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Apert-Syndrom

Verfasst von: Heike Kaltofen, Dierk A. Vagts, Uta Emmig und Peter Biro
Apert-Syndrom.
Synonyme
Akrozephalosyndaktylie; Akrosphenosyndaktylie; Van-der-Hoeve-Sy; Carpenter-Sy
Oberbegriffe
Dysmorphien, Dysostosen, Schädelsynostosen, kranio-mandibulofaziale Missbildungen, Kieferbogen-Ss.
Organe
Gesichtsschädel, Skelett, Bewegungsapparat, ZNS.
Inzidenz
1:100.000 bis 1:160.000 Lebendgeburten.
Ätiologie
Kongenital, hereditär mit autosomal-dominantem Erbgang. Oft auch als Neumutation des „fibroblastic growth factor“-2-Gens. Prämature Synostosen der Schädelnähte aufgrund irregulärer Brückenbildung zwischen Osteoblasteninseln.
Verwandte Formen, Differenzialdiagnosen
Akrozephalosyndaktylie-Ss: Apert-Sy (Typ I), Crouzon-Sy (oder als Kombination: Apert-Crouzon-Sy) (Typ II), Chotzen (Saethre-Chotzen-)Sy (Typ III), Pfeiffer-Sy (Typ V), Poland-Sy, Klippel-Feldstein-Sy, Potter-Sy, Gruber-Sy, Enslin-Sy, Say-Gerald-Sy, François-Sy, Franceschetti-Sy, Dutescu-Grivu-Fleischer-Peters-Sy, Mohr-Sy, Dzierzynsky-Sy, Elschnig-Sy, Noack-Sy, Carpenter-Sy, Sakati-Nyhan-Sy, Goodman-Sy.

Symptome

Akrozephalie, Skaphozephalie (Kahnschädel), Hypertelorismus, Exophthalmus, eingesunkene Nasenwurzel, Choanalstenosen, Maxillahypoplasie (Mikrognathie), prominente Mandibula, hoher (gotischer) Gaumen, Gaumenspalte (30 %), verschmolzene Halswirbel (71 %), „Bambus-Trachea“ (50 %) mit Stenosen, Syndaktylie (Löffelhand, meist sind Finger 2–4 betroffen), Polydaktylie, Minderwuchs, geistige Retardierung, große, spät schließende Fontanellen, obstruktives Schlafapnoe-Syndrom.
Die Prognose ist abhängig vom Schweregrad der Fehlbildungen.
Vergesellschaftet mit
Anomalien der Atemwege selten kombiniert mit Missbildungen des Urogenitaltraktes (Zystennieren), Niereninsuffizienz, Missbildungen des Gastrointestinaltrakts (Ösophagusatresie, Pylorusstenose), Herzvitien, erhöhter Hirndruck.

Anästhesierelevanz

Mit schwieriger Maskenbeatmung und endotrachealer Intubation, möglicher Hirndruckproblematik, hoher Rate an perioperativen respiratorischen Komplikationen (30 %) rechnen. Häufig Schlafapnoe.
Spezielle präoperative Abklärung
Röntgen oder MRI der Halsorgane (seitlich!), Polysomnografie bei Verdacht auf Schlafapnoe, Nierenfunktionsparameter (Kreatinin, Harnstoff, Kalium im Serum), EKG und Herzechokardiografie bei Verdacht auf kardiale Komorbidität. Bei Verdacht auf Tracheomalazie (anamnestisch wiederholte hypoxämische Episoden) sollte eine starr-bronchoskopische Evaluation vorgenommen werden.
Wichtiges Monitoring
Pulsoxymetrie, Kapnographie, ggf. ZVD, Elektrolyte.
Vorgehen
Aufgrund der häufigen perioperativen respiratorischen Probleme sollten Elektiveingriffe nach Infektionen der oberen Atemwege möglichst bis zu deren Ausheilung verschoben werden. Eine vagolytische Prämedikation ist sinnvoll. Mit einer erschwerten Maskenbeatmung ist aufgrund der Mittelgesichtshypoplasie zu rechnen. Oftmals genügt ein Guedel-Tubus, um die Atemwege zu öffnen. Eine Alternative insbesondere in der Notfallsituation stellt die Larynxmaske dar. In jedem Fall ausreichend präoxygenieren. Die endotracheale Intubation kann gelegentlich erschwert sein. Daher sollte Instrumentarium für fiberoptische oder videoassistierte Intubation bereitstehen. Häufig liegt eine erschwerte Nasenpassage bei Mittelgesichtshypoplasie vor. Sorgfältige Wahl der geeigneten Tubusgröße, da Deformitäten der Atemwege mit fortschreitendem Alter zunehmen.
Bei der Extubation erneute Gefahr von respiratorischen Problemen, insbesondere wegen des möglichen Auftretens einer manipulationsbedingten Schwellung von Zunge und Larynx. Nach Verschluss einer Gaumenspalte kann es zu Atemwegsobstruktionen kommen, die eine Tracheotomie (bis ca. 48 %) notwendig machen!
Die Patienten produzieren häufig viel Bronchialsekret, welches sie wegen der versteiften Trachea schlecht abhusten können. Deshalb sollte vor der Extubation eine sorgfältige Bronchialtoilette durchgeführt werden. Wichtig sind Maßnahmen zum Augenschutz wegen des oftmals fehlendem Lidschlusses.
Eine verlängerte intensive postoperative Überwachung ist notwendig.
Bei kranioplastischen Eingriffen mit Hirndruck (cave: Aspirationsgefahr) und größeren Blutverlusten rechnen (genügend intravenöse Zugänge anlegen, Blutkonserven bereithalten).
Cave
Berücksichtigung möglicher kardialer oder renaler Begleitfehlbildungen.
Cave
Risiko der oberen Atemwegsobstruktion.
Weiterführende Literatur
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