Publiziert am: 15.12.2023
Bitte beachten Sie v.a. beim therapeutischen Vorgehen das Erscheinungsdatum des Beitrags.
Thrombotische Mikroangiopathien
Verfasst von: Jan Menne und Constantin S. von Kaisenberg
Hinter dem Begriff Thrombotische Mikroangiopathien (TMA) verbergen sich unterschiedliche Erkrankungen, bei denen es zu einer Schädigung des Endothels mit konsekutivem thrombotischem Verschluss von kleinen Gefäßen in verschiedenen Organen kommt. Typisch ist für diese Erkrankungen folgende Trias: Thrombopenie, hämolytische Anämie mit Fragmentozytenbildung und Organschädigung (insbesondere Niere und Gehirn). In der Schwangerschaft bzw. frühen postpartalen Zeit werden zwei TMA-Erkrankungen gehäuft beobachtet: 1) Das atypische hämolytisch urämisches Syndrom (aHUS), welches durch eine Störung in der Komplementregulation ausgelöst wird. 2) Die Thrombotische thrombozyopenische Purpura (TTP), welche durch eine verminderte ADAMTS13-Aktivität auf dem Endothel zur Freisetzung sehr großer, thrombogen wirkender von-Willebrand-Faktor-Multimere im Blut führt. Diese beiden Erkrankungen sind unter anderem vom HELLP-Syndrom, Sepsis mit und ohne disseminierte Gerinnungsstörung, Vitamin-B12- oder Vitamin-B9-Defizienz, systemischem Lupus erythematodes und Antiphopholipidsyndrom abzugrenzen. Da für das aHUS und die TTP in den letzten 10 Jahren neue Medikamente auf dem Markt gekommen sind, ist diese Differenzierung auch therapeutisch von Bedeutung.
Bei Verdacht auf TMA sollte immer ein Internist (vorzugsweise Nephrologe oder Hämatologe) hinzugezogen werden.
Wie bereits dem Krankheitsbegriff zu entnehmen ist, kommt es bei einer TMA zu thrombotischen Teilverschlüssen oder kompletten Verschlüssen von kleinen Gefäßen (Arteriolen und Kapillaren). Infolge dieser Verschlüsse verschlechtert sich die Perfusion des Organs, was sich klinisch – in Abhängigkeit vom betroffenen Organ – vielfältig bemerkbar machen kann und bei schweren Verläufen zum Tode führt (Abb. 1). Das thrombotische Geschehen führt zu einem Plättchenverbrauch und als Konsequenz zu einer Thrombopenie, gleichzeitig verschlechtert sich die Zirkulation in den kleinen Gefäßen und ein Teil der Erythrozyten zerreißt bei der Passage von teilthrombosierten Gefäßen, was zum Auftreten einer hämolytischen Anämie mit Nachweis von Fragmentozyten, Anstieg der Laktatdehydrogenase (LDH), des freien Hb und Abfall des Haptoglobins führt. Im Zusammenhang mit einer Schwangerschaft treten zwei Erkrankungen, die mit einer TMA einhergehen, gehäuft auf. Dieses sind die thrombotische thrombozytopenische Purpura (TTP), das atypische hämolytisch urämische Syndrom (aHUS) (Tab. 1). Da diese Erkrankungen sich klinisch ähnlich manifestieren können, die Pathophysiologie und Therapie aber unterschiedlich sind, ist die richtige Diagnosestellung wichtig.
Sonderform: p-aHUS nach postpartaler atoner Blutung
Unabhängig von Schwangerschaft
Hämolytisch urämisches Syndrom (HUS) durch Shiga-Toxin
Interessant ist, dass beide TMA-Formen bei Frauen häufiger auftreten. Ca. 65–70 % aller TMAs treten bei Frauen auf. Ein Grund für diese Beobachtung ist wahrscheinlich eine häufigere Manifestation während einer Schwangerschaft oder unmittelbar danach (Tab. 2).
