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Klinische Neurologie
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Verfasst von:
Anne-Elisabeth Bredel-Geissler und Barbara Tettenborn
Publiziert am: 01.10.2018

Epilepsien und Epilepsiesyndrome ohne Altersbindung

Als Epilepsien und Epilepsiesyndrome ohne Altersbindung werden diejenigen bezeichnet, deren Beginn keinem typischen Lebensalter zuzuordnen ist. Die meisten Epilepsien ohne Altersbindung sind symptomatischer Genese, z. B. als Folge einer strukturellen ZNS-Pathologie. Aber auch Syndrome mit genetischen Ursachen zählen dazu. Im Folgenden werden diese Epilepsien anhand ihrer dominierenden Anfallsformen dargestellt.
Als Epilepsien und Epilepsiesyndrome ohne Altersbindung werden solche bezeichnet, deren Beginn keinem typischen Lebensalter zuzuordnen ist. Die meisten Epilepsien ohne Altersbindung sind symptomatischer Genese, z. B. als Folge einer strukturellen ZNS-Pathologie. Aber auch Syndrome mit genetischen Ursachen zählen dazu. Im Folgenden werden diese Epilepsien anhand ihrer dominierenden Anfallsformen dargestellt.
Die Internationale Liga gegen Epilepsie (ILAE) hat kürzlich die neue Klassifikation der epileptischen Anfälle und die der Epilepsien und epileptischen Syndrome vorgestellt (Fisher et al. 2017a, b; Scheffer et al. 2017). Sie enthalten eine Vielzahl von Änderungen in der bisherigen Bezeichnung und Einordnung von Anfällen und Epilepsien der bisher gültigen Klassifikationen der ILAE (Comm. of the International League against Epilepsy 1981, 1989). Im bisherigen Sprachgebrauch haben sich gerade für die Beschreibung von Syndromen Begriffe etabliert, die gemäß der neuen Klassifikation nicht mehr empfohlen werden. In der folgenden Darstellung der Epilepsien und Epilepsiesyndrome ohne Altersbindung werden die epileptischen Anfälle entsprechend der neuen Nomenklatur benannt. Die bisher üblichen Bezeichnungen der speziellen Syndrome werden aus didaktischen Gründen beibehalten. Auf spezielle Begriffsänderungen in der neuen Klassifikation wird zugleich verwiesen. Die Epilepsien und Epilepsiesyndrome werden wie üblich nach den jeweils dominierenden Anfallsformen bezeichnet.

Epilepsien mit fokal beginnenden Anfällen ohne Bewusstseinsstörung

Hierbei handelt es sich um Epilepsien, die mit fokalen, d. h. von einem Teil einer Hemisphäre ausgehenden Anfällen einhergehen, das Bewusstsein bleibt bei diesen Anfällen erhalten (früher: primär-fokale Anfälle). Die Lokalisation des Anfallsursprungs bestimmt die klinische Anfallssymptomatik. Es ist jedoch zu beachten, dass viele Symptome keinen eindeutigen Lokalisationshinweis geben. Epilepsien mit ausschließlich fokalen Anfällen ohne Bewusstseinsstörung sind vergleichsweise selten. Meistens sind sie mit fokalen Anfällen mit Bewusstseinsstörung oder mit bilateral tonisch-klonischen Anfällen (früher: sekundär generalisierten tonisch-klonischen Anfällen) kombiniert. Nach Gastaut et al. (1975) kommen fokale Anfälle ohne Bewusstseinsstörung bei etwa 10–20 % der Epilepsien vor.
Ätiologie
Unterschiedliche zerebrale Schädigungen kommen als Auslöser in Frage, z. B. Hirntumoren, vaskuläre Schädigungen (Ischämien, Blutungen, Kavernome, venöse Angiome), Schädel-Hirn-Traumata, metabolische oder entzündliche Faktoren. Oft bleibt die Ätiologie ungeklärt.
Klinik
Phänomenologisch können alle Formen fokal beginnender Anfälle ohne Bewusstseinsstörung auftreten. Die Nomenklatur richtet sich nach der neuen Klassifikation epileptischer Anfälle der ILAE 2017 (Kap. „Epilepsien: Grundlagen und Klassifikation“).
Differenzialdiagnose
Abzugrenzen von fokalen epileptischen Anfällen ohne Bewusstseinsstörung sind die komplizierte Migräne, transitorisch ischämische Attacken, psychogene Anfälle, Intoxikationen, episodische Lähmungen oder Tics.

