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Die Anästhesiologie
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Publiziert am: 06.05.2017

Prozessoptimierung und Qualitätsmanagement in der Anästhesie

Verfasst von: Wolfgang Hölz und Joachim Schmeck
Die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen haben die Krankenhäuser in den vergangenen Jahren zu einer drastischen Korrektur ihrer Unternehmenspolitik gezwungen, wobei der Fokus auf einem wirtschaftlichen Ressourceneinsatz und der Umsetzung gesicherter Qualitätsstandards lag. Das Qualitäts- und Risikomanagement stellt Methoden für eine qualitätsorientierte Führung und Organisationsentwicklung zur Verfügung und kann dazu beitragen, die Orientierung auf die zentralen Bedürfnisse unserer Patienten nicht aus dem Auge zu verlieren.
Einleitung
Die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen haben die Krankenhäuser in den vergangenen Jahren zu einer drastischen Korrektur ihrer Unternehmenspolitik gezwungen, wobei der Fokus auf einem wirtschaftlichen Ressourceneinsatz und der Umsetzung gesicherter Qualitätsstandards lag. In diesem Zusammenhang wurden organisatorische Gedanken aus der Industrie übernommen, mit deren Hilfe eine Standardisierung von Behandlungspfaden begonnen wurde, um eine effiziente und mittelschonende Patientenversorgung auf einem optimalen medizinischen Stand zu gewährleisten.
Für den unternehmerischen Erfolg eines Krankenhauses sind diese Maßnahmen insbesondere in kostenintensiven Organisationseinheiten notwendig, wobei die Operationsabteilung infolge des hohen Personaleinsatzes unterschiedlicher Berufsgruppen hohe Ökonomisierungspotenziale aufweist. Eine wesentliche Rolle kann in einem solchen Prozess der Anästhesie als einem zentralen Leistungserbringer im OP zukommen, da neben den medizinisch fachlichen Aufgaben organisatorische Aufgaben ohne Eigeninteresse übernommen werden können. Wesentliche Punkte im Sinne dieser Prozesskette sind die OP-Belegung, die Personaleinsatzplanung und die Materialbewirtschaftung.
Das Qualitäts- und Risikomanagement stellt einerseits Methoden für eine qualitätsorientierte Führung und Organisationsentwicklung zur Verfügung, andererseits kann es angesichts zunehmender ökonomischen Drucks dazu beitragen, die Orientierung an den zentralen Bedürfnissen unserer Patienten – Qualität und Sicherheit – nicht aus dem Auge zu verlieren.

Management der OP-Belegung

Die ehemals feste OP-Saalzuweisung zu einzelnen OP-Abteilungen ist in Zeiten der Ressourcenverknappung nicht mehr zeitgemäß, da die Bereitstellung eines OP-Saals mit Personal je nach operativer Ausrichtung eines Krankenhauses bis zu 1000 € pro Stunde kostet. Umfangreiche Studien zur optimierten OP-Saalnutzung wurden in den vergangenen Jahren durchgeführt. Bereits im Jahr 2002 konnte nachgewiesen werden, dass durch die bedarfsorientierte Vergabe von OP-Kapazitäten eine Leistungssteigerung in OP-Abteilungen bei gleichzeitig schonendem Mitteleinsatz erfolgen kann [1]. Der Freiheitsgrad der OP-Raumnutzung ist jedoch stark von den baulichen Gegebenheiten abhängig, da das Problem der Patienten- und Materialtransporte, z. B. in einem in Pavillons aufgegliederten Krankenhaus, die universelle Raumnutzung einschränkt.
Hierzu ist eine zentrale Steuereinheit erforderlich, die meist in modernen OP-Managementstrukturen verankert ist. Aktuell wird an deutschen Krankenhäusern das OP-Management zu 95 % aus der Anästhesiologie heraus organisiert. In 5 % der Fälle ist das OP-Management direkt am Vorstand oder an einer chirurgischen Klinik angesiedelt. Wissenschaftlich fundierte Untersuchungen zur optimalen Anbindung des OP-Managements liegen jedoch nicht vor, sodass lokale Gegebenheiten und historisch regionale Entwicklungen Berücksichtigung finden sollten.

