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Rehabilitation von Bewegungsstörungen

Verfasst von: Imke Strohscheer
Mit einer malignen Erkrankung assoziierte Bewegungsstörungen oder -einschränkungen können bei Patienten entweder als unmittelbare Krankheitserscheinung oder als Therapiefolgen auftreten. Hinsichtlich tumorbedingter Bewegungsstörungen spielen Lymphödeme, Knochenmetastasen und Infiltrationen von neuronalen Strukturen eine Rolle. Als therapiebedingte Bewegungsstörungen kommen postoperative Einschränkungen, Narbenbildungen sowie Fibrosen nach Bestrahlungen vor. Behandelnde Ärzte sollten 1. grundsätzlich über Kenntnisse in der Identifikation und Diagnostik von tumor- und therapiebedingten Bewegungsstörungen verfügen, um diese frühzeitig zu identifizieren zu können, 2. Wissen über das Einleiten zielgerichteter Interventionen und Maßnahmen erwerben, 3. in multi- und interdisziplinären Kooperationen arbeiten und 4. Patienten mithilfe von Edukationsprogrammen und Gruppenschulungen zur Selbsthilfe zu veranlassen und damit Selbstbewusstsein sowie Körpergefühl stärken. Eine schnelle und effiziente Behandlung ist sowohl für die Lebensqualität der Patienten als auch für die Teilhabe am Leben von entscheidender Bedeutung.

Grundsätzliche Prinzipien

Mit einer malignen Erkrankung assoziierte Bewegungsstörungen oder -einschränkungen können bei Patienten entweder als unmittelbare Krankheitserscheinung oder – häufiger – als Therapiefolgen auftreten. Sie bedürfen einer gezielten stationären und/oder ambulanten Rehabilitation, um
  • Funktionen zurückzugewinnen bzw. diesbezügliche Störungen zu minimieren,
  • Kompensationsstrategien zu entwickeln sowie
  • Spät- und Folgeschäden zu verhindern.
Die WHO hat festgelegt, dass Rehabilitationsmaßnahmen bei Patienten mit chronischen Erkrankungen kosteneffektiv und evidenzbasiert sein sollen sowie Patienten in ihrer Selbstbestimmung und -verantwortlichkeit stärken sollen. Vor diesem Hintergrund sind behandelnde Ärzte in der Onkologie aufgefordert,
  • grundsätzlich über Kenntnisse in der Identifikation und Diagnostik von tumor- und therapiebedingten Bewegungsstörungen zu verfügen, um diese frühzeitig zu identifizieren zu können;
  • Wissen über das Einleiten zielgerichteter Interventionen und Maßnahmen zu erwerben;
  • in multi- und interdisziplinären Kooperationen (mit Orthopäden, Unfallchirurgen, Neurologen sowie Sport-, Physio- und Ergotherapeuten und Sozialdiensten) zu arbeiten;
  • Patienten mithilfe von Edukationsprogrammen und Gruppenschulungen zur Selbsthilfe zu veranlassen und damit Selbstbewusstsein und Körpergefühl zu stärken.
Für die Identifikation von beeinträchtigenden Bewegungsstörungen spielt die Krankheitskausalität eher eine untergeordnete Bedeutung, relevant ist die Betrachtung des „funktionalen Gesundheitszustands“. Hierzu wurde 2001 von der WHO die ICF (International Classification of Functioning, Disability and Health) als Beschreibung des funktionalen Gesundheitszustandes, der Behinderung, der sozialen Beeinträchtigung und der relevanten Kontextfaktoren eines Menschen entwickelt. Sie hat sich im klinischen Alltag noch nicht durchgesetzt, erlaubt aber hinsichtlich der individuellen Bedeutung von Einschränkungen eine objektivierbare Einschätzung (DIMDI 2005).
Erfahrungsgemäß verfügen hämato-/onkologisch tätige Ärzte aufgrund ihrer Ausbildung oftmals nicht über ein ausreichendes Wissen hinsichtlich physio- und ergotherapeutischer Methoden oder deren Möglichkeiten. Insofern sollte eine enge Zusammenarbeit mit einem Physio- und Ergotherapeutenteam, das mit den spezifischen Symptomen onkologischer Patienten vertraut ist, angestrebt werden.
Im ersten Schritt geht es darum, die behandelnden Ärzte für das potenzielle Vorliegen einer Funktionsstörung zu sensibilisieren. Patienten, die sich der Behandlung einer malignen Erkrankung unterziehen, berichten oftmals nicht von sich aus über sekundäre, die Lebensqualität aber durchaus beeinträchtigende Symptome. Nach einer sorgfältigen Funktions- und Kausalitätsdiagnostik ist mit dem Therapeutenteam zu entscheiden, ob grundsätzlich ein Rehabilitationspotenzial vorhanden ist, und ein diesbezügliches Ziel festzulegen.

