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DGIM Innere Medizin
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Publiziert am: 04.12.2014

Amyloidose der Leber

Verfasst von: Kinan Rifai
Bei der hereditären ATTR-Amyloidose lagert sich in der Leber produziertes, mutantes Transthyretin in verschiedenen Organen ab, insbesondere in den Nerven. Die häufigste Manifestationsform ist die progrediente periphere sensomotorische Polyneuropathie mit schwerer autonomer Dysfunktion. Die Diagnostik umfasst Familienanamnese, Nachweis der Amyloidablagerungen nach tiefer Rektumbiopsie oder Suralisbiopsie und ggf. Genanalyse. Eine kausale konservative Therapie steht nicht zur Verfügung. Daher steht die palliative Therapie im Vordergrund. Ohne Lebertransplantation führt die Erkrankung gewöhnlich etwa 10–15 Jahre nach Krankheitsbeginn zum Tod. Nach Lebertransplantation sollte sie zum Stillstand kommen.

Definition

Der Begriff Amyloidose bezeichnet allgemein eine interstitielle Anreicherung von abnorm veränderten Proteinen. Es gibt primäre und sekundäre Formen der Amyloidose. Die ATTR-Amyloidose ist eine primäre, hereditäre Form der Amyloidose. Dabei lagert sich in der Leber produziertes, mutantes Transthyretin in verschiedenen Organen ab, insbesondere in den Nerven. Daher wird sie auch als familiäre Amyloid-Polyneuropathie (FAP-Typ I) oder AF-Amyloidose (AF = Amyloid familiär) bezeichnet (Planté-Bordeneuve und Said 2011).

Pathophysiologie

Zugrunde liegt eine Mutation im Gen für Transthyretin (TTR, früher: Präalbumin), am häufigsten an Position 30 (ATTR Val30Met). Über 90 weitere Mutationen unterschiedlicher Pathogenität wurden bisher identifiziert. Mehr als 95 % des Proteins werden in der Leber produziert. Die Ablagerungen des mutanten Proteins als Amyloidfibrillen im Extrazellularraum (z. B. endoneuronal) führen zu der vielfältigen Symptomatik der Erkrankung (Merlini und Bellotti 2003).

Epidemiologie

Die ATTR-Amyloidose ist eine seltene, autosomal-dominante Erkrankung, die bevorzugt in Portugal, Schweden und Japan vorkommt (Planté-Bordeneuve und Said 2011).

Klinik

Das klinische Bild der Amyloidose ist zwischen den betroffenen Familien variabel (Lobato 2003). Die häufigste Manifestationsform ist die progrediente periphere sensomotorische Polyneuropathie mit schwerer autonomer Dysfunktion (Tab. 1). Diese tritt im jungen bis mittleren Erwachsenenalter auf und führt im Endstadium zur schwersten Beeinträchtigung des Allgemeinzustandes. Bei einer kardialen Beteiligung kann sich eine Kardiomyopathie mit Herzinsuffizienz, ausgeprägten Reizleitungsstörungen und Arrhythmien entwickeln. Im Bereich des Intestinaltraktes kommt es zu Motilitätsstörungen mit chronischer Diarrhö, Malabsorption und teils schwerer Kachexie. Bei ca. 30 % der Patienten tritt eine signifikante Nierenbeteiligung auf, die in 10 % der Fälle in eine terminale Niereninsuffizienz mündet. Im Bereich der ableitenden Harnwege sind Blasenentleerungsstörungen mit rezidivierenden Infekten zu finden. Zudem ist eine erektile Dysfunktion häufig. Auch die Augen können in Form von Visusverlust und Glaukom beteiligt sein. Die Leber ist von der ATTR-Amyloidose nicht signifikant betroffen (Planté-Bordeneuve und Said 2011).
Tab. 1
Organbeteiligungen bei der ATTR-Amyloidose.
Nervensystem
Periphere sensomotorische Polyneuropathie
autonome Neuropathie mit Dysfunktion
Herz
Kardiomyopathie mit Herzinsuffizienz
Reizleitungsstörungen, Arrhythmien
Intestinaltrakt
Motilitätsstörungen mit chronischer Diarrhö und Malabsorption
Kachexie
Urogenitalsystem
Nephropathie mit progredienter Niereninsuffizienz
Blasenentleerungsstörungen, rezidivierende Harnweginfekte
Augen
Visusverlust, Glaukom

Diagnostik

Zur Diagnostik der ATTR-Amyloidose ist zunächst eine genaue Familienanamnese notwendig, da meist andere Familienmitglieder betroffen sind. Zur Sicherung der Diagnose kann dann eine tiefe Rektumbiopsie oder auch eine Suralisbiopsie erfolgen. Die Amyloidablagerungen lassen sich durch die Kongorotfärbung oder auch immunhistologisch nachweisen. Eine Genanalyse mit Nachweis der Mutation im TTR-Gen ist möglich.

Differenzialdiagnostik

Von der ATTR-Amyloidose abzugrenzen sind andere Formen der Amyloidose einerseits und andere Formen einer Polyneuropathie andererseits. Letztere kann im Zusammenhang mit einem Diabetes mellitus oder einem Ethanolabusus stehen. Auch demyelinisierende Neuropathien wie multiple Sklerose oder Vaskulitiden können differenzialdiagnostisch schwierig von der Amyloidose zu unterscheiden sein.

