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Orthopädie und Unfallchirurgie
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Publiziert am: 28.12.2023

Orthopädie und Unfallchirurgie: Soziale und Private (Gesetzliche) Pflegeversicherung

Verfasst von: Elmar Ludolph
Die Gesetzliche Pflegeversicherung teilt sich auf in die Soziale Pflegeversicherung und die Private Pflegepflichtversicherung, die jedoch den Regeln der Sozialen Pflegeversicherung weitestgehend folgt (SGB XI). Der Versicherte ist in der Regel bei der Versicherung pflegeversichert, bei der er krankenversichert ist. Die Soziale Pflegeversicherung ist umlagefinanziert. Die „Jungen“ tragen also die Lasten der „Alten“. Um die Beiträge relativ stabil zu halten, fließen ihr stetig steigende Steuermittel zu. Die Private Pflegepflichtversicherung ist kapitalgedeckt. Ein für die spätere Pflege erforderliches Kapital wird – grob gesagt – angespart. Die Beiträge für die Gesetzliche Pflegeversicherung werden – im Grundsatz – je zur Hälfte von Arbeitnehmern und Arbeitgebern aufgebracht.
Die Feststellung der Pflegebedürftigkeit erfolgt in 5 Pflegegraden (§ 15 SGB XI), die aufgrund von 6 Modulen ermittelt werden. Pflegebedürftig ist, wer körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen aufweist oder Anforderungen nicht selbstständig kompensieren oder bewältigen kann und deshalb der Hilfe durch Andere bedarf (§ 14 SGB XI). Ab dem 01.01.2022 ist die Zuständigkeit zum Erlass verbindlicher Pflege-Begutachtungs-Richtlinien dem Medizinischen Dienst Bund übertragen (§§ 17/53d SGB XI). Derzeit gelten noch die Pflege-Begutachtungs-Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes von 255 Seiten Umfang. Bei diesem verblieben ist die Zuständigkeit für den Erlass verbindlicher Pflege-Beratungs-Richtlinien (§ 17 SGB XI).

Rückblick

Soziale und Private Pflegeversicherung sind gemeinsam die Gesetzliche Pflegeversicherung. Federführend ist die Soziale Pflegeversicherung, der die Private Pflegeversicherung nach §§ 1 Abs. 2 Satz 2/23/110 SGB XI zu entsprechen hat.
Die Soziale Pflegeversicherung ist die jüngste der 5 Säulen der Sozialversicherung in Deutschland:
  • Arbeitslosenversicherung (SGB III)
  • Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V)
  • Gesetzliche Rentenversicherung (SGB VI)
  • Gesetzliche Unfallversicherung (SGB VII)
  • Soziale Pflegeversicherung (SGB XI)
Mit der vor allem seit Mitte der 1950er-Jahre ständig steigenden Lebenserwartung, die vielerlei Gründe hat und durch Fortschritte der medizinischen Betreuung der älter werdenden Bevölkerung mitbedingt ist, stellte sich das Problem der Pflege im Alter, wobei das Risiko von Pflegebedürftigkeit bereits mit der Geburt gegeben ist. Es ist ein „allgemeines Lebensrisiko“ (BVerfG, Urteil vom 03.04.2001 – 1 BvR 2014/95) und seine Bewältigung eine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ (§ 8 Abs. 1 SGB XI). Für die Pflegeprobleme werden – neben der deutlich gestiegenen Lebenserwartung und dem Wegfall ethischer Bindungen – vor allem folgende Gründe verantwortlich gemacht:
  • Auseinanderfallen der Großfamilie
  • Singularisierung
  • gewählte Kinderlosigkeit
  • Anforderungen an eine hohe Mobilität von Arbeitnehmern
  • Berufstätigkeit beider Partner
  • Überlastung der Berufstätigen mit der gleichzeitigen Pflege von Angehörigen
Zwar wurde und wird nach wie vor der größte Teil der Pflegebedürftigen im häuslichen Umfeld versorgt, wobei auch insoweit Entlastungsbedarf gesehen wurde und wird. Soweit das bereits in der Vergangenheit nicht der Fall war, führte dies dazu, dass Pflegebedürftige, außerhalb der Familien versorgt, mit Beginn der 1980er-Jahre vermehrt Sozialhilfe beantragten und erhielten. Sie waren nicht mehr in der Lage, die Kosten ihrer Pflege zu bezahlen. Nur ein verschwindend kleiner Teil der Bevölkerung hatte das Risiko der Pflegebedürftigkeit privat abgesichert. Im Jahr1994 waren dies 0,39 % der Gesamtbevölkerung. Die Pflege wurde also in diesen Fällen letztlich aus Steuermitteln finanziert. Die Brutto-Ausgaben der Sozialhilfeträger für die Hilfe zur Pflege stiegen von 1970 bis 1975 von 1,1 Mrd. DM auf 2,9 Mrd. DM. Dies machte damals mehr als ein Drittel aller Sozialleistungen aus (BTDrucks 12/5262) und war der Anstoß für die Pflegepflichtversicherung, die jedoch erst nach jahrelanger Diskussion 1995 Gesetz wurde.
Diskutiert wurden zwei Möglichkeiten: Entweder eine die gesamte Bevölkerung umfassende öffentlichrechtliche Pflegeversicherung oder die Aufbringung aus Steuermitteln auf der Grundlage eines Leistungsgesetzes. Die zuletzt genannte Alternative, die Finanzierung der Pflege allein aus Steuermitteln, wurde jedoch aus finanzpolitischen Überlegungen letztlich fallengelassen. Entwickelt wurden in der Folge zwei Finanzierungsmöglichkeiten.
Dies war zum einen die kapitalgedeckte Versicherung: Die Kosten des Pflegefallrisikos werden bei Eintritt in die Versicherung geschätzt, bei im Wesentlichen gleich bleibenden Beiträgen wird eine Art Rücklage angespart, durch die dann die später anfallenden Pflegefallkosten abgedeckt werden. Dieses System unterliegt dem Risiko von Inflation, Wirtschafts- und Finanzkrisen sowie politischen Interventionen.
Zum anderen war dies die umlagefinanzierte Versicherung. Die laufenden Ausgaben werden im Wesentlichen aus den laufenden Einnahmen finanziert, also aus Beitragszahlungen erwerbstätiger Versicherter. Um es auf den Punkt zu bringen: Bei der umlagefinanzierten Versicherung tragen die „Jungen“ die Lasten der „Alten“. Dieses System setzt ausgeglichene demografische Verhältnisse voraus, damit die Beiträge der „Jungen“ eine vertretbare Höhe nicht überschreiten. Die Bundesregierung entschied sich für die umlagefinanzierte Pflichtversicherung. Mit Datum vom 01.01.1995 wurde das SGB XI, die Soziale Pflegeversicherung, kodifiziert, die mit den Namen Norbert Blüm, damals verantwortlicher Bundesminister, und Karl Jung als für das Gesetz zuständiger Staatssekretär verbunden ist.

Änderungen/Neuausrichtung des SGB XI

Das SGB XI erfuhr nach seiner Kodifikation zum 01.01.1995 wiederholte Änderungen/Neuausrichtungen. Diese verfolgten vor allem 3 Ziele:
  • den besseren Schutz und die Entlastung von Versicherten und deren Angehörigen,
  • eine faire Entlohnung der Pflegenden und
  • Beitragsgerechtigkeit.
Die Änderungen erfolgten auch in Verbindung mit Änderungen des SGB V (Gesetzliche Krankenversicherung), die wegen ihrer Anzahl und Vielfalt nur angeschnitten werden können, wie folgt:
  • Mit dem 01.01.2002 durch das Pflege-Qualitätssicherungsgesetz (PQsG), das im Interesse der Pflegebedürftigen die Verpflichtung aller ambulanten, teilstationären und stationären Pflegeeinrichtungen enthält, ein Qualitätsmanagement einzuführen sowie mindestens alle zwei Jahre Leistungs- und Qualitätsnachweise zu erbringen. Parallel dazu bleibt es weiterhin möglich, die erbrachten Leistungen und deren Qualität durch Einzelprüfungen, Stichprobenprüfungen und vergleichende Prüfungen zu kontrollieren Dazu wurden die Zugangsrechte des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) zu den Pflegeeinrichtungen konkretisiert (§ 114 Abs. 1 SGB XI)
  • Mit dem 01.01.2002 durch das Pflegeleistungs-Ergänzungsgesetz, das zusätzliche Leistungen bei häuslicher Pflege vorsieht, insbesondere aber ein befristetes Beitrittsrecht der Nichtkrankenversicherten zur Sozialen oder Privaten Pflegeversicherung und die Mitfinanzierung qualifizierter ehrenamtlicher Sterbebegleitung im Rahmen ambulanter Hospizdienste
  • Mit dem 01.02.2004 durch das Gesetz zur Modernisierung der Gesetzlichen Krankenversicherung (GMG), das durch vielerlei Maßnahmen die wirtschaftliche Lage der Kranken- und Pflegeversicherung zu verbessern versucht
  • Mit dem 01.01.2005 durch das Kinderberücksichtigungsgesetz (KiBG), das für Kinderlose einen Beitragszuschlag von 0,25 Beitragssatzpunkten bestimmt
  • Mit dem 01.04.2007 durch das Gesetz zur Stärkung des Wettbewerbs in der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz, GKV-WSG), durch das der „Gesundheitsfond“ eingeführt wurde
  • Mit dem 01.07.2008 durch das Gesetz zur strukturellen Weiterentwicklung der Pflegeversicherung (PfWG), das die Bedeutung der Kontrollpflichten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung dadurch stärkt, dass über die Qualität jeder Pflegeeinrichtung informiert wird und durch das Pflegezeitgesetz (Pflege-ZG), das es Arbeitnehmern unter bestimmten Voraussetzungen ermöglicht, sich zum Zwecke der Pflege von Angehörigen ohne Entgeld von der Arbeit freistellen zu lassen
  • Mit dem 01.01.2012 durch das Familienpflegezeitgesetz (FPfZG), eine Weiterentwicklung des Pflege-Zeitgesetzes
  • Mit dem 30.10.2012 durch das Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz, das verbesserte Leistungen für Demenzkranke und deren Angehörige vorsieht und die Förderung von neuen Wohnformen (sogenannte Pflege-WGs – Pflegewohngemeinschaften), sowie eine staatliche Bezuschussung privater Pflege-Zusatzversicherungen (bekannt als „Pflege-Bahr“)
  • Mit dem 01.01.2015 durch das Pflegestärkungsgesetz (PSG) I, das insbesondere einen sogenannten Pflegevorsorgefond (§§ 131 bis 139 SGB XI) einführt, ein Sondervermögen, in das jährlich 0,1 % aller Pflegeversicherungsbeiträge eingezahlt werden, angelegt bei der Bundesbank, gedacht für die Jahre ab 2036, in denen aller Voraussicht nach der Zufluss zur Sozialen Pflegeversicherung besonders hoch sein wird
  • Mit dem 01.01.2016 bzw. 01.01.2017 durch das Pflegestärkungsgesetz II, dessen zentrales erstrangiges Ziel die Einführung eines neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs und einer neuen Systematik der Beurteilung/Einschätzung der Pflegebedürftigen ist. Seit dem 01.01.2017 werden die bisherigen drei Pflegestufen durch passgenauere fünf Pflegegrade ersetzt (Pflegebedürftigkeitsbegriff). Maßgeblich ist der Grad der Selbstständigkeit in allen pflegerelevanten Bereichen. Etabliert wird ein neues Begutachtungsverfahren. Gesetzlich verankert wird die Gleichbehandlung somatisch, kognitiv und psychisch beeinträchtigter Menschen
  • Mit dem 01.01.2016 durch das Hospiz- und Palliativgesetz (HPG), das eine deutliche Verbesserung von Hospizen und Palliativeinrichtungen, insbesondere deren finanzieller Ausstattung sowie eine Finanzierung der Sterbebegleitung regelt
  • Mit dem 01.01.2017 durch das Pflegestärkungsgesetz III, das vor allem die Rolle der Kommunen in der Pflege stärkt, Regelungen zur Bekämpfung des Abrechnungsbetruges enthält und den neue Pflegebedürftigkeitsbegriff des SGB XI (Soziale Pflegeversicherung) in das SGB XII (Sozialhilfe) überträgt
  • Mit dem 01.01.2022 durch das Gesetz zur Weiterentwicklung der Gesundheitsversorgung (Gesundheitsversorgungsweiterentwicklungsgesetz – GVWG) vom 11.07.2021, das sich auf drei Bereiche bezieht: Die häusliche Pflege, die stationäre Pflege und eine bessere Entlohnung des Pflegepersonals
  • Mit dem 30.06.2022 durch das Pflegebonusgesetz, das neben der Auszahlung eines Bonus an die Pflegekräfte in Artikel 2 weitere Finanzierungsfragen des SGB XI regelt.
Da einerseits die Ansprüche an eine würdige Pflege eine zunehmend stärkere Betonung finden, andererseits die Pflegekosten ständig steigen – z. B. durch die Zunahme der Pflegebedürftigen infolge einer immer älter werdenden Bevölkerung, die Inflation, die Kostensteigerung medizinischer Leistungen, die tariflichen Rechte der in der Pflege abhängig Tätigen –, und da die Beiträge möglichst nicht steigen sollen, um die Wettbewerbsfähigkeit Deutschlands nicht zu gefährden, ist eine weitere gesetzliche Weiterentwicklung der Sozialen Pflegeversicherung mit Sicherheit zu erwarten.

