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Die Urologie
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Publiziert am: 21.10.2021

Ejakulationsstörungen – andrologische Aspekte

Verfasst von: Andreas Jungwirth
Ejakulationsstörungen sind häufig, dürfen allerdings nicht mit der großen Gruppe der Orgasmusprobleme vermischt werden, da die Ejakulation ein autonomer Reflex ist. Sie geht zwar normalerweise mit einem Orgasmus einhergeht, ist aber nicht zwangsweise mit diesem verbunden. Die Physiologie der Ejakulation setzt ein optimales Zusammenspiel der nervalen und endokrinen Regelmechanismen voraus, jegliche Störung dieses Regelkreises führt zu Ejakulationsstörungen. Bei den Ejakulationsstörungen muss zwischen Anejakulation, verzögerter Ejakulation, prämaturer Ejakulation, retrograder Ejakulation, blutiger Ejakulation (Hämatospermie) und schmerzhafter Ejakulation unterschieden werden, entsprechend heterogen ist die Diagnostik und sind die Therapieoptionen. (Salonia A, Bettocchi C, Carvalho J, Corona G, Jones TH, Kadioglu A, Martinez-Salamanca I, Minhas S, Serefoǧlu EC, Verze P (2020) Sexual and reproductive health; disorders of ejaculation. EAU guidelines. European Association of Urology, Arnhem).

Physiologie

Der Ejakulationsreflex findet in 3 Phasen statt. Primär kommt es zu einem Spasmus und Konstriktion des Blasenhalses. Sekundär führen sympathische Efferenzen aus dem unteren Thorakal- und oberen Lumbalmark, zu einer Emission der Samenflüssigkeit in die hintere Harnröhre. Die sympathischen Neurone führen dabei zu einer Kontraktion von Nebenhoden, Ductus deferens, Samenbläschen und Prostata und pressen gleichsam die Samenflüssigkeit in die Pars prostatica der Harnröhre. Diese Dehnung der Harnröhre leitet die Ejakulationsphase ein (= point of no return). In der 3. Phase kommt es zu tonisch-klonischen Kontraktionen der Mm. bulbospongiosi und Mm. ischiocavernosi und der Beckenbodenmuskulatur. Während dieser Ejakulationsphase findet eine maximale Erregung der sympathischen und parasympathischen Innervation statt und die Samenflüssigkeit wird antegrad aus der Harnröhre herausgeschleudert.

Ejakulationsstörungen

Anejakulation

Hierunter versteht man das komplette Fehlen einer ante- oder retrograden Ejakulation. Dieses Krankheitsbild kann mit einem völlig normalen Orgasmusgefühl einher gehen. Echte Anejakulation geht von einer Läsion des zentralen oder peripheren Nervensystems aus (multiple Sklerose, Morbus Parkinson, Querschnittläsion und Neuropathie etc.) oder kann auch medikamenteninduziert sein (Antipsychotika, Antidepressiva, Antihypertensiva und Alkoholabusus).

Verzögerte Ejakulation

Unter der klassischen verzögerten Ejakulation versteht man ein medizinisches oder psychiatrisches Krankheitsbild, welches mit keiner anderen psychiatrischen Diagnose in Zusammenhang steht. Bei der verzögerten Ejakulation ist eine außerordentliche Stimulation des erigierten Penis nötig, um eine Ejakulation zu erzielen. Die Ursachen können psychogen, organisch (Rückenmarksverletzung, penile Nervenläsion) oder auch altersabhängig sein. Die häufigste Ursache ist allerdings eine pharmakologisch induzierte Ejakulatio retarda (Antidepressive, Antipsychotika, Antihypertensiva). Therapeutisch gibt es kein zugelassenes Medikament für dieses Krankheitsbild, die Anwendung eines Vibroringes wurde als Option mehrfach empfohlen.

