW) zu integrieren und dem Arzt während des Verordnungsvorgangs die zugehörigen Hinweise anzuzeigen, soweit die jeweilige KV-Region die ARV-Schnittstelle an dieser Stelle mit Steuerungsinformationen befüllt.
Um den elektronischen Austausch von Medikationsdaten zwischen Arzt und Apotheker zu ermöglichen, wurde ein technisches Format, das Medikationsplanaustauschformat (MPAF), entwickelt. Es basiert auf den Inhalten der „Spezifikation für einen patientenbezogenen Medikationsplan“ des Aktionsplans des BMG zur Verbesserung der AMTS in Deutschland [40, 41]. Das Bearbeiten der MP erfolgt in den Primärsoftwaresystemen von Arzt und Apotheker durch integrierte Softwaremodule [42]. Der neu erstellte bzw. bearbeitete MP eines Patienten wird elektronisch über einen im Sicheren Netz der KV (SNK) befindlichen Medikationsplanserver (MPS) zwischen den betreuenden Ärzten und Apothekern ausgetauscht (Abb. 3). Der Zugriff auf den MPS erfordert sowohl aufseiten des Arztes wie auch der Apotheke einen KV-SafeNet-Anschluss. (Hier ist zu beachten, dass KV-SafeNet nicht mit der Firma „SafeNet, Inc., USA“ in firmenmäßiger oder vertraglicher Verbindung steht.) Die MP entsprechen dem Standard des BMP [41]; zusätzlich stehen Kommentarfelder zur Verfügung, um optional Informationen zwischen Arzt und Apotheker auszutauschen.
Von den 16 PVS, die die Module WiVo und MedKat umgesetzt haben, bieten bisher 10 auch ein MM-Softwaremodul an. Einer der marktführenden PVS-Hersteller hat derzeit diese Funktionen beispielsweise nur in eine seiner drei Produktlinien integriert. 12 AVS-Produktlinien bieten bisher ein MM-Modul an und stehen für eine Anwendung bereit. Dies sind nahezu alle marktrelevanten AVS.

