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Klinische Neurologie
Info
Publiziert am: 03.04.2018

Entzündliche Polyneuropathien (Polyneuritiden)

Verfasst von: Andreas Engelhardt
Das polyneuropathische Syndrom ist auf eine Schädigung mehrerer oder aller peripherer Nerven zurückzuführen. Bei einer inflammatorischen Genese wird von Polyneuritis gesprochen. Zugrunde liegende Entzündungen können immunologisch oder erregerbedingt sein. Die wichtigsten Krankheitsbilder sind die akute idiopathische Polyradikuloneuritis (das Guillain-Barré-Syndrom – GBS) und die chronisch-inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP).
Das polyneuropathische Syndrom ist auf eine Schädigung mehrerer oder aller peripherer Nerven zurückzuführen. Bei einer inflammatorischen Genese wird von Polyneuritis gesprochen. Zugrunde liegende Entzündungen können immunologisch oder erregerbedingt sein. Die wichtigsten Krankheitsbilder sind die akute idiopathische Polyradikuloneuritis (das Guillain-Barré-Syndrom – GBS) und die chronisch-inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP).

Akute idiopathische Polyradikuloneuritis (Guillain-Barré-Syndrom)

Häufigkeit und Vorkommen
Die akute idiopathische Polyradikuloneuritis wird zumeist als Guillain-Barré-Syndrom (GBS), seltener auch als akute inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (AIDP) bezeichnet. Sie kommt weltweit mit einer Inzidenz von 0,6–1,9 pro 100.000 Einwohner vor und kann in jedem Lebensalter auftreten. Es handelt sich um eine symmetrisch-paretische Polyneuropathie, die fast immer an den unteren Extremitäten beginnt und rasch aufsteigend die oberen Extremitäten, den Rumpf mit Atemmuskulatur und häufig auch die Hirnnerven befällt.
Diagnostik
Die im Vordergrund stehende Demyelinisierung führt zu elektrophysiologisch schon nach wenigen Tagen nachweisbarer deutlicher Verlangsamung der Nervenleitgeschwindigkeit, wobei der N. suralis oft ausgespart bleibt (Sural Sparing). Bei fokalem Beginn kann auch ein proximaler Leitungsblock auf die Demyelinisierung hinweisen. Sind die motorischen Amplituden hochgradig erniedrigt und ist elektromyografisch Spontanaktivität im Muskel nachweisbar, so spricht dies für eine Mitbeteiligung der Axone und bedeutet eine schlechtere Prognose. Laborchemisch ist für das GBS ein hohes Gesamteiweiß im Liquor bei normaler Zellzahl charakteristisch („dissociation albumino-cytologique“). Die Eiweißerhöhung resultiert aus einer Störung der Blut-Nerven-Schranke, ist also vornehmlich durch eine erhöhte Albuminfraktion bedingt. Obgleich es sich um eine entzündliche Erkrankung der Nervenwurzeln und peripheren Nerven handelt, ist die Zellzahl im Liquor normal oder allenfalls leicht erhöht (unter 50 Zellen). Liquorzytologisch handelt es sich um Monozyten im Sinne einer unspezifischen nichtentzündlichen meningealen Reaktion.
Die Diagnose des GBS wird nach klinischen, elektrophysiologischen und liquorchemischen Kriterien gestellt (Übersicht). Die typische Eiweißvermehrung und verlängerte Nervenleitgeschwindigkeiten bilden sich allerdings manchmal erst innerhalb der ersten beiden Wochen aus, sollten allerdings zumindest im Verlauf der Erkrankung nachweisbar sein. Eine Nervenbiopsie ist nicht erforderlich. Wird sie dennoch durchgeführt, zeigen sich zumeist ein deutliches Ödem, Demyelinisierung, nur selten Infiltrationen des Endoneuriums durch Lymphozyten. Elektronenmikroskopisch lässt sich die Attacke von Makrophagen auf intakte Markscheiden nachweisen.
Diagnostische Kriterien für das Guillain-Barré-Syndrom. (Nach van der Meché 1994)
  • Notwendige Kriterien:
    • Progressive Parese von mehr als einer Extremität
    • Verlust der Muskeleigenreflexe
    • Abwesenheit von anderen nachzuweisenden Ursachen
  • Unterstützende Kriterien (klinisch):
    • Progression von weniger als 4 Wochen
    • Symmetrie der Ausfälle
    • Milde sensible Symptome
    • Hirnnervenbefall (N. facialis)
    • Autonomer Befall
    • Abwesenheit von Fieber bei Beginn
    • Rückbildung nach einer variablen Plateauphase
    • Elektrodiagnostisch verlangsamte Nervenleitgeschwindigkeit, Leitungsblock S, Sural sparing
  • Unterstützende Kriterien (Liquor):
    • Erhöhtes Gesamteiweiß
    • Weniger als 10 Zellen pro μl (monozytäres Zellbild)
  • Zweifel an der Diagnose bei:
    • Dauerhafter deutlicher Asymmetrie der Paresen
    • Blasen- und Mastdarmstörungen bei Beginn der Erkrankung
    • Persistierender Blasen- und Mastdarmschwäche
    • Scharf begrenztem sensiblem Niveau
    • Pleozytose von mehr als 50 Zellen pro μl
    • Granulozyten oder überwiegend Lymphozyten im Liquor
Klinik