Tab. 2
Zeitpunkt einer TMA in der Schwangerschaft und wahrscheinlichste Diagnose
1.Trimenon
(5–10 %)
2.Trimenon
(10–20 %)
3.Trimenon
(40–60 %)
Post partum
(25–50 %)
TTP
+
++
+++
−/+
HELLP
−
+
+++
−/+
aHUS
+
+
+
+++
− kommt nicht vor, + kann passieren, ++ häufiger, +++ typischer Präsentationszeitraum
Die verschiedenen TMA-Unterformen
Hämolytisch urämisches Syndrom (HUS)
Typisches HUS (STEC-HUS)
Der Begriff hämolytisch urämisches Syndrom ist von Herrn Gasser 1955 geprägt worden. Dieser beschrieb 5 Kinder, welche alle an den Folgen eines akuten Nierenversagens mit Nierenrindennekrose verstorben waren. In der Folgezeit wurde die Erkrankung dann in zwei Hauptunterformen differenziert. Das typische HUS, welches in der Regel durch eine Infektion mit einem Shigatoxin produzierenden E. coli (neue Nomenklatur: STEC-HUS), verursacht wird, und das atypische HUS (aHUS). Das typische HUS ist selten und tritt im Erwachsenenalter auf. Es betrifft somit selten schwangere Frauen. Eine Ausnahme stellte die deutsche STEC-HUS-Epidemie in 2011 dar. Damals waren auch 8 schwangere Frauen betroffen. Davon sind 7 Schwangerschaften erfolgreich gewesen. Eine wurde auf Wunsch der Patienten vorzeitig beendet. Üblicherweise erkranken in Deutschland jährlich aber höchstens 1–2 Schwangere an einem Shiga-induzierten HUS.
Abb. 1
Klinische Manifestation von thrombotischen Mikroangiopathien
Klinisch bedeutsamer und häufiger ist die Diagnose eines aHUS. In den letzten 20 Jahren hat sich das pathophysiologische Verständnis der Erkrankung wesentlich gebessert. So konnte in verschiedenen Untersuchungen nachgewiesen werden, dass eine Störung der Regulation des Komplementsystems von großer Bedeutung für die Krankheitsentstehung ist. Das Komplementsystem hat sich während der Evolution frühzeitig gebildet und ist sehr komplex (Abb. 2). Es ist dadurch gekennzeichnet, dass es nicht zwischen selbst und fremd unterscheiden kann. Kommt es z. B. zu einer Infektion, attackiert das Komplementsystem in der Blutzirkulation die Bakterien. Damit die Endothelzellen nicht geschädigt werden, haben sich Schutzmechanismen entwickelt. Es existieren sowohl zirkulierende Faktoren (u. a. Komplementfaktor H [CFH] und I [CFI]) als auch Endothel-gebundene Oberflächenmoleküle (u. a. MCP und Thrombomodulin), welche verhindern, dass es zu einer Schädigung der Endothelzellen nach Komplementaktivierung kommt. Bei Patienten, die ein aHUS entwickeln, lässt sich in 30–60 % ein genetischer Defekt in Komplement regulierenden Genen nachweisen. Bisher sind in 12 verschiedene Genmutationen nachgewiesen worden.
Abb. 2
Das Komplementsystem und seine Regulation durch verschiedene Faktoren. Besonders wichtig beim Verständnis des komplexen Komplementsystems ist die Tatsache, dass es nach Komplementaktivierung zu einer Selbstamplifizierung (gestrichelte Linie) über den alternativen Weg kommt. C3b kann durch Spaltung der C3-Konvertase mehr C3b bilden. Um eine Überaktivierung zu verhindern, gibt es mehrere regulierende Faktoren, wobei CFH eine Schlüsselrolle einnimmt. C plus Nummer: Komplementfaktor; CFH Komplementfaktor H; CFI Komplementfaktor I; LPS Lipopolysacharid; MAC Membran-attackierender Komplex; MBL Mannose-bindendes Lektin; MCP Membrankomplementprotein = CD46)
In der Regel reicht aber die Genmutation allein nicht aus, um ein aHUS auszulösen, sondern es muss zusätzlich zu einer Aktivierung des Komplementsystems durch einen Auslöser (z. B. Medikamente, Infektionen oder auch Schwangerschaft) kommen.
In der Kombination der beiden Faktoren kann es zu einer unkontrollierten Komplementaktivierung kommen, welche im schlimmsten Fall zur Entstehung einer thrombotischen Mikroangiopathie führt.