Ätiologie von Bewegungsstörungen

Tumorbedingte Bewegungseinschränkungen

Bei dem Auftreten ausgeprägter Lymphödeme an den oberen und unteren Extremitäten treten Einschränkungen der Beweglichkeit auf. Lymphödeme können Folgen nach Lymphknotenentnahmen sein oder aber auch im Rahmen einer inkurablen Erkrankung durch Befall von Lymphknoten auftreten. Die häufigsten assoziierten Erkrankungen sind HNO-Tumoren, Mammakarzinome sowie Tumoren des gynäkologischen und urologischen Systems. Siehe dazu auch das Kap. „Rehabilitative Maßnahmen bei sekundären Lymphödemen“.
Knochenmetastasen in den langen Röhrenknochen oder in der Wirbelsäule können per se durch Schmerzen oder Frakturen, aber auch nach operativen Interventionen zu Einschränkung der Beweglichkeit führen. Neben der Therapie zur Stabilisation sind zeitgleich physiotherapeutische Behandlungen notwendig, um einen Funktionsverlust zu vermeiden oder möglichst gering zu halten. Zudem gilt es, dem Abbau der Muskulatur durch Ruhigstellung und Schonung entgegen zu wirken. Ossäre Metastasen in den Rippen können reflektorisch schmerzbedingt zu einer herabgesetzten Thoraxbeweglichkeit führen.
Bewegungsstörungen neurologischen Ursprungs treten in aller Regel in palliativen Situationen auf, etwa bei Tumorinfiltration neuronaler Strukturen: Hirnmetastasen, Meningeosis carcinomatosa, Plexusinfiltrationen (insbesondere bei Pancoasttumoren oder axillären Rezidiven eines Mammakarzinoms), aber auch bei neurologischen paraneoplastischen Syndromen (auch als Polyneuropathien). Ohne die Möglichkeiten einer gegen die Tumorerkrankung gerichteten Therapie mit anhaltenden Remissionen ist das Rehabilitationspotenzial allerdings entsprechend gering.

Therapiebedingte Bewegungsstörungen

Grundsätzlich können chirurgische Therapien, aber auch Strahlentherapie zu Adhäsionen und Verklebungen von Faszien und Geweben führen, die in einer Einschränkung der Beweglichkeit resultieren können und durch die häufig eingenommen Schonhaltung wiederum zu einer Verstärkung der Bewegungsbehinderung und weiteren Konsequenzen führen können. Während gesundes Gewebe leicht verschieblich ist, sind Verklebungen im Narbenbereich gut zu identifizieren. Wenn tiefere Strukturen betroffen sind, ist die therapeutische Expertise zur Beurteilung erforderlich.