In der Mehrzahl der Fälle geht der Erkrankung ein viraler oder bakterieller Infekt des Respirations- oder Magen-Darm-Trakts voraus. Unter den zahlreichen bestehenden Erregern ist der engste Zusammenhang für Campylobacter jejuni, Zytomegalievirus, Epstein-Barr-Virus und Mykoplasmen bewiesen. Häufig berichten die Patienten zu Beginn über Schmerzen und Parästhesien im Rücken und distalen Extremitätenabschnitten. Innerhalb weniger Tage breiten sich dann von distal nach proximal schlaffe Lähmungen aus. Sensible Symptome sind nur gering ausgeprägt oder fehlen ganz. Die Schwere der Ausfälle ist unterschiedlich. Sie reicht von leichten peroneal betonten distalen Paresen bis hin zu vollständiger Lähmung aller vier Extremitäten mit Atemlähmung und Hirnnervenausfällen, wobei zumeist der N. facialis beidseits, der N. glossopharyngeus und der N. vagus betroffen sind. Augenmuskelparesen treten bei idiopathischer Polyradikuloneuritis in bis zu 10 % auf. Durch Befall des vegetativen Nervensystems können gefährliche Rhythmusstörungen des Herzens (Tachykardie, Bradykardie, Arrhythmie) entstehen, die ggf. die Anlage eines passageren Schrittmachers erfordern. Der Höhepunkt der Erkrankung ist nach 2–4 Wochen erreicht. Nach einer kurzen Plateauphase kommt es dann innerhalb von Wochen bis Monaten wieder zu einer (zumeist vollständigen) Rückbildung der Lähmungserscheinungen. Bei 15 % der Patienten ist mit bleibenden Defiziten zu rechnen.
Pathogenese
Pathogenetisch handelt es sich bei dem GBS um eine Autoimmunerkrankung, welche in den meisten Fällen durch vorangehende Infektionen getriggert wird. In Analogie zu Befunden bei der experimentell allergischen Neuritis (EAN), die experimentell durch Immunisierung mit Homogenat peripherer Nerven und Freund-Adjuvans erzeugt werden kann, kommt es im Rahmen einer T-Zell-vermittelten Immunreaktion zu einer Attacke von Makrophagen gegen die Markscheiden peripherer Nerven. Zunächst werden die Markscheiden selektiv zerstört (segmentale Demyelinisierung), in schweren Fällen kommt es auch zu axonaler Degeneration, die gelegentlich auch einmal ganz im Vordergrund der Erkrankung stehen kann (AMSAN: akute motorisch-sensible axonale Neuropathie, AMAN: akute motorische axonale Neuropathie). Neben der zellulären Immunreaktion spielen offenbar humorale Faktoren ebenfalls eine Rolle. Bei einem Teil der Erkrankten lassen sich Antikörper gegen Ganglioside (GM1, GD1a) und Campylobacter jejuni nachweisen. Diese Patienten haben in der Regel einen schwereren Verlauf infolge axonaler Degeneration.
Therapie
Die akute idiopathische Polyradikuloneuritis ist eine monophasische Erkrankung. Rezidive sind selten. In etwa 70 % der Fälle kommt es zu einer vollständigen Restitution. Allerdings sind 10–20 % der Patienten in der Plateauphase beatmungspflichtig. Durch rechtzeitigen Einsatz intensivmedizinischer Therapie konnte die Letalität auf 2–6 % gesenkt werden. Todesfälle sind heutzutage zumeist durch kardiale Komplikationen und Lungenembolie bedingt. Wegen der oftmals rasch einsetzenden Beatmungspflichtigkeit sollten Patienten mit akutem GBS stationär überwacht werden.
Therapieempfehlungen
  • Bei deutlichen Paresen hat sich die möglichst frühzeitige Plasmapherese (in den ersten beiden Wochen) bewährt (Tab. 1). Bei leichtgradigem GBS sind zwei, bei schwereren Verlaufsformen vier Plasmapheresen erforderlich. Von gleicher Wirksamkeit bei besserer Verträglichkeit ist die Immunadsorption.
  • Ebenso wirksam bei weniger Nebenwirkungen, und daher heute zumeist Mittel der ersten Wahl, ist die Therapie mit hoch dosiertem Immunglobulin (0,4 g γ-Globulin pro kg Körpergewicht pro Tag i.v. über 5 Tage).
  • Bei bettlägerigen Patienten besteht die große Gefahr einer Lungenembolie (Low-dose-Heparinisierung, evtl. Cava-Schirm).
  • Zur Vermeidung von Kontrakturen und Förderung der Restitution muss frühzeitig und regelmäßig krankengymnastisch behandelt werden.
    Tab. 1
    Therapie entzündlicher und infektöser Polyneuropathien
    Polyneuropathie-Typ
    Therapie der 1. Wahl
    Therapie der 2. Wahl
    GBS
    Humanes Immunglobulin 0,4 g/kg KG und Tag i.v. über 5 Tage
    Plasmapherese (2, bei schwerem Verlauf auch 4)
    CIDP
    Prednisolon/Methylprednisolon 1,5 mg/kg KG und Tag für 1–2 Wochen, dann langsam (über Monate) reduzieren. Humanes Immunglobulin 0,4 g/kg KG und Tag i.v. über 5 Tage, bei Rezidiv alle 4–6 Wochen eintägige Gabe von 0,4 g/kg KG
    Plasmapherese und/oder Immunsuppressiva (Azathioprin, Ciclosporin, Mycophenolat-Mofetil, evtl. Rituximab)
    MMN
    Humanes Immunglobulin 0,4 g/kg KG und Tag i.v. über 5 Tage, bei Rezidiv alle 4–6 Wochen eintägige Gabe von 0,4 g/kg KG
    Cyclophosphamid 3 g/m2 Körperoberfläche über 5 Tage oder 100–200 mg/Tag oral
    Isolierte Vaskulitis des PNS
    Prednisolon/Methylprednisolon 1–1,5 mg/kg KG für 1–2 Wochen, dann langsam (über Monate) reduzieren
    Azathioprin 100–200 mg/Tag oder MTX 7,5–20 mg/Woche in 3 aufeinanderfolgenden Einzeldosen
    Systemische Vaskulitis
    Kortikoidstoß (500–1000 mg Prednisolon/Methylprednisolon/Tag), dann 1,5 mg/kg KG und Tag, langsam (über Monate) reduzieren. Kombination mit Cyclophosphamid 100–200 mg/Tag bzw. hoch dosierte intravenöse Pulstherapie mit 500–1000 mg/m2 Körperoberfläche in 4-wöchigen Abständen) oder Rituximab/Tocilizumab
    MTX 7,5–25 mg/Woche in 3 aufeinanderfolgenden Einzeldosen oder Ciclosporin 5–10 mg/kg KG und Tag oder humanes Immunglobulin 0,4 g/kg KG und Tag i.v. über 5 Tage oder Azathioprin 100–200 mg/Tag
    Ciclosporin 2,5–5 mg/kg KG/Tag, evtl. Rituximab
    Ceftriaxon 2 g/Tag über 14 Tage
    Penicillin G 4-mal 5 Mio U/Tag i.v.
    Doxycyclin 200 mg/Tag über 14 Tage
    Zoster
    Aciclovir 5-mal 800 g oral bzw. 3-mal 10 g/kg KG i.v. oder Valaciclovir 3-mal 1 g oral
     
    CMV
    Ganciclovir 2-mal 5 mg/kg KG i.v.
     