Therapie

Eine kausale konservative Therapie der ATTR-Amyloidose steht nicht zur Verfügung. Der Krankheitsprogress lässt sich nicht aufhalten. Daher steht die palliative Therapie im Vordergrund und beinhaltet je nach Notwendigkeit z. B. die Anlage eines Herzschrittmachers und Blasenkatheters, Hämodialyse oder Ernährungstherapie. Einzig die Lebertransplantation kann als kausale Therapie eingesetzt werden. Sie bewirkt eine Art Gentherapie durch Behebung der Genmutation. Das mutante Transthyretin wird dabei durch die Wildtypform ersetzt. Da die Erkrankung unaufhaltsam progredient verläuft, ergibt sich die Indikation zur Lebertransplantation, sobald die Erkrankung diagnostiziert wurde (Jonsen et al. 2001). Die Kriterien zur Listung für eine Lebertransplantation sind in Tab. 2 aufgeführt. Im Einzelfall kann sich im Rahmen der ausführlichen präoperativen Diagnostik eine Indikation zur zusätzlichen Nieren- oder Herztransplantation ergeben (Grazi et al. 2003). Nach Lebertransplantation lässt sich ein Regress der Amyloidablagerungen im Körper nachweisen (Adams et al. 2000). Dennoch kann man meist nur einen weiteren Progress der Erkrankung verhindern, während eine Rückbildung der Symptomatik nur selten eintritt (Suhr et al. 2002; Holmgren et al. 1993).
Tab. 2
Kriterien zur Listung zur Lebertransplantation bei ATTR-Amyloidose.
Match-MELD-Score bei ATTR-Amyloidose: 22 Punkte
Wenn Kriterien 1 und 2 erfüllt sowie ein Kriterium aus 3–5:
1) Bioptische Sicherung der Amyloidose
2) TTR-Genmutationsnachweis
3) Neurologische Symptomatik
4) Modifizierter BMI >700 (Gewicht/Größe2 × Serumalbumin)
5) Ausschluss kardiale Beteiligung (sonst mit Herztransplantation)
Im Gegensatz zu anderen Amyloidoseformen induziert die ATTR-Amyloidose meist keine signifikante Leberfunktionsstörung. Deshalb werden im Rahmen der sog. Dominotransplantation die explantierten Lebern dieser Patienten als Donororgane für Patienten verwendet, die aufgrund einer eingeschränkten Prognose sonst nicht als Empfänger berücksichtigt werden können. Bei diesen Empfängern kommt es zum Ersatz des gesunden Transthyretins durch das mutante Protein innerhalb von Tagen nach Transplantation (Schmidt et al. 1999). Es sind Fälle von progressiver Polyneuropathie Jahre nach Dominotransplantation beschrieben (Stangou et al. 2005).

Verlauf und Prognose

Sobald sich die Erkrankung klinisch manifestiert, ist der Verlauf kontinuierlich progredient und führt gewöhnlich etwa 10–15 Jahre nach Krankheitsbeginn zum Tod. Sofern eine Lebertransplantation durchgeführt wird, sollte die Erkrankung zumindest zum Stillstand kommen.
Literatur
Planté-Bordeneuve V, Said G (2011) Familial amyloid polyneuropathy. Lancet Neurol 10:1086–1097PubMedCrossRef
Merlini G, Bellotti V (2003) Molecular mechanisms of amyloidosis. N Engl J Med 349:583–596PubMedCrossRef
Lobato L (2003) Portuguese-type amyloidosis (transthyretin amyloidosis, ATTR V30M). J Nephrol 16:438–442PubMed
Jonsen E, Suhr OB, Tashima K, Athlin E (2001) Early liver transplantation is essential for familial amyloidotic polyneuropathy patients' quality of life. Amyloid 8:52–57PubMedCrossRef
Grazi GL, Cescon M, Salvi F et al (2003) Combined heart and liver transplantation for familial amyloidotic neuropathy: considerations from the hepatic point of view. Liver Transpl 9:986–992PubMedCrossRef
Adams D, Samuel D, Goulon-Goeau C et al (2000) The course and prognostic factors of familial amyloid polyneuropathy after liver transplantation. Brain 123:1495–1504PubMedCrossRef
Suhr OB, Ericzon BG, Friman S (2002) Long-term follow-up of survival of liver transplant recipients with familial amyloid polyneuropathy (Portuguese type). Liver Transpl 8:787–794PubMedCrossRef
Holmgren G, Ericzon BG, Groth CG et al (1993) Clinical improvement and amyloid regression after liver transplantation in hereditary transthyretin amyloidosis. Lancet 341:1113–1116PubMedCrossRef
Schmidt HH, Nashan B, Pröpsting MJ et al (1999) Familial Amyloidotic Polyneuropathy: domino liver transplantation. J Hepatol 30:293–298PubMedCrossRef
Stangou AJ, Heaton ND, Hawkins PN (2005) Transmission of systemic transthyretin amyloidosis by means of domino liver transplantation. N Engl J Med 352:235–236CrossRef