Mammakarzinome

Bis zu 75 % aller Frauen nach Brustkrebsoperationen leiden unter Einschränkungen der ipsilateralen Schulterbeweglichkeit, Schmerzen, herabgesetzter Handkraft sowie Sensibilitätsstörungen (Beurskens et al. 2007). Ursächlich dafür sind intraoperative Läsionen und Fibrosen von Gewebe, Muskulatur und Nerven. In der Regel erfolgt eine Rückbildung innerhalb von 3 Monaten. Diese Häufigkeitszahlen rekrutieren sich allerdings aus Zeiten, in denen eine Mastektomie und/oder Axilladissektionen routinemäßig durchgeführt wurden. Heutzutage erleiden Patientinnen, die eine brusterhaltende Operation und eine Sentinellymphknotenentnahme erhalten haben, deutlich seltener eine Einschränkung der Schulterbeweglichkeit. Bei Patientinnen mit einer nodal-positiven Mammakarzinomerkrankung, bei denen eine ausgedehntere Lymphknotenentnahme oder Axilladissektion erforderlich wurde, treten postoperative Schultersyndrome häufiger auf. Ursächlich scheint neben der chirurgischen Maßnahme hauptsächlich die Wahl der adjuvanten Therapie zu sein. So können eine Strahlentherapie der Lymphabflussbahnen sowie eine Chemotherapie zu vermehrten Fibrosierungen des Gewebes führen (Lauridsen et al. 2005).

Bronchialkarkinome

Eine kurative Therapie nicht-kleinzelliger Bronchialkarzinome stellt die chirurgische Entfernung mittels posterolateraler Thorakotomie dar. Bei über der Hälfte der Patienten, die sich einer Thorakotomie unterzogen haben, treten postoperative Komplikationen als Postthorakotomie-Syndrom mit Schmerzen, eingeschränkter Thoraxbeweglichkeit durch Schwäche der Atemmuskulatur, Zwerchfelldysfunktionen und Defiziten der Schulterbeweglichkeit auf. Heutzutage wird – wenn möglich – als minimalinvasives Verfahren die videoassistierte thorakoskopische (VATS-) Lobektomie durchgeführt. Im Gegensatz zur offenen Resektion entfällt die Notwendigkeit der Spreizung der Rippen, was zur Schonung des Gewebes in der Thoraxwand führt und weitaus weniger postoperative Komplikationen verursacht.

Tumoren im Hals-Nasen-Ohren-Bereich

Zur kurativen Behandlung von HNO-Tumoren ist neben Strahlen- und Chemotherapie oftmals die Entfernung der betreffenden Lymphknoten als Hauptmetastasierungswege erforderlich. Eine radikale Neck Dissection führt neben der Entfernung der Lymphknoten Level I–V auch zur Entfernung des M. sternocleidomastoideus, der Jugularvene und des N. accessorius mit den dazugehörigen Funktionseinschränkungen. Aber auch eine modifizierte Neck Dissection kann zu einer postoperativen Läsion des N. accessorius und damit zu Einschränkungen der Schulterbeweglichkeit aufgrund von fehlender Innervation des M. sternocleidomastoideus und des M. trapezius führen. Es ist davon auszugehen, dass ein großer Teil der Patienten ein sogenanntes Neck-Dissection-Syndrom entwickelt mit Schmerzen in Nacken und Schulter, Funktionseinschränkungen und Kraftverlust der betroffenen Schulter bzw. des Arms sowie Einschränkung der Kopf- und Halsbeweglichkeit.

Gynäkologische und urologische Tumoren

Selten treten nach einer Lymphknotenentfernung im kleinen Becken Läsionen des N. obturatorius auf. Der N. obturatorius innerviert die Adduktoren der Beine und sensibel das Hüftgelenk sowie ein kleines Hautareal an der Oberschenkelinnenseite. Das betreffende Bein kann nicht gradlinig geführt werden, sondern in einem nach außen gerichteten Bogen und steht leicht abduziert. Weitaus häufiger treten größenrelevante Lymphozelen und/oder Hämatome auf, die zu Kompressionen von Nerven und Gefäßen und den damit verbundenen Komplikationen führen können. Kompressionsschmerzen und Thrombosen können zu zusätzlichen Bewegungseinschränkungen führen.