Epilepsien mit fokal beginnenden Anfällen mit Bewusstseinsstörung

Leitsymptom dieser Epilepsien sind fokale Anfälle mit Beeinträchtigung des Bewusstseins (früher: komplex-fokale Anfälle). Die Anfälle können mit einer Bewusstseinsstörung beginnen oder sich aus fokalen Anfällen ohne Bewusstseinsstörung entwickeln. Eine sekundäre Generalisierung ist ebenfalls möglich. Der Anfallsursprung kann im Temporal-, Frontal-, Parietal- oder Okzipitallappen liegen. Diese Epilepsien sind meist symptomatisch, allerdings können bei Weitem nicht immer Ursachen gefunden werden. Epilepsien mit fokalen Anfällen mit Bewusstseinsstörung zählen zu den häufigsten Epilepsien im Erwachsenenalter. Sie machen in der klinischen Praxis etwa 30 % der Epilepsien aus – Zeichen ihres häufigen Vorkommens, aber auch Hinweis auf therapeutische Probleme.
Ätiologie
Die Ursachen von Epilepsien mit fokalen Anfällen mit Bewusstseinsstörung sind vielfältig. Neben Tumoren, vaskulären Läsionen (Ischämien, Blutungen, Kavernome, venöse Angiome), Zustand nach Schädel-Hirn-Traumen oder Hirnoperationen, Infektionen (Enzephalitis, Abszess) oder metabolischen Störungen kommen auch lokale sklerosierende Veränderungen, Gliosen oder kortikale Dysplasien in Frage. Bei Erstmanifestation nach dem 30. Lebensjahr nehmen Gehirntumoren als Ursache zu, jenseits des 50. Lebensjahres treten zerebrovaskuläre Veränderungen in den Vordergrund.
Mit Verbesserung der bildgebenden Verfahren, insbesondere der hochauflösenden MRT und der funktionellen Bildgebungstechniken konnten in den vergangenen Jahren bei vielen fokalen Epilepsien strukturelle Veränderungen als Ursache identifiziert werden, die zuvor nicht nachgewiesen werden konnten (Abb. 1).
Klinik
Die wesentlichen klinischen Merkmale fokal beginnender Anfälle mit Bewusstseinsstörung werden im Kap. „Epilepsien: Grundlagen und Klassifikation“ dargestellt. Die Symptomatik hängt im Einzelnen von dem Ausgangspunkt der Anfälle im Gehirn ab. Etwa 60–70 % aller Epilepsien mit fokalen Anfällen und Bewusstseinsstörung haben im Temporallappen ihren Ursprung, ca. 30–40 % extratemporal (Manford et al. 1992).
Die Bewusstseinsbeeinträchtigung kann komplett oder inkomplett sein. Fakultativ, und dies ist bei mehr als der Hälfte der Patienten der Fall, werden diese Anfälle durch fokale Anfälle ohne Bewusstseinsstörung eingeleitet (früher: Aura).
Neben der Bewusstseinsstörung bestehen fakultativ weitere Symptome. Dazu gehören beispielsweise mimische Bewegungsstarre (starrer Blick), Automatismen mit oralen Bewegungen, komplexere Stereotypien wie Nesteln, Wischen, Lachen, einseitige Kloni oder dystone Haltung der Extremitäten, Vokalisationen oder ganze szenische Handlungen, die den Anschein einer sinnvollen Tätigkeit vermitteln können. Bewegungen können, jedoch fehlerhaft, im Anfall fortgesetzt werden. Automatismen haben mit Ausnahme der oralen Automatismen (medialer Temporallappen) keine große lokalisatorische Bedeutung.
Prognose
Epilepsien mit fokal beginnenden Anfällen mit Bewusstseinsstörung bieten häufig Behandlungsprobleme. Anfallsfreiheit mittels medikamentöser Therapie kann bei 40–60 % der Patienten erreicht werden, eine deutliche Reduktion der Anfallsfrequenz bei bis zu 80 % (Manford et al. 1992; Mattson und Cramer 1993). Zwar haben die inzwischen zur Verfügung stehenden neuen antikonvulsiv wirksamen Medikamente eine deutliche Verbesserung in der Behandlung dieser Anfälle gebracht, jedoch konnte die erzielbare Rate an anfallsfreien Patienten nicht erheblich verbessert werden. Hohe Anfallsfrequenz vor Behandlungsbeginn, symptomatische (strukturelle) Genese sowie neurologische und psychiatrische Auffälligkeiten sprechen für eine schlechte Prognose.
Bei Patienten, die trotz optimaler medikamentöser Therapie nicht anfallsfrei werden, kann durch eine Video-EEG-Aufzeichnung und ggf. Ableitung von Anfällen mittels Tiefenelektroden eine weitere Abklärung sinnvoll sein, um die Möglichkeit eines epilepsiechirurgischen Eingriffs zu prüfen. Dies ist beispielsweise der Fall bei Nachweis eines konstanten epileptogenen Fokus, von dem die Anfälle regelmäßig ausgehen.