Während einer normalen Schwangerschaft kommt es bereits zu einer deutlichen Komplementaktivierung. So sind die C3a-Spiegel während einer normalen Schwangerschaft um etwa das 10-fache gesteigert und verdoppeln sich bei Patienten mit Präeklampsie oder HELLP-Syndrom nochmals. Einerseits wird Komplement für die Plazentaentwicklung benötigt, andererseits schützt die Placenta auch vor einer übermäßigen Aktivierung, indem sie selbst viele Komplement-regulierende Faktoren (MCP = CD46, DAF = CD55 und CD59) produziert. Nach der Entbindung fallen diese schützenden Effekte schlagartig weg. Da sich die systemisch nachweisbare Schwangerschafts-assoziierte Komplementaktivierung nicht schlagartig normalisiert, besteht postpartal ein vorübergehendes Ungleichgewicht. Bei Patientinnen mit einem Gendefekt oder mehreren Risikohaplotypen im Komplementsystem mag diese Veränderung der Grund sein, weshalb sich ein
aHUS typischerweise erst postpartal ausbildet,
da sie nicht in der Lage sind, die vorübergehende Komplementaktivierung zu kontrollieren (Tab. 2). Korotchaeva et al. (2021) vermuteten, dass 20–30 % von 75 Patienten mit p-aHUS mindestens 1–2 Komplement amplifizierende Komplikationen (CACs) aufwiesen und dass die restlichen 70–80 % sogar 3 oder mehr CACs hatten. Es wurde jedoch eine sehr großzügige Definition für CACs angewandt, die die folgenden Parameter einschloss: Kaiserschnitt, Präeklampsie, Blutung, Infektion, Plazentaablösung, intrauteriner fetaler Tod, Hysterektomie, Sepsis, Diarrhoe und manuelle Plazentaentfernung/-kürettage. Bei 70 % dieser Patienten wurde eine Blutungskomplikation festgestellt. Aus der Perspektive der Autoren und nach Sichtung der Literatur kann davon ausgegangen werden,
dass folgende geburtshilfliche Komplikationen (Präeklampsie/HELLP, postpartale atone Nachblutung, intrauteriner fetaler Tod, Missed abortion, Sectio casearea) das bereits während einer normalen Schwangerschaft aktivierte Komplementsystem weiter aktivieren können.
Es gibt Hinweise darauf, dass die intrauterine Komplementaktivierung über C5a als Reaktion auf Fruchtwasser oder jegliches fetale Material entscheidend für die Entwicklung einer akuten Myometritis nach der Geburt und einer Uterusatonie ist (Farhana et al. 2015). Dies würde darauf hindeuten, dass Patienten, die nach der Entbindung eine postpartale Hämorrhagie entwickeln, Patienten mit einem stark aktivierten Komplementsystem sein könnten, was die hohe Rate einer klinischen TMA bei diesen Patienten erklären könnte. In einer aktuellen Analyse von p-aHUS-Fällen aus 3 Unikliniken in Deutschland hatten 23 von 38 Patienten eine atone Nachblutung. Bei all diesen Patienten kam es innerhalb von 48 Stunden nach Entbindung zu einem massiven Anstieg der LDH, Thrombozytenabfall und Nierenversagen (Kaufeld et al. o. J.). Die schwerste renale Komplikation der atonen Nachblutung ist eine kortikale Rindennekrose. Diese beobachteten die Autoren glücklicherweise sehr selten. Nur eine von 23 Frauen hatte eine diffuse kortikale Rindennekrose und zwei eine sog. „patchy“ Rindennekrose, welche eine bessere Prognose hat. Eine Rindennekrose kann bioptisch gesichert,aber auch mittels CT und MRT diagnostiziert werden.
Thrombotische thrombozytopenische Purpura (TTP)
Der von-Willebrand-Faktor wird u. a. in den Endothelzellen gebildet und dort gespeichert. Kommt es zu einem Endothelschaden, wird der Faktor freigesetzt. Dabei ist es von Bedeutung, dass der vonWillebrand-Faktor als ein extrem großes Molekül (ultra-large; UL-vWF), welches aus mehreren Einzelfaktoren besteht, im Endothel gespeichert wird. An der Endotheloberfläche befindet sich die Metalloprotease ADAMTS13, welche das vom Endothel freigesetzte UL-vWF sofort in die Einzelbestandteile schneidet. Wird die Funktion der ADAMTS13 durch Autoantikörper (iTTP) weitgehend inhibiert (Aktivität < 5 %) oder durch einen Gendefekt (hTTP) minder funktionsfähig exprimiert, lässt sich eine erhöhte Konzentration von UL-vWF in der Zirkulation nachweisen, welche zu einer Aggregation von Thrombozyten mit Mikrothrombenbildung in kleinen Gefäßen führen.