Vorzeitiger Samenerguss (Ejaculatio praecox)

Diese häufigste sexuelle Funktionsstörung des Mannes betrifft je nach Literatur zwischen 5 und 31 % aller Männer. Der relativ geringe Leidensdruck führt allerdings dazu, dass dieses Problem nur selten in den Arztpraxen angesprochen wird. Die Internationale Gesellschaft für Sexualmedizin definiert den vorzeitigen Samenerguss als eine Ejakulation innerhalb einer Minute nach Penetration, die Unfähigkeit die Ejakulation hinauszuzögern und die negativen Folgen für die Persönlichkeit bzw. das Paar. Die Prävalenz der Ejaculatio praecox ändert sich mit zunehmendem Alter nicht. Unterschieden wird zwischen der organischen und psychogenen Ejaculatio praecox, der primären und sekundären (erworbenen) bzw. der mit oder ohne begleitender erektiler Dysfunktion. Es gibt eine Reihe von Hypothesen, angefangen von Ängstlichkeit, peniler Hypersensibilität bis hin zu Veränderungen am Serotoninrezeptor des Ejakulationszentrums. Die derzeitigen Therapieoptionen sind deshalb Lokaltherapeutika mit lokalen Betäubungsmitteln (z. B. Xylocain-Gel), um die sensiblen Afferenzen zu reduzieren, die Sexualtherapie, PDE5-Hemmer bei sekundärer Ejaculatio praecox mit erektiler Dysfunktion (ED) und die große Gruppe der Serotonin-Reuptake-Hemmer (SSRI´s), wobei lediglich das kurzwirksame Dapoxetin für die Therapie des vorzeitigen Samenergusses zugelassen ist.
Cave: Eine chronische Einnahme der klassischen SSRI´s zum Zweck der Therapie des vorzeitigen Samenergusses muss streng indiziert sein, weil die Nebenwirkungen (Mundtrockenheit, Müdigkeit, Konzentrations- und Libidostörungen etc.) nicht unerheblich sind.

Anejakulation/retrograde Ejakulation

Hierunter wird ein totales oder partielles Fehlen einer antegraden Ejakulation verstanden, wobei das Orgasmusgefühl häufig nicht beeinträchtigt ist. Meist wird sie durch einen insuffizienten Verschluss des Blasenhalses verursacht. Ein geringes „Restejakulat“ kann als das Sekret der Glandula bulbourethralis missinterpretiert werden. Die Ursachen für die retrograde Ejakulation sind mannigfaltig. Sie reichen von neurologischen Ursachen (Rückenmarksverletzung, Cauda-equina-Läsion, multiple Sklerose, diabetische Neuropathie, Z. n. retroperitonealer Lymphadenektomie), bis hin zur pharmakologisch induzierten retrograden Ejakulation (Antihypertensiva, Alpha-Blocker, Antipsychotika, Antidepressiva). Sie kann auch durch eine Blasenhalsschwäche im Rahmen einer Blasenextrophie, einer Blasenhalsresektion oder einer angeborenen Blasenhalsinsuffizienz verursacht werden. Letztendlich können auch Harnröhrenobstruktionen (ektopische Ureterozele, Harnröhrenstriktur, Harnröhrenklappe oder ein obstruierender Colliculus seminalis) die Ursachen sein. Therapeutisch verwendet man Sympathikomimetika (Ephedrin etc.) und/oder Antimuskarinika, wobei die Ansprechrate unter 40 % liegt.

Blutige Ejakulation (Hämatospermie)

Darunter versteht man die Beimengung von frischem oder altem Blut im Ejakulat durch pathologische Prozesse im Hoden bzw. der akzessorischen Anhangsdrüsen. Häufigste Ursachen sind Entzündungen und Infektionen durch sexuell übertragene Erreger. Bamberger et al. (2005) zeigten, dass in 42 % ein Herpes simplex, in 33 % Chlamydia trochomatis und in 17 % Enterokokken die Ursachen für die entzündlich bedingte Hämatospermie waren. Weiterhin können Traumata durch Über- und Unterbeanspruchung die Ursache dafür sein. So kann eine zu lange Abstinenz eine sog. „Haemorrhagie e vacuo“ bedingen. Eine duktale Obstruktion und Zysten in den akzessorischen Drüsen können zur Ruptur der submukösen Blutgefäße führen und damit die Blutbeimengung im Ejakulat verursachen. Tumoren bzw. Gefäßanomalien als Ursache der Hämatospermie sind ausgesprochen selten. Häufiger sind systemische Erkrankungen wie das Willebrand-Syndrom mit prostatischer Teleangiektasie, Gerinnungsstörungen bei Lebererkrankungen, Antikoagulanzien-therapie, Lymphomerkrankungen u. ä. Die häufigste Ursache für die Hämatospermie ist allerdings die iatrogene Genese: Prostatabiopsien bzw. operative Eingriffe im Bereich der Prostata bzw. des unteren Genitaltraktes können eine Hämatospermie verursachen.