Epilepsie mit fokal beginnenden Anfällen mit Bewusstseinsstörung mit Ursprung im Temporallappen

Etwa 60–70 % aller Epilepsien mit fokal beginnenden Anfällen und Bewusstseinsstörung haben im Temporallappen ihren Ursprung. Klinisch kommt den vom medialen Temporallappen ausgehenden Anfällen mit Amygdala- und Hippocampusbeteiligung mit ca. 80–90 % der Temporallappenanfälle die größte Bedeutung zu (Abb. 1). Anfälle des lateralen Temporallappens (neokortikal) machen nur ca. 10–20 % der Temporallappenanfälle aus.
Charakteristischerweise laufen die Anfälle des medialen Temporallappens (amygdalohippocampale Anfälle, mesiobasal-limbische Anfälle, rhinenzephale Anfälle) wie folgt ab: nach vorausgehendem fokalen Anfall ohne Bewusstseinsstörung mit einem typischerweise beschriebenen vom Magen aufsteigendem Übelkeitsgefühl (früher: epigastrische Aura) kommt es meist allmählich zu einer Bewusstseinsstörung, zu Bewegungsstarre und oralen und anderen Automatismen. Die Dauer beträgt meist mehr als 1 min. Die Symptomatik klingt allmählich ab, danach ist eine postiktale Verwirrung zu beobachten, die sich ebenfalls allmählich zurückbildet. Pathognomonische Zeichen für einen Anfall des medialen Temporallappens gibt es jedoch nicht.
Elektroenzephalografisch können interiktal neben Normalbefunden leichte oder ausgeprägte Asymmetrien der Hintergrundaktivität, unilaterale temporale Sharp oder Slow waves, aber auch bilaterale Sharp oder Slow waves synchron oder asynchron auftreten, die nicht immer auf den Temporallappen beschränkt sein müssen (Abb. 2). Iktal finden sich ein- oder beidseitige Unterbrechung der Hintergrundaktivität, temporale niedrigamplitudige schnelle Aktivität, rhythmische Spikes oder Slow waves. Intrakranielle Ableitungen zeigen häufig mitttemporale bzw. temporal vorne gelegene Spikes oder Sharp waves. Die klinischen Merkmale sind in der folgenden Übersicht aufgeführt.
Klinische Merkmale fokaler Anfälle mit Bewusstseinsstörung mit Ursprung im medialen Temporallappen
  • Dauer der Anfälle charakteristischerweise 2 min oder länger
  • Beeinträchtigung des Bewusstseins, Amnesie für den Anfall