    Bei Infektion <48 h: Diphtherie-Antitoxin vom Pferd 250 U/kg KG i.m.
     
    Humanes Tetanus-Immunglobulin 5000–10.000 U i.m., Penicillin G 4-mal 1 Mio U/Tag, Diazepam 2–10 mg i.v. mehrmals täglich
    Pancuronium und Beatmung, Morphin 2–10 mg/h, Mg-Sulfat 1–3 g/h (Plasmaspiegel 2,5–4 mmol/l)
    Trivalentes Immunglobulin vom Pferd 500 ml i.v., Magenspülung, hohe Einläufe
     
    Rifampicin 600 mg/Monat, Dapson 100 mg/Tag (evtl. zusätzlich Clofazimin 50 mg/Tag und 300 mg/Monat)
    Thalidomid 400 mg/Tag bei Erythema nodosum (nicht bei Frauen im gebärfähigen Alter!)
    GBS Guillain-Barré-Syndrom, CIDP chronisch-inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie, MMN multifokale motorische Neuropathie, CMV Zytomegalivirus, KG Körpergewicht

Sonderformen des Guillain-Barré-Syndroms

Miller Fisher-Syndrom

Die Kombination von Areflexie, Ophthalmoplegie und Ataxie wird als Miller Fisher-Syndrom bezeichnet. Fast immer beginnen die Augenmuskellähmungen mit einer Abduzensparese. Zahlreiche Patienten erleiden im Verlauf eine komplette Ophthalmoplegie. Die zerebelläre Schädigung äußert sich als Gangunsicherheit und Nystagmus, seltener als Extremitätenataxie. Die Areflexie tritt regelmäßig am spätesten ein. Die Prognose des Miller Fisher-Syndroms ist zumeist günstig. Atemlähmung tritt sehr selten auf. Die Mehrzahl der Patienten zeigt eine Eiweißerhöhung im Liquor, etwa die Hälfte distale Parästhesien, oropharyngeale Schwäche oder beidseitige Fazialislähmung. In etwa 10 % der Fälle besteht auch eine leichte proximale Schwäche, wobei zu berücksichtigen ist, dass etwa 6 % der Guillain-Barré-Fälle als Miller Fisher-Syndrom beginnen. Zeichen einer eigentlichen Hirnstammbeteiligung (z. B. internukleäre Ophthalmoplegie) kommen zwar vor, sind jedoch sehr selten und bedürfen stets besonders intensiver differenzialdiagnostischer Abklärung (Hirnstammenzephalitis – sog. Bickerstaff-Enzephalitis, multiple Sklerose, Wernicke-Enzephalopathie). Interessant ist der häufige Nachweis von IgG-Antikörpern gegen das Gangliosid GQ1b beim Miller Fisher-Syndrom. Da die Prognose zumeist gut ist, ist eine Plasmapherese oder Immunglobulinbehandlung häufig nicht erforderlich.

Akute Pandysautonomie (panautonomische Neuropathie)

Auch bei dieser akut bis subakut verlaufenden Sonderform eines Guillain-Barré-Syndroms finden sich Parästhesien, Areflexie und erhöhtes Gesamteiweiß im Liquor. Das klinische Bild wird jedoch beherrscht von vegetativen Störungen (Tränen-, Speichel-, Schweißsekretionsstörungen, innere Augenmuskellähmungen, Motilitätsstörungen des Magen-Darm-Trakts, Harn- und Stuhlverhalt sowie orthostatische Hypotonie). Die gastrointestinalen Symptome können auch am Beginn der Erkrankung stehen, sodass gelegentlich unnötige chirurgische Eingriffe durchgeführt werden. Meist kommt es auch hier zu einer kompletten Rückbildung nach langen Verlaufszeiten bis zu 2 Jahren. Leichte Blasen-Mastdarm-Störungen können persistieren. Die Behandlung ist überwiegend symptomatisch mit Flüssigkeitszufuhr, Mineralokortikoiden, Ephedrin und Metoclopramid. Plasmapheresen und Gammaglobulingaben sind v. a. bei hochgradigem Blutdruckabfall und dadurch bedingter Gefährdung sinnvoll.

Weitere Sonderformen

Weitere Sonderformen sind das ataktische GBS, das Ähnlichkeiten mit dem Miller Fisher-Syndrom hat, wobei jedoch die Ophthalmoplegie fehlt. Rein motorische oder rein sensible Varianten des GBS kommen ebenfalls vor. Letztere sind sehr selten, zumeist treten sie in Kombination mit vegetativen Störungen (akute Pandysautonomie, akute panautonomische Neuropathie) auf. Besonders schwer sind die Fälle der sog. axonalen Varianten des GBS (AMAN, AMSAN) mit akutem Beginn, häufiger Ateminsuffizienz und dem Charakteristikum einer frühzeitig auftretenden Unerregbarkeit der Nervenfasern. Bei dem Bild der Polyneuritis cranialis bestehen multiple, häufig symmetrische Hirnnervenausfälle. Bei der Radiculitis sacralis (Elsberg-Syndrom) bestehen Dysästhesien und Parästhesien im Sakralbereich sowie Blasenstörungen. Hierbei handelt es sich allerdings häufiger um eine Herpes-simplex-Virus-2(HSV-2)- oder Zytomegalievirus(CMV)-Infektion bei AIDS als um eine idiopathische Radikulitis.