Tumoren der Extremitäten

Auch wenn heutzutage durch neoadjuvante Therapiekonzepte die Behandlung von (Osteo-)Sarkomen oder anderen seltenen Tumoren im Bereich der Extremitäten Amputationen bzw. Teilamputationen einer Extremität seltener notwendig werden, sind ausgedehnte Resektionen von Muskelgewebe doch fast immer erforderlich. Je nach anatomischer Situation kann es zu beträchtlichen – im Fall der Amputation zu nicht mehr reversiblen – Funktionseinschränkungen kommen. Weiterhin kann eine notwendige Strahlentherapie zu einer Fibrosierung und Narbenbildung führen und damit zu einer weiteren Einschränkung der Beweglichkeit. Neben einer psychosozialen Begleitung zum Erreichen einer Akzeptanz und Adaptation der Lebensbedingungen steht die möglichst beste Wiederherstellung einer Funktion, u. U. das Anpassen einer Prothese und das Erlernen des Umgangs im Vordergrund.

Postoperative Lagerungsschäden

Um den Chirurgen eine optimale Sicht- und Arbeitssituation zu ermöglichen, sind oftmals komplexe Lagerungen der Patienten notwendig. Trotz sorgfältigster Lagerung treten hin und wieder im klinischen Alltag postoperative Lagerungsschäden auf, die in aller Regel periphere Nerven betreffen. Betroffen sind in erster Linie der Plexus brachialis und die Nn. ulnaris, radialis und peroneus. Durch längere Dehnung (z. B. Steinschnittlage) kann auch der N. ischiadicus betroffen sein. In ersten Stadium der Neurapraxie kommt es zu einer Rückbildung der Störung innerhalb von wenigen Tagen. Im Zustand der Axonotmesis (Degeneration des distalen Axonanteils) kann die Rückbildung bis zu einem Jahr in Anspruch nehmen und bedarf einer konsequenten physio- und/oder ergotherapeutischen Behandlung. Kommt es zu einer Schädigung sämtlicher Nervenanteile (Neurotmesis) kann eine Funktion potenziell nur noch durch neurochirurgische Interventionen hergestellt werden.

Diagnostik

Neben einer genauen Anamnese zur Erfassung von Ausmaß, Pathogenese und Dauer der Bewegungsstörung spielen orthopädische Methoden, wie z. B. die Neutral-Null-Methode, eine wichtige Rolle, auch um Verläufe zu dokumentieren. Die Neutralstellung wird mit 0° bezeichnet, die maximale Auslenkung des Gelenks aus der Neutralstellung wird in Winkelgraden angegeben und ist Ausdruck der Bewegungsfreiheit. Beispielhaft soll dies anhand der Schulterbeweglichkeit in Tab. 1 gezeigt werden. Relevante Kontextfaktoren, wie Lebenssituation, Freizeitgestaltung und berufliche Tätigkeit, gehören mit zu der Erfassung der Bewegungsstörung.
Tab. 1
Neutral-Null-Methode am Beispiel der Schulterbeweglichkeit
   
(Normalwerte)
Abduktion/Adduktion:
/ 0 / ° aktiv
passiv bis / 0 / °
(180/0/20–40°)
Anteversion/Retroversion:
/ 0 / ° aktiv
passiv bis / 0 / °
(150-170/0/30–50°)
Hohe Innen-/Außenrotation:
/ 0 / ° aktiv
passiv bis / 0 / °
(70/0/70°)
Tiefe Innen-/Außenrotation:
/ 0 / ° aktiv
passiv bis / 0 / °
(95/0/40–60°)
Nackengriff: Rechts-/linksseitig im Vergleich zur Gegenseite um ca. cm reduziert
Schürzengriff: Rechts-/linksseitig im Vergleich zur Gegenseite um ca. cm reduziert