Management des Personaleinsatzes

Durch eine Analyse der Gründe für eine ineffektive Nutzung von OP-Kapazitäten wurden Leerstände der OP-Säle identifiziert, die zum überwiegenden Teil auf Schwierigkeiten in der zeitgerechten Personalbereitstellung zurückzuführen sind [2]. Der reibungslose Ablauf im OP ist auf den zeitgerecht abgestimmten Einsatz einer Vielzahl von Personen unterschiedlicher Berufsgruppen angewiesen. Neben ärztlichen und pflegerischen Mitarbeitern der Anästhesie und der operativen Kliniken sowie deren Hilfspersonal muss der Einsatz von Stationsmitarbeitern, Transportdienst, Reinigungskräften, Mitarbeitern der Sterilgutversorgungsabteilung und Logistikkräften aufeinander abgestimmt werden.
Daher wurde bei den ersten praktischen Umsetzungen einer neuen OP-Organisation auf den Personalbereich mit dem Ziel fokussiert, durch die Schaffung eines Teams unter einer Leitung Schnittstellen in der Personaleinsatzplanung zu reduzieren und zudem Synergien zwischen den einzelnen Berufsgruppen zu entfalten [1]. Durch den abgestimmten Personaleinsatz konnte eine signifikante Steigerung der OP-Auslastung ohne Mehrkosten erreicht werden.
Heute ist die Evidenz für eine gemeinsame Personaleinsatzplanung noch größer geworden, da die Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes zu den täglichen und wöchentlichen Grenzen der Arbeitszeit (§ 7 AbrZG) und der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs zur Wertung der Bereitschaftsdienste als Arbeitszeit (Europäische Arbeitszeitrichtlinie 2003/88/EG) zu einer differenzierten Dienstplangestaltung zwingen. Diese wird zudem erschwert, da im Krankenhaus zwei unterschiedliche Tarifverträge zur Anwendung kommen, die unterschiedliche Wochenarbeitszeiten festlegen. Der TV-Ä sieht eine wöchentliche Regelar- Arbeitszeit von 40 Stunden (§7 TV-Ä) vor, wohingegen der TV-L oder ähnliche Abschlüsse 38,5 Stunden (§ 6c, Anhang TV-L) als wöchentliche Regelarbeitszeit fixieren. Durch eine geeignete Abstimmung der Dienstpläne ist es dennoch möglich, eine Angleichung der täglichen Arbeitszeiten zu erreichen, indem ein Verfahren zur Kompensation von Ausfallzeiten nach Bereitschaftsdiensten in die Festlegung der Arbeitszeiten eingeführt wird [3]. Weiterhin ist für einen geordneten OP-Ablauf die Anpassung des morgendlichen Arbeitsbeginns unerlässlich. Als sinnvoll hat sich ein kaskadierter Start erwiesen, bei dem die einzelnen Berufsgruppen orientiert an der Zeit des ersten Patientenkontakts die Arbeit aufnehmen. Beispielhaft wird eine Staffelung, in der zunächst die Anästhesiepflege (07:15 Uhr) die Arbeit aufnimmt, um den Arbeitsplatz für die Narkoseeinleitung vorzubereiten, gefolgt von der OP-Pflege (07:30 Uhr) und den ärztlichen Mitarbeitern der Anästhesie (07:45 Uhr), vorgestellt [4].