Strukturierter Betreuungsprozess

Die inhaltlichen Aufgaben und Zuständigkeiten sowie der Betreuungsprozess im Rahmen des MM wurden in der Vorbereitungsphase zwischen den KV und den LAV konsentiert. Abb. 4 stellt den festgelegten Ablauf dar. Nach Einschreibung des Patienten und Abgabe einer qualifizierten Einverständniserklärung startet der Prozess mit der Erfassung der Gesamtmedikation in der Apotheke. Der Apotheker führt dabei folgende Datenquellen zusammen:
  • die Verordnungs- und Abgabedaten aus der Medikationsdatei des Patienten in der Apotheke (soweit vorhanden),
  • die Daten, die der Apotheker bei der Ersterfassung der Medikation in einem sogenannten Brown-Bag-Review erhebt [43],
  • weitere AM-Informationen, die ein Patient zur Verfügung stellt, v. a. der aktuelle MP, Arzt- oder Entlassbriefe aus dem Krankenhaus und
  • die AM-Abrechnungsdaten der AOK PLUS, die den betreuenden Ärzten und Apothekern im Rahmen von ARMIN für die zurückliegenden 6 Monate zur Verfügung gestellt werden.
Der Apotheker vereinbart für das Brown-Bag-Review mit dem Patienten einen Termin und bittet ihn, seine gesamten AM und, falls vorhanden, seinen aktuellen MP mitzubringen. Vorbereitend gleicht der Apotheker die Medikationsdatei der Apotheke mit den Abrechnungsdaten der Krankenkasse ab. Im Rahmen des Patientengespräches erfasst er sämtliche vom Patienten mitgebrachten AM der Akut‑, Dauer‑ und Bedarfsmedikationen, unabhängig davon, ob ärztlich verordnet oder selbst gekauft (Selbstmedikation/Over-the-Counter [OTC]), und gleicht diese mit der vorbereiteten Medikationsliste aus Apotheken- und Krankenkassendaten ab. Sich ergebende Differenzen versucht der Apotheker zunächst mit dem Patienten zu klären. Auf Basis eines Gesprächsleitfadens werden die AM-Anwendung inklusive der vom Patienten angegebenen Dosierung, mögliche Anwendungsprobleme sowie Kenntnisse des Patienten zum Einnahmegrund angesprochen. Auch Hinweise auf Nebenwirkungen und mangelnde Therapietreue sowie Angaben zur Zufriedenheit mit der AM-Therapie werden gesammelt. Nach dem Patientengespräch wird eine pharmazeutische AMTS-Prüfung analog der Leitlinie „Medikationsanalyse“ der Bundesapothekerkammer [45] durchgeführt. Diese umfasst die Prüfung auf möglicherweise vorliegende ABP, wie potenzielle Interaktionen, Doppel- und Pseudodoppelmedikationen und die Plausibilität der Dosierungsangaben des Patienten. Zeitkritische Interventionen erfolgen direkt, ggf. in Rücksprache mit dem behandelnden Arzt. Die relevanten Ergebnisse dieser pharmazeutischen AMTS-Prüfung werden gemeinsam mit dem erstellten vorläufigen MP elektronisch dem mitbetreuenden Arzt zur weiteren Bearbeitung zur Verfügung gestellt.
Der Arzt führt auf Grundlage dieser Informationen und seiner Patientenakte eine medizinische AMTS-Prüfung durch. Diese beinhaltet u. a. eine Prüfung auf möglicherweise vorliegende Über‑, Unter‑ oder Fehlversorgungen, eine Priorisierung der Gesamtmedikation unter Berücksichtigung der aktuellen Leitlinie „Multimedikation“ unter Einbeziehung der Wünsche und Vorstellungen des Patienten [46], eine ggf. erforderliche Rücksprache mit Ärzten, die den Patienten mitbehandeln, sowie eine Prüfung bestehender Diagnosen, klinischer Parameter und Outcomes mit sich daraus ableitenden Interventionen, wie zum Beispiel Anpassungen von Dosierungen. Außerdem überprüft, aktualisiert und vervollständigt er den MP. Der Arzt kann den konsolidierten MP dem Patienten aushändigen und stellt ihn gleichzeitig elektronisch dem Apotheker zur Verfügung. Häufig fehlen allerdings noch Fertigarzneimittelnamen, die vom Apotheker ergänzt werden. Der MP wird dem Patienten bei Abgabe erläutert, da dies für dessen Verständnis unbedingt erforderlich ist [47]. Arzt und Apotheker stimmen sich bezüglich weiterer Interventionen und Zuständigkeiten im Rahmen der individuellen Patientenbetreuung ab.
Im weiteren Verlauf wird die Medikation kontinuierlich kontrolliert; bei Änderungen werden erneut AMTS-Prüfungen durchgeführt. Weitere Beratungsgespräche und unterstützende Maßnahmen zur Umsetzung der Therapie, zu Fragen der Therapietreue oder zu weiteren patientenbezogenen Fragestellungen werden durchgeführt. Werden Auffälligkeiten erkannt, die den Erfolg der AM-Therapie oder die Sicherheit beeinträchtigen können und eine Absprache erforderlich machen, tauschen sich Arzt und Apotheker aus. Ärzte und Apotheker arbeiten mit projektspezifischen Anleitungen und Arbeitsmaterialien, die diese Prozesse unterstützen. Bei jeder Änderung der Medikation wird der MP des Patienten aktualisiert. Der Patient erhält jeweils einen neuen Ausdruck.

Rollout in Sachsen und Thüringen

Seit dem 01.04.2014 sind insgesamt 546 von etwa 4200 hausärztlich tätigen praktischen Ärzten, Allgemeinmedizinern und Internisten [48, 49] und 969 von etwa 1500 Apotheken [2] in Sachsen und Thüringen dem Vertrag beigetreten (Stand 31.12.2017). Ende 2017 waren davon 297 Ärzte und 285 Apotheken an den MPS angebunden und somit in der Lage, das MM umzusetzen. Sie betreuten zu diesem Zeitpunkt im Rahmen eines MM insgesamt etwa 3200 eingeschriebene Patienten. Durchschnittlich waren dies pro Arzt und pro Apotheke etwa 11 Patienten bei einer erheblichen Streuung (1–142). Die Zahl betreuter Patienten stieg 2017 monatlich relativ konstant um ca. 185 Patienten an. Das Gesamtpotenzial aller für das MM infrage kommenden Versicherten der AOK PLUS in Sachsen und Thüringen beträgt – grob geschätzt – etwa 300.000.

Einfluss des ARMIN-Medikationsmanagements auf die AMTS

Eine erste Einschätzung zum Einfluss des ARMIN-MM auf die AMTS wurde im Rahmen von PRIMA in Befragungen und einem Workshop gewonnen. Nach Einschätzung der teilnehmenden Ärzte, Apotheker und Patienten verbesserten sich durch das MM zahlreiche Aspekte, die Einfluss auf die AMTS haben. Dies waren beispielsweise die Umsetzung der Therapie durch die Patienten, die Angemessenheit der AM-Therapie, das Wissen der Patienten zur korrekten Dosierung und Anwendung ihrer AM und zu den Gründen ihrer AM-Einnahme [35].