Organisation und Aufbau der Sozialen Pflegeversicherung

Die Organisation und der Aufbau der Sozialen Pflegeversicherung entspricht weitgehend derjenigen der Gesetzlichen Krankenversicherung, sodass, soweit nicht nachfolgend Besonderheiten erörtert werden, insoweit auf das Kap. „Orthopädie und Unfallchirurgie: Gesetzliche Krankenversicherung“ verwiesen werden darf.
Träger der Sozialen Pflegeversicherung sind die Pflegekassen, rechtsfähige Körperschaften des öffentlichen Rechts mit Selbstverwaltung (§ 46 SGB XI). Diese haben die Pflege, so wie sie in § 2 SGB XI umschrieben ist, zu gewährleisten (§ 69 SGB XI).
Deren Aufgaben werden von den Krankenkassen wahrgenommen (§ 1 Abs. 3 SGB XI). Die Pflegeversicherung ist – ebenso wie die Gesetzliche Krankenversicherung – eine Pflichtversicherung (§ 20 SGB XI). Die Pflegeversicherung folgt der Krankenversicherung (§ 48 SGB XI). Wer in der Gesetzlichen Krankenversicherung als Mitglied versichert ist, ist Mitglied derjenigen Pflegekasse, die unter dem Dach der jeweiligen Krankenversicherung errichtet ist. Mitversichert kraft Gesetzes sind Ehegatten, Lebenspartner und Kinder, soweit sie auch in der Gesetzlichen Krankenversicherung beitragsfrei mitversichert sind (§ 25 SGB XI). Wird der Versicherte wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze versicherungsfrei, folgt die Soziale Pflegeversicherung seiner Entscheidung zur Krankenversicherung. Wenn er also seine bisherige Pflichtmitgliedschaft in der Gesetzlichen Krankenversicherung freiwillig fortsetzt, bleibt er in der Sozialen Pflegeversicherung (§ 20 Abs. 3 SGB XI). Wenn er zu einem privaten Krankenversicherer wechselt, hat er das Pflegerisiko bei einem privaten Versicherungsunternehmen zu versichern (§ 23 SGB XI).
Leistungen der Gesetzlichen Unfallversicherung (§ 44 SGB VII), nach dem Bundesversorgungsgesetz (§ 35 BVG), nach dem Sozialen Entschädigungsgesetz (§ 28 Abs. 1 i. V. m. § 71 SGB XIV) oder aus öffentlichen Kassen aufgrund gesetzlich geregelter Unfallversorgung oder Unfallfürsorge, gehen Leistungen der Sozialen Pflegeversicherung vor (§ 13 SGB XI). Insofern ist die Pflegeversicherung nur sekundär leistungspflichtig. Zu beachten ist, dass die Anforderungen nach § 44 SGB VII, § 35 BVG und § 71 ff. SGB XIV sich von denjenigen des SGB XI unterscheiden. „Pflegebedürftigkeit“ (SGB XI) ist also nicht identisch mit „Hilfsbedürftigkeit“ (§ 44 SGB VII), nicht mit „hilflos“ (§ 35 BVG) und nicht mit „Pflegebedürftigkeit“ (§ 71 SGB XIV).
Ebenso wie gesetzlich Krankenversicherte einen Anspruch auf ärztliche Behandlung nur durch Vertragsärzte haben, dürfen pflegerische Leistungen nur bei Leistungserbringern in Anspruch genommen werden, mit denen die Pflegekassen oder die für sie tätigen Verbände Verträge abgeschlossen haben (§ 29 Abs. 2 SGB XI). Innerhalb der vertraglich verbundenen Leistungsanbieter besteht für Pflegebedürftige die freie Wahl (§ 2 Abs. 2 SGB XI). Regelungen zur Zulassung von Leistungserbringern, zu den von diesen zu erbringenden Voraussetzungen und möglichen Rechtsmitteln gegen eine Ablehnung der Zulassung finden sich in den §§ 112 bis 120 SGB XI. Es stehen sich also Leistungserbringer und Pflegekassen gegenüber, wobei das gemeinsame Ziel die Sicherstellung des Pflegeauftrags ist.
Der Spitzenverband Bund der Krankenkassen übernimmt die Aufgaben des Spitzenverbands Bund der Pflegekassen (§ 53 SGB XI). Seit dem 1. Juli 2008 hat der aufgrund des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes errichtete Spitzenverband Bund der Krankenkassen (GKV-Spitzenverband) gesetzliche Aufgaben der vorher bestehenden sieben Spitzenverbände der Krankenkassen übernommen. Er ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und untersteht der Aufsicht des Bundesministeriums für Gesundheit. Er übernimmt alle wettbewerbs-neutralen Aufgaben der Pflegekassen – z. B. vertritt er die Interessen der Pflegekassen gegenüber der Politik. Er definiert Bewertungskriterien zur Qualität von Pflegeeinrichtungen usw. Die vom GKV-Spitzenverband abgeschlossenen Verträge und seine sonstigen Entscheidungen gelten für alle Pflegekassen, deren Landesverbände und somit mittelbar für alle gesetzlich Versicherten.
In allen pflegerischen Fragen wird der GKV-Spitzenverband beraten durch den Medizinischen Dienst Bund. Dieser wurde am 01.01.2022 errichtet auf der Grundlage des „MDK-Reformgesetzes“, das am 01.01.2020 in Kraft trat. Bis Ende 2021 war es die Aufgabe des GKV-Spitzenverbands, Pflege-Begutachtungs-Richtlinien zu erlassen. Ab dem 01.01.2022 wurde diese Aufgabe dem Medizinischen Dienst Bund übertragen (§§ 17/53d SGB XI). Die aktuelle Fassung der Pflege-Begutachtungs-Richtlinien des GKV-Spitzenverbands zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit bleibt solange in Kraft, bis der Medizinische Dienst Bund eine überarbeitete Fassung der Richtlinie erlässt.
Verblieben ist jedoch beim GKV-Spitzenverband die Zuständigkeit zum Erlass der Richtlinien zur einheitlichen Durchführung der Pflegeberatung nach § 7a SGB XI (Pflegeberatungs-Richtlinie; §17 SGB XI).
Der Spitzenverband Bund der Pflegekassen hat zum 31. Dezember 2022 eine Geschäftsstelle eingerichtet (§ 82c Abs. 6 SGB XI). Diese unterstützt die Landesverbände in allen Fragen, die mit der Beschäftigung von Pflegekräften in Zusammenhang stehen.
Die Schiedsstelle (§ 76 Abs. 1, Satz 1 SGB XI), der durch das Pflegestärkungsgesetz II Entscheidungskompetenz zugewiesen wurde, entscheidet in Fällen, in denen zwischen Trägern von ambulanten Diensten und vollstationären Pflegeeinrichtungen einerseits und Pflegekassen sowie Trägern der Sozialhilfe andererseits im Verhandlungswege keine Einigung erzielt wird, z. B. über Pflegesatzvereinbarungen. Entscheidungen der Schiedsstelle sind für die am Schiedsverfahren Beteiligten von großer Bedeutung. Sie sind nur begrenzt gerichtlich angreifbar.
BSG, Urteil vom 26.09.2019 – B 3 P 1/18 R
„Einer paritätisch und sachkundig besetzten Schiedsstelle kommt – nach ständiger Rechtsprechung aller mit Schiedsverfahren befassten Senate des BSG – bei ihrer Entscheidungsfindung grundsätzlich ein weitreichender Beurteilungsspielraum zu, der nur einer eingeschränkten gerichtlichen Kontrolle zugänglich ist.“ „Deshalb dürfen die Landessozialgerichte – auch wenn sie den Schiedsspruch wegen Rechtswidrigkeit aufheben – die Pflegesätze und Entgelte in der Regel nicht selbst festsetzen, sondern haben die Sache an die Schiedsstelle zur Herbeiführung eines rechtmäßigen neuen Schiedsspruchs zurückzugeben. Trotz ihres weitreichenden Beurteilungsspielraums hat die Schiedsstelle zwingendes Gesetzesrecht verfahrensrechtlicher und auch materiellrechtlicher Art zu beachten. Der Schiedsspruch muss in einem fairen Verfahren auf der Basis eines hinreichend ermittelten Sachverhalts ergehen und sich innerhalb der Grenzen des Beurteilungsspielraums halten.“ „Die Grenzen des Beurteilungsspielraums ergeben sich aus den jeweiligen spezialgesetzlichen Vorgaben.“
Der sogenannte Ausgleichsfond, gebildet aus Beiträgen aus Rentenzahlungen, von den Pflegekassen überwiesenen Überschüssen (§ 64 Abs. 4 SGB XI) und vom Gesundheitsfond überwiesenen Beiträge der Versicherten (§ 65 Abs. 1 Nr. 3 SGB XI), wird verwaltet vom Bundesamt für Soziale Sicherung. Er dient der Durchführung des Finanzausgleichs zwischen den Pflegekassen (§§ 67, 68 SGB XI).
Die Prüfung der Frage, ob die Voraussetzungen der Pflegebedürftigkeit erfüllt sind und welcher Pflegegrad vorliegt (§ 18 SGB XI), wird im Auftrag der Pflegekassen durchgeführt durch den Medizinischen Dienst, eine Körperschaft des öffentlichen Rechts, der von den Pflegekassen unabhängig ist, bzw. durch andere unabhängige Gutachter.
Beschwerdestelle für Pflegebedürftige oder deren Angehörige ist das Bundesamt für Soziale Sicherung in Bezug auf die bundesunmittelbaren Pflegekassen – z. B. die Technikerkrankenkasse und die Barmer Ersatzkasse. Dies gilt nicht für die Postbeamtenkasse. Dort übt die Aufsicht die Bundesanstalt für Post und Telekomunikation aus und die Pflegekasse der Bundesbahnbeamten. Dort ist das Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur zuständig. Für die landesunmittelbaren Pflegekassen sind dies die Gesundheits- bzw. Sozialministerien der Länder.
Die Mehrzahl der Beschwerden wird die Tätigkeit des von den Pflegekassen unabhängigen Medizinischen Dienstes bzw. der unabhängigen Gutachter betreffen. Dazu hat der Medizinische Dienst eine eigene Beschwerdestelle eingerichtet, wobei letztlich die Aufsichtsbehörden der Länder zuständig sind. Möglich ist aber auch, sich an die vom Medizinischen Dienst unabhängige Ombudsperson zu wenden.

