Akutes Nierenversagen
Das akute
Nierenversagen wird heute in der wissenschaftlichen Literatur als akute Nierenschädigung (AKI, „acute kidney injury“) bezeichnet. Es ist definiert als rasche Abnahme der Nierenfunktion mit einem Anstieg des Serumkreatinins um >0,3 mg/dl oder >50 % des Ausgangswertes innerhalb von 48 Stunden oder einer Reduktion des Urinvolumens von weniger als 0,5 ml/kg KG und h (entspricht Grad 1 von 3 der AKIN-Klassifikation des AKI) (Mehta et al.
2007). Obwohl das AKI in den meisten Fällen reversibel ist (ca. 95 %), liegt seine entscheidende Bedeutung darin, dass bereits geringe Anstiege des Serumkreatinins zu einer erheblichen Steigerung der Mortalität führen können. Insbesondere bei Intensivpatienten mit AKI besteht eine hohe Krankenhausmortalität von über 50 % (van Berendoncks et al.
2010). In zahlreichen Studien wurde zudem auf die ungünstigen Langzeitkonsequenzen bezüglich Morbidität und
Lebensqualität hingewiesen (Villeneuve et al.
2016). Tatsächlich ist das AKI, von dem Patienten auf der Intensivstation in ca. 25 % betroffen sind, der stärkste unabhängige Prognosefaktor. Die entscheidende ärztliche Aufgabe beim AKI besteht daher in seiner Prophylaxe.
Die Einteilung des AKI erfolgt aus pathogenetischen Gesichtspunkten in ein prärenales, intrarenales und postrenales
Nierenversagen. Die häufigste Form ist hämodynamisch-funktionell durch eine renale Hypoperfusion z. B. bei Volumendepletion,
Sepsis und Hypotonie. Eine länger bestehende renale Hypoperfusion mündet in eine manifeste akute Tubulusnekrose.
Die Erkrankungen, die dem pathogenetischen Modell eines AKI zugrunde liegen können, sind der folgenden Übersicht zu entnehmen.
Symptome des akuten
Nierenversagens können eine verminderte Urinausscheidung mit Volumenhypertonie und
Ödemen sein. Bei schwereren Verläufen entwickeln sich Urämiesymptome wie Übelkeit, Erbrechen,
Verwirrtheit und Lethargie und häufig auch Luftnot im Rahmen einer Hyperhydratation oder der begleitenden metabolischen Azidose. Im Rahmen der
Hyperkaliämie kann es zu Störungen der Reizleitung kommen, die sich am Herzen durch lebensbedrohliche
Herzrhythmusstörungen manifestieren. Peripher kann die Hyperkaliämie neuromuskuläre Symptome wie Schwäche oder passagere Lähmungen erzeugen.
Im Falle eines schweren AKI Grad 3 besteht die Indikation zur Akutdialyse bei folgenden, in der Übersicht aufgeführten Pathologika.
Kontrastmittelinduziertes Nierenversagen
Die intravasale Verabreichung jodhaltiger Röntgenkontrastmittel kann zu einer – meist reversiblen – Verschlechterung der Nierenfunktion führen. Die Kontrastmitteltoxizität betrifft alle radiologischen Verfahren und ist angesichts der großen, weiter zunehmenden Zahl radiologischer Untersuchungen ein Thema von klinischer Relevanz.
Chronische Nierenerkrankung und Urämie
Nach einer gängigen Definition der KDIGO-Leitlinien (Kidney Disease: Improving Global Outcomes) wird die chronische Nierenerkrankung (CKD) definiert als eine über mehr als 3 Monate bestehende Störung der Nierenstruktur oder Funktion (KDIGO
2013). Die Klassifikation der CKD erfolgt nach Art der Nierenerkrankung, Schwere des Funktionsverlustes (G1–5) und dem Ausmaß der Albuminurie (A1–3). Die GFR- und Albuminurie-Kategorien werden zu Risikokategorien zusammengefasst, wobei die reduzierte GFR und die Albuminurie unabhängige, sich potenzierende Risikofaktoren sind (Abb.
1).
Definitionsgemäß entspricht eine Nierenerkrankung im Stadium G1 (normale GFR) dem Nachweis eines >3 Monate anhaltenden pathologischen Urinbefundes oder einer Auffälligkeit in der Bildgebung der Nieren. Stadium G5 bedeutet terminales oder dialysepflichtiges
Nierenversagen.
Bei jeder Diagnose einer CKD sollte die Ursache genannt und durch die Stadieneinteilung ergänzt werden (z. B. CKD 4 A3 bei
diabetischer Nephropathie).
In aller Regel handelt es sich der CKD um einen chronisch progredienten – und im Unterschied zum AKI – nicht reversiblen Prozess.
Die wesentliche Bedeutung der CKD liegt neben der Morbidität und drohenden Dialysepflichtigkeit in dem exzessiven, bis zu 30-fach gesteigerten Risiko, an kardiovaskulären und zerebrovaskulären Komplikation zu versterben.