Diagnostik und Therapie

Neben der allgemeinen Anamnese bedarf es einer ausführlichen Sexual- und Medikamentenanamnese (Abb. 1). Bei der physikalischen Untersuchung darf eine grobneurologische und rektale Untersuchung nicht fehlen. Zusätzlich ist das Anlegen einer Ejakulatkultur anzuraten. Bei positiver viraler bzw. bakterieller Kultur bedarf es einer kulturgerechten Therapie (Aslam et al. 2009). Bei negativer Harnkultur ist bei der Gruppe der unter 40-jährigen Männer die Watchful-Waiting-Strategie sinnvoll. Stefanovic et al. (2009) zeigten, dass in der Gruppe der unter 40-jährigen Männer in 80 % der Fälle letztendlich eine idiopathische Hämatospermie vorgelegen hat, die keiner Therapie bedarf. Der ungezielte Einsatz einer antibiotischen Therapie nach dem Motto „Hilft es nicht, so schadet es auch nicht“ sollte nicht mehr angewandt werden. In der Gruppe der älteren Männer waren hauptsächlich prostatische Symptome bzw. eine Antikoagulanzientherapie die Hauptursachen. Bei 61 % der Männer verschwindet die Hämatospermie spontan innerhalb von 1 Monat. Bei rezidivierender Hämaturie kann Finasterid 5 mg für 3 Monate versucht werden (Badawy et al. 2012)

Schmerzhafte Ejakulation (Ejaculatory dyscomfort)

Dies ist ein häufiges Krankheitsbild, welches allerdings in den urologischen Praxen noch kaum Berücksichtigung findet. In der Krimpen-Studie gaben 40 % der befragten Männer zwischen dem 50. und 80. Lebensjahr an, an sog. schmerzhaften Ejakulationen zu leiden (Gan et al. 2007). Es gibt neben der idiopathischen Form eine positive Korrelation mit Symptomen der gutartigen Prostatahyperplasie, Urethritis, Diabetes mellitus, erektiler Dysfunktion, neurologischen Erkrankungen, kann aber auch durch Pharmaka (Antidepressiva) oder iatrogen (Radiotherapie, Prostatabiopsie etc.) induziert sein. Therapeutisch wird von der Beckenbodengynmastik über Phamakotherapien (Myorelaxantien, NSAR etc.) bis hin zur Prostataresektion vieles ohne wirkliche Evidenz angewandt.

Zusammenfassung

  • Ejakulationsstörungen sind häufige urologische Krankheitsbilder, welche in der Praxis noch unterrepräsentiert sind.
  • Bei der Anamnese ist zwischen Orgasmus- und Ejakulationsstörungen zu unterscheiden, um eine präzise Diagnose stellen zu können.
  • Viele neurologische Erkrankungen bzw. Psychopharmaka führen zu Ejakulationsstörungen.
  • Vorzeitige Samenerguss ist häufigste sexuelle Funktionsstörung des Mannes, Dapoxetin ist das einzige zugelassene Medikament dafür.
  • Ein unkritischer Einsatz von Antibiotika zur Therapie der Hämatospermie ist kontraindiziert.
Literatur
Aslam MI, Cheetham P, Miller MA (2009) A management algorithm for hematospermia. Nat Rev Urol 6(7):398–402CrossRef
Badawy AA, Abdelhafez AA, Abuzeid AM (2012) Finasteride for treatment of refractory hemospermia: prospective placebo-controlled study. Int Urol Nephrol 44(2):371–375CrossRef
Bamberger E, Madeb R, Steinberg J, Paz A, Satinger I, Kra-Oz Z, Nativ O, Srugo I (2005) Detection of sexually transmitted pathogens in patients with hematospermia. Isr Med Assoc J 7(4):224–227PubMed
Gan M, Smit M, Dohle GR, Bosch JL, Bohnen A (2007) Determinants of ejaculatory dysfunction in a community-based longitudinal study. BJU Int 99(6):1443–1448CrossRef
Salonia A, Bettocchi C, Carvalho J, Corona G, Jones TH, Kadioglu A, Martinez-Salamanca I, Minhas S, Serefoǧlu EC, Verze P (2020) Sexual and reproductive health; disorders of ejaculation. EAU guidelines. European Association of Urology, Arnhem
Stefanovic KB, Gregg PC, Soung M (2009) Evaluation and treatment of hematospermia. Am Fam Physician 80(12):1421–1427PubMed