Finanzierung der Sozialen Pflegeversicherung

Da zum Zeitpunkt der Einführung der Pflegeversicherung am 01.01.1995 keine Rücklagen vorhanden waren, trat diese zunächst in zwei Stufen in Kraft. Ab 01.01.1995 bestand im Rahmen der 1. Stufe zwar Beitragspflicht, jedoch konnten hier noch keinerlei Leistungen abgerufen werden. Ab dem 01.04.1995 konnten dann Leistungen für häusliche Pflege geltend gemacht werden. Im Rahmen der 2. Stufe bestand ab dem 01.07.1996 ein Anspruch auf Leistungen bei stationärer Pflege. Ab diesem Zeitpunkt wurde auch der Beitragssatz von – seit dem 01.01.1995 – 1,0 % auf 1,7 % erhöht. Zwischenzeitlich, ab dem 01.01.2022, beträgt der Beitragssatz 3,05 % des Bruttoeinkommens, für Kinderlose ab 23 Jahren 3,4 % (§ 55 SGB XI).
Getragen wird der Beitrag von Arbeitnehmern und Arbeitgebern je zur Hälfte, mit Ausnahme des Zuschlags bei Kinderlosigkeit, der nur vom Arbeitnehmer zu tragen ist. Die Mehrbelastung der Arbeitgeber durch ihren Anteil an der Pflegeversicherung wird ab dem 01.01.1995 dadurch kompensiert, dass die Arbeitsbefreiung am Buß- und Bettag entfällt, was jedoch nicht für das Land Sachsen zutrifft. Dort zahlen die Arbeitnehmer deshalb einen um 0,5 % höheren Beitrag zur Pflegeversicherung, die Arbeitgeber entsprechend weniger (§ 58 SGB XI). „ Die Beiträge aus der Rente der gesetzlichen Rentenversicherung sind von den Mitgliedern allein zu tragen“ (§ 59 Abs. 1 Satz 2 SGB XI).
Durch Beschluss vom 07.04.2022 (1 BvL 3/18, 1 BvR 2824/17, 1 BvR 2257/16, 1 BvR 717/16) hat das Bundesverfassungsgericht § 55 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 Sätze 1 und 2 („Beitragssatz, Beitragsbemessungsgrenze“) sowie § 57 Abs. 1 SGB XI („Beitragspflichtige Einnahmen“) für verfassungswidrig erklärt und den Gesetzgeber verpflichtet, bis zum 31.07.2023 eine Neuregelung zu treffen. Es hat einen Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) darin gesehen, dass keine Beitragsdifferenzierung in Abhängigkeit von der Kinderzahl im SGB XI vorgesehen ist. Der zusätzliche Erziehungsmehraufwand bei einer anwachsenden Kinderzahl finde im Bereich der Pflegeversicherung – anders als im Bereich der gesetzlichen Krankenversicherung und der gesetzlichen Rentenversicherung – keinen Ausgleich. Er müsse deshalb bei der Berechnung des Beitrags Berücksichtigung finden. Keinen Verstoß gegen den Gleichheitssatz sah das Bundesverfassungsgericht dagegen im Beitragszuschlag für Kinderlose, da Versicherte mit Kindern neben dem Geldbetrag (Versicherungsbeitrag) einen zusätzlichen Beitrag zur Funktion des Sozialsystems leisten würden, der bei Kinderlosigkeit auszugleichen sei (Urteil vom 03.04.2001 – 1 BvR 2014/95). Durch das Pflegeunterstützungs- und -entlastungsgesetz (PUEG), das zum 01.01.2024 in Kraft getreten ist, wurde die Beitragspflicht insgesamt neu geregelt und dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts entsprochen.
Mit Blick auf den ab dem Jahr 2036 aufgrund der demografischen Entwicklung zu erwartenden größeren Zufluss pflegebedürftiger Menschen in die Pflege – von den geburtenstarken Jahrgänge 1959 bis 1967 erreichen die ersten das 75. Lebensjahr, ein Alter ab dem vermehrt Pflegebedarf zu erwarten ist –, wurde mit dem „Pflegestärkungsgesetz I“ zum 01.01.2015 bei der Bundesbank ein Pflegevorsorgefond eingerichtet (§ 131 bis 139 SGB XI). In diesem Pflegevorsorgefonds wird ein Anteil von 0,1 Prozentpunkten der Pflegeversicherungsbeiträge pro Jahr angelegt. Aktuell sind dies etwa 1,2 Mrd. € pro Jahr. Über einen Zeitraum von 20 Jahren soll so Geld angespart werden, um danach zu erwartende Beitragssteigerungen abzumildern.

Formale Leistungsvoraussetzungen der Sozialen Pflegeversicherung

Leistungen der Sozialen Pflegeversicherung bedürfen – anders als grundsätzlich Leistungen der Gesetzlichen Krankenversicherung – eines Antrags, der bei der zuständigen Pflegekasse zu stellen ist (§ 33 Abs. 1 Satz 1 SGB XI). Das ist die der gesetzlichen Krankenkasse zugeordnete Pflegekasse, deren Mitglied der gesetzlich Versicherte ist. Die Pflegekasse hat innerhalb 25 Arbeitstagen über einen Antrag per Verwaltungsakt schriftlich zu entscheiden. Überschreitet sie diese Frist, hat sie „nach Fristablauf für jede begonnene Woche der Fristüberschreitung unverzüglich 70 € an den Antragsteller zu zahlen. Dies gilt nicht, wenn die Pflegekasse die Verzögerung nicht zu vertreten hat“ (§ 18c Abs. 5 SGB XI). Durch diese Frist sollen pflegebedürftige Menschen und ihre Angehörigen eine schnelle Entscheidung über die von ihnen beantragten Leistungen erhalten, um die Pflege zeitnah organisieren zu können. Dies erfordert die enge Zusammenarbeit zwischen Pflegekasse und MDK, von dem die Begutachtung in aller Regel durchzuführen ist, sowie die Mitwirkung der antragstellenden Person.
Anträge stellen können im Sozialrecht, wer das 15. Lebensjahr vollendet hat, also ab 16 Jahre (§ 36 Abs. 1 Satz 1 SGB I).
Leistungen werden erst ab Antragstellung erbracht (§ 33 Abs. 1 Satz 2 SGB XI), also nicht rückwirkend. Erhöht sich demgegenüber der Pflegegrad bei bereits bestehender Pflegebedürftigkeit oder verringert sich dieser, können die Auswirkungen rückwirkend erfolgen.
§ 48 Abs. 2 Satz 2 SGB X Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse:
Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit
1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
 
2.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
 
Um die strengen Voraussetzungen des § 48 SGB X zu vermeiden, ist eine Befristung der Zuordnung zu einem Pflegegrad und der Bewilligung von Leistungen möglich – und zwar bis zu einem Zeitraum von 3 Jahren (§ 33 Abs. 1 Satz 3 SGB XI). Vor Ablauf der Befristung hat die Pflegekasse zu prüfen, ob Pflegeleistungen weiterhin bewilligt werden und welchem Pflegegrad der Pflegebedürftige zuzuordnen ist. Sie hat das Ergebnis sowohl dem Pflegebedürftigen als auch der Pflegeeinrichtung mitzuteilen. Besteht kein Einverständnis mit der Entscheidung der Pflegekasse und läuft die Befristung ab, ist ein neuer Antrag zu stellen.
Leistungen der Sozialen Pflegeversicherung erhält nur, wer in den letzten zehn Jahren mindestens zwei Jahre versichert war. (§ 33 Abs. 2 SGB XI) Wechselt ein zuvor Privatversicherter wegen Eintritts der Versicherungspflicht in die Soziale Pflegeversicherung, wird die vorhergehende ununterbrochene Versicherungszeit in der Privaten Pflegeversicherung angerechnet (§ 33 Abs. 3 SGB XI).

Begriff der Pflegebedürftigkeit

Leistungen nach dem SGB XI hängen von der „Pflegebedürftigkeit“ ab. Dies ist der zentrale Begriff der Pflegeversicherung. Es war das Ziel des „zweiten Gesetz zur Stärkung der pflegerischen Versorgung und zur Änderung weiterer Vorschriften“ (Zweites Pflegestärkungsgesetz), in Kraft getreten am 01.01.2016, diesem Begriff einen sachgerechten, der Situation der Pflegebedürftigen angemessenen Inhalt zu geben. Die „Stärkung“ der pflegerischen Versorgung konnte jedoch erst zusammen mit der Änderung der Begutachtungsrichtlinien, die den Begriff umsetzen müssen, am 01.01.2017 in Kraft treten, da der Medizinische Dienst das neue Begutachtungsverfahren zunächst testen musste, um die Regelungen umsetzen zu können.
Bis zum 31.12.2016 lag ein enges Verständnis von Pflegebedürftigkeit vor. Es galten solche Personen als pflegebedürftig, „die wegen einer körperlichen, geistigen oder seelischen Krankheit oder Behinderung für die gewöhnlichen und regelmäßig wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens auf Dauer […] in erheblichem oder höherem Maße der Hilfe bedürfen“. Anspruch auf Leistungen der Pflegeversicherung setzten demnach voraus, das krankheits- oder behinderungsbedingt der Pflegebedürftige Alltagsverrichtungen – „Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens“, wie Nahrungsaufnahme, Körperpflege, Mobilität, hauswirtschaftliche Versorgung – nicht mehr selbst ausführen konnte. Dies waren die Voraussetzungen, von denen die Begutachtungsrichtlinien ausgingen und die im Rahmen der Begutachtung abgefragt wurden und umzusetzen waren. Die Kritik an diesem Begriff der Pflegebedürftigkeit und damit an den Begutachtungsrichtlinien betraf vor allem folgende Punkte:
  • Der Pflegebedürftigkeitsbegriff sei defizitorientiert. Er ziele nicht auf die Erhaltung der Selbstständigkeit und auf die Bewältigung von Einbußen ab.
  • Die minutengenaue Erfassung von Pflegebedarf und die davon abhängende Einstufung in eine Pflegestufe sei unwürdig und entspreche der Defizitorientiertheit des Menschenbilds.
  • Demenzkranke würden nicht ausreichend berücksichtigt, die zwar im Rahmen der „wiederkehrenden Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens“ oft wenig Auffälligkeiten zeigen, die jedoch ständiger Aufsicht und Anleitung bedürften.
Da die Zahl der Demenzkranken infolge der alternden Bevölkerung stetig zunimmt, wurden diese Defizite zunehmend auffälliger. Dennoch dauerte es bis zum 01.01.2017, bis die Politik mit dem 1., vor allem aber mit dem 2. Pflegestärkungsgesetz, die nachfolgende Änderung herbeiführte und in Begutachtungsrichtlinien umsetzte.
§ 14 SGB XI Begriff der Pflegebedürftigkeit
(1)
Pflegebedürftig im Sinne dieses Buches sind Personen, die gesundheitlich bedingte Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten aufweisen und deshalb der Hilfe durch andere bedürfen. Es muss sich um Personen handeln, die körperliche, kognitive oder psychische Beeinträchtigungen oder gesundheitlich bedingte Belastungen oder Anforderungen nicht selbstständig kompensieren oder bewältigen können. Die Pflegebedürftigkeit muss auf Dauer, voraussichtlich für mindestens sechs Monate, und mit mindestens der in § 15 festgelegten Schwere bestehen.
 