HELLP
Das HELLP-Syndrom (Hemolysis, Elevated Liver Enzymes, Low Platelets/Hämolyse, erhöhte Leberenzyme und Thrombozytopenie) ist eine spezielle Manifestationsform der Präeklampsie und nicht im klassischen Sinne eine TMA. Die Pathogenese der Präeklampsie bzw. des HELLP-Syndroms ist sehr komplex und wird in anderen Buchkapiteln erläutert. Obwohl sich Präeklampsie und HELLP-Syndrom nur bei Existenz einer Plazenta manifestieren können, entwickeln einige Patientinnen die Symptome und typischen Laborveränderungen post partum. Da eine Entbindung mit Entfernung der Plazenta als kausale Therapie zu einer raschen Normalisierung der für die Pathogenese des HELLP-Syndroms wichtigen zirkulierenden Faktoren (u. a. sFLT1 und Endoglin) führt, sollte sich die Klinik in den ersten Tagen nach der Entbindung bessern (Tab. 2). Wie zuvor ausgeführt ist eher davon auszugehen, dass eine nach Entbindung auftretende TMA in Form eines aHUS auftritt.
Jedoch ist es gut vorstellbar, dass eine schwangere Frau zunächst ein HELLP entwickelt und nach Entbindung die Erkrankung in ein aHUS übergeht, da das HELLP-Syndrom zu einer zusätzlichen Aktivierung des Komplementsystems beiträgt.
Wie manifestiert sich eine thrombotische Mikroangiopathie?
Wie der Abb. 3 entnommen werden kann, ist die intravasale Hämolyse in kleinen Gefäßen typisch für alle Formen einer thrombotischen Anämie. Zum einen führen die hämolytische Anämie und Thrombozytopenie direkt zu typischen Symptomen (Abb. 1), zum anderen sieht man sich den Thrombosen und Endothelschäden in den Endorganen gegenüber.
Die intravasale Hämolyse mit konsekutiver Anämie verursacht körperliche Leistungsminderung, Abgeschlagenheit und rasche Ermüdbarkeit. Kopfschmerzen, Schwindel, Belastungsdyspnoe und Tachykardie gehören ebenfalls zu den möglichen Symptomen.
Bei Patienten mit HUS oder HELLP fällt die Thrombozytenzahl im Gegensatz zu Patienten mit TTP selten unter 30.000/μl.
(Tab. 3). Daher treten bei diesen Patientinnen selten Blutungskomplikationen und Petechien auf. Bei sehr niedrigen Thrombozytenzahlen besteht eine erhöhte Blutungsrate bei invasiven therapeutischen Maßnahmen (z. B. Anlage eines zentralvenösen Katheters zur Dialyse oder Plasmapheresebehandlung).
Tab. 3
Wichtige klinische Unterschiede zwischen TTP und aHUS
1: abhängig von Genetik; 2: mit Caplacizumab < 3 %; 3: mit Komplementblockade < 5 %
Trotzdem sollte der Nutzen und das Risiko einer Thrombozytengabe abgewogen werden, da bei Patienten mit TTP nach Plättchentransfusionen häufiger Komplikationen beobachtet wurden.
Bei der TTP stehen bei vielen Patienten (20–50 %) neurologische Auffälligkeiten in teils schwerster Ausprägung wie Krampfanfällen, Synkopen, einseitiger Schwäche oder Aphasie im Vordergrund. Auch können lebensgefährliche kardiale Komplikationen bis zum kardiogenen Schock auftreten.
Die spezifische Präsentation ist dabei ausnehmend unterschiedlich. Leider haben die Autoren tödliche Verläufe nach Schwangerschaft beobachtet.
Bei Patienten mit aHUS erscheint das renale Endothel besonders anfällig zu sein. Nierenschäden werden bei praktisch allen Patienten klinisch apparent und können bis zum terminalen Nierenversagen führen. Allerdings zeigen sich auch neurologische Komplikationen wie Schlaganfälle oder Krämpfe. Kardiovaskuläre Symptome wie Herzinfarkt oder Hypertonie und gastrointestinale Manifestationen wie Diarrhoen oder Gastroenteritiden verkomplizieren das klinische Bild.
Das klinische Leitsymptom des HELLP-Syndroms ist der Oberbauchschmerz. Die Laborkonstellation mit Erhöhung der Transaminasen, Haptoglobinabfall und Thrombozytopenie sind beweisend. Die klassischen Kardinalsymptome der Präeklampsie, Hypertonus und Proteinurie, können in der klinischen Präsentation dabei partiell oder völlig in den Hintergrund treten. Das HELLP-Syndrom wird – wie auch die Präeklampsie – symptomatisch behandelt.
