Bei den meisten Kindern mit traumatischen Hüftluxationen kommt es zur folgenfreien Ausheilung. Typische Frühkomplikationen sind Verletzungen des
N. ischiadicus, die in 2 % bis 20 % der Fälle auftreten können, aber bei Kindern eine relativ gute Erholungsprognose haben (Mahindra et al.
2015;Hamilton und Broughton
1998; Pearson und Mann
1973). Eine operative Freilegung des Nervus ischiadicus ist nicht zwingend erforderlich, es sei denn, es wird ohnehin offen reponiert. Der komplette Verlust der Nervenfunktion nach Reposition zwingt jedoch zur explorativen Freilegung. Schädigungen des Nervus ischiadicus treten vor allem nach hinteren Hüftgelenkluxationen auf, sind im Wachstumsalter insgesamt selten und zeigen meist eine ausgeprägte Tendenz zur Spontanerholung nach Reposition der Hüftgelenkluxation (Vialle et al.
2004; Bressan et al.
2014; Grechenig et al.
2003; von Laer
2001).
Nachbehandlung
Die Notwendigkeit der Anlage eines Beckenbeingipsverbands
nach geschlossener oder offener Reposition wird kontrovers diskutiert (Sulaiman et al.
2013; Pennsylvania Orthopedic Society
1968; Zrig et al.
2009; Meena et al.
2012; Vialle et al.
2004; Yuksel und Albay
2019; von Laer
2001). Die Anlage eines Beckenbeingipses für 3–6 Wochen nach geschlossener und offener Reposition einer traumatischen Hüftluxation bei jungen Kindern mit geringer
Compliance und Unfähigkeit, die Hüfte suffizient zu entlasten, scheint uns vorteilhaft. Bei älteren Kindern (> 10 Jahre) kann nach wenigen Tagen die schmerzadaptierte Teilbelastung bis 10 kg über 4 bis 6 Wochen unter physiotherapeutischer Anleitung erfolgen.
Der spontane Bewegungsdrang der Kinder macht eine krankengymnastische Mobilisation in der Regel unnötig und Extensionen sind nicht nötig. Sulaiman et al. (
2013) empfehlen hingegen die Verwendung eines Beckenbeingipses für 6 Wochen nach der geschlossenen Reposition einer traumatischen Hüftgelenkluxation. Von Zrig et al. (
2009) wurden zur Nachbehandlung entweder 6 Wochen Beckenbeingips-Ruhigstellung oder Traktion für 6 Wochen mit anschließendem Belastungsaufbau empfohlen. Die Pennsylvania Orthopedic Society (
1968) empfahl den Beginn der Belastung nach traumatischer Hüftgelenkluxation bei Kindern nach 3 bis 6 Wochen. Meena et al. (
2012) beschrieben eine hintere Hüftgelenkluxation nach einem Sturz aus dem Bett bei einem 16 Monate alten Mädchen. Mit geschlossener Reposition und nachfolgender Beckenbeingipsanlage für 6 Wochen erzielten sie ein sehr gutes funktionelles Ergebnis. Die Autoren empfehlen im Wachstumsalter eine Beckenbeingipstragedauer von 4 bis 6 Wochen nach geschlossener Reposition einer traumatischen Hüftgelenkluxation. Die angewandte Entlastungszeit betrug in der Studie von Vialle et al. (
2004) 45 Tage.
Momii et al. (
2019) berichten über ein 11-jähriges Kind, das im Rahmen eines Verkehrsunfalls eine offene Hüftluxation erlitt. Sie berichten über einen Morbus Perthes-ähnlichen Verlauf der avaskulären Nekrose der proximalen Femurepiphyse, wobei sich innerhalb von 18 Monaten eine Regeneration der Durchblutung zeigte. In der Nachuntersuchung 4,5 Jahre nach dem Unfall zeigten sich eine freie Hüftgelenksfunktion sowie schmerzfreie Hüftbeweglichkeit ohne Hinweise auf arthrotische Veränderungen.