(2)
Maßgeblich für das Vorliegen von gesundheitlich bedingten Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten sind die in den folgenden sechs Bereichen genannten pflegefachlich begründeten Kriterien:
1.
Mobilität: Positionswechsel im Bett, Halten einer stabilen Sitzposition, Umsetzen, Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs, Treppensteigen;
 
2.
Kognitive und kommunikative Fähigkeiten: Erkennen von Personen aus dem näheren Umfeld, örtliche Orientierung, zeitliche Orientierung, Erinnern an wesentliche Ereignisse oder Beobachtungen, Steuern von mehrschrittigen Alltagshandlungen, Treffen von Entscheidungen im Alltagsleben, Verstehen von Sachverhalten und Informationen, Erkennen von Risiken und Gefahren, Mitteilen von elementaren Bedürfnissen, Verstehen von Aufforderungen, Beteiligen an einem Gespräch;
 
3.
Verhaltensweisen und psychische Problemlagen: Motorisch geprägte Verhaltensauffälligkeiten, nächtliche Unruhe, selbstschädigendes und autoaggressives Verhalten, Beschädigen von Gegenständen, physisch aggressives Verhalten gegenüber anderen Personen, verbale Aggression, andere pflegerelevante vokale Auffälligkeiten, Abwehr pflegerischer und anderer unterstützender Maßnahmen, Wahnvorstellungen, Ängste, Antriebslosigkeit bei depressiver Stimmungslage, sozial inadäquate Verhaltensweisen, sonstige pflegerelevante inadäquate Handlungen;
 
4.
Selbstversorgung: Waschen des vorderen Oberkörpers, Körperpflege im Bereich des Kopfes, Waschen des Intimbereichs, Duschen und Baden einschließlich Waschen der Haare, An- und Auskleiden des Oberkörpers, An- und Auskleiden des Unterkörpers, mundgerechtes Zubereiten der Nahrung und Eingießen von Getränken, Essen, Trinken, Benutzen einer Toilette oder eines Toilettenstuhls, Bewältigen der Folgen einer Harninkontinenz und Umgang mit Dauerkatheter und Urostoma, Bewältigen der Folgen einer Stuhlinkontinenz und Umgang mit Stoma, Ernährung parenteral oder über Sonde, Bestehen gravierender Probleme bei der Nahrungsaufnahme bei Kindern bis zu 18 Monaten, die einen außergewöhnlich pflegeintensiven Hilfebedarf auslösen;
 
5.
Bewältigung von und selbstständiger Umgang mit krankheits- oder therapiebedingten Anforderungen und Belastungen:
a)
in Bezug auf Medikation, Injektionen, Versorgung intravenöser Zugänge, Absaugen und Sauerstoffgabe, Einreibungen sowie Kälte- und Wärmeanwendungen, Messung und Deutung von Körperzuständen, körpernahe Hilfsmittel,
 
b)
in Bezug auf Verbandswechsel und Wundversorgung, Versorgung mit Stoma, regelmäßige Einmalkatheterisierung und Nutzung von Abführmethoden, Therapiemaßnahmen in häuslicher Umgebung,
 
c)
in Bezug auf zeit- und technikintensive Maßnahmen in häuslicher Umgebung, Arztbesuche, Besuche anderer medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, zeitlich ausgedehnte Besuche medizinischer oder therapeutischer Einrichtungen, Besuch von Einrichtungen zur Frühförderung bei Kindern sowie
 
d)
in Bezug auf das Einhalten einer Diät oder anderer krankheits- oder therapiebedingter Verhaltensvorschriften;
 
 
6.
Gestaltung des Alltagslebens und sozialer Kontakte: Gestaltung des Tagesablaufs und Anpassung an Veränderungen, Ruhen und Schlafen, sich beschäftigen, Vornehmen von in die Zukunft gerichteten Planungen, Interaktion mit Personen im direkten Kontakt, Kontaktpflege zu Personen außerhalb des direkten Umfelds.
 
 
Begutachtet werden also 6 Bereiche (Module). Diese erlauben die umfassende Erfassung aller relevanten Gesichtspunkte der Pflegebedürftigkeit, unabhängig davon, ob diese auf einer körperlichen oder psychischen Beeinträchtigung beruht oder ob die Fähigkeit des Menschen beeinträchtigt ist, die Umwelt zu erfassen, mit dieser Kontakt aufzunehmen und sich entsprechend zu verhalten.
Die Einstufung erfolgt – für alle antragstellenden Personen in gleicher Weise – in 5 Pflegegrade (§ 15 Abs. 3 SGB XI). Maßgeblich für die Einstufung ist der Grad der Selbstständigkeit einer Person in allen 6 pflegerelevanten Modulen.
Bis Ende 2021 war es die Aufgabe des GKV-Spitzenverbands, Pflege-Begutachtungs-Richtlinien – nicht zu verwechseln mit Pflegeleitlienien, die den Standard der Pflege betreffen und nicht die Begutachtung des Pflegebedürftigen – auszuarbeiten, die dann dem Bundesministerium für Gesundheit zur Genehmigung vorgelegt wurden. Die aktuell gültigen „Richtlinien der Pflegebegutachtung“ datieren vom 22.03.2021 und sind seit dem 17.05.2021 in Kraft. Ab dem 01.01.2022 wurde die Aufgabe des GKV-Spitzenverbands dem Medizinischen Dienst Bund übertragen (§§ 17/53d SGB XI). Die aktuell geltende Fassung der „Richtlinien der Pflegebegutachtung“ des GKV-Spitzenverbands zur Feststellung von Pflegebedürftigkeit kann im Internet abgerufen werden. Sie bleibt solange in Kraft, bis der Medizinische Dienst Bund eine überarbeitete Fassung der Richtlinien erlässt. Sie hat die Richtlinie vom 15.04.2016, gültig ab dem 01.01.2017, die in Teilbereichen erweitert/verbessert wurde, ersetzt. Umgesetzt wurden die Erfahrungen seit dem 01.01.2017. Die Änderungen betreffen vor allem die für den Pflegegrad relevanten Fähigkeiten der Betroffenen und ihre Selbstständigkeit in verschiedenen Lebensbereichen (Modulen). Die 6 Module (§ 14 SGB XI) wurden aus pflegefachlicher Sicht konkretisiert. Ihnen ist jeweils ein bestimmter Punktbereich zugeordnet. Die Addition der „Punktbereiche“, die wiederum in Kategorien unterteilt sind, ergibt dann den Pflegegrad, wobei zu den Einzelheiten auf § 15 SGB XI Bezug genommen werden darf und auf die Anlagen 1 und 2 zu § 15 SGB XI, die die genaue Umsetzung vorgeben.
Die „Richtlinien der Pflegebegutachtung“ (derzeit 253 Seiten Umfang), die im Interesse der schutzwürdigen Versicherten sehr detailliert sind, geben verbindliche Vorgaben zur Vorbereitung eines Begutachtungstermins, der Durchführung möglichst in den eigenen vier Wänden des zu Begutachtenden, zu den Beteiligten, zu deren Rechtsstellung, zu der Art von Gutachten, zur Gliederung eines Gutachtens, zu den zu berücksichtigenden Vorbefunden, zur Erhebung der aktuellen Befunde, zu deren Zuordnung zu den pflegerelevanten Modulen des § 14 SGB XI usw. Ihre Wirksamkeit ist abhängig von der Genehmigung durch das zuständige Bundesministerium.

Pflegebedürftigkeit bei Kindern

Die Feststellung der Pflegebürftigkeit von Kindern – der Begriff Kind gilt bis zur Vollendung des 18. Lebensjahrs –, folgt im Grundsatz derjenigen von Erwachsenen. Die besonderen Schwierigkeiten der Begutachtung pflegebedürftiger Kinder sind in § 15 Abs. 6 und Abs. 7 SGB XI jedoch nur unzureichend berücksichtigt. Der wesentliche Unterschied, auf den das SGB XI abstellt, liegt darin, dass allein die Abweichung von der sich anbahnenden Selbstständigkeit und den Fähigkeiten altersentsprechend entwickelter Kinder maßgeblich für die Einstufung sind. Erforderlich ist ein Vergleich mit einem altersentsprechend entwickelten Kind.
Dieser von § 15 Abs. 6 SGB XI geforderte Vergleich mit altersentsprechenden Kindern ist aber deshalb problematisch, weil die kindliche Entwicklung hoch variabel ist. Sie verläuft nicht im Sinne einer aufsteigenden Linie, sondern wellenartig. Ein Kind entwickelt sich nicht langsam oder schnell. So kann z. B. die motorische Entwicklung schnell vorangehen, die sprachliche aber ausgesprochen langsam. Entwicklungsschritte werden übersprungen. Nicht alle Kinder krabbeln. Erlernte Schritte werden wieder aufgegeben. Kinder laufen nicht, obwohl sie es könnten. Sie demonstrieren ihre Fähigkeiten nicht. Unterschiedliche Kulturkreise zeigen unterschiedliche kindliche Entwicklungsschritte, da die Motivation unterschiedliche Ziele verfolgt. Es besteht das hohe Risiko, Kinder falsch einzustufen, weil gerade ein Entwicklungsschritt im Vordergrund steht oder vom Kind besonders demonstriert wird. Entsprechend richtet sich die sogenannte altersentsprechende Entwicklung nicht nach Durchschnittswerten, sondern danach, wann die große Zahl aller Kinder, ca. 90 %, bestimmte Entwicklungsschritte vollzogen hat. Zur Beantwortung der Frage, welche der im Begutachtungsinstrument enthaltenen Fähigkeiten in welchem Alter vorliegen beziehungsweise bei welchen Handlungen/Aktivitäten Selbständigkeit vorliegt, nehmen die Pflegebegutachtungs-Richtlinien Bezug auf umfangreiche Literaturrecherchen und Analysen, die es ermöglichen, eine auf empirischen Untersuchungen basierende Aussage zu treffen, ab welchem Alter die entsprechende Aktivität üblicherweise selbstständig von einem Kind durchgeführt wird beziehungsweise die entsprechende Fähigkeit ausgebildet ist.
Auszugehen ist grundsätzlich von den 6 pflegerelevanten Modulen (§ 14 Abs. 2 SGB XI). Das Modul 1, „Mobilität“, in dem ausschließlich motorische Fähigkeiten erfragt sind, dessen Ausführung beispielhaft aufgezeigt wird, ist in 5 „Items“ (Funktionsbereiche) aufgeteilt:
  • Positionswechsel im Bett
  • stabile Sitzposition
  • Aufstehen aus sitzender Position/Umsetzen
  • Fortbewegen innerhalb des Wohnbereichs
  • Treppensteigen
Diesen „Items“ (Funktionen) werden bestimmte Altersstufen zugeordnet, zu denen 90 % der Kinder diese ausführen können. Je nach Funktionsverlust ergeben sich Punktzahlen, aus denen dann der Pflegegrad ermittelt wird.
Kinder im Alter bis zu 18 Monaten werden einen Pflegegrad höher eingestuft als Erwachsene mit der gleichen Punktzahl (§ 15 Abs. 7 SGB XI).