Historisch galt der unterschiedliche Fokus auftretender Endorganschäden als wegführender Hinweis zur Unterscheidung der verschiedenen TMA-Formen. Eine klare Abgrenzung der verschiedenen Formen anhand der Organmanifestation indes bleibt wenig zielführend, da die mikrovaskulären Thrombosen disseminiert und somit unspezifisch auftreten. Somit bleibt diese Option eine vage Orientierung, eine relative Sicherheit bietet erst die spezifische Labordiagnostik (Tab. 4).
Tab. 4
Klinische Unterschiede können bei der Differenzialdiagnose zwischen HELLP, TTP und aHUS helfen
− kommt nicht vor, + kann passieren, ++ häufig, +++ sehr häufig
Wie können diese TMA-Formen diagnostiziert werden?
Das HELLP-Syndrom lässt sich (auch postpartal) differenzialdiagnostisch mit Nutzung des sFlt-1/PlGF-Quotienten abklären. Als besondere Manifestationsform der Präeklampsie liegt dem HELLP-Syndrom ebenfalls eine gestörte angiogene Balance mit Überwiegen der anti-angiogenen Faktoren (sFlt-1) zugrunde. Ein sFlt-1/PlGF-Quotient > 85 erfasst eine Präeklampsie bzw. ein HELLP-Syndrom mit einer Sensitivität von 83 % bei einer Spezifität von 93 %. Obwohl eine postpartale Bestimmung des sFlt-1/PlGF-Quotienten nur eingeschränkt aussagekräftig ist, da nach Geburt der Plazenta die angiogenen Faktoren rasant abfallen, kann es im Einzelfall doch durchgeführt werden. Ist der sFlt-1/PlGF-Quotient post partum eindeutig erhöht (> 85) muss davon ausgegangen werden, dass dieser Biomarker vorgeburtlich noch höher gewesen sein muss, also ein HELLP-Syndrom angenommen werden muss.
Die TTP lässt sich durch Bestimmung der ADAMTS13-Aktivität diagnostizieren.
Liegt diese unter < 10 % (in der Regel sogar unter 5 %) ist die Diagnose gesichert. Die Bestimmung der ADAMTS13-Auto-Antikörper hilft bei der Differenzierung, ob eine erworbene Form der TTP vorliegt oder eine genetisch bedingter ADAMTS13-Mangel.
Die Bestimmung der Komplementspiegel (C3, C4, CH50 etc.) ist nicht wegweisend und häufig normal. Auch hat die Bestimmung von nicht routinemäßig erfassten Komplementparametern (z. B. C5b-9 Komplex) keine höhere Aussagekraft.
Therapeutische Konsequenz
Plasmapherese
Der Plasmaaustausch gegen Frischplasma hat einen festen Stellenwert bei der Behandlung von Patienten mit TMA (Abb. 4). Bei Patienten mit TTP wird durch die Gabe von Plasma ADAMTS13 substituiert und wenn ein Antikörper vorliegt dieser auch entfernt. Der Nutzen einer Plasmapherese ist klar belegt und es stellt die Standardtherapie dar. Auch gibt es einzelne Fallberichte, bei denen eine TTP während der Schwangerschaft für mehrere Wochen mit Plasmapherese erfolgreich behandelt werden konnte. Auch bei Patienten mit aHUS gibt es klare Beweise, dass ein Teil der Patienten von einer Plasmapheresetherapie profitiert.
Abb. 4
Therapiealgorithmus TTP und aHUS
Komplement-C5-Inhibition
Seit 2011 ist Eculizumab (Soliris®) zur Behandlung von Patienten mit aHUS zugelassen. Eculizumab ist ein Antikörper, der an den Komplementfaktor C5 bindet und die Spaltung in C5a und C5b verhindert. Er muss in der Erhaltungstherapie alle zwei Wochen gegeben werden.
Vor Therapiebeginn muss eine Meningokokkenimpfung erfolgen und eine antibiotische Dauerprophylaxe gegen Meningokokken (z. B. mit Penicillin) ist sinnvoll.
Es konnte gezeigt werden das Eculizumab auch bei Patienten mit p-aHUS besser wirkt als ein Plasmaaustausch und das erneute Auftreten einer TMA verhindert.