Lediglich nach offenen Repositionen mit ausgedehnten Kapselrekonstruktionen kann eine längere Ruhigstellung heute indiziert sein. Von Laer (
2001) verordnet bei Jugendlichen nach der Reposition für 4 Wochen Gehstützen, jedoch vor allem, um sie am Sport zu hindern. Die von Yuksel und Albay (
2019) behandelten Kinder wurden mit Abduktionssplint nachbehandelt und zeigten nach 36 Monaten ein sehr gutes Ergebnis.
Diagnosestellung einer Durchblutungsstörung des coxalen Femurendes
Posttraumatische Perfusionsstörungen
des Hüftkopfes können mittels MRT oder szintigrafisch frühzeitig nachgewiesen werden, wobei der MRT-Untersuchung heute auch aus Strahlenschutzgründen der Vorzug gegebenen werden sollte (Abb.
6e). Während von Laer (
2001) das regelmäßige MRT-Screening 6 Wochen nach Luxation empfiehlt, wird dies als Routineverfahren in der angelsächsischen Literatur (Blasier und Hughes
2001) nicht befürwortet. Begründet wird dies mit der fehlenden Therapiemöglichkeit bei Feststellung eines Perfusionsausfalls im Bereich des Hüftkopfes, der hohen Rate spontaner Heilungen und falschpositiver Befunde insbesondere bei kurzem zeitlichem Abstand zum Traumaereignis.
Minhas (
2010) beschreibt 8 aus Pakistan stammende Patienten im Alter von 2,4 bis 12,0 Jahren. Alle Patienten zeigten hintere Hüftluxationen. Das mittlere Intervall zwischen Unfall und Reposition lag bei 19 Stunden, und beim Follow-up nach durchschnittlich 18 Monaten zeigten sich keine Komplikationen nach geschlossener Reposition.
Die Studie von Vialle et al. (
2004) stellt eine der größten Fallserien von Kindern mit traumatischer Hüftgelenkluxation dar. Die geschlossene Reposition gelang bei 31 von 42 Patienten (73,8 %), und nur 2 Patienten (4,8 %) entwickelten avaskuläre Nekrosen des coxalen Femurendes
. Bei 25 Patienten wurde postoperativ eine Technetium 99 m Knochenszintigrafie und bei 11 Patienten eine MRT-Untersuchung durchgeführt. Allen Kindern mit verminderter Durchblutung des Femurkopfes wurde die Belastung des betroffenen Beines so lange untersagt, bis sich die Durchblutungssituation der proximalen Femurepiphyse verbessert hatte. Dabei kam es bei 2 Patienten zu einer spontanen Wiederkehr der Femurkopfdurchblutung und bei 2 Patienten zu einer Osteonekrose des Femurkopfes, die 2 Monate nach der Hüftgelenkluxation einsetzte. Die Osteonekrose schritt bei einem Patienten bis 18 Monate nach dem Trauma fort. Im MRT zeigte sich bei 6 von 11 Patienten ein normaler Befund, während 3 Patienten ein deutlich erniedrigtes MRT-Signal in der T1-W-Sequenz aufwiesen. Bei 36 von 42 Patienten zeigte sich ein Normalbefund im MRT im Follow-up.
Die klinischen Zeichen einer avaskulären
Hüftkopfnekrose sind
Schmerzen und Funktionsminderung. Radiologisch zeigt sich eine Deformität des Hüftkopfes. Fragmentation und Kollaps des Hüftkopfes sind bereits späte radiologische Zeichen. Barquet (
1982) und Singhal et al. (
2011) beschrieben, dass die avaskuläre Nekrose nach Hüftluxation bei Kindern unter 12 Jahren ähnlich verläuft wie ein
Morbus Perthes, und dass bei älteren Kindern die avaskuläre Nekrose des Femurkopfes wie bei Erwachsenen verläuft.