Pflegeberatung

§ 17 SGB XI Richtlinien der Pflegekassen
(1a) Der Spitzenverband Bund der Pflegekassen erlässt unter Beteiligung des Medizinischen Dienstes Bund Richtlinien zur einheitlichen Durchführung der Pflegeberatung nach § 7a (Pflegeberatungs-Richtlinien).
Satz 5: Die Pflegeberatungs-Richtlinien sind für die Pflegeberater und Pflegeberaterinnen der Pflegekassen, der Beratungsstellen nach § 7b Absatz 1 Satz 1 Nummer 2 sowie der Pflegestützpunkte nach § 7c unmittelbar verbindlich.
Die Pflegeberatung verbleibt beim Spitzenverband der Pflegekassen. Die für die Beratung maßgeblichen Richtlinien sind für beratende Stellen verbindlich, wobei deren Genehmigung durch das Bundesministerium für Gesundheit Voraussetzung ist – wie zu den Pflegebegutachtungsrichtlinien (§ 17 Abs. 2 SGB XI).
Nachfolgend darf zitiert werden aus den „Richtlinien des GKV-Spitzenverbands zur einheitlichen Durchführung der Pflegeberatung nach § 7a SGB XI vom 7. Mai 2018 (Pflegeberatungs-Richtlinien), geändert durch Beschluss vom 20.12.2021“:
„Der mit dem Pflege-Weiterentwicklungsgesetz eingeführte § 7a SGB XI normiert einen Anspruch auf eine umfassende individuelle Pflegeberatung im Sinne eines Fallmanagements. Seit dem 01.01.2009 haben Personen, die Leistungen der Pflegeversicherung erhalten sowie Personen, die einen Antrag auf Pflegeleistungen gestellt und erkennbar einen Hilfe- und Beratungsbedarf haben, einen Anspruch auf eine individuelle Pflegeberatung nach § 7a SGB XI.“
Definition der Pflegeberatung
Die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI ist eine individuelle und umfassende Beratung und Hilfestellung durch eine Pflegeberaterin oder einen Pflegeberater bei der Auswahl sowie Inanspruchnahme von bundes- oder landesrechtlich vorgesehenen Sozialleistungen und sonstigen Hilfsangeboten, die auf die Unterstützung von Menschen mit Pflege-, Versorgungs- und Betreuungsbedarf ausgerichtet sind. Die Pflegeberatung nach § 7a SGB XI dient dem Zweck, eine angemessene sowie erforderliche Pflege, Betreuung, Behandlung, Unterstützung und Versorgung zu erreichen und zu sichern. Die Pflegeberatung ist ein Prozess: Die Pflegeberaterin oder der Pflegeberater soll den individuellen Hilfe- und Unterstützungsbedarf ermitteln, bedarfsentsprechend beraten, einen Versorgungsplan erstellen, auf die erforderlichen Maßnahmen und die weitere Umsetzung des Versorgungsplans hinwirken, den Versorgungsplan gegebenenfalls anpassen und Informationen über Leistungen zur Entlastung der Pflegepersonen vermitteln.
Anspruchsberechtigter Personenkreis
Einen Anspruch auf Pflegeberatung nach § 7a SGB XI haben Personen, die Leistungen nach dem SGB XI beziehen. Darüber hinaus besteht dieser schon dann, wenn ein Antrag auf Leistungen nach dem SGB XI gestellt wurde und erkennbar ein Hilfe- und Beratungsbedarf besteht oder der Bedarf einer Begutachtung zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit erklärt wurde. Auf Wunsch einer anspruchsberechtigten Person erfolgt die Pflegeberatung auch gegenüber ihren Angehörigen oder weiteren Personen oder unter deren Einbeziehung. Gemäß § 7b Absatz 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XI hat die Pflegekasse dem Antragsteller unmittelbar nach Eingang eines erstmaligen Antrages auf Leistungen nach dem SGB XI oder des erklärten Bedarfs einer Begutachtung zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit oder weiterer Anträge (siehe hierzu § 7b Absatz 1 Satz 1 und 5 SGB XI) einen Beratungstermin anzubieten, der spätestens innerhalb von zwei Wochen nach Antragseingang durchzuführen ist. Gemäß § 7 Absatz 2 Satz 3 SGB XI informiert die zuständige Pflegekasse die Versicherten unverzüglich nach Eingang eines Antrags auf Leistungen nach dem SGB XI insbesondere über ihren Anspruch auf die unentgeltliche Pflegeberatung nach § 7a SGB XI. Ist für die anspruchsberechtigte Person ein gesetzlicher Vertreter oder eine gesetzliche Vertreterin bestellt, kann auch dieser oder diese den Wunsch äußern, dass die Pflegeberatung gegenüber Angehörigen der anspruchsberechtigten Person oder weiteren Personen oder unter deren Einbeziehung erfolgen soll. Dazu zählen u. a. Freunde, Nachbarn, Kollegen, Ehrenamtliche.
Ziele der Pflegeberatung
Pflegeberaterinnen und Pflegeberater sollen ratsuchende Personen bei der möglichen Inanspruchnahme einer Vielzahl von Leistungen und Hilfen mit einer Beratung aus einer Hand befähigen, Entscheidungen entsprechend der individuellen Pflegesituation zu treffen. Die Ziele der Pflegeberatung sind demnach der Erhalt und die Stärkung der Selbstbestimmung und Selbstständigkeit sowie der Pflege- und Selbstpflegekompetenz der/des Anspruchsberechtigten, die passgenaue an der persönlichen Situation der/des Anspruchsberechtigten ausgerichtete Versorgung, die Entlastung Angehöriger und weiterer Personen z. B. bei der Unterstützung in der häuslichen Pflege Beteiligter und damit auch die Sicherung und Stabilisierung des häuslichen Pflegearrangements. Weitere wesentliche Ziele sind je nach Bedarfslage der anspruchsberechtigten Person das Herausarbeiten von Möglichkeiten, um Krisensituationen zu bewältigen und etwaige Versorgungsdefizite zu mindern, zu beheben und vorzubeugen. Die Ziele sollen erreicht werden, indem die Pflegeberaterin oder der Pflegeberater die Fragen der ratsuchenden Person gemeinsam mit dieser klärt und die Inhalte der Pflegeberatung anhand des zu ermittelnden Hilfe- und Unterstützungsbedarfs gemeinsam mit der ratsuchenden Person erörtert. Dadurch können Lösungen geschaffen werden, die individuell auf die jeweilige Lebenslage der/des Anspruchsberechtigten abgestimmt sind. Wesentlich für die Umsetzung der Ziele ist eine gute Vernetzung der Pflegeberaterinnen und Pflegeberater mit den regionalen Versorgungs-, Betreuungs- und Beratungsanbietern.
Beratungsverständnis
Die Pflegeberatung erfolgt insbesondere
  • im gegenseitigen Einvernehmen.
Die ratsuchende Person und die Pflegeberaterin oder der Pflegeberater sind während des gesamten Beratungsprozesses einig über die Zusammenarbeit. Die Inanspruchnahme der Pflegeberatung ist
  • freiwillig, neutral und unabhängig.
Die Pflegeberaterin oder der Pflegeberater berät die ratsuchende Person ohne eigene Interessen und ohne jede einflussnehmende Tendenz zur Inanspruchnahme bestimmter Hilfe- und Unterstützungsleistungen. Wird in den Richtlinien im Folgenden der Begriff „ratsuchende Person“ verwendet, erfasst dieser sowohl die anspruchsberechtigten Personen als auch ihre Angehörigen oder weitere Personen. „Sofern ein gesetzlicher Vertreter oder eine gesetzliche Vertreterin bestimmt ist, erfolgt die Pflegeberatung einvernehmlich zwischen diesem/dieser und der Pflegeberaterin oder dem Pflegeberater.
  • unter Berücksichtigung und Stärkung der Selbstbestimmung.
Im Rahmen des Beratungsprozesses soll die/der Anspruchsberechtigte und auf ihren/seinen Wunsch Angehörige und weitere Personen in die Lage versetzt werden, aus den verschiedensten Angeboten unterschiedlicher Träger die für sie/ihn am besten passenden Leistungsangebote/Angebote nach ihren/seinen Bedarfen und Bedürfnissen zusammenstellen zu können.
  • bedarfsgerecht sowie bedürfnis- und ressourcenorientiert.
Die Pflegeberaterin oder der Pflegeberater orientiert sich an den gemeinsam ermittelten Bedarfen der ratsuchenden Person. Die Bedürfnisse der ratsuchenden Person sowie dessen persönliche und strukturelle Ressourcen sind stets zu berücksichtigen.
  • verständlich.
Die Pflegeberaterin oder der Pflegeberater soll sich bei der Beratung am Wissen und an den Erfahrungen der ratsuchenden Person orientieren und diese verständlich gestalten. Erforderlich ist eine Beratung mit einer an das jeweilige Sprachverständnis angepassten Ausdrucksweise. Die Pflegeberaterin oder der Pflegeberater soll hierfür auch auf Informationsmaterialien in unterschiedlichen Sprachen sowie in leichter Sprache hinweisen oder die ratsuchende Person bitten, bei der Pflegeberatung die Anwesenheit einer Person sicherzustellen, die beim Übersetzen behilflich ist.
  • angepasst an den biographischen und kulturellen Hintergrund.
Pflegeberaterinnen und Pflegeberater haben den biographischen und kulturellen Hintergrund der ratsuchenden Person sowie einen möglichen kulturspezifischen Umgang mit Pflegebedürftigkeit, familiäre Strukturen oder besondere Bräuche und Traditionen bei der Beratung zu berücksichtigen.“
Zu dem, worüber beraten werden kann, soll und muss, darf auf die „Richtlinien des GKV-Spitzenverbandes zur einheitlichen Durchführung der Pflegeberatung nach § 7a SGB XI vom 7. Mai 2018 (Pflegeberatungs-Richtlinien), geändert durch Beschluss vom 20.12.2021“ verwiesen werden, sowie auf die im SGB XI ausführlich aufgeführten Leistungen der Pflegekassen.

Rehabilitation vor Pflege

§ 31 SGB XI Vorrang der Rehablitation vor Pflege
(1)
Die Pflegekassen prüfen im Einzelfall, welche Leistungen zur medizinischen Rehabilitation und ergänzenden Leistungen geeignet und zumutbar sind, Pflegebedürftigkeit zu überwinden, zu mindern oder ihre Verschlimmerung zu verhüten.
 
Der Vorrang der Rehabilitation hat zum Ziel, Pflegebedürftigkeit zu verhindern und den Versicherten möglichst in seiner Häuslichkeit zu belassen oder, wenn dies nicht möglich ist, ihm ein selbstständiges Leben in einer Pflegeeinrichtung zu ermöglichen. Auch hier gilt ambulant vor stationär. Die Pflegekassen selbst erbringen nur im Eilfall Leistungen zur Rehabilitation. Im Übrigen informieren sie den zuständigen Träger (§ 32 SGB XI). Ihnen obliegt jedoch im Rahmen der Begutachtung die Beurteilung, ob rehabilitative Maßnahmen möglich und notwendig sind. Rehabilitative Maßnahmen können z. B. ausgeschlossen sein bzw. nicht Erfolg versprechend sein durch einen ausgeprägten Dekubitus, durch fehlende Mitwirkungsmöglichkeit infolge einer Demenzerkrankung oder einer Depression, durch einen bevorstehenden Krankenhausaufenthalt oder durch die Tatsache, dass realistische Möglichkeiten zur Verbesserung nicht gegeben sind.
Die Richtlinien des GKV-Spitzenverbands sehen im „Anhang zum Gutachten“ „Formulare für Gesonderte Präventions- und Rehabilitationsempfehlung“ „für Erwachsene auf der Basis der Informationen der Pflegebegutachtung nach SGB XI“ sowie „für Kinder und Jugendliche bis 18 Jahre auf der Basis der Informationen aus der Pflegebegutachtung nach SGB XI“ vor, sodass die Frage, ob rehabilitative Maßnahmen möglich sind, im Blick gehalten wird.