Je früher behandelt wird, umso besser ist der Effekt.
Aus diesem Grunde sollte spätestens innerhalb von 1–2 Wochen nach Diagnosestellung eines aHUS die Therapie mit Eculizumab begonnen werden, sofern nicht ein rasches Ansprechen auf den Plasmaaustausch festzustellen und eine Normalisierung der Nierenwerte zu erwarten ist.
Es gibt belastbare Daten, dass Eculizumab während der Schwangerschaft und in der Stillzeit sowohl für die Mutter als auch den Embryo und Feten sicher ist.
In dem kürzlich veröffentlichten Bericht der Internationalen Arbeitsgruppe zum Thema TMA in der Schwangerschaft wird die TMA infolge einer postpartalen Hämorrhagie (PPH) nicht als aHUS bezeichnet und es wird nur eine supportive Therapie empfohlen (Fakhouri et al. 2020). Diese Einschätzung ist kritisch zu betrachten, wie die vorliegende Evidenz zeigt. Gupta et al. (2020) führten eine systematische Überprüfung durch und identifizierten 5 Fälle mit akutem Nierenversagen und PPH. In 3 Fällen war eine akute Hämodialyse erforderlich und alle Patienten wurden mit Plasmaaustausch und Eculizumab behandelt. Bei 4 Patienten kam es zu einer vollständigen und bei einem Patienten zu einer teilweisen Erholung der Nierenfunktion. In der Phase-III-Studie mit dem neuen C5-Inhibitor Ravulizumab wurden 8 Patienten mit p-aHUS einbezogen. Drei Frauen hatten eine PPH und andere schwangerschaftsbedingte Komplikationen. Alle waren dialysepflichtig, wobei sich die Nieren bei zwei Patientinnen teilweise und bei einer vollständig erholten (Gäckler et al. 2021).
In den letzten Jahren konnte in mehreren Untersuchungen gezeigt werden, dass aHUS-Patienten ohne Mutation nur ein geringes Rezidivrisiko (2–6 %) haben und bei diesen Patienten kann in der Regel Eculizumab beendet werden, wenn sich die Klinik und die Nierenfunktion stabilisiert haben.
(Fakhouri et al. 2021; Menne et al. 2019). Die Entscheidung über eine Beendigung der Therapie sollte in erfahrenen Zentren gestellt werden. Gegen eine lebenslange Therapie spricht u. a. das deutliche erhöhte Risiko eine Meningokokken Meningitis zu bekommen und der sehr hohe Preis (400.000 €/Jahr). Bei Patienten mit aHUS infolge einer atonen Nachblutung findet sich in der Regel keine Mutation und wir vermuten, dass bei diesen Patienten eine kurze Therapie (für 2–8 Wochen) sinnvoll wäre (Kaufeld o. J. submitted). Diese Empfehlung steht im Widerspruch zu den Empfehlungen der Internationalen Arbeitsgruppe (Fakhouri et al. 2020)
Seit 2 Jahren gibt es mit Ravulizumab einen weiterentwickelten Antikörper, welcher eine deutlich längere Halbwertszeit als Eculizumab hat und nur alle 8 Wochen gegeben werden muss. Bei Patienten mit postopatalem aHUS ist es bereits erfolgreich eingesetzt worden (Gäckler et al. 2021).
Bei Schwangeren wird Eculizumab zunächst aber das Medikament der Wahl bleiben.
,da derzeit noch unklar ist, ob Ravulizumab placentagängig ist.
Caplacizumab
Zur Behandlung einer TTP ist seit 3 Jahren Caplacizumab zugelassen. Bei Schwangerschaft ist es bisher kontraindiziert. Postpartal kann es gegeben werden. Ob es sicher für das Baby ist, wenn es gestillt wird, ist unklar. In der Regel werden aber auch Patientinnen mit TTP nach der Entbindung wegen der Schwere der Erkrankung nicht stillen können.
Prognose
Alle TMA-Erkrankungen können zu schweren Folgeschäden führen. Daher sind eine
rasche Diagnosestellung und ein rascher Therapiebeginn entscheidend für die kurzfristige Prognose.
