Nachdem Carboplatin in den frühen 1990er-Jahren Wirksamkeit bei den metastasierten Seminomen gezeigt hatte, wurde die Substanz auch für das Stadium I attraktiv. Der Reiz dieser Therapie liegt in der ambulanten Verabreichung der Infusion und deren guter Verträglichkeit (mäßige Myelotoxizität und gastrointestinale Nebenwirkungen). Anfangs wurden meist 2 Kurse im Intervall von 4 Wochen und einer Dosierung von 400 mg/m
2 (= „area under the curve“,
AUC 5) verabreicht. Dann wurde 1 Zyklus Carboplatin dosiert nach AUC 7 etabliert. Oliver et al. analysierten die Daten von 837 Patienten aus verschiedenen Phase-II-Studien mit entsprechend unterschiedlichen Dosierungen. Die Nachbeobachtungszeit lag im Mittel bei 75 Monaten. Für 2 Kurse Carboplatin zu je 400 mg/m
2 bzw. 1 Kurs dosiert nach AUC 7 betrug die Rezidivrate 3–4 %, für einen Kurs mit 400 mg/m
2 lag sie mit 8,6 % Rezidiven deutlich höher (Oliver et al.
2005). In einer gegen Radiatio randomisierten prospektiven Phase-III-Studie konnte dann die Nichtunterlegenheit von 1 Zyklus Carboplatin nach AUC 7
belegt werden. Von den 561 mit Carboplatin behandelten Patienten erlitten 5,1 % ein Rezidiv, in der Gruppe der 887 bestrahlten Patienten waren es 4,1 % (n.s.) (Oliver et al.
2011). Zu vergleichbaren Ergebnissen kam auch eine prospektive Studie der SWENOTECA (Tandstad et al.
2011).
Die spanische Arbeitsgruppe publizierte 2014 nochmals die Daten von 744 Patienten aus 3 Studien zur risikoadaptierten Therapie, wobei Patienten ohne oder nur einem Risikofaktor eine Surveillance, solche mit 2 Risikofaktoren 2 Kurse Carboplatin erhielten. Unter Surveillance betrug die Rezidivrate 14,8 % (51 von 396), nach Carboplatin 3,2 % (12 von 348). Das 5 Jahres-krankheitsfreie Überleben lag unter Surveillance bei 88,3 %, nach Carboplatin bei 96,8 % (p = 0,0001) (Aparicio et al.
2014). Die Publikation der SWENOTECA 2016 stellte dann den Stellenwert der adjuvanten Carboplatin-Therapie allerdings in Frage. Die Auswertung betraf 897 Patienten. Auch hier sollten nur Patienten mit 2 Risikofaktoren eine adjuvante Carboplatin-Therapie erhalten. Bei einem medizinischen Follow up von 5,6 Jahren lag die Rezidivrate für die Gesamtgruppe unter Surveillance bei 7,5 %, nach Carboplatin bei 6,2 %. Betrachtete man nur die Patienten ohne Risikofaktoren, so unterschieden sich die Rezidivraten mit 4 % unter Surveillance und 2,2 % nach Carboplatin nicht. Aber für Patienten mit 2 Risikofaktoren betrug die Rezidivrate nach Carboplatin jetzt 10,4 % (unter Surveillance 16,7 %), somit betrug der Unterschied nur 6,3 % (Tandstad et al.
2016). Einschränkend muss man sagen, dass auch Patienten mit nur einem Risikofaktor oder auch gar keinem zu einem gewissen Anteil Carboplatin auf eigenen Wunsch erhielten. Nichtsdestotrotz entbrannte nach Publikation dieser Daten die Diskussion um den Stellenwert einer adjuvanten Therapie beim Seminom CSI
neu. Es wurde dann eine deutlich höhere Rate an Zweitrezidiven
nach adjuvanter Carboplatintherapie konstatiert mit Bezug auf die Daten von Fischer et al. Dieser untersuchte die Charakteristika von Rezidiven nach adjuvanter Carboplatin-Gabe, unter 185 Rezidiven Fällen (15 %) zu einem Zweitrezidiv (Fischer et al.
2017). Als Vergleich wurde eine Arbeit von Mortensen et al. zum Langzeitverlauf unter Surveillance herangezogen. Hier wurde eine Zweit-Rezidivrate von 2 % (40 von 1954) angegeben (Mortensen et al.
2014). Der Unterschied rührte aber daher, dass diese Zweitrezidivrate sich auf das Ausgangskollektiv bezog, was in der Arbeit von Fischer gar nicht bekannt war, da dieser nur Erstrezidive überhaupt betrachtete. Würde man in der Arbeit von Mortensen ebenfalls so vorgehen, ergäben sich eine Erstrezidivrate von 19 % (369 von 1954) und eine Zweitrezidivrate bezogen auf das Ausgangskollektiv von 2 % (40 von 1954) wie o. g. Bezieht man die Zweitrezidive aber nur auf die Erstrezidive wären es 40 von 369 = 11 %. Schließlich versuchte man mit der Langzeittoxizität gegen Carboplatin zu argumentieren. In einer Arbeit von Powels et al. mit 199 Patienten und einer matched control group betrug die Gesamt-standardized mortality rate (SMR) 0,89. Die standardized incendence ratio (SIR) für kardiovaskuläre Erkrankungen wurde aber mit 1,44 angegeben und sollte für cerebrovaskuläre Erkrankungen bei 4,59 liegen. Letzteres erscheint nicht glaubwürdig. Daher sollten hier Ergebnisse größerer Patientenkollektive abgewartet werden Der Anteil an Sekundärmalignomen war mit einer SIR von 0,96 nicht erhöht (Powles et al.
2008).