Praxisbeispiele für gefundene arzneimittelbezogene Probleme

Pseudodoppelmedikation

Im Rahmen eines Brown-Bag-Reviews in der Apotheke wurden bei einer Patientin unter anderem ein Präparat A mit der Wirkstoffkombination Felodipin 5 mg und Metoprololsuccinat 47,5 mg sowie ein Präparat B mit den Wirkstoffen Amlodipin 5 mg und Valsartan 160 mg erfasst.
Bei gleichzeitiger Anwendung von Fertigarzneimitteln mit Wirkstoffen aus der gleichen Wirkstoffgruppe (hier die zwei Calciumkanalblocker Felodipin und Amlodipin) spricht man von einer Pseudodoppelmedikation [45]. Es ist im Einzelfall zu klären, ob dies aufgrund einer Wirkungsverstärkung gewollt ist. Im beschriebenen Fall handelte es sich um Verordnungen unterschiedlicher Ärzte, die in unterschiedlichen Apotheken eingelöst wurden, sodass weder die beiden Ärzte noch die beiden Apotheken Kenntnis davon hatten. Erst durch die Gesamterfassung der Medikation wurde dies aufgedeckt. Nachdem die Apothekerin den Hausarzt informiert und dieser mit dem Facharzt Rücksprache gehalten hatte, ersetzte er Präparat A gegen ein Metoprololmonopräparat.

Schwerwiegende Interaktion

Potenzielle AM-Interaktionen sind die in pharmazeutischen AMTS-Prüfungen mit am häufigsten beobachteten ABP [50, 51]. Ein Fall einer schwerwiegenden Interaktion wurde bei einer ARMIN-Patientin durch die Krankenkassendaten und die im Brown-Bag-Review erfassten AM-Daten aufgedeckt.
Zusätzlich zu einer komplexen Hypertoniemedikation erhielt eine Patientin Amitriptylin-10 mg-Tabletten und Clonidinaugentropfen in der Dauermedikation. Die Anwendung der Augentropfen gegen grünen Star war der betreuenden Apotheke nicht bekannt, da die Verordnung vom entfernt praktizierenden Augenarzt ausgestellt wurde und die Patientin diese in der Apotheke dort in der Nähe bezog. Auch der Hausarzt hatte keine Kenntnis davon. Erst durch die Abrechnungsdaten der Krankenkasse und die Gesamterfassung und Prüfung der Medikation wurde dies erkannt.
Zwischen Amitriptylin und Clonidin liegt eine potenzielle Wechselwirkung vor, die von der ABDA-Datenbank als „gleichzeitige Gabe schwerwiegende Folgen möglich – vorsichtshalber kontraindiziert“ klassifiziert wird. Tri- und tetrazyklische Antidepressiva können die okulär hypotensive Wirkung der Alpha-2-Rezeptoragonisten beeinträchtigen. Der behandelnde Augenarzt wurde schriftlich über die Wechselwirkung informiert. Die Patientin wurde daraufhin auf latanoprosthaltige Augentropfen umgestellt.

Erforderliche Dosisanpassung

Eine insulinpflichtige Typ-2-Diabetikerin gab an, Gabapentin 100 mg, 3 × tgl. 1 Tablette gegen Schmerzen und ein gelegentliches Taubheitsgefühl in ihren Händen einzunehmen, ohne aber eine Wirkung wahrzunehmen. Die Apothekerin informierte den Arzt darüber. Nach Überprüfung durch den Arzt stellte sich heraus, dass die Patientin eine schriftliche Anleitung zur schrittweisen Dosissteigerung auf 1800 mg pro Tag erhalten hatte, sie diese aber nicht umgesetzt hatte. Der Arzt erläuterte der Patientin die vorgegebene Titration der Dosis erneut, dokumentierte dies im MP und kommunizierte dies über den MP an die Apotheke. Die Apothekerin sprach die Patientin nach zwei Wochen und dem Erreichen der Tagesdosis von 1800 mg noch einmal an. Die Patientin war zu diesem Zeitpunkt bereits mit der Wirkung zufrieden, die Schmerzen seien zurückgegangen. Die Apothekerin löschte das vorgegebene Titrationsschema aus dem MP und dokumentierte die ärztlich festgelegte Dosierung von 3 × 600 mg tgl. Die Apothekerin kommunizierte dem Arzt den geänderten MP mit dem Kommentar, dass die Patientin eine Schmerzreduktion beschrieben hätte, sodass der Arzt ebenfalls informiert war.