Management des Materialbedarfs

Neben der Steuerung des Personaleinsatzes sowie der Planung der OP-Belegung erfordert die OP-Nutzung auch die Steuerung der zur Durchführung einer Operation benötigten Materialströme. Infolge der großen Bedeutung der Personalkosten, die mehr als 60 % der Krankenhauskosten bedingen, wurde der Materialwirtschaft bisher nur eine nebengeordnete Rolle zugebilligt. Dennoch können mehr als 10 % der OP-Verschiebungen auf logistische Mängel zurückgeführt werden und Materialkosten bedingen etwa 25 % der OP-Kosten, wobei deren Anteil infolge des medizinisch-technischen Fortschritts steigend ist [5].
Eine Vielzahl unterschiedlicher Materialien wird zeitgerecht zur Durchführung einer Operation benötigt, wobei hinsichtlich der logistischen Anforderungen zwei Materialgruppen voneinander abgegrenzt werden können:
Einmalartikel, wie Verbandsmaterial, Nahtmaterial oder Einmalspritzen, werden in der Regel über die Krankenhausapotheke oder den zentralen Einkauf bezogen und im OP bis zum Verbrauch gelagert. Traditionell wurden hierzu große Lager angelegt, um die Versorgungssicherheit der OP-Abteilung jederzeit gewährleisten zu können. Diese Vorgehensweise erfordert jedoch einen hohen Personaleinsatz und verursacht Kosten durch die Bindung von Kapital im Lagerbestand.
Als Alternative kann eine Lagerhaltung eingeführt werden, die sich an der industriell üblichen Praxis der „just in time delivery“ orientiert. Für den stationären Einsatz wurde das System der Modulversorgung entwickelt, welches auch in OP-Abteilungen eingesetzt werden kann. Hierbei wird die Materiallagerung und Versorgung durch den tatsächlichen Bedarf gesteuert, wodurch eine Reduzierung gebundener Kosten erreicht werden kann. Diese Art der Lagerhaltung erfordert jedoch spezielle Schranksysteme, die eine standardisierte Lagerung ermöglichen. Die Pflege dieses Lagers kann durch geschultes Hilfspersonal erfolgen, wodurch eine Entlastung der Pflegekräfte erreicht werden kann [5].
Wiederverwendbare Medizinprodukte, wie OP-Instrumente oder die Kreisteile der Anästhesiegeräte, bedürfen einer differenzierteren Logistik. Nach dem Einsatz müssen diese Materialien in eine Aufbereitungsstätte für Medizinprodukte (Sterilgutversorgungsabteilung) transportiert werden, von wo aus sie nach einer sach- und fachgerechten Aufbereitung wieder zum Anwender zurückgebracht werden. Die Aufbereitung wiederverwendbarer Medizinprodukte unterliegt gesetzlichen Regeln (§ 4 Infektionsschutzgesetz, § 4 Medizinprodukte-Betreiberverordnung, §§ 135a und 137 ff. SGB V), die durch Konkretisierungen in DIN-Vorschriften ergänzt werden (DIN EN ISO 14937, 15883, 17664). Die Ausführungsvorschriften werden vom Robert-Koch-Institut vorgegeben und im Bundesgesundheitsblatt publiziert [6]. Da die Einhaltung dieser Vorgaben mit einem hohen personellen und apparativen Aufwand verbunden ist, haben einige Krankenhäuser ihre Sterilgutversorgungsabteilung (ZSVA) aufgelöst und externe Dienstleister verpflichtet, wodurch eine Einschränkung des Gestaltungsspielraums bei gleichzeitiger Abhängigkeit von Dritten auf einem sensiblen Gebiet der Versorgung resultieren kann. Dies gilt insbesondere für universitäre Einrichtungen, die durch ihren Lehr- und Forschungsauftrag verpflichtet sind, innovative Behandlungsverfahren zu entwickeln und zur Anwendung zu bringen. Eine in krankenhauseigener Verantwortung betriebene ZSVA bietet zudem die Möglichkeit zur Vernetzung der operativen Prozesse und der Aufbereitung, um so die Versorgung den Bedürfnissen der OP-Abteilung anzupassen [5].
OP-Ablauforganisation, Personaleinsatzplanung und Materiallogistik bedürfen einer differenzierten und aufeinander abgestimmten Organisation, um den Betrieb von OP-Abteilungen ressourcenschonend sicherzustellen. Somit ist es sinnvoll, OP-Management und Materiallogistik in einem Verantwortungsbereich anzusiedeln.
Zur Sicherstellung einer optimalen Patientenversorgung in der Operationsabteilung sind nicht nur die Optimierung der Logistik und die Gewährleistung einer optimalen Personalbereitstellung erforderlich. Ein hoher Standard in der operativen und anästhesiologischen Versorgung kann nur durch fortwährende Überprüfung und Re-Adjustierung der Prozesse erhalten werden.