Bei rechtzeitiger Intervention verbleiben häufig keine oder nur geringfügige dauerhafte Organschäden. Jedoch ist festzuhalten, dass alle TMA-Formen bei einer erneuten Schwangerschaft erneut auftreten können. Daher sollte eine engmaschige Überwachung bei erneuter Schwangerschaft erfolgen. Patienten mit TTP und aHUS können auch außerhalb der Schwangerschaft einen Schub haben und müssen daher medizinisch angebunden werden. Bei Patienten mit Antikörper vermittelter TTP kann eine immunsuppressive Therapie (z. B. Rituximab oder Azathioprin mit Steroiden) ein Rezidiv verhindern.
Das Risiko für ein Rezidiv bei aHUS-Patienten wird wesentlich beeinflusst, ob eine Mutation nachweisbar ist. Daher ist es sinnvoll bei diesen Patienten eine aHUS-Mutationsanalyse mittels Next Generation Sequencing (NGS) zu veranlassen.
Diese Bestimmung kann ambulant erfolgen. Bei Patienten ohne Mutation liegt das Rezidivrisiko bei nur 0–10 % wohingegen Patienten mit einer schweren CFH- oder C3-Mutation ein Rezidivrisiko von 30–60 % haben.
Zusammenfassung für die Praxis
Eine thrombotische Mikroangiopathie tritt als potenziell lebensgefährliche Komplikation während der Schwangerschaft oder kurz nach der Entbindung auf.
Eine genaue Differenzierung in die drei Unterformen HELLP, aHUS und TTP ist wichtig, da die Therapie unterschiedlich ist.
Ein aHUS tritt nach der Entbindung auf und ist früher wahrscheinlich in einigen Fällen als postpartales HELLP fehlklassifiziert worden.
Für das HELLP-Syndrom ist die Entbindung die einzige kausale Therapie. Wenn sich ein HELLP nicht innerhalb von 1–3 Tag postpartal bessert bzw. wenn es nach Entbindung zu einem raschen LDH-Anstieg, Thrombozytenabfall mit akutem Nierenversagen oder neurologischen Auffälligkeiten auftreten, muss an ein aHUS gedacht werden.
Bei V. a. auf TTP oder aHUS sollte zunächst ein Plasmaaustausch begonnen werden bis ADAMTS13-Aktivitätswerte vorliegen. Im Falle eines aHUS ist eine Therapie mit Eculizumab und postpartal auch Ravulizumab eine Option.
Literatur
Fakhouri F, Scully M, Provôt F et al (2020) Management of thrombotic microangiopathy in pregnancy and postpartum: report from an international working group. Blood 136(19):2103–2117CrossRefPubMed
Fakhouri F, Fila M, Hummel A et al (2021) Eculizumab discontinuation in children and adults with atypical hemolytic-uremic syndrome: a prospective multicenter study. Blood 137:2438–2449CrossRefPubMed
Farhana M, Tamura N, Mukai M et al (2015) Histological characteristics of the myometrium in the postpartum hemorrhage of unknown etiology: a possible involvement of local immune reactions. J Reprod Immunol 110:74–80CrossRefPubMed
Gäckler A, Schönermarck U, Dobronravov V, La Manna G, Denker A, Liu P, Vinogradova M, Yoon SS, Praga M (2021) Efficacy and safety of the long-acting C5 inhibitor ravulizumab in patients with atypical hemolytic uremic syndrome triggered by pregnancy: a subgroup analysis. BMC Nephrol 22(1):5CrossRefPubMedPubMedCentral
Gupta M, Govindappagari S, Burwick RM (2020) Pregnancy-associated atypical hemolytic uremic syndrome: a systematic review. Obstet Gynecol 135(1):46–58CrossRefPubMed
Huerta A, Arjona E, Portoles J et al (2018) A retrospective study of pregnancy-associated atypical hemolytic uremic syndrome. Kidney Int 93(2):450–459CrossRefPubMed
Kaufeld et al (o.J.) Acute kidney injury in the setting of pregnancy- related atypical hemolytic uremic syndrome (p-aHUS) following postpartum hemorrhage (PPH): suggestion for a pragmatic approach towards complement inhibition. eingereicht
Korotchaeva Y, Kozlovskaya N, Shifman E et al (2021) Complement-activating conditions as potential triggers of pregnancy-related atypical haemolytic uraemic syndrome. Clin Kidney J 14(12):2620–2622CrossRefPubMedPubMedCentral
Menne J, Delmas Y, Fakhouri F et al (2019) Outcomes in patients with atypical hemolytic uremic syndrome treated with eculizumab in a long-term observational study. BMC Nephrol 20:125CrossRefPubMedPubMedCentral