Gefahr einer doppelten Wirkstoffdosis

Bei einem Patienten mit komplexer Blutdruckmedikation wurde im Brown-Bag-Review ein Ramipril-XY®-5 mg-Präparat gefunden, dessen Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten war. Der Patient gab an, davon morgens eine Tablette einzunehmen. Der Patient hatte außerdem ein weiteres Fertigarzneimittel RamiYZ® 5 mg mitgebracht, konnte aber nicht zuordnen, dass es sich um eine Folgeverordnung handelte. Nach Erläuterung wurde Ramipril XY® entsorgt und bei der Abgabe des MP noch einmal auf den Wirkstoff Ramipril und die korrekte Einnahme von RamiYZ® hingewiesen.

Diskussion

Wirkstoffverordnung und Medikationskatalog

Die 188 umgesetzten Wirkstoffe und -kombinationen decken etwa die Hälfte aller zulasten der AOK PLUS abgerechneten ärztlichen Verordnungen ab. Prioritär wurden die Wirkstoffe mit den höchsten Verordnungszahlen umgesetzt, bei denen unmissverständliche Verordnungen über die definierten Standardangaben zu Wirkstoff, Stärke, Darreichungsform und Menge möglich waren. Seltener verordnete Wirkstoffe sowie Verordnungen, die darüber hinaus weitere Angaben erfordern würden (wie z. B. zu Salbengrundlagen oder der Kompatibilität mit bestimmten Devices wie Insulin-Pens oder Asthma-Inhaler), wurden zurückgestellt. Es wäre im Detail zu prüfen, inwieweit die WiVo ausgeweitet werden kann. Eine Teilmenge des AM-Marktes kann vermutlich niemals sinnvoll umgesetzt werden (z. B. homöopathische Komplexmittel). Die Umsetzung einer WiVo ohne entsprechende Standardisierungen ist abzulehnen, da sonst die Interpretation der Verordnung in der Apotheke fehleranfällig wird.
Die Weiterentwicklung und auch die Umsetzung des MedKat über ARMIN hinaus erfolgt aktuell. So haben andere KV diesen in ihre AM- und Prüfvereinbarungen übernommen. Die Erweiterung um neue Indikationen wird von der KBV regelmäßig geprüft.

Strukturierter Betreuungsprozess

Ärzte und Apotheker bewerten die Festlegung von Standards, Prozessen und Zuständigkeiten als wesentliche Voraussetzung für einen reibungslosen Ablauf und die Akzeptanz eines gemeinsamen Betreuungsprozesses [52]. Auch das Vorliegen weitgehend vollständiger Informationen über die vom Patienten angewendeten AM wurde von beiden Berufsgruppen als sehr positiv bewertet.

Technische Umsetzung

Die Module WiVo und MedKat wurden erfolgreich in relevantem Umfang in AVS und PVS umgesetzt. Im Bereich des MM wurde die AVS-Umsetzung ebenfalls nahezu vollständig und weitgehend in hoher Qualität erreicht. Bei den PVS-Anbietern erfolgte bisher keine ausreichende Abdeckung; auch ist die Qualität der Umsetzung heterogen. Manche PVS-Hersteller haben das in ihrem System vorhandene MP-Modul um die zusätzlichen ARMIN-Funktionen erweitert, wie z. B. das Hoch- bzw. Herunterladen der MP auf den bzw. vom MPS, Differenzabgleiche und Statusreporte. In anderen PVS wurde ein isoliertes ARMIN-Modul geschaffen, das nicht in bereits bestehende Funktionalitäten integriert wurde, was in der Praxis zu Mehraufwand und mangelnder Akzeptanz führt.
Derzeit existieren parallel unterschiedliche MP-Formate, die untereinander nicht immer interoperabel sind. Dies ist jedoch eine Voraussetzung für nutzerfreundliche Softwarelösungen, Medienbruchfreiheit und eine weite Verbreitung von MP. Die Gesellschaft für Telematik (gematik) hat in ihrem Projekt zum elektronischen Medikationsplan „eMP/AMTS“ die entsprechenden Festlegungen zu einer maximalen Interoperabilität auch zu weiteren MP-Formaten sowie anderen Medikationsdaten verarbeitenden E‑Health-Anwendungen zu treffen. Gleichzeitig ist zu bestimmen, ab welchem Zeitpunkt diese Festlegungen verbindlich von allen betroffenen Softwareherstellern umzusetzen sind.
Während der technischen Pilotierung des MM traten im Rahmen von durchgeführten Vergleichen der in Arztpraxen und Apotheken erstellten MP vermehrt Probleme auf, da sich die Informationen zu den jeweiligen Fertigarzneimitteln in den Softwaresystemen je nach hinterlegter AM-Stammdatenbank (z. B. ABDATA, ifap, MMI) in ihrer semantischen Darstellung teilweise erheblich unterscheiden. Dies erschwert sowohl automatische Differenzabgleiche von MP aus verschiedenen PVS bzw. AVS als auch die Verständlichkeit der MP für die Patienten.