Qualitäts- und Risikomanagement

Qualität und Sicherheit sind Kernanliegen bei der Tätigkeit in Anästhesiologie, Intensivmedizin, Schmerztherapie und Notfallmedizin. Der zunehmende „Produktionsdruck“ in unseren Kliniken und Praxen gefährdet hingegen zunehmend die Sicherheit und Qualität der täglichen Arbeit [7].
Der Gesetzgeber versucht dem gegenzusteuern: Jede Klinik ist zu Maßnahmen des Qualitätsmanagements verpflichtet (Sozialgesetzbuch V § 135a). Das Patientenrechtegesetz von 2013 fordert als Beitrag zur Sicherheit Risikomanagementsysteme. Darüber hinaus sind die Kliniken in der Pflicht, durch ausreichende Organisation Fehler zu verhindern und für Risiken zu haften.
Die European Society of Anaesthesiology hat sich des Themas angenommen. Sie fordert in der 2010 publizierten „Helsinki Declaration on Patient Safety in Anesthesiology“ jede Klinik/Abteilung für Anästhesiologie auf, spezielle Maßnahmen zur Erhöhung der Patientensicherheit umzusetzen [8, 9]. Sie setzt damit Standards, die bei anästhesiologischen Zwischenfällen künftig auch medikolegale Bedeutung haben dürften. Viele Kliniken setzen diese Empfehlungen inzwischen mit Erfolg um [10]. Ein Starter-Kit hilft bei der Umsetzung an der eigenen Klinik [10].
Auch die nationalen Fachgesellschaften engagieren sich für dieses Thema. Das Forum Qualitätsmanagement und Ökonomie der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin definiert 10 Qualitätskriterien für die anästhesiologische Versorgung. Qualitätsindikatoren auf der Basis medizinischer Leitlinien messen, in wie weit diese Kriterien erfüllt werden [11]. Eckpunkte für eine quantitativ und qualitativ den fachlichen Standards entsprechende ärztlich-personellen Ausstattung wurden durch die DGAI formuliert.
Der OP stellt in den meisten Kliniken den Ort des höchsten Ressourceneinsatzes dar. Gleichzeitig werden hier die höchsten Erlöse für die Kliniken erzielt [1]. Dabei ist aber auch das Risikopotenzial in medizinischer, organisatorischer sowie ökonomischer Hinsicht besonders hoch. Insofern lohnt es sich, in Sicherheit und Qualität zu investieren.

Begriffe

Qualitätsmanagement (QM) zielt darauf ab, unter Berücksichtigung der Anforderungen systematisch und kontinuierlich an Qualitätsverbesserungen zu arbeiten.
Qualitätsanforderungen stellt in erster Linie der Patient. Anforderungen an eine anästhesiologische Klinik/Abteilung stellen aber auch die operativen Partner, das OP-Management, die Logistikbereiche, die Verwaltung, die Kostenträger und nicht zuletzt die eigenen Mitarbeiter. Qualitätsmanagement versucht, diese Anforderungen zu identifizieren, die Prozesse entsprechend zu planen und zu steuern. QM verfolgt dabei einen Systemansatz (Planung – Umsetzung – Überprüfung der Effizienz – Nachsteuern) [8, 12].
Risikomanagement bedeutet, Risiken systematisch zu erfassen, zu bewerten und durch gezielte Maßnahmen zu minimieren[13, 14]. Das Ziel ist ein Optimum an Sicherheit. Eine pragmatische Definition von Sicherheit lautet:
Sicherheit = Freiheit von nicht akzeptablen Risiken.