Chronisch-inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP)

Die chronisch-inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) wird gerne als chronisches GBS bezeichnet. Sie zeigt jedoch auch Gemeinsamkeiten mit einzelnen Formen der Paraproteinämie, sodass es sich keinesfalls nur um eine besondere Verlaufsform des GBS handelt. Die Ausfälle entwickeln sich innerhalb von über 2 Monaten, gelegentlich auch vielen Jahren. Der Verlauf kann chronisch progredient oder intermittierend sein. Meistens ist ein vorausgehender Infekt nicht nachweisbar.
Im Vordergrund stehen proximal betonte Paresen der unteren Extremitäten. Sonderformen mit isoliertem Befall der Arme kommen allerdings vor. Die Sensibilitätsstörungen sind im klinischen Bild zumeist deutlicher ausgeprägt als beim GBS, Hirnnervenausfälle und autonome Funktionsstörungen finden sich jedoch nur selten. Ateminsuffizienz mit Beatmungspflichtigkeit ist bei chronischen Erkrankungen eine Ausnahme. Die CIDP zeigt ebenfalls deutlich verlängerte Nervenleitgeschwindigkeiten und eine Liquoreiweißvermehrung bei normaler Zellzahl. In der Nervenbiopsie finden sich demyelinisierte Fasern und als Zeichen der Remyelinisierung auch „Zwiebelschalenformationen“. Therapeutisch sprichst die CIOP im Gegensatz Zum GBS häufig auf Kortikoide an (Tab. 1). Aber auch Plasmapherese und Immunglobulintherapie sind wirksam. Nach Einleitung der Therapie mit 5-tägiger Gabe von 0,4 g pro kg Körpergewicht und Tag i.v. kann auch in Abständen von 4 oder mehr Wochen eine nur eintägige Gabe von Immunglobulinen in der genannten Dosierung durchgeführt werden, um einen stabilen Zustand herbeizuführen. Eine neuere Option stellt die subkutane Gabe von Immunglobulinen über eine Pumpe dar. Bei refraktären Fällen mit weiterer Progredienz ist auch die Gabe von Immunsuppressiva möglich.
Fallbeispiel
Zur Abklärung einer seit 6 Jahren fortschreitenden symmetrischen sensomotorischen Polyneuropathie mit hochgradig verminderten Nervenleitgeschwindigkeiten (um 20 m/s) wird bei einem 50-jährigen Mann eine Suralisbiopsie durchgeführt. Sie zeigt eine ausgeprägte Reduktion der Nervenfasern in allen Faszikeln und mehrere Zwiebelschalenformationen. Der Patient wird trotz leerer Familienanamnese mit der Verdachtsdiagnose HMSN Typ I entlassen (zur damaligen Zeit war die Bestimmung der Duplikation im PMP22-Gen noch nicht möglich!). Drei Jahre später erleidet er nach weiterer Progredienz der Erkrankung eine Schluckstörung mit Folge einer Aspirationspneumonie. Zur Behandlung erhält er auf der Intensivstation neben Antibiotika täglich Methylprednisolon (60 mg/Tag). Nach wenigen Tagen erfolgt eine vollständige Rückbildung der Schluckstörung und eine erstaunliche Besserung der Paresen. Im Liquor fällt eine Eiweißerhöhung auf 120 mg/dl bei normaler Zellzahl auf. Unter fortgesetzter Kortikoidtherapie kann der anfangs bettlägerige Patient innerhalb weniger Monate wieder frei gehen, sich selbstständig anziehen und ohne Hilfe essen. Der zufällige Behandlungserfolg durch Kortikoide ermöglichte retrospektiv bei diesem Verlauf die Diagnose einer CIDP!

Multifokale motorische Neuropathie (MMN)

Eine besondere Manifestationsform einer chronisch-inflammatorischen Polyneuritis ist die multifokale motorische Neuropathie (MMN). Die Patienten zeigen asymmetrische rein motorische Ausfälle der oberen Extremitäten, häufig mit Faszikulationen (jedoch ohne Pyramidenbahnzeichen!). Elektrophysiologisch findet sich ein multifokaler Leitungsblock als Hinweis auf herdförmige Entmarkungen (daher auch die häufig gebrauchte Bezeichnung „multifokale motorische Neuropathie mit Leitungsblock“). Im Serum zeigen bis zu 77 % der Patienten erhöhte Immunglobulin-M(IgM)-Antikörper gegen Ganglioside (insbesondere GM1), welche allerdings nicht spezifisch sind. Insbesondere Titer <1:100 kommen auch bei zahlreichen anderen neurologischen Erkrankungen vor. Therapie der Wahl sind hoch dosierte Immunglobuline (Tab. 1). Die Gabe von Cyclophosphamid (0,6–1 g/m2 für 5 Tage) ist ebenfalls möglich, wegen erheblicher Nebenwirkungen jedoch nur zweite Wahl. Im Gegensatz zur CIDP führt Kortikoidgabe eher zu einer Verschlechterung.