Behandlung von Bewegungsstörungen

Das Auftreten einer Bewegungsstörung/-einschränkung im Rahmen einer malignen Erkrankung stellt zunächst einmal eine seelische Belastung und Verletzung dar, die mit Störung des Körperbildes, Verlust und Trauer sowie Ängsten hinsichtlich Funktionsfähigkeit in Freizeit, Alltag und Beruf einhergehen kann. Insofern ist die Basis der Behandlung, den Patienten zunächst Zugang zu diesen Gefühlen zu ermöglichen, aber auch Trauerarbeit, insbesondere bei Irreversibilität von Körperbild- und Funktionsstörungen. Im nächsten Schritt geht es um die Zurückgewinnung eines positiven Körpergefühls und das Wiedererreichen von Selbstvertrauen in den eigenen Körper. Das Ziel sollte die Entwicklung einer erfolgreichen Copingstrategie sein.
Hauptsächlich spielen physiotherapeutische Methoden und/oder körperorientierte Verfahren Schwerpunkte in der kausalen Behandlung.
Die physiotherapeutische Rehabilitation gliedert sich in 4 Phasen:
1.
Postoperative Schmerzbehandlung
 
2.
Spezifische Bewegungstherapie zur Behandlung von Funktionsstörungen
 
3.
Trainingstherapie zur Verbesserung der Leistungsfähigkeit
 
4.
Patientenschulungen für grundsätzliche anatomische und pathophysiologische Zusammenhänge sowie dem Erlenen von Eigenübungen
 

Grundsätzliche Therapien

Eine systematische Narbentherapie (z. B. nach Boeger) führt zu einer nachhaltigen Lösung der Verklebungen und kann nach dem Abschwellen der Narbe beginnen. Sie ist somit die Grundlage zur nachhaltigen Verbesserung der Beweglichkeit. Die Durchführung dieser Therapie erfordert eine spezifische Ausbildung der Therapeuten und sollte inzwischen zum festen Bestandteile der onkologischen Physiotherapie gehören.
Der Stellenwert einer konsequenten Trainingstherapie zum Aufbau von Muskulatur, Ausdauer und Kondition hat sich in zahlreichen Studien als signifikanter Vorteil erwiesen. Neben Muskelaufbautraining bzw. gerätegestützter Physiotherapie stehen hier regelmäßige Übungen für die Kondition, Beweglichkeit und Koordination im Vordergrund. Es ist davon auszugehen, dass eine 20-minütige Übungsfrequenz pro Tag bereits effizient ist.

Behandlung von Funktionseinschränkungen der Schulter

Während der postoperativen Frühphase sollte eine Muskeltonusregulation von Arm und Schultergürtel erfolgen. Diese geschieht durch mobilisierende Massagen sowie manuelle Therapien, wie z. B. Querdehnung der beteiligten Muskulatur, Übungen zur Verbesserung der Flexion/Abduktion und Rotation im Schultergelenk. Weiterhin sollte die Beweglichkeit der Brustwirbelsäule verbessert werden. In der Spätphase liegt ein weiterer Schwerpunkt in der Kräftigung der Muskulatur, im Sinne von dosierter Kräftigung unter Einsatz von z. B. Thera-Bändern und anderen Hilfsmitteln oder dem eigenen Körpergewicht (isometrische Übungen). Körperorientierte und regenerative Verfahren (z. B. progressive Muskelrelaxation, tänzerische Gymnastik, Feldenkrais, Tai-Chi oder Visualisierungsmethoden) wirken sich unterstützend aus.
Liegen keine relevanten Einschränkungen der Schulterbeweglichkeit mehr vor, sind zum Erhalt des Therapieerfolgs und der Bewusstseinsbildung Gruppenanwendungen indiziert.
Patienten, denen eine frühzeitige (ab 2 Wochen postoperativ) Physiotherapie verordnet wird, profitieren auch langfristig im Sinne einer signifikant besseren Schulterbeweglichkeit, weniger Schmerzen und einer höheren Lebensqualität davon.