Was ist zu tun? Qualitäts- und Risikomanagement mit System

Qualitäts- und Risikomanagement (QRM) sind in Hochrisikobereichen wie dem OP und in der Intensivmedizin unverzichtbar [14]. Es ist sinnvoll, QM und RM gemeinsam zu betrachten. Qualität entsteht nur dort, wo Risiken minimiert werden, Sicherheit nur dort, wo qualitativ hochwertige Arbeit geleistet wird. Klug umgesetzt, trägt QRM zu mehr Sicherheit und Qualität aber auch zu ökonomischer Effizienz in OP, Intensivmedizin und Schmerztherapie bei.
Good managers manage risks, poor managers manage problems.

Qualitätsmanagement

Qualitätsmanagementsysteme sind im deutschsprachigen Raum inzwischen nahezu flächendeckend etabliert. Sie zeichnen sich im Idealfall dadurch aus, dass Verantwortliche benannt sind und Ziele definiert werden. Prozesse werden unter medizinischen wie ökonomischen Aspekten betrachtet. Einzelmaßnahmen kommen gezielt zum Einsatz. Sie werden durch Datenerhebungen sowie interne und externe Audits (Überprüfungen) in ihrer Effizienz überwacht. Im Idealfall ergibt sich ein geschlossener Verbesserungszyklus: Maßnahmen planen, umsetzen, deren Effizienz überprüfen und erneut nachjustieren.
Qualitätsmanagementsysteme können in einem Gesamtklinikum, einer Klinik/Abteilung oder auch in anästhesiologischen Praxen eingeführt werden [14, 15].
Einen international bewährten Leitfaden zum Aufbau eines Qualitätsmanagementsystems auch für einzelne Abteilungen bietet die DIN EN ISO 9001 [16]. Alternativen sind das Modell der European Foundation for Quality Management (EFQM) [17], der Kooperation für Transparenz und Qualität im Gesundheitswesen (KTQ) [18] oder der Joint Commission [19] sowie für Praxen das QEP-Modell (Qualität und Entwicklung in Praxen) der Kassenärztlichen Vereinigungen.
Wie in einer Klinik/Abteilung für Anästhesiologie und operative Intensivmedizin ein QM-System nach der ISO 9001 etabliert wird und welche Vorteile und Probleme sich dabei ergeben, ist in der Literatur beschrieben, ebenso wichtige Aspekte des Risikomanagements [8, 12, 15]. Für Teilbereiche des Fachgebiets wurden eigene Zertifizierungsverfahren, z. B. das modulare Zertifikat Intensivmedizin der DGAI etabliert [20].
In bereits bestehende Qualitätsmanagementsysteme lassen sich Aspekte des Risikomanagements in der Regel leicht integrieren.

Risikomanagement

Der planvolle Umgang mit Risiken und damit das Risikomanagement kann als Teilaspekt des Qualitätsmanagements betrachtet werden (Kap. Patientensicherheit, Morbidität, Letalität in der Anästhesiologie). Sinnvoll ist eine Analyse und Bestandsaufnahme typischer Risiken und das Erfassen organisatorischer Schwachstellen [21]. Vorhandene Daten wie z. B. Schadensfälle, Hygienebegehungen, Beschwerden sollten in die Analyse einbezogen werden. Ein System zur Erfassung von kritischen Zwischenfällen und Beinahezwischenfällen (Critical Incident Reporting System, CIRS) trägt zusätzlich zum Erkennen von Risiken bei. Risiken werden bewertet und nach Prioritäten bearbeitet [22].
Auch in der Deklaration von Helsinki der European Society of Anaesthesiology und den in Qualitätsindikatoren der DGAI betreffen zentrale Forderungen das Risikomanagement, beispielsweise [810]:
  • Klinikspezifische Standards für den Umgang mit dem schwierigen Atemweg, schweren Blutungen, anaphylaktischen Reaktionen,
  • ISO-Aufkleber zur sicheren Kennzeichnung von Spritzen,
  • klinikspezifische Standards und Voraussetzungen zur Überprüfung von Geräten und Medikamenten,
  • die Verwendung der von der WHO propagierten „Surgical Safety Checklist“ (Abb. 1) [23, 24],
  • die Einrichtung von Zwischenfallmeldesystemen [22, 25].