Rollout in Sachsen und Thüringen

Das Modellvorhaben wurde in Sachsen und Thüringen unter anderem in mehreren, gemeinsam von Ärzten und Apothekern besuchten Veranstaltungen (jeweils 200 bis 300 Teilnehmer) beworben. Bereits im Frühjahr 2015, ein Jahr nach Beginn der Möglichkeit, dem ARMIN-Vertrag beizutreten, hatten mehr als 90 % der aktuell teilnehmenden Ärzte und Apotheker ihre Teilnahme erklärt.
Ein halbes Jahr nach Start der WiVo nutzten bereits 3/4 der teilnehmenden Ärzte diese Funktion, sodass diese als erfolgreich bewertet werden kann. Die Umsetzung des MM gestaltet sich deutlich schwieriger. Eineinhalb Jahre nach Beendigung der technischen Pilotierung und dem offiziellen Start waren nur 1/3 der an ARMIN teilnehmenden Ärzte und Apotheker an den MPS angebunden. Ein weiterer wesentlicher Grund für die langsame Umsetzung ist, dass entsprechende Module bei manchen PVS nicht angeboten werden, was allein in Sachsen 20 % der an ARMIN teilnehmenden Ärzte an der Umsetzung des MM hindert.
Aktuell werden Maßnahmen zur Unterstützung der Implementierung und Qualitätsverbesserung einiger PVS verfolgt. Dies sind vor allem Besuche in Arztpraxen zur Fehleranalyse und regelmäßige Feedbackzyklen mit PVS-Herstellern im Hinblick auf Fehlerkorrekturen und zur Verbesserung der Nutzerfreundlichkeit. Zur Gewinnung weiterer (ärztlicher) Teilnehmer werden ärztliche Qualitätszirkel gezielt über ARMIN informiert. Ob und wann diese Maßnahmen greifen werden, ist zum jetzigen Zeitpunkt unklar.

Einfluss des ARMIN-Medikationsmanagements auf die AMTS

Zum jetzigen Zeitpunkt kann der Einfluss von ARMIN auf Fragen der AMTS nicht zuverlässig beantwortet werden. Dies wird Teil der wissenschaftlichen Evaluation sein, die vom Gesetzgeber für Modellvorhaben in § 65 SGB V vorgeschrieben ist.
Aufgrund folgender Punkte wird aber ein deutlicher Effekt des ARMIN-MM auf die Qualität der erstellten MP und auf die AMTS erwartet:
1.
Um die Vollständigkeit der MP zu gewährleisten, werden sie auf Basis von vier miteinander abgeglichenen Datenquellen erstellt: Brown-Bag-Review, AM-Abrechnungsdaten der Krankenkasse, Medikationsdaten von Apotheke und Arzt.
 
2.
Um die AMTS zu erhöhen, erfolgt eine umfassende, gemeinsame AMTS-Prüfung durch Arzt und Apotheker, pharmazeutische Fragestellungen werden durch den Apotheker und klinisch-medizinische Aspekte durch den Arzt überprüft. Die Prüfungen erfolgen leitlinienbasiert [45, 46].
 
3.
Die Erstellung und Pflege von MP erfolgt gemeinsam durch Arzt und Apotheker.
 
4.
Durch das Monitoring der AMTS im Vieraugenprinzip sollten Auffälligkeiten und Risiken in der Regel schneller und lückenloser erkannt werden.
 
5.
Das kontinuierliche Pflegen und Aktualisieren von MP durch Arzt und Apotheker erfolgt unter Berücksichtigung der genannten Datenquellen. Bei Änderungen der Medikation werden erneute AMTS-Prüfungen durchgeführt. Inwieweit diese Prozesse ein möglichst lückenloses Fortschreiben von MP unterstützen, muss ebenfalls in weiteren Untersuchungen ermittelt werden.
 