Die Private Pflegeversicherung

Die Private Pflegeversicherung/Pflegepflichtversicherung beruht ebenfalls auf dem SGB XI (Soziale Pflegeversicherung).
§ 1 Abs. 2, Satz 2 SGB XI: „Soziale Pflegeversicherung“
„Wer gegen Krankheit bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert ist, muss eine private Pflegeversicherung abschließen.“
§ 23 Abs. 1 Satz 1 und 2 SGB XI: „Versicherungspflicht für Versicherte der privaten Krankenversicherungsunternehmen“
(1)
„Personen, die gegen das Risiko Krankheit bei einem privaten Krankenversicherungs-unternehmen mit Anspruch auf allgemeine Krankenhausleistungen oder im Rahmen von Versicherungsverträgen, die der Versicherungspflicht nach § 193 Abs. 3 des Versicherungsvertragsgesetzes genügen, versichert sind, sind vorbehaltlich des Absatzes 2 verpflichtet, bei diesem Unternehmen zur Absicherung des Risikos der Pflegebedürftigkeit einen Versicherungsvertrag abzuschließen und aufrechtzuerhalten. Der Vertrag muss ab dem Zeitpunkt des Eintritts der Versicherungspflicht für sie selbst und ihre Angehörigen oder Lebenspartner, für die in der sozialen Pflegeversicherung nach § 25 eine Familienversicherung bestünde, Vertragsleistungen vorsehen, die nach Art und Umfang den Leistungen des Vierten Kapitels gleichwertig sind.“
 
Diese gesetzliche Verpflichtung zur Absicherung gegen das Risiko, pflegebedürftig zu werden, war zunächst hoch umstritten, weil es einen Eingriff in die Freiheitsrechte der Bürger bedeutete. Sie war Gegenstand der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 03.04.2001 (1 BvR 2014/95), das jedoch die Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz mit folgenden Leitsätzen feststellte:
1.
Die Vorschriften des Pflege-Versicherungsgesetzes (SGB XI) über die Verpflichtung privat Krankenversicherter zum Abschluss und zur Aufrechterhaltung privater Pflegeversicherungsverträge und über deren nähere inhaltliche Ausgestaltung sind durch die Gesetzgebungskompetenz des Art. 74 Abs. 1 Nr. 11 GG („privatrechtliches Versicherungswesen“) gedeckt.
 
2.
Der zur sozialpolitischen Gestaltung berufene Gesetzgeber durfte eine im Grundsatz alle Bürger erfassende Volksversicherung einrichten, um die für die Pflege hilfebedürftiger Menschen notwendigen Mittel auf der Grundlage einer Pflichtversicherung sicherzustellen.
 
3.
Der mit der gesetzlichen Verpflichtung zum Abschluss und zur Aufrechterhaltung eines privaten Pflegeversicherungsvertrages verbundene Eingriff in das Grundrecht der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG) ist verfassungsgemäß.
 
Der Entscheidung zugrunde lag die Klage einer privat Krankenversicherten, die die als „Volksversicherung“ organisierte Pflegeversicherung für unvereinbar hielt mit Art. 2 Abs. 1 GG:
(1)
„Jeder hat das Recht auf die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit, soweit er nicht die Rechte anderer verletzt und nicht gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder das Sittengesetz verstößt.“
 
Ein wesentliches Argument – neben der grundsätzlichen Verteidigung der Freiheitsrechte – war die im Jahr 2001 noch fehlende Krankenversicherungspflicht für „jede Person mit Wohnsitz im Inland“ (§ 193 Abs. 3 VVG), die erst mit dem Gesetzlichen Krankenversicherung-Wettbewerbsstärkungsgesetz (GKV-WSG) vom 26.03.2007 begründet wurde. Argumentiert wurde, dass die Zahl nicht krankenversicherter Personen, die von der Pflicht zum Abschluss einer Pflegeversicherung nicht erfasst wurden, eine potenziell stärkere Belastung des Sozialstaats darstelle als die freiwillig Krankenversicherten, diese aber zum Abschluss einer Pflegeversicherung gezwungen würden. Darin wurde ein eklatanter Verstoß gegen die Gleichbehandlung gesehen.
Dazu das Bundesverfassungsgericht
„Die angegriffenen gesetzlichen Vorschriften über die Verpflichtung der Beschwerdeführerin zum Abschluss und zur Aufrechterhaltung eines Pflegeversicherungsvertrages sind auch materiell mit Art. 2 Abs. 1 GG vereinbar. Sie verfolgen legitime Zwecke des Gemeinwohls (a) und sind verhältnismäßig (b).
a)
Die Fürsorge für Menschen, die vor allem im Alter zu den gewöhnlichen Verrichtungen im Ablauf des täglichen Lebens aufgrund von Krankheit und Behinderung nicht in der Lage sind (vgl. § 14 Abs. 1 SGB XI), gehört im Geltungsbereich des Grundgesetzes zu den sozialen Aufgaben der staatlichen Gemeinschaft (Art. 20 Abs. 1, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG). Dem Staat ist die Wahrung der Würde des Menschen in einer solchen Situation der Hilfsbedürftigkeit besonders anvertraut (Art. 1 Abs. 1 GG). Soweit der durch die Pflegebedürftigkeit hervorgerufene Hilfsbedarf finanzielle Aufwendungen notwendig macht, ist es ein legitimes Konzept des zur sozialpolitischen Gestaltung berufenen Gesetzgebers, die dafür notwendigen Mittel auf der Grundlage einer Pflichtversicherung sicherzustellen“, „die im Grundsatz alle Bürger als Volksversicherung erfasst. Bei der Verwirklichung dieses Konzepts durfte der Gesetzgeber das Ziel verfolgen, mit den Leistungen der gesetzlichen Pflegeversicherung vorrangig die häusliche Pflege und die Pflegebereitschaft der Angehörigen und Nachbarn zu unterstützen, damit die Pflegebedürftigen möglichst lange in ihrer häuslichen Umgebung bleiben können“. „Zudem war es ein legitimes Anliegen des Gesetzgebers, die sich aus der Pflegebedürftigkeit ergebenden finanziellen Belastungen der Pflegebedürftigen und ihrer Angehörigen abzumildern, um einer allein im Pflegebedarf begründeten Abhängigkeit von Sozialhilfeleistungen vorzubeugen.“
 
b)
„Der mit der gesetzlichen Verpflichtung zum Abschluss eines privaten Pflegeversicherungsvertrages verbundene Eingriff in das Grundrecht der Art. 2 Abs. 1 GG wahrt den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit.“
 
Die Private Pflegepflichtversicherung ist im Grundsatz eine kapitalgedeckte Versicherung. Bei im Wesentlichen gleich bleibenden Beiträgen wird eine Art Rücklage angespart, durch die dann die später anfallenden Pflegefallkosten abgedeckt werden. Ihre gesetzliche Grundlage findet sich – neben § 1 und § 23 SGB XI – in den §§ 110 bis 111 SGB XI.
§ 110 SGB XI Regelungen für die private Pflegeversicherung
(1)
Um sicherzustellen, dass die Belange der Personen, die nach § 23 zum Abschluss eines Pflegeversicherungsvertrages bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen verpflichtet sind, ausreichend gewahrt werden und dass die Verträge auf Dauer erfüllbar bleiben, ohne die Interessen der Versicherten anderer Tarife zu vernachlässigen, werden die im Geltungsbereich dieses Gesetzes zum Betrieb der Pflegeversicherung befugten privaten Krankenversicherungsunternehmen verpflichtet,
1.
mit allen in § 22 und § 23 Abs. 1, 3 und 4 genannten versicherungspflichtigen Personen auf Antrag einen Versicherungsvertrag abzuschließen, der einen Versicherungsschutz in dem in § 23 Abs. 1 und 3 festgelegten Umfang vorsieht (Kontrahierungszwang); dies gilt auch für das nach § 23 Abs. 2 gewählte Versicherungsunternehmen,
 
2.
in den Verträgen, die Versicherungspflichtige in dem nach § 23 Abs. 1 und 3 vorgeschriebenen Umfang abschließen,
a)
keinen Ausschluß von Vorerkrankungen der Versicherten,
 
b)
keinen Ausschluß bereits pflegebedürftiger Personen,
 
c)
keine längeren Wartezeiten als in der sozialen Pflegeversicherung (§ 33 Abs. 2),
 
d)
keine Staffelung der Prämien nach Geschlecht und Gesundheitszustand der Versicherten,
 
e)
keine Prämienhöhe, die den Höchstbeitrag der sozialen Pflegeversicherung übersteigt, bei Personen, die nach § 23 Abs. 3 einen Teilkostentarif abgeschlossen haben, keine Prämienhöhe, die 50 vom Hundert des Höchstbeitrages der sozialen Pflegeversicherung übersteigt,
 
f)
die beitragsfreie Mitversicherung der Kinder des Versicherungsnehmers unter denselben Voraussetzungen, wie in § 25 festgelegt,
 
g)
für Ehegatten oder Lebenspartner ab dem Zeitpunkt des Nachweises der zur Inanspruchnahme der Beitragsermäßigung berechtigenden Umstände keine Prämie in Höhe von mehr als 150 vom Hundert des Höchstbeitrages der sozialen Pflegeversicherung, wenn ein Ehegatte oder ein Lebenspartner kein Gesamteinkommen hat, das die in § 25 Abs. 1 Satz 1 Nr. 5 genannten Einkommensgrenzen überschreitet, vorzusehen.
 
 
 
Die Private Pflegepflichtversicherung hat also anzubieten:
  • den Leistungen der sozialen Pflegeversicherung vergleichbare Leistungen
  • den Beiträgen zur sozialen Pflegeversicherung vergleichbare Beiträge
  • Rahmenbedingungen, die in ihrer Qualität den für die Soziale Pflegeversicherung festgelegten entsprechen.
Die Private Pflegeversicherung muss dem Versicherungsschutz entsprechen, den die Soziale Pflegeversicherung bietet, losgelöst von versicherungsmathematischen Überlegungen.
Die Begutachtung wird in der Privaten Pflegeversicherung durchgeführt durch die Medicproof GmbH, einem Tochterunternehmen des Verbands der privaten Krankenversicherung e. V. Sie ist insofern das Pendant zum Medizinischen Dienst. Sie ist ebenso wie der Medizinische Dienst rechtlich unabhängig von den Auftraggebern, den privaten Pflegekassen. Die Bewertungskriterien des von der Medicproof in Auftrag gegebenen Gutachtens sind gesetzlich vorgeschrieben; es sind dieselben wie beim MDK-Gutachten. Es gelten also die gleichen Pflegerichtlinien. Medicproof leitet das Gutachten an die zuständige private Pflegekasse weiter. Diese kann je nach Empfehlung des Gutachters den Pflegegradantrag des Versicherten ablehnen oder einen der fünf Pflegegrade anerkennen. Das entsprechende Schreiben erhält der Betroffene von seinem Versicherer.
Bis zum Urteil des BSG vom 22.04.2015 (B 3 P 8/13 R) war die Verbindlichkeit der von den privaten Pflegekassen eingeholten Gutachten streitig:
§ 84 VVG Sachverständigenverfahren
(1)
Sollen nach dem Vertrag einzelne Voraussetzungen des Anspruchs aus der Versicherung oder die Höhe des Schadens durch Sachverständige festgestellt werden, ist die getroffene Feststellung nicht verbindlich, wenn sie offenbar von der wirklichen Sachlage erheblich abweicht.
 