In der antimikrobiellen Pharmakotherapie bei CKD gilt folgende Faustregel, um die minimale Hemmkonzentration rasch und wirksam zu überschreiten: die Startdosis entspricht der Dosis eines Nierengesunden, erst die Erhaltungsdosis wird der GFR angepasst.
Die Indikation zur Antikoagulation bei
Vorhofflimmern entspricht bei fortgeschrittener CKD nicht den Leitlinien in der Allgemeinbevölkerung und ist sehr restriktiv zu stellen.
Widersprüchliche Studien existieren zum Thema Dyslipidämie und Progressionshemmung der CKD. Eine jüngst publizierte große
Metaanalyse konnte zwar eine signifikante Senkung der Proteinurie, Albuminurie und Mortalität zeigen, nicht aber eine
Progressionsverzögerung der CKD (Zhang et al.
2016). Ausdrücklich sei darauf hingewiesen, dass eine gesicherte Indikation zur Statintherapie nur bei nicht dialysepflichtigen und nierentransplantierten Patienten besteht.
Absolute Indikationen zum Einsatz der
Nierenersatzverfahren Peritonealdialyse oder
Hämodialyse im Stadium 5 ähneln denen des AKI (vgl. Übersicht „Absolute Indikationen zur
Nierenersatztherapie beim AKI“ unter Abschn.
2.1). Ein rechtzeitiger Beginn der Nierenersatztherapie verhindert heute meist das selten gewordene Vollbild einer
urämischen Enzephalopathie. Diese oft letalen Verläufe gehören seit Einführung der Nierenersatzverfahren der Vergangenheit an und auch die
Lebensqualität hat sich positiv für Patienten mit terminaler
Niereninsuffizienz entwickelt. Einige CKD-typische neurologische Komplikationen (Baumgaertel et al.
2014) können allerdings trotz des Einsatzes von Nierenersatzverfahren nicht immer verhindert werden.
Neurologische Urämie-Komplikationen
Im Rahmen der urämischen
Polyneuropathie kommt es bei langjährigen Dialysepatienten oft zu autonomen Störungen, die mit Herzfrequenzstarre und einer schweren
orthostatischen Hypotonie einhergehen (sog.
Positionshypotonie). Auch eine Gastroparese, wie sie klassisch bei der
diabetischen Neuropathie bekannt ist, wird beobachtet. Als Spätsymptome einer urämischen Polyneuropathie entwickelt sich oft eine generalisierte Muskelschwäche und muskuläre Atrophie.
Ein Phänomen der Langzeitdialysetherapie ist die sog. β2-Mikroglobulin-assoziierte Amyloidose, die sich klinisch als Karpaltunnelsyndrom, Arthralgien bei zystischen Knochenveränderungen und einer typischen Verkürzung der Fingerflexoren manifestiert.
Das sog. Dialyseenzephalopathie
syndrom ist Folge einer Aluminiumintoxikation durch aluminiumhaltiges Dialysat. Diese akute Intoxikaton endet häufig letal, ist aber in Zeiten moderner Wasseraufbereitung eine Rarität.
Die
dialyseassoziierte Demenz ist Folge einer chronischen Aluminiumakkumulation durch orale Aluminiumzufuhr in Form aluminiumhaltiger Phosphatbinder, die in den letzten Jahren dank ausreichender Alternativen nur noch selten verordnet werden. Nichtsdestotrotz sind kognitive Defizite bei Dialysepatienten überproportional häufig zu beobachten. Sicher tragen dazu auch die hypertensive Enzephalopathie und die zerebrovaskulären Veränderungen im Rahmen der CKD, unabhängig von einem
Nierenersatzverfahren, bei (Pereira et al.
2005).
Ein weiteres häufiges Problem im Terminalstadium der CKD ist das sekundäre
Restless-Legs-Syndrom (RLS). Der Prozentsatz des RLS unter Dialysepatienten ist hoch und liegt bei 22–30 % (häufiger bei Peritonealdialyse- als bei Hämodialysepatienten). Das RLS geht mit dem unwiderstehlichen Drang einher, die Extremitäten zu bewegen, und ist mit Ein- und Durchschlafstörungen assoziiert. Eine mögliche Behandlungsform des RLS bei Patienten mit terminaler
Niereninsuffizienz stellt die intravenöse Eisen- und Erythropoetintherapie dar. L-Dopa und Dopaminagonisten werden, ebenso wie bei Nierengesunden, jedoch häufig mit dem Problem der
Augmentation eingesetzt. Darüber hinaus hat sich
Gabapentin bei Hämodialysepatienten bewährt. Wegen der hohen renalen Elimination ist allerdings eine deutliche Dosisreduktion erforderlich. Der initialen Gabapentin-Dosis von 300 mg folgt eine Erhaltungsdosis von 200–300 mg 3-mal pro Woche nach der Hämodialysebehandlung.
Opioide und Clonidin sind weitere Therapieoptionen des RLS bei Nierenkranken.