Möglichkeiten einer Überführung von ARMIN in die Regelversorgung

ARMIN konnte bisher zeigen, dass alle drei Module im Versorgungsalltag umsetzbar sind. Eine bundesweite Überführung in die Regelversorgung wäre allerdings nur denkbar, wenn bisher fehlende Rahmenbedingungen geschaffen würden. Außer einer technischen Infrastruktur müsste eine Rechtsgrundlage für eine kollektivvertragliche gesetzliche Verankerung geschaffen und ein adäquates Honorar für Ärzte und Apotheker vereinbart werden. Da es sich vor allem beim MM um eine neue, zusätzlich zu erbringende Leistung von Ärzten und Apothekern handelt, ist ein zusätzliches Honorar auf Basis einer Vollkostenrechnung eine zwingende Voraussetzung für die Umsetzung.

Ausblick

Mit ARMIN wurde erstmalig ein interdisziplinäres Betreuungskonzept für multimorbide Patienten auf Basis eines digitalen Datenaustauschs unter Verwendung der Primärsoftware erfolgreich implementiert. WiVo und MedKat wurden ebenfalls erfolgreich umgesetzt. Der MedKat findet unterdessen in den KV-Regionen Baden-Württemberg, Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Nordrhein, Rheinland-Pfalz, Sachsen und Thüringen Anwendung in der kollektivvertraglichen Versorgung. Für eine weitere Verbreitung der WiVo wäre eine höhere Anzahl teilnehmender Ärzte sowie die Freigabe zur Nutzung der standardisierten WG14-Druckzeile in weiteren vertraglichen Vereinbarungen erforderlich. Die dem MM zugrunde liegenden Prozesse haben sich bewährt. Die anfänglich vorhandenen großen technischen Probleme konnten weitgehend gelöst werden, sodass der elektronische Ansatz grundsätzlich funktioniert. Allerdings besteht nach wie vor Optimierungsbedarf im Hinblick auf die Benutzerfreundlichkeit einiger Softwaresysteme. Teilnehmende Ärzte und Apotheker sehen einen potenziellen Nutzen für Patienten und die AMTS. Wie groß dieser Nutzen tatsächlich ist, müssen weiterführende Untersuchungen zeigen. ARMIN liefert entscheidende technische und inhaltliche Vorarbeiten, um zukünftig multimorbiden Patienten in der ambulanten Routineversorgung ein interdisziplinäres MM anbieten zu können.

Danksagung

Die Autoren danken allen am Projekt teilnehmenden Arztpraxen und Apotheken für ihr großes Engagement.

Einhaltung ethischer Richtlinien

Interessenkonflikt

U. Müller, M. Schulz und M. Mätzler geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
Dieser Beitrag beinhaltet keine von den Autoren durchgeführten Studien an Menschen oder Tieren. Für Bildmaterial oder anderweitige Angaben innerhalb des Manuskripts, über die Patienten zu identifizieren sind, liegt von ihnen und/oder ihren gesetzlichen Vertretern eine schriftliche Einwilligung vor.
Open Access. Dieser Artikel wird unter der Creative Commons Namensnennung 4.0 International Lizenz (http://​creativecommons.​org/​licenses/​by/​4.​0/​deed.​de) veröffentlicht, welche die Nutzung, Vervielfältigung, Bearbeitung, Verbreitung und Wiedergabe in jeglichem Medium und Format erlaubt, sofern Sie den/die ursprünglichen Autor(en) und die Quelle ordnungsgemäß nennen, einen Link zur Creative Commons Lizenz beifügen und angeben, ob Änderungen vorgenommen wurden.

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Literatur
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Metadaten
Titel
Elektronisch unterstützte Kooperation ambulant tätiger Ärzte und Apotheker zur Verbesserung der Arzneimitteltherapiesicherheit
Die Arzneimittelinitiative Sachsen-Thüringen (ARMIN)
verfasst von
Dr. Uta Müller
Prof. Dr. Martin Schulz
Mike Mätzler
Publikationsdatum
30.07.2018
Verlag
Springer Berlin Heidelberg
Erschienen in
Bundesgesundheitsblatt - Gesundheitsforschung - Gesundheitsschutz / Ausgabe 9/2018
Print ISSN: 1436-9990
Elektronische ISSN: 1437-1588
DOI
https://doi.org/10.1007/s00103-018-2780-5

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