  • Einleitung mit fokalem Anfall ohne Bewusstseinsstörung mit vegetativen, sensorischen oder kognitiven Symptomen („epigastrisch“, gustatorisch, dysmnestisch, autonom etc.) (früher: Aura)
  • Allmählicher Beginn und allmähliches Ende
  • Bewegungsstarre
  • Automatismen (oroalimentär, stereotype Bewegungen, Umherlaufen, Ausziehen der Kleidung, Vokalisationen etc.)
  • Postiktale Verwirrung und dysphasische Störungen
  • Häufig nachweisbare strukturelle Läsionen
Das klinische Anfallsbild bei fokalen Anfällen mit Bewusstseinsstörung und Ursprung im lateralen Temporallappen ähnelt dem der Anfälle mit Ursprung im medialen Temporallappen, da sich die epileptogene Erregung schnell von medial nach lateral ausbreitet. Das interiktale EEG zeigt häufig temporale Spikes, maximal über der lateralen Konvexität. Interiktal entsprechen die EEG-Befunde denjenigen bei Epilepsie mit fokalen Anfällen mit Bewusstseinsstörung mit Ursprung im medialen Temporallappen.
Erwähnenswert ist auch die Gruppe der familiären Epilepsien mit fokalen Anfällen und Bewusstseinsstörung mit Ursprung im Temporallappen (früher: familiäre Temporallappenepilepsien), die im Kindes- und Erwachsenenalter beginnen kann. Man unterteilt sie in die mesiale (FMTLE) und die laterale Form (ADLTE). Bildgebend lassen sich meist keine Auffälligkeiten finden, mit Ausnahme von Hippocampussklerosen bei den FMTLE in Fällen mit Pharmakoresistenz und Assoziation zu Fieberkrämpfen. Offen ist bisher, ob die Hippocampussklerose Ursache oder Folge der epileptischen Aktivität in diesen Fällen ist. Bei der ADLTE wurde ein autosomal-dominanter Erbgang nachgewiesen. Akustische oder optische Halluzinationen können auftreten. In fMRT und AEP wurden funktionelle Auffälligkeiten der Sprachverarbeitung gesehen (Ottmann et al. 2008). Bei rund 50 % wurden Mutationen des LGI-1-Gens nachgewiesen (Ottmann et al. 2004). Spontanmutationen treten ebenfalls auf.

Epilepsien mit fokal beginnenden Anfällen mit und ohne Bewusstseinsstörung

Die Kombination von fokal beginnenden Anfällen mit und ohne Bewusstseinsstörung findet sich bei den Epilepsien des Frontal-, Parietal- und Okzipitallappens.