Das BSG stellte demgegenüber klar: „Die Verbindlichkeitsanordnung dieser Regelung lässt sich nicht mit den für private Pflegepflichtversicherungsverträge spezielleren Regelungen des § 23 SGB XI vereinbaren.“ Sachverständigengutachten sind also in vollem Umfang überprüfbar.
Soweit nicht das SGB XI die Rechte und Pflichten des Privatversicherten und seiner Pflegeversicherung vorgibt, gelten als Musterbedingungen die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Private Pflegepflichtversicherung (MB/PPV 2022), Stand 01.08.2022.
Die privaten Versicherungsunternehmen müssen ein Ausgleichssystem schaffen, das einen dauerhaften, wirksamen Ausgleich der unterschiedlichen Belastungen einzelner Pflegekassen gewährleistet (§ 111 SGB XI).

Rechtsweg gegen Entscheidungen der privaten Pflegekassen

BSG, Urteil vom 22.08.2001 – B 3 P 21/00 R
Der privat Pflegeversicherte leidet an einer Multiplen Sklerose. Nach Einholung eines ärztlichen Gutachtens der Medicproof GmbH wurde ihm die „Pflegestufe“ III – statt bisher „Pflegestufe“ II – gewährt. Nach Ablauf von 3 Jahren wurde der Kläger nachuntersucht. Der ärztliche Gutachter hielt nur noch die „Pflegestufe“ II für gerechtfertigt. Die private Pflegekasse setzte ihre Leistungen daraufhin herab.
Nach § 17 der Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Private Pflegepflichtversicherung (MB/PPV; Stand 01.08.2022) ist der Rechtsweg zu den Sozialgerichten eröffnet. Anzuwenden sind jedoch auf die Private Pflegeversicherung die Normen des Privatversicherungsrechts, also das Versicherungsvertragsrecht (VVG), das Bürgerliche Gesetzbuch und das vereinbarte Bedingungswerk (MB/PPV), soweit es mit den Regelungen des SGB XI vereinbaar ist. Danach kann eine Leistungsanerkenntnis mit Dauerwirkung nur bei Wegfall der Geschäftsgrundlage zurückgenommen werden.
Zwar entfalten einseitige Leistungserklärungen der Privaten Versicherer, dass er eine bestimmte Leistung/Zahlung erbringen werde, keine rechtsgeschäftliche Wirkung (BGH, Urteil vom 24.03.1976 – IV ZR 222/74). Sie sind kein Schuldanerkenntnis, sondern nur die Erklärung des Versicherers über sein weiteres Vorgehen. Er kann sich also jederzeit korrigieren und die Erklärung zurücknehmen. Anders ist dies jedoch, wenn der Erklärung die Auswertung medizinischer Unterlagen und in der Regel eine medizinische Begutachtung zugrunde liegen. Dann erfolgt die Erklärung des Versicherers, er werde konkret benannte Leistungen erbringen, zur Beilegung strittiger Fragen, die vom Versicherten durch Entgegennahme der Leistung konkludent angenommen wird. Dieses Schuldanerkenntnis kann nicht „wegen Irrtums über solche Umstände, die durch das Anerkenntnis gerade außer Streit gestellt werden sollten“ angefochten werden. Der Klage gegen die Herabsetzung der Leistungen durch die private Pflegekasse wurde stattgegeben. Voraussetzung für die Herabsetzung der bisher gewährten Leistung ist also eine Veränderung der pflegebegründenden Umstände und nicht eine anders geartete Beurteilung.
Anders ist dies jedoch, wenn von vornherein absehbar ist, dass die Leistungvoraussetzungen sich in Zukunft ändern/bessern werden. Auch das Bedingungswerk der Privaten Pflegeversicherung sieht, entsprechend der Sozialen Pflegeversicherung (§ 33 Abs. 1 Satz 3 SGB XI), die Befristung von Leistungen vor.
§ 6 Abs. 3 Satz 1 MB/PPV
Wenn und soweit im Rahmen der Feststellungen nach Absatz 2 eine Verringerung der Beeinträchtigungen der Selbstständigkeit oder der Fähigkeiten zu erwarten ist, können die Zuordnung zu einem Pflegegrad und die Bewilligung von Leistungen befristet werden und enden dann mit Ablauf der Frist.

Recht zur Nachuntersuchung

Sowohl § 18 Abs. 2 Satz 5 SGB XI – „Die Untersuchung ist in angemessenen Zeitabständen zu wiederholen“ – als auch § 6 MB/PPV – „Die Feststellung wird in angemessenen Abständen wiederholt“ – sehen grundsätzlich die Möglichkeit einer Nachuntersuchung vor, dies aber nur, „wenn Gründe für die Annahme bestehen, der Umfang der Pflegebedürftigkeit könne sich in einem für die Einstufung relevanten Umfang verändert haben“ (BSG, Urteil vom 22.08.2001 – B 3 P 21/00 R). Eine Nachuntersuchung darf also nicht grundlos bzw. routinemäßig erfolgen. Ihre Anordnung muss vielmehr angemessen sein, ansonsten können an eine Weigerung die negativen Folgen der fehlenden Mitwirkung (§ 66 SGB I und § 6 MB/PPV) nicht geknüpft werden.
BSG, Urteil vom 13.03.2001 – B 3 P 20/00 R
Die in der sozialen Pflegeversicherung versicherte Klägerin leidet an einer angeborenen Querschnittlähmung und ist auf einen Rollstuhl angewiesen. Sie ist voll berufstätig. Die Begutachtung durch den MDK kam zu dem Ergebnis, dass Besserungsmöglichkeiten nicht erkennbar seien. Die Vollzeitbeschäftigung der Klägerin war Veranlassung eine Nachuntersuchung zu verlangen. Da die Klägerin diese ablehnte, stellte die Pflegekasse Zahlungen ein. Dazu das Bundesoszialgericht:
„Entgegen dem Wortlaut des § 18 Abs 2 Satz 5 SGB XI, nach dem die Untersuchung „in angemessenen Zeitabständen“ zu wiederholen ist, ein gewisser Zeitablauf also bereits dazu verpflichten würde, ist auch zur Rechtfertigung einer Wiederholungsuntersuchung wegen des damit verbundenen Eingriffs in die Privatsphäre des Versicherten erforderlich, daß zumindest die Möglichkeit besteht, die Voraussetzungen für eine – vollständige oder teilweise – Aufhebung der Leistungsbewilligung“ „könnten eingetreten sein. Denn § 48 Abs 1 Satz 1 SGB X, der als Rechtsgrundlage für einen solchen Änderungs- oder Aufhebungsbescheid heranzuziehen ist, läßt – wie ausgeführt – eine Änderung der Leistungsbewilligung bei trotz Zeitablaufs unveränderter Pflegesituation nicht zu“. „Die erneute Untersuchung darf demnach nur angeordnet werden, wenn die zu treffenden Feststellungen dazu dienen sollen, die Voraussetzungen einer rechtlich zulässigen Rechtsfolge (hier: etwaige Herabstufung in die Pflegestufe I nach § 48 SGB X wegen nachträglicher wesentlicher Änderung der tatsächlichen Verhältnisse) zu ermitteln, und die Maßnahme dazu in tatsächlicher Hinsicht auch notwendig ist. Ärztliche Untersuchungen, die in diesem Sinne nicht notwendig sind, haben zu unterbleiben. Die Mitwirkung des Versicherten nach § 65 Abs 1 SGB I kann nicht verlangt, negative Folgen (§ 66 SGB I) dürfen an die zu Recht verweigerte Mitwirkung nicht geknüpft werden.“
Im Bereich der Sozialen Pflegeversicherung ist die Bewilligung von Leistungen ein Verwaltungsakt. Dieser kann nur zurückgenommen werden unter den Voraussetzungen des § 48 Abs. 2 Satz 2 SGB X (Aufhebung eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung bei Änderung der Verhältnisse):
(1)
Soweit in den tatsächlichen oder rechtlichen Verhältnissen, die beim Erlass eines Verwaltungsaktes mit Dauerwirkung vorgelegen haben, eine wesentliche Änderung eintritt, ist der Verwaltungsakt mit Wirkung für die Zukunft aufzuheben. Der Verwaltungsakt soll mit Wirkung vom Zeitpunkt der Änderung der Verhältnisse aufgehoben werden, soweit
1.
die Änderung zugunsten des Betroffenen erfolgt,
 
2.
der Betroffene einer durch Rechtsvorschrift vorgeschriebenen Pflicht zur Mitteilung wesentlicher für ihn nachteiliger Änderungen der Verhältnisse vorsätzlich oder grob fahrlässig nicht nachgekommen ist,
 
3.
nach Antragstellung oder Erlass des Verwaltungsaktes Einkommen oder Vermögen erzielt worden ist, das zum Wegfall oder zur Minderung des Anspruchs geführt haben würde, oder
 
4.
der Betroffene wusste oder nicht wusste, weil er die erforderliche Sorgfalt in besonders schwerem Maße verletzt hat, dass der sich aus dem Verwaltungsakt ergebende Anspruch kraft Gesetzes zum Ruhen gekommen oder ganz oder teilweise weggefallen ist.
 
 
Unter diesen Umständen ist eine Nachuntersuchung angezeigt. In der Privaten Pflegepflichtversicherung ist maßgeblich der Wegfall der Geschäftsgrundlage.

Zusatzversicherungen

Die Gesetzliche – Soziale und Private – Pflegepflichtversicherung deckt nur einen Teil der Kosten im Pflegefall ab. Vor allem, wenn die Pflege im häuslichen Bereich nicht möglich ist, verbleiben ganz erhebliche Kosten, die der Versicherte und ggf. seine Kinder selbst zu tragen haben. Als Ergänzung bieten die Privaten Versicherungsunternehmen Zusatzversicherungen mit unterschiedlichen Gestaltungsmöglichkeiten an. Diese erstatten entweder einen Betrag, der zusammen mit der Leistung der Pflichtversicherung einen bestimmten Prozentsatz der tatsächlichen Kosten abdeckt oder die Restkosten (unter Berücksichtigung der Pflegepflichtversicherung) bis zu einem festgelegten Maximalbetrag. Möglich ist aber auch eine Pflegetagegeldversicherung. Diese wird anhand eines festen Tagesatzes festgelegt, der im Pflegefall unabhängig von den tatsächlichen Kosten ausbezahlt wird.
Staatlich gefördert ist der sogenannte Pflege-Bahr (§§ 126-130 SGB XI), eine seit dem „Pflege-Neuausrichtungs-Gesetz“ (2013) bestehende Möglichkeit, Pflegemehrkosten durch eine Tagegeldversicherung abzudecken, benannt nach dem damaligen Gesundheitsminister Daniel Bahr. Voraussetzung für deren Abschluss – das gilt in aller Regel für jede Versicherung – ist, dass das versicherte Risiko noch nicht eingetreten ist, dass also der Pflegefall nicht vorliegt oder in der Vergangenheit vorgelegen hat. Die Beiträge sind altersabhängig. Finanziell empfiehlt sich der Abschluss dieser Versicherung besonders in jungen Jahren. Für ältere Versicherte ist diese staatlich geförderte Versicherung dennoch interessant durch fehlende Fragen zu Vorerkrankungen. Der sogenannte Pflege-Bahr hat folgende Besonderheiten:
  • Es erfolgt keine Gesundheitsprüfung.
  • Weil keine Gesundheitsprüfung erfolgt, beträgt die Wartezeit 5 Jahre, es sei denn ein Unfall ist ursächlich für den Pflegefall. Dann entfällt die Wartezeit.
  • Ein Abschluss ist unabhängig vom Lebensalter.
  • Bei einem Eigenbeitrag von monatlich mindestens € 10,00 gibt es eine monatliche Förderung von € 5,00.
  • Damit die Förderungsfähigkeit gegeben ist, muss die Absicherung des Pflegerisikos in einer bestimmten Höhe vereinbart werden, z. B. ein Pflegetagegeld von € 600 bei Pflegegrad 5.
Weil die Leistungen der Pflegepflichtversicherung in vielen Fällen nur einen Teil der tatsächlich anfallenden Kosten abdecken, haben Branchen, wie z. B. die Chemiebranche, den Abschluss einer Pflegezusatzversicherung tariflich vereinbart, die allein durch den Arbeitgeber finanziert wird. Das gleiche Konzept verfolgen einzelne Firmen, wie z. B. die Fa. Henkel für ihre Mitarbeiter. Diese Zuwendungen sind bisher jedoch vom Arbeitnehmer zu versteuerndes Einkommen.