Critical Incident Reporting

Die Einführung eines Systems zur Erfassung von kritischen Zwischenfällen und Beinahezwischenfällen (CIRS) kann einen wichtigen ersten Schritt darstellen, um problemorientiert Risiken in der eigenen Klinik zu erkennen. Handelt es sich um klinikübergreifende Systeme, erlauben diese zusätzlich das Lernen aus den Ereignissen an anderen Kliniken [26].
Exemplarisch sei das System CIRSmedical-Anästhesiologie der Deutschen Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) genannt. Es erlaubt die anonyme Erfassung von kritischen Zwischenfällen und Beinahezwischenfällen [22]. Die Analyse, Risikobewertung und Empfehlungen können entweder im eigenen Hause erfolgen oder durch eine externe Arbeitsgruppe der DGAI. Wichtig ist es, Konsequenzen zeitnah umzusetzen und zu kommunizieren. Nur so entsteht die erforderliche Motivation, an einem CIRS mitzuwirken. Im Sinne des Lernens aus Fehlern tragen sinnvoll eingesetzte Critical Incident Reporting Systeme zu kontinuierlichen Verbesserungen der klinikinternen Abläufe bei.
Voraussetzung ist die Etablierung eines offenen Umgangs mit Fehlern (Fehlerkultur) in der eigenen Klinik. Nur wenn Mitarbeiter offen mit ihren jeweiligen Vorgesetzten über Fehler sprechen können, ohne Sanktionen befürchten zu müssen, werden sie diese berichten [13]. Hier bedarf es eines schriftlichen Statements der Klinikleitung.
Ein Beispiel: Von verschiedenen Kliniken wurde in CIRSmedical berichtet, dass mit Lokalanästhetika bestückte Spritzenpumpen versehentlich an zentrale Venenkatheter oder Venenkanülen angeschlossen wurden. Um Fehlkonnektionen zu vermeiden, werden Anschlussleitungen der Schmerzpumpen in unserer Klinik mit einer gelben Leitung versehen. Die Anschlüsse der „Schmerzkatheter“ (PDK, periphere Regionalanästhesiekatheter) werden zusätzlich mit farbigen Etiketten gekennzeichnet. Diese Standards wurden in Fortbildungen, Besprechungen und über das Intranet kommuniziert. Es wird überprüft, ob solche Maßnahmen ausreichen, um künftige Fehler dieser Art zu vermeiden. Verwechslungssichere Nicht-Luer-Lock-Anschlüsse für diesen Einsatzzweck werden bereits von der Industrie getestet.

Checklisten-unterstütztes Arbeiten

Während in der Luftfahrt Checklisten-gestützte Überprüfungen vor dem Start Standard sind, wurde ein solches Vorgehen in der Medizin häufig mit Skepsis betrachtet. Dabei können beispielsweise Verwechslungen von Patienten oder des Eingriffsorts weitreichende Konsequenzen haben – für den Patient, die Mitarbeiter und die Klinik oder Praxis. Maßnahmen zum Schutz vor Verwechslungen finden sich in den Empfehlungen des Aktionsbündnisses Patientensicherheit oder in der OP-Checkliste der WHO. Diese sehen unter anderem die Markierung des Eingriffsorts am Körper des Patienten und Armbändchen zur sicheren Identifizierung der Patienten vor [24, 27] (Kap. Patientensicherheit, Morbidität, Letalität in der Anästhesiologie).
Scheinbar kleine Schritte können hier bereits eine große Wirkung haben: Die Reduktion wesentlicher Komplikationen durch eine „Chirurgische Sicherheitscheckliste“, durch Haynes et al. publiziert, führte zur Einführung ähnlicher Tools an vielen Kliniken weltweit [23]. Aktuelle Übersichtsarbeiten bestätigen die Effektivität solcher Checklisten, die die perioperative interdisziplinäre Zusammenarbeit unterstützen und damit zu deutlich mehr Sicherheit führen als manche teure pharmakologische Intervention [28, 29].
Die Checkliste umfasst, wie in Abb. 1 dargestellt, Prüfschritte präoperativ, an der Schleuse sowie am OP-Ende. Eine kurze Auszeit (Team-Time-Out), in der sich die beteiligten Berufsgruppen u. a. kurz versichern, den richtigen Patienten am korrekten Eingriffsort zu operieren, trägt zu mehr Sicherheit bei.