Ischämische und vaskulitische Neuropathien

Periphere Nerven gelten als relativ resistent gegenüber einer ischämischen Schädigung. Ischämische Polyneuropathien bei thrombotischen und arteriosklerotischen Gefäßverschlüssen sind zwar beschrieben, die Symptome einer peripheren Nervenschädigung treten jedoch ganz hinter dem Haut- und Muskelbefall zurück.
Immunologisch bedingte Entzündungen der Gefäße und des Bindegewebes führen dagegen häufig zu einer Schädigung peripherer Nerven. Vaskulitische Neuropathien sind insgesamt für etwa 4 % aller Polyneuropathiefälle verantwortlich. Die besondere Bedeutung dieser Erkrankungen liegt darin, dass es sich im Gegensatz zu vielen anderen Ursachen um kausal behandelbare Polyneuropathien handelt.
Häufigkeit und Vorkommen
Am häufigsten ist das periphere Nervensystem im Rahmen der primären systemischen Vaskulitiden (Panarteriitis nodosa, Eosinophile Granulomatose mit Polyangiitis - EGPA) betroffen (Tab. 2). Neben der Polyneuropathie bestehen oft Fieber, Gewichtsverlust, allgemeines Krankheitsgefühl und Zeichen der extraneuralen Organbeteiligung (Haut, Muskel, Lunge, Niere, Leber, Darm). Nach anfänglichen Schmerzen und Missempfindungen im Bereich der Extremitäten treten im Verlauf von Tagen bis Wochen zumeist asymmetrisch verteilte Lähmungen und Sensibilitätsstörungen auf, wobei die motorischen Ausfälle häufig im Vordergrund stehen. Hirnnerven und autonomes Nervensystem sind oft mitbeteiligt. Primäre systemische Vaskulitiden haben unbehandelt eine infauste Prognose. Die Therapie mit Kortikosteroiden und Immunsuppressiva ist daher lebensrettend.
Tab. 2
Beteiligung des peripheren Nervensystems (PNP) bei verschiedenen Vaskulitiden. Laborwerte in Kursivschrift
PNP-Beteiligung (%)
Klinische Besonderheiten, Organbeteiligungen; Labor
Isolierte Vaskulitis des PNS
100
Gute Prognose; Labor normal
70
Lunge, Muskel; Eosinophilie; p- und cANCA
Polyarteritis nodosa
60
Hirnnerven, Muskel; Hepatitis B/C
60
Niere, Gelenke, Haut; pANCA
20
Hirnnerven, Niere, Gelenke, HNO; cANCA
15
Opticus, Muskel (Polymyalgia rheumatica); BSG
13
ZNS, Gelenke, Haut, Herz, Pleura, Niere; ANA, dsDNA
25
Trigeminus, Augen, HNO; SS-A, SS-B
Rheumatoide Vaskulitis (bei RA)
50
Karpaltunnelsyndrom, digitale Neuropathie; RF
Hypersensitivitätsvaskulitis
10
Plexusneuritis, Haut
„Mixed connective tissue disease“ (MCTD)
10
Trigeminus, Raynaud-Syndrom, Muskel; snRNP, ANA
40
Raynaud-Syndrom; Hepatitis C, Kryoglobuline
Sklerodermie (systemische Sklerose)
20
Trigeminus, Muskel; Scl-70, Centromer
Selten
Fazialis, ZNS, Muskel; ACE
PNS peripheres Nervensystem; RA rheumatoide Arthritis; ANCA antineutrophile zytoplasmatische Antikörper; BSG Blutsenkungsgeschwindigkeit; ANA antinukleäre Antikörper; dsDNA Doppelstrang-DNA; RF Rheumafaktor; snRNP „small nuclear ribonleoprotein particle“; ACE Angiotensin-Converting-Enzym
Es gibt auch eine primäre isolierte Vaskulitis des peripheren Nervensystems, bei der Hinweise auf eine sonstige Organbeteiligung fehlen. In neurologischen Patientenkollektiven ist dies sogar die häufigste vaskulitische Neuropathie. Laborwerte geben bei dieser Form zumeist keinen Hinweis auf das Vorliegen einer Entzündung. Die Vaskulitis ist hier nur durch Nervenbiopsie nachzuweisen. Bei der isolierten Vaskulitis des peripheren Nervensystems handelt es sich in den allermeisten Fällen um gutartige Verläufe, die sich nach Gabe von Kortikosteroiden rasch zurückbilden und daher nicht so aggressiv immunsuppressiv behandelt werden müssen wie die systemischen primären Vaskulitiden.
Sekundäre Vaskulitiden (bei systemischem Lupus erythematodes [SLE], Mixed connective tissue disease [MCTD], Sjögren-Syndrom, Kryoglobulinämie, Infektionen, Neoplasien, Medikamenten- und Fremdeiweißgabe) sind in internistischen Kollektiven häufiger als primäre, führen jedoch in geringerem Prozentsatz zu Polyneuropathien (Tab. 2). Einige zeichnen sich besonders durch eine bevorzugte Mitbeteiligung des ZNS (Kopfschmerzen, Psychosyndrome, Anfälle) oder der Muskulatur (interstitielle Myositis) aus. In einem Teil der Fälle kann es zwar bei sekundären Vaskulitiden zu spontaner Rückbildung der Symptomatik kommen. Solche Verlaufsformen sind zu erwarten, wenn das primär auslösende Antigen (Erregerbestandteile, Medikamente) mittlerweile eliminiert wurde. Zumeist wird man jedoch einen derartigen Verlauf nicht abwarten und mit Kortikosteroiden und Immunsuppressiva behandeln.
Klinik
Bei der neurologischen Untersuchung zeigen vaskulitische Neuropathien in 50–60 % der Fälle ein distal betontes asymmetrisches Muster (sog. Schwerpunktpolyneuropathie). Nur 10–20 % der Fälle bieten ein Verteilungsmuster einzeln betroffener peripherer Nerven (Mononeuritis multiplex). Das klassische Bild einer akut oder subakut auftretenden asymmetrischen Polyneuropathie vom Schwerpunkttyp oder ein Befall mehrerer Einzelnerven (Mononeuritis multiplex) gilt zwar als typisch für vaskulitische Neuropathien, findet sich jedoch nur in etwa der Hälfte der Fälle. Auch distal-symmetrische Manifestationsformen können durch eine Vaskulitis verursacht sein. Etwa ein Drittel bis die Hälfte der Patienten zeigt eine symmetrische Begrenzung, wie sie bei den meisten anderen Polyneuropathien beobachtet wird.
Isolierte ein- oder doppelseitige Hirnnervenausfälle (v. a. N. oculomotorius, N. facialis, N. trigeminus) sind nicht ungewöhnlich. Auch isolierte Plexuslähmungen oder radikuläre Ausfälle kommen vor und lassen zunächst an einen Bandscheibenvorfall denken.
Diagnostik
Elektrophysiologisch zeigt sich die auch in Biopsien nachweisbare im Vordergrund stehende axonale Schädigung (verminderte Amplituden, Denervierung im EMG, nur leicht verminderte Nervenleitgeschwindigkeiten).
Da auch laborchemisch bei Weitem nicht alle Fälle Hinweise auf den zugrunde liegenden entzündlichen Prozess bieten, sollte in der Regel jede klinisch relevante und progrediente Polyneuropathie am Ende der Diagnostik auch durch Nerven- und Muskelbiopsie abgeklärt werden.
Am geeignetsten ist hierzu eine kombinierte Nerv-Muskel-Biopsie aus dem N. suralis und dem M. gastrocnemius oder dem M. peroneus (fibularis) brevis. Ist durch andere Organbiopsien (z. B. Haut, Niere) bereits eine systemische Vaskulitis nachgewiesen, ist eine Nervenbiopsie jedoch nicht mehr erforderlich. Bei klassischen Vaskulitiden zeigt die Nervenbiopsie epineurale entzündliche Infiltrate mit fibrinoider Nekrose der Gefäßwände und thrombotischen Verschlüssen (Abb. 1). Hierdurch kommt es zur ischämischen Läsion der Nervenfasern, wobei die einzelnen Faszikel häufig asymmetrisch betroffen sind. Welches Antigen das Immunsystem zu der entzündlichen Gefäßreaktion verleitet, ist nicht bekannt. Nach immunhistochemischen Untersuchungen handelt es sich überwiegend um T-Zell-vermittelte Immunreaktionen, daneben kommen jedoch auch humorale Faktoren mit Ablagerung von Immunglobulinen und Komplement in den Gefäßwänden vor.
Therapie
Bei medikamenteninduzierten oder durch Infektion auftretenden Vaskulitiden ist die Möglichkeit einer Ausschaltung des verursachenden Agens gegeben. So führt die antibiotische Behandlung der Neuroborreliose, der eine Vaskulitis zugrunde liegt, mit Ceftriaxon zu einer Rückbildung der neurologischen Ausfälle.
Therapieempfehlungen
  • Bei isolierter Vaskulitis des peripheren Nervensystems werden Glukokortikoide als Monotherapie (initial 60 mg für etwa 2 Wochen, dann alle 2–4 Wochen um 10 mg reduzieren) gegeben.
  • Bei systemischen Vaskulitiden sollte primär eine Kombinationstherapie aus Prednisolon und Rituximab, Cyclophosphamid oder Azathioprin zur Anwendung kommen.
    • Bei schweren Ausfällen wird zunächst ein Kortikoidstoß von 500–1000 mg für 3–5 Tage gegeben, danach schließt sich eine Kortikoidtherapie in der Dosis 1,5 mg pro kg/KG und Tag an.
    • Die Reduktion der Kortikosteroide sollte nur sehr langsam (in mehrwöchigen oder monatlichen Abständen) und kleinen Schritten (10–20 mg) unter ständiger Kontrolle der Klinik und der Laborparameter erfolgen.
    • Wegen der erheblichen Nebenwirkungen bei Langzeitgabe sollte Cyclophosphamid nach 6–12 Monaten durch Azathioprin ersetzt werden.
    • Weitere therapeutische Möglichkeiten sind die Gabe von MTX (7,5–20 mg/Woche), Mycophenolat-Mofetil und in Einzelfällen von hoch dosiertem intravenösem Immunglobulin (Tab. 1).