Ziele der Gesetzlichen – Sozialen und Privaten – Pflegeversicherung

Die Entlastung des Staates ist ein Ziel der Sozialen und Privaten Pflegeversicherung und war die Motivation zur Kodifikation des SGB XI. Das zweite und nach Kodifikation des SGB XI im Vordergrund stehende Ziel ist es, in Umsetzung von Art. 1 GG, den Pflegebedürftigen zu ermöglichen, ein würdiges und selbstbestimmtes Leben zu führen, ihr Recht insofern zu stärken. Pflegebedürftige sind aus gesundheitlichen Gründen in der großen Zahl nicht in der Lage, ihre Bedürfnisse und Rechte durchzusetzen. Dies erklärt die Detailgenauigkeit des SGB XI und der darauf gründenden Richtlinien.
§ 2 Abs. 1 bis 3 SGB XI Selbstbestimmung
(1)
Die Leistungen der Pflegeversicherung sollen den Pflegebedürftigen helfen, trotz ihres Hilfebedarfs ein möglichst selbstständiges und selbstbestimmtes Leben zu führen, das der Würde des Menschen entspricht. Die Hilfen sind darauf auszurichten, die körperlichen, geistigen und seelischen Kräfte der Pflegebedürftigen, auch in Form der aktivierenden Pflege, wiederzugewinnen oder zu erhalten.
 
(2)
Die Pflegebedürftigen können zwischen Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger wählen. Ihren Wünschen zur Gestaltung der Hilfe soll, soweit sie angemessen sind, im Rahmen des Leistungsrechts entsprochen werden. Wünsche der Pflegebedürftigen nach gleichgeschlechtlicher Pflege haben nach Möglichkeit Berücksichtigung zu finden.
 
(3)
Auf die religiösen Bedürfnisse der Pflegebedürftigen ist Rücksicht zu nehmen. Auf ihren Wunsch hin sollen sie stationäre Leistungen in einer Einrichtung erhalten, in der sie durch Geistliche ihres Bekenntnisses betreut werden können.
 
Dieses Ziel, die Ermöglichung eines selbstbestimmten Lebens, ist nur durch Mobilisierung der Kräfte von Staat und Gesellschaft zu erreichen.
§ 8 SGB XI Gemeinsame Verantwortung
(1)
Die pflegerische Versorgung der Bevölkerung ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe.
 
Dieses Ziel verfolgen wesentliche Teile der zahlreichen oben aufgeführten Gesetzesänderungen, die auf die Kodifikation des SGB XI 1995 folgten. Insbesondere die 2006 erstmals veröffentlichte und 2018 aktualisierte „Charta der Rechte hilfe- und pflegebedürftiger Menschen“, deren vollständiger Text im Internet abrufbar ist und die im Auftrag des BMFSFJ (Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend) und des BMG (Bundesministerium für Gesundheit) erarbeitet wurde, gibt allgemein verständlich in 8 Artikeln den Kernbereich der Rechte Pflegebedürftiger und der Ziele der Gesetzlichen Pflegeversicherung wieder:
  • Artikel 1: Selbstbestimmung und Hilfe zur Selbsthilfe
    Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht auf Hilfe zur Selbsthilfe sowie auf Unterstützung, um ein möglichst selbstbestimmtes und selbstständiges Leben führen zu können.
  • Artikel 2: Körperliche und seelische Unversehrtheit, Freiheit und Sicherheit
    Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht, vor Gefahren für Leib und Seele geschützt zu werden.
  • Artikel 3: Privatheit
    Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht auf Wahrung und Schutz seiner Privat- und Intimsphäre.
  • Artikel 4: Pflege, Betreuung und Behandlung
    Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht auf eine an seinem persönlichen Bedarf ausgerichtete, gesundheitsfördernde und qualifizierte Pflege, Betreuung und Behandlung.
  • Artikel 5: Information, Beratung und Aufklärung
    Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht auf umfassende Informationen über Möglichkeiten und Angebote der Beratung, der Hilfe und Pflege sowie der Behandlung.
  • Artikel 6: Wertschätzung, Kommunikation und Teilhabe an der Gesellschaft
    Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht auf Wertschätzung, Austausch mit anderen Menschen und Teilhabe am gesellschaftlichen Leben.
  • Artikel 7: Religion, Kultur und Weltanschauung
    Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht, seiner Kultur und Weltanschauung entsprechend zu leben und seine Religion auszuüben.
  • Artikel 8: Palliative Begleitung, Sterben und Tod
    Jeder hilfe- und pflegebedürftige Mensch hat das Recht, in Würde zu sterben.
Ziel der Gesetzlichen Pflegeversicherung ist also nicht nur, krankheits- oder behinderungsbedingte Funktionseinbußen auszugleichen. Ziel ist vielmehr, die Selbstständigkeit in allen Lebensbereichen zu fördern und dem zu Pflegenden die Teilnahme am Gemeinschaftsleben zu ermöglichen.
Vorrang hat – in konsequenter Verfolgung dieser Zielsetzung – die pflegerische Versorgung in der häuslichen Umgebung des Versicherten, in der er sich auskennt, wohlfühlt und am Leben weiter teilnehmen kann, während er bei vollstationärer Pflege vom Leben in der Gemeinschaft weitgehend abgeschnitten ist.
§ 3 SGB XI Vorrang der häuslichen Pflege
Die Pflegeversicherung soll mit ihren Leistungen vorrangig die häusliche Pflege und die Pflegebereitschaft der Angehörigen und Nachbarn unterstützen, damit die Pflegebedürftigen möglichst lange in ihrer häuslichen Umgebung bleiben können. Leistungen der teilstationären Pflege und der Kurzzeitpflege gehen den Leistungen der vollstationären Pflege vor.
Folgende Leistungen der Pflegeversicherung stehen insgesamt zur Verfügung:
§ 4 SGB XI Art und Umfang der Leistungen
(1)
Die Leistungen der Pflegeversicherung sind Dienst-, Sach- und Geldleistungen für den Bedarf an körperbezogenen Pflegemaßnahmen, pflegerischen Betreuungsmaßnahmen und Hilfen bei der Haushaltsführung sowie Kostenerstattung, soweit es dieses Buch vorsieht. Art und Umfang der Leistungen richten sich nach der Schwere der Pflegebedürftigkeit und danach, ob häusliche, teilstationäre oder vollstationäre Pflege in Anspruch genommen wird.
 
Im Einzelnen sind dies (§ 28 SGB XI):
  • Pflegesachleistung (§ 36 SGB XI)
  • Pflegegeld für selbst beschaffte Pflegehilfen (§ 37 SGB XI)
  • Kombination von Geldleistung und Sachleistung (§ 38 SGB XI)
  • Häusliche Pflege bei Verhinderung der Pflegeperson (§ 39 SGB XI)
  • Pflegehilfsmittel und wohnumfeldverbessernde Maßnahmen (§ 40 SGB XI)
  • Tagespflege und Nachtpflege (§ 41 SGB XI)
  • Kurzzeitpflege (§ 43 SGB XI)
  • Vollstationäre Pflege (§ 43 SGB XI)
  • Pflege in vollstationären Einrichtungen der Hilfe für behinderte Menschen (§ 43a SGB XI)
  • zusätzliche Betreuung und Aktivierung in stationären Pflegeeinrichtungen
  • Leistungen zur sozialen Sicherung der Pflegepersonen
  • zusätzliche Leistungen bei Pflegezeit und kurzzeitiger Arbeitsverhinderung (§ 44a SGB XI)
  • Pflegekurse für Angehörige und ehrenamtliche Pflegepersonen (§ 45 SGB XI)
  • Umwandlung des ambulanten Sachleistungsbetrags (§ 45a SGB XI)
  • Entlastungsbetrag (§ 45b SGB XI)
  • Leistungen des persönlichen Budgets (§ 17 Abs. 2 bis 4 SGB IX)
  • zusätzliche Leistungen für Pflegebedürftige in ambulant betreuten Wohngruppen (§ 38a SGB XI).
Die Leistungen der Pflegeversicherung in Form von Dienst-, Sach- und Geldleistungen müssen „wirksam und wirtschaftlich“ (§ 29 SGB XI) sein. Sie dürfen das Maß des Notwendigen nicht überschreiten. Leistungen, die diese Voraussetzungen nicht erfüllen, kann der Versicherte nicht beanspruchen, dürfen die Pflegekassen nicht bewilligen und dürfen nicht zulasten der Pflegekassen erbracht werden. In die Verantwortung genommen für die Wirksamkeit und Wirtschaftlichkeit aller Maßnahmen werden also alle Beteiligten.
Ebenso wie § 12 SGB V für das Recht der Gesetzlichen Krankenversicherung ist § 29 SGB XI damit für den Bereich der Pflegeversicherung eine der zentralen Rechtsvorschriften überhaupt. Wenn mehr als das Notwendige gewünscht wird, ist dies keine „gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ (§ 8 SGB XI) mehr. Dies ist allein vom Versicherten zu finanzieren.
BSG, Urteil vom 03.11.1999 – B3P 3/99 R
Die Erforderlichkeit einer Maßnahme zur Ermöglichung der selbstständigen Lebensführung des Pflegebedürftigen richtet sich andererseits aber auch bei Wohnungssicherungsmaßnahmen nicht stets und vollständig nach den individuellen Bedürfnissen und Lebensgewohnheiten des einzelnen Pflegebedürftigen. Maßgebend kann vielmehr nur ein üblicher und durchschnittlicher Wohnungsstandard sein, wie sich aus dem Wirtschaftlichkeitsgebot (§§ 4 Abs 3, 29 Abs 1 SGB XI) ergibt.
Die Beschränkung auf „wirksame und wirtschaftlich“ vertretbare Maßnahmen ist ein kleiner Schritt zum Ausgleich von Einnahmen und Ausgaben, von Beiträgen und Leistungen. § 29 SGB XI begrenzt die Leistungen der Pflegeversicherung.
Die Höhe der im Fall der Pflegebedürftigkeit möglichen Leistungen bestimmt die Bundesregierung durch Verordnung mit Zustimmung des Bundesrates. Gesetzlich vorgeschrieben ist eine Überprüfung der Leistungen im 3-Jahres-Rhythmus (30 SGB XI).