Epilepsien des Frontallappens

Bei den Epilepsien des Frontallappens gibt es eine außerordentliche Fülle von Anfallssymptomen, da hier große epileptogene Areale für die Anfälle verantwortlich sein können. Bei Anfällen, die vom Frontallappen ausgehen, ist eine Tendenz zur raschen Ausbreitung des Fokus typisch. Bei diesen Epilepsien kommen fokal beginnende Anfälle mit Bewusstseinsstörung (ausgehend von vorderen bzw. lateralen Foci), fokal beginnende Anfälle ohne Bewusstseinsstörung (ausgehend von medialen Frontallappenanteilen) und Übergang in bilateral tonisch-klonische Anfälle sowie kurze Bewusstseinspausen ohne signifikante Begleitsymptomatik (früher: Pseudoabsencen) vor. Fokal beginnende Anfälle mit Bewusstseinsstörung nehmen nach denjenigen mit Ursprung im Temporallappen am häufigsten ihren Ausgang vom Frontallappen.
Anhand des epileptogenen Fokus unterteilt man in Anfälle der supplementärmotorischen Region (dorsolaterale frontale Anfälle, frontopolare Anfälle, zinguläre Anfälle und orbitofrontale Anfälle), operkuläre Anfälle und frontale Anfälle der motorischen Rinde.
Für fokale Anfälle des Frontallappens sind zur diagnostischen Einordnung einige Charakteristika von Bedeutung, die auf den Anfallsursprung im Frontallappen hinweisen können. Hierzu zählt vornehmlich die Anfallshäufigkeit mit typischerweise seriellem Auftreten der Anfälle und einer Frequenz von mehr als 20 Anfällen pro Tag. Die Anfälle haben eine recht kurze Dauer, oft weniger als eine halbe Minute. Sie beginnen oft ohne Bewusstseinsstörung mit somatosensorischen Symptomen im Sinne eines ungewöhnlichen Körpergefühls (früher: Aura). Sie beginnen und enden abrupt, die Beeinträchtigung des Bewusstseins ist dabei oft nur unvollständig. Die für die Anfälle des Temporallappens typische Bewegungsstarre findet sich bei Anfällen des Frontallappens eher selten, stattdessen sieht man eine eindrucksvolle, bizarre motorische Symptomatik mit ausladenden, rhythmischen Bewegungen der Hände und der Beine, daneben werden tonisch versive Haltungen des Kopfes und/oder des Rumpfes beobachtet. Bewegungen der Augen fallen ebenfalls auf.
Wenn die vom Frontallappen ausgehenden Anfälle ohne Bewusstseinsstörung einhergehen, liegt der Ursprung im medialen Teil des Frontallappens. So gehen die operkulären Anfälle häufig mit somatosensorischen und vegetativen Symptomen (früher: epigastrische Aura) und Angstsymptomatik einher, zusätzlich zeigen sich klonische Anfälle im Gesicht, Taubheitsgefühl besonders der Hände sowie laryngeale Symptome.
Anfälle mit Ursprung im Frontallappen haben eine besonders ausgeprägte Neigung zur Ausbreitung der epileptischen Aktivität mit rascher Entwicklung bilateral tonisch-klonischer Anfälle (früher: sekundär generalisierte tonisch-klonische Anfälle). Bisweilen führt dies zu Problemen hinsichtlich der Erkennung des fokalen Anfallsbeginns.
Iktale elektroenzephalografische Befunde sind frontale oder multilobäre, oft beidseitige, niedrigamplitudige schnelle Aktivität, kombinierte Spikes, rhythmische Spikes, rhythmische Spike waves oder rhythmische Slow waves, weiterhin beidseitig hochamplitudige einzelne Sharp waves, gefolgt von diffuser Abflachung. Durch zusätzliche intrakranielle Ableitungen können Informationen zur räumlichen Ausdehnung der epileptogenen Foci gewonnen werden. Interiktal kommen neben einem unauffälligen Befund eine Asymmetrie der Hintergrundaktivität oder ein- oder beidseitig frontale Spikes oder Sharp waves vor.
Die Prognose von Frontallappenepilepsien ist sowohl in Bezug auf die medikamentöse als auch auf die chirurgische Behandelbarkeit schlechter als die der Epilepsien mit Ursprung im Temporallappen.
Speziell erwähnenswert ist die autosomal-dominante Frontallappenepilepsie (ADNFLE), die mit 70 %iger Penetranz vererbt wird (Mutationen verschiedener Gene, die für den nACh-Rezeptor kodieren mit der Folge einer erhöhten Acetylcholinsensitivität) (Diaz-Otero et al. 2008). Die nächtlichen Anfälle weisen eine große Varianz von Symptomen auf. Meist treten die