Sarkoidose

Bei der Sarkoidose (Morbus Besnier-Boeck-Schaumann) ist in etwa 5 % der Fälle das Nervensystem befallen, hiervon zur Hälfte auch das periphere Nervensystem. Am häufigsten sind periphere Fazialisparesen und andere Hirnnervenausfälle (Polyneuritis cranialis). Ursächlich hierfür ist überwiegend eine granulomatöse Infiltration der Meningen, die auch zu einer lymphozytären Pleozytose im Liquor führt. Differenzialdiagnostisch ist neben der Tuberkulose v. a. an die Granulomatose mit Polyangiitis (GPA) zu denken. Daneben kommen asymmetrische Polyneuropathien, Radikuloneuropathien, akute motorische Polyneuritiden (Differenzialdiagnose: Guillain-Barré-Syndrom) und distal symmetrische sensomotorische Polyneuropathien vor. In einem Teil der Fälle fand sich als Ursache für die Polyneuropathien eine Vaskulitis epineuraler Arteriolen. Diagnostisch wegweisend kann eine Erhöhung des Angiotensin-Converting-Enzyms (ACE) in Serum und Liquor sein.

Chronische Polyarthritis (rheumatoide Arthritis)

Bei der chronischen Polyarthritis treten in bis zu 20 % der Fälle Polyneuropathien auf, die pathogenetisch unterschiedlich verursacht sind. Zum Teil handelt es sich um Kompressionssyndrome der Arm- oder Beinnerven (Karpaltunnelsyndrom, Interosseus-anterior-Syndrom, Loge-de-Guyon-Syndrom, Interosseus-posterior-Syndrom, Tarsaltunnelsyndrom und Peroneusdruckparese), z. T. jedoch auch um epineurale Vaskulitiden bei rheumatoider Vaskulitis, die zum Befall von Einzelnerven (Mononeuritis multiplex) oder zu Schwerpunktpolyneuropathien bzw. symmetrischen Bildern führen können. Charakteristisch ist die digitale Neuropathie mit sensiblen Reiz- und Ausfallerscheinungen an den Mittel- und Endphalangen der Finger und Zehen. Angiografisch findet sich hierbei ein Verschluss der Digitalarterien.

Serogenetische Polyneuritis (neuralgische Schulteramyotrophie)

Vor allem nach Gabe von heterologen Antiseren im Rahmen von Impfungen (Tetanus, Diphtherie), selten auch nach abgetöteten Erregern, Toxoiden, Bluttransfusionen und Frischzellen können sich im Rahmen einer Serumkrankheit Polyneuropathien entwickeln. Zumeist handelt es sich um das klinische Bild einer neuralgischen Schulteramyotrophie mit heftigen Schmerzen und nach wenigen Tagen einsetzenden atrophischen Paresen der Schultermuskulatur. Häufiger kommt die neuralgische Schulteramyotrophie allerdings ohne vorherige Serumgabe als idiopathische Armplexusneuritis vor. Ein vergleichbares Krankheitsbild ist die idiopathische Beinplexusneuritis. Selten sind nach Serumgabe aufsteigende symmetrische Lähmungen nach Art der idiopathischen Polyradikuloneuritis. Auch Ausfälle von Einzelnerven (N. peroneus [fibularis], Hirnnerven u. a.) kommen vor. Es wird vermutet, dass es sich bei der serogenetischen Polyneuritis und der idiopathischen Armplexusneuritis lediglich um besondere Manifestationsformen einer Immunkomplexvaskulitis oder einer immunologisch vermittelten Neuritis handelt. Bei leichterem Verlauf ist die Therapie rein symptomatisch, bei starken Schmerzen können Kortikosteroide (60 mg/Tag, innerhalb von 2 Wochen ausschleichend beenden) oder Immunglobuline günstig wirken, wenngleich sie den Krankheitsverlauf nicht beeinflussen.