Behandlung der Postthorakotomie-Syndrome

In der Regel ist ein zeitnah multimodales Konzept in Form einer suffizienten Schmerztherapie, aber auch physiotherapeutische Methoden wie Mobilisationstechniken und Atem-, Husten- und Inhalationstherapie erforderlich. Zentrales Anliegen ist die Unterstützung der Atemmuskulatur und Verbesserung der Thoraxbeweglichkeit. Diesbezügliche kontrollierte Studien existieren kaum, aus diesem Grunde variieren die physiotherapeutischen Interventionen und auch der Zeitpunkt der Maßnahmen erheblich (Kendall et al. 2017). Insofern sollten sich die physiotherapeutischen Programme entsprechend der individuellen Bedürfnisse gestalten und sowohl während den prä-, peri- und postoperativen Phasen, aber auch als anhaltendes Trainingsprogramm stattfinden.
Anleitungen zu Eigenübungen als Patientenschulungen zeigten in Studien eine höhere Effizienz als passive Bewegungsübungen. Grundlegende Patientenschulungen bezüglich Anatomie und Physiologie der Lunge haben einen nachhaltigen Effekt und verbessern die Compliance von Patienten. Zur Verbesserung der Atemmuskulaturschwäche sollte konsequente Trainingstherapie (z. B. Fahrradergometer, Crosstrainer, Nordic Walking) verordnet und angeleitet werden. Schulungen hinsichtlich Ernährung, Entspannung und Stressmanagement sowie Atemtechniken haben einen hohen Stellenwert, um den nachhaltigen Behandlungserfolg zu sichern.

Behandlung des Neck-Dissection-Syndroms

Auch bei der Behandlung der Folgen einer Neck Dissection stehen Eigenübungen der Patienten im Vordergrund. Für die Anleitung zur Durchführung von Übungen zur Verbesserung der Arm- und Schulterbeweglichkeit sowie der Kopfdrehung stehen Broschüren zur Verfügung, die den Patienten zur Selbstübung angeboten werden. Außerdem werden grundsätzliche anatomische Kenntnisse vermittelt. Der Einsatz von passiven Übungen durch Physiotherapeuten scheint begrenzten Zusatznutzen zu haben. Insgesamt ist mit einer monatelangen Rehabilitationsphase zu rechnen, nach 2 Monaten haben weniger als ein Viertel der Patienten die Funktionen wieder erlangt (Baggi et al. 2014). Die Durchführung der selbstständigen Übungen verbessert zudem das Selbstwertgefühl, das Gefühl von Selbstbestimmung sowie das Körpergefühl bei diesen Patienten, die oftmals operationsbedingt zudem unter kosmetischen Komplikationen leiden.
Literatur
Baggi F, Santoro L, Grosso E, Zanetti C, Bonacossa E, Sandrin F, Massaro MA, Tradati N, Simoncini MC (2014) Motor and function recovery after neck dissection: comparison of two early physical rehabilitation programmes. Acta Otorhin Ital 34:230–240
Beurskens CHG, van Uden CJT, Strobbe LJA, Oostendorp RAB, Wobbes T (2007) The efficacy of physiotherapy upon shoulder function following axillary dissection in breast cancer, a randomized controlled study. MBC Cancer 7:166–171
DIMDI (2005) International classification of functioning, disability and health (ICF). https://​www.​dimdi.​de/​dynamic/​de/​klassifikationen​/​icf/​. Zugegriffen am 20.09.2021
Kendall F, Abreu P, Pinho P, Oliveira J, Bastos P (2017) The role of physiotherapy in patients undergoing pulmonary surgery for lung cancer. A literature review. Rev Port Pneumol 23(6):343–351PubMed
Lauridsen MC, Christansen P, Hessov IB (2005) The effect of physiotherapy on shoulder function in patients surgically treated for breast cancer: a randomized study. Acta Oncol 44:449–457CrossRef