Klinikübergreifende Ansätze

Die Deutsche Gesellschaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI) führte 2010 den neuen Kerndatensatz für die Anästhesiologie und gemeinsam mit dem Berufsverband Deutscher Anästhesisten (BDA) den Kerndatensatz Intensivmedizin ein [26, 30]. Die Erfassung der Datensätze ermöglicht die Teilnahme an der externen Qualitätssicherung. Der externe Vergleich kann klinikspezifische Verbesserungspotenziale aufzeigen.
Das Forum Qualitätssicherung und Ökonomie (www.qm-anaesthesie.de) bündelt die Kräfte von DGAI und BDA, um Projekte zu Qualität und Wirtschaftlichkeit gemeinsam voranzutreiben. Beispiele stellen die Einführung von CIRSmedical oder in der Schmerztherapie das Benchmarkprojekt QUIPS (Qualitätsverbesserung in der postoperativen Schmerztherapie) dar [22, 31].
In der Intensivmedizin wurde das Peer-Review-Verfahren etabliert, bei dem die Prozesse und Strukturen der eigenen Intensivstation mittels eines Fragebogens erfasst werden. Anschließend erfolgt eine Bewertung durch externe Experten (Peers). Im Vordergrund steht das gemeinsame Lernen [32].
In der Notfallmedizin konnten sich länderübergreifende Qualitätsmanagementmaßnahmen aufgrund der uneinheitlichen Gesetzeslage erst später durchsetzen. Ein Beispiel ist das Nationale Reanimationsregister [33].
Leitlinien stellt die Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlich Medizinischen Fachgesellschaften e.V. (AWMF) auf ihrer Website zur Verfügung [34].
Angesichts ökonomischer Zwänge engagieren sich der BDA und die DGAI auch für eine ausreichende Personalausstattung anästhesiologischer Abteilungen und Kliniken als wichtige Voraussetzung für eine adäquate Behandlungsqualität und für die Sicherheit der Patienten [35]. Hier wird beispielsweise eine dreimonatige Doppelbesetzung zur Einarbeitung neu die Weiterbildung beginnender Ärzte gefordert.

Ausbildung im Qualitätsmanagement

Um Methoden und Modelle des Qualitätsmanagements sinnvoll einsetzen zu können, bedarf es einer fundierten Ausbildung. In Deutschland ermöglichen die Landesärztekammern auf Basis des „Curriculums Qualitätssicherung/Ärztliches Qualitätsmanagement“ den Erwerb der Zusatzbezeichnung „Ärztliches Qualitätsmanagement“. Viele Hochschulen bieten betriebswirtschaftliche Weiterbildungsstudiengänge an, die eine Ausbildung im Qualitätsmanagement umfassen. Auch in der Pflege existiert ein umfangreiches Weiterbildungsangebot.
Darüber hinaus ist eine Qualifizierung zum Gutachter in den verschiedenen Qualitätsmanagementmodellen möglich, z. B. Auditor bei der ISO 9001:2015 oder zum Visitor beim KTQ-Verfahren.

Zusammenfassung

Qualität und Sicherheit sind Kerninteressen jedes Anästhesisten und Intensivmediziners.
Intelligent genutzte Qualitäts- und Risikomanagementsysteme können über die Erfüllung der gesetzlichen Auflagen hinaus einen konkreten Beitrag leisten, um die Qualität, Sicherheit und Effizienz in unserem Einflussbereich zu erhöhen.
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