Erregerbedingte Polyneuritiden

Neuroborreliose

Die klassische Manifestationsform der Lyme-Borreliose im Bereich des Nervensystems ist die lymphozytäre Meningopolyneuritis (Garin-Bujadoux-Bannwarth-Syndrom). Sie gehört zum Stadium II, das etwa 1–18 Wochen nach einer durch Zeckenbiss übertragenen Infektion mit der Spirochäte Borrelia burgdorferi auftritt. Mindestens ein Drittel der Patienten kann sich allerdings an einen Zeckenbiss oder das charakteristische Erythema chronicum migrans des Stadiums I nicht erinnern. Radikuläre Schmerzen, die gelegentlich an einen Bandscheibenvorfall denken lassen, periphere Paresen (insbesondere N. facialis, der häufig beidseits betroffen ist) und asymmetrische Polyneuropathien an den Extremitäten kennzeichnen das Stadium II. Im Liquor findet sich eine gemischtzellige, vorwiegend lymphozytäre Pleozytose mit Plasmazellen (Abb. 2). Die Zellzahl beträgt 10–1000 Zellen pro μl. Beweisend ist die intrathekale Produktion von spezifischen Antikörpern gegen Borrelia burgdorferi. Die Bestimmung des Serumtiters allein ist nicht ausreichend, da die Durchseuchung der Bevölkerung mit etwa 10 % relativ hoch ist.
Therapieempfehlungen
  • Die Behandlung besteht in der Gabe von Cephalosporinen der dritten Generation (z. B. Ceftriaxon 1-mal 2 g pro Tag i.v.), alternativ Tetracycline oder Penicillin (Tab. 1).
  • Bei heftigen Schmerzen im Rahmen des Bannwarth-Syndroms können auch kurzzeitig Kortikosteroide (30–60 mg Methylprednisolon für 3–7 Tage) gegeben werden.
Im Stadium III (chronische Lyme-Borreliose) sind Polyneuropathien seltener; sie können jedoch isoliert oder in Kombination mit der Acrodermatitis chronica atrophicans Herxheimer auftreten.

Zoster

Der Varicella-zoster-Virus (VZV) verursacht in der Kindheit Windpocken mit gutartigem Verlauf. Die Reaktivierung der Viren in den Spinalganglien bei verminderter Abwehr führt zu dem typischen Zoster segmentalis mit Ausbreitung der Effloreszenzen entlang den Dermatomen peripherer Nerven und Wurzeln. Zumeist sind die thorakalen Dermatome und die Trigeminusäste betroffen. Als Ramsay-Hunt-Syndrom wird der Zosterbefall des Fazialis (häufig auch des V., VIII. und IX. Hirnnervs) mit Ohrenschmerzen, Ausstrahlung der Schmerzen auf die ipsilaterale Tonsille und Bläschen im äußeren Gehörgang bezeichnet. Lymphozytäre Pleozytosen im Liquor sind häufig, auch ohne sonstige Hinweise auf eine Meningitis. Selten finden sich zentralnervöse Ausfälle (Enzephalitis, Myelitis, zerebrale Vaskulopathie). Polyneuropathien nach Art des Guillain-Barré-Syndroms sind ebenfalls beschrieben. Typisch für den Zoster sind die zu Beginn – aber auch häufig noch nach Abklingen der Exantheme – auftretenden heftigen Schmerzen (sog. postherpetische Neuralgie). Sie tritt bei jüngeren Patienten in 20 %, bei über 60-Jährigen in 60 % der Fälle auf. Die Pathogenese ist unklar. Intravenöse Gabe von Aciclovir ist bei Verdacht auf Zosterenzephalitis oder -myelitis sowie bei immundefizienten Patienten notwendig. Die orale Gabe von Valaciclovir oder Aciclovir ist ausreichend bei unkompliziertem Zoster mit Befall einzelner peripherer Nerven oder Wurzeln (Tab. 1). Bei postherpetischer Neuralgie werden trizyklische Antidepressiva und Antikonvulsiva (Carbamazepin, Gabapentin, Pregabalin) verordnet. Einige Patienten profitieren von transkutaner elektrischer Nervenstimulation (TENS) oder topischer Applikation von Lokalanästhetika (Hydrogel, Creme, Pflaster). Ab dem 60. Ab dem 60. Lebensjahre wird eine VZV - Impfung zur Vorbeugung des Zoster empfohlen.