Nach Ratliff (
1962) werden die avaskulären Nekrosen
des coxalen Femurendes in 3 Gruppen unterteilt:
-
Nekrosen, die sich sowohl auf den Hüftkopf als auch auf den Schenkelhalsbereich erstrecken (Typ I)
-
partielle Kopfnekrosen (Typ II)
-
partielle Halsnekrosen (Typ III)
Die Prognose des Typ I ist ungünstig, während der seltene Typ III meist günstig verläuft. Die Langzeitprognose bei manifester avaskulärer Nekrose ist bei 60 % dieser Kinder als schlecht zu werten, insbesondere im Alter > 10 Jahren. Hierfür scheint die bereits geschilderte spezielle Gefäßversorgung des Hüftkopfes verantwortlich zu sein, die bei jüngeren Kindern < 5 Jahren zu einer günstigeren Prognose führt (von Laer
2001).
In Fällen mit sektoralem Befall der gewichttragenden Gelenkanteile kann eine Umstellungsosteotomie mit Eindrehen eines nicht betroffenen Sektors sinnvoll sein. Aber auch unbehandelt – insbesondere bei jüngeren Kindern – kann eine Ausheilung durch Remodeling im Verlauf mehrerer Jahre eintreten.
Eine degenerative posttraumatische
Arthrose bei älteren Kindern ist im Allgemeinen nicht reversibel. Eine intertrochantäre valgisierende Osteotomie kann hier in Erwägung gezogen werden, um die Varisierung und Beinverkürzung zu korrigieren. Voraussetzung ist, dass präoperativ radiologisch eine akzeptable Gelenkkongruenz in Adduktionsstellung erreicht werden kann.
Empfehlung für die Behandlung des Kindes mit Durchblutungsstörung des Femurkopfes nach Reposition der traumatischen Hüftgelenksluxation:
Während wir in den ersten 6 Wochen nach Reposition der traumatischen Hüftluxation auch zur Knorpelerholung eine Entlastungsbehandlung empfehlen, erlauben wir nach 6 Wochen eine zunehmende, schmerzadaptierte Belastung der Hüfte auch bei Kindern, bei denen eine Durchblutungsstörung des Hüftkopfbereichs nachgewiesen wurde.
Klinische Nachkontrollen führen wir nach 6 Wochen, 3 Monaten, 6 Monaten, 12 Monaten und ggf. 24 Monaten durch. Eine MRT-Untersuchung führen wir nach 4–6 Wochen durch.
Bei Auffälligkeiten in der ersten MRT-Untersuchung oder im Rahmen einer späteren klinischen Hüftuntersuchung planen wir bei den weiteren Nachkontrollen MRT-Kontrollen oder Röntgenkontrollen, ansonsten erfolgen nur klinische Untersuchungen im Rahmen der Nachkontrollen.
Im Falle einer partiellen Hüftkopfdeformierung kann eine Umstellungsosteotomie des coxalen Femurendes ggf. erwogen werden.
Für eine medikamentöse Behandlung oder revaskulariserende Eingriffe bei nachgewiesener Femurkopfdurchblutungsstörung im Wachstumsalter sehen wir gegenwärtig noch keine ausreichende Evidenz.
Nachkontrollen nach Reposition einer traumatischen Hüftluxation
Heute wird allgemein eine MRT-Untersuchung zur Abklärung der Hüftkopfdurchblutung 4 bis 6 Wochen nach Reposition empfohlen, und im Falle einer guten Durchblutung des Hüftkopfes wird im Anschluss an die MRT-Untersuchung die Entlastungsbehandlung beendet (Bressan et al.
2014; von Laer
2001; Mehlman et al.
2000). Die Hüftgelenks-Szintigrafie weist zwar eine sehr hohe Sensitivität zum Nachweis von Hüftkopfdurchblutungsstörungen auf, wird heute jedoch wegen der damit verbunden Anwendung ionisierender Strahlung zugunsten von MRT-Untersuchungen zunehmend verlassen.
Im Rahmen von halbjährlichen klinischen Kontrollen innerhalb der ersten 2 Jahre nach der Verletzung erfolgt eine konventionell radiologische Bildgebung und klinische Prüfung der Funktion, des Gangbildes und der Beinlänge.
Vialle et al. (
2004) empfehlen, bei Kindern nach traumatischer Hüftgelenkluxation zusätzlich ein Hüftgelenkröntgen etwa alle 5 Jahre langfristig durchzuführen, um die Ausbildung einer Coxarthrose frühzeitig erkennen zu können.