HIV und Zytomegalie

In allen Stadien der HIV-Infektion kommen Störungen des peripheren Nervensystems vor. Sie werden bei mindestens 35 % der Patienten mit AIDS klinisch manifest. In Frühstadien können demyelinisierende Polyradikuloneuropathien auftreten (als akutes GBS oder chronisch nach Art der CIDP), bei welchen im Gegensatz zum „echten“ GBS Pleozytosen mit bis zu über 1000 Zellen pro μl vorkommen. Die Behandlung entspricht der idiopathischen Polyradikuloneuritis (Immunglobuline, Plasmapheresen). Am häufigsten ist in Spätstadien eine distal-symmetrische Polyneuropathie, welche in eine schmerzhafte („distal axonal sensory painful neuropathy“) und eine schmerzlose Form unterteilt wird. Die Therapie ist rein symptomatisch. Bei heftigen radikulären Schmerzen ist auch an eine durch Varicella zoster bedingte Radikulopathie im Rahmen der Immunschwäche zu denken. Schließlich kommen auch vaskulitische Nervenschädigungen, autonome Neuropathien und schmerzhafte toxische Schäden durch Nukleosidanaloga (ddI, ddC, d4 T, 3TC) im Rahmen der Therapie vor.
Einige AIDS-Kranke entwickeln eine lumbosakrale Polyradikulopathie. Es handelt sich um eine durch CMV-Infektion bedingte Entzündung der Cauda equina mit Axon- und Myelinschädigung. Klinisch entwickelt sich nach anfänglicher Lumbago, radikulären oder perianalen Schmerzen eine innerhalb weniger Wochen zunehmende schlaffe Paraparese mit Areflexie, Blasenstörung und sockenförmigen oder perianalen Sensibilitätsstörungen. Der Liquor zeigt neben Eiweißerhöhung eine deutliche Pleozytose, wobei es sich zytologisch überwiegend um Granulozyten handelt. In der Hälfte der Fälle ist das Rückenmark mitbetroffen (Polyradikulomyelopathie). CMV kann auch eine Mononeuritis multiplex induzieren. Ein früher Therapiebeginn mit Ganciclovir oder Foscarnet wird in allen Fällen von CMV-Infektion empfohlen.

Diphtherie

Das Corynebacterium diphtheriae produziert ein Exotoxin, das die Myelinsynthese der Schwann-Zellen hemmt. 20 % der Patienten entwickeln zumeist wenige Wochen nach der Infektion eine lokale Gaumensegelparese und einige Monate danach eine generalisierte sensomotorische Polyneuropathie. Die Prognose ist gut (Therapie Tab. 1).

Tetanus

Clostridium tetani produziert ein Exotoxin, das mit der Sekretion inhibitorischer Transmitter (Glycin, γ-Aminobuttersäure [GABA]) in spinalen Interneuronen interferiert. Dies führt zu unkontrollierter Aktivität der Motoneurone. 80 % der Patienten bieten den generalisierten Typ mit Trismus, Dysphagie und „Risus sardonicus“ durch Gesichtsmuskelspasmus. Nach einigen Tagen kommt es zu generalisierten extrem schmerzhaften Muskelspasmen und Opisthotonus sowie Ventilationsstörungen. Der lokale Tetanus ist dagegen selten. Hier beschränken sich Muskelspasmen und Schmerzen auf die Umgebung der Wunde. Die Diagnose wird aus dem klinischen Bild, der Verletzungsanamnese und dem EMG (Abwesenheit der „silent period“ nach einem Aktionspotenzial) gestellt. Die Inkubationszeit beträgt 1–30 Tage. Die Mortalität beträgt auch heute noch 10–50 %. Therapeutisch wird neben sofortiger Gabe von Antitoxin eine chirurgische Wundbehandlung und Muskelrelaxation (Baclofen, Dantrolen) unter Intensivüberwachung empfohlen. Aktive Impfung ist trotz durchgemachtem Tetanus notwendig.

Botulismus

Botulismus wird durch das Exotoxin aus Clostridium botulinum erzeugt. 0,1 μg des Toxins sind bereits tödlich. Das Gift wird inaktiviert durch Erhitzen auf 85 °C für 5 min. Botulinumtoxin interferiert mit der präsynaptischen Freisetzung von Acetylcholin an der neuromuskulären Endplatte und anderen cholinergen Synapsen (ähnlich dem Lambert-Eaton-Syndrom). 6–60 Stunden nach der Vergiftung kommt es zu Übelkeit, Bauchschmerzen, Doppelbildern und weiten Pupillen. Es bildet sich dann eine symmetrische Schwäche ähnlich dem GBS aus. Durch frühzeitige Intensivtherapie mit Beatmungsmöglichkeit beträgt die Mortalität heute nur noch 10 %. Trivalentes Immunglobulin vom Pferd (500 ml i.v.) sollte wegen des Risikos einer Anaphylaxie nur in schweren Fällen gegeben werden.

Lepra

Lepra ist mit 10–20 Mio. Fällen weltweit die häufigste erregerbedingte Polyneuropathie. Die Infektion mit Mycobacterium leprae führt bei der tuberkuloiden Lepra zu hypopigmentierten Hautveränderungen, in deren Bereich v. a. die Schmerzempfindung herabgesetzt ist (dissoziierte Empfindungsstörung). Im weiteren Verlauf folgen eine Hypaesthesie und neurotrophische Störungen (Haarverlust und Hypohidrosis). Nur wenn größere Nervenstämme einbezogen werden, kommt es zu atrophischen Paresen.
Bei der lepromatösen Lepra verbreiten sich durch Fehlen der zellvermittelten Immunreaktion die Erreger ungebremst auf hämatogenem Wege. Auch hier führen die Hautveränderungen (v. a. in kühlen Hautarealen wie Nase und Ohren) zu ausgeprägten dissoziierten Sensibilitätsstörungen. Auffällig lange sind die Muskeleigenreflexe erhalten. Hirnnerven sind häufig betroffen (z. B. N. trigeminus).
Bei der dimorphen Lepra, der intermediären Form zwischen den beiden Haupttypen, finden sich häufig rein polyneuritische Formen, die von anderen Polyneuropathien kaum unterschieden und nur durch direkten Nachweis des Erregers diagnostiziert werden können (säurefeste Stäbchen in der Ziehl-Neelsen-Färbung). Therapeutisch werden Antibiotika gegeben: Dapson, Clofazimin und Rifampicin sind die am häufigsten verwendeten.

Facharztfragen

1.
Nennen Sie Beispiele für Polyneuritiden!
 
2.
Erstellen Sie einen Behandlungsplan für eine systemische und für eine isolierte vaskulitische Polyneuropathie!
 
3.
Wie wird das akute GBS behandelt, wie die CIDP?
 
4.
Nennen Sie Beispiele erregerbedingter Polyneuropathien!
 
Literatur
Dalakas MC, Cupler EJ (1996) Neuropathies in HIV infection. Baillieres Clin Neurol 5(1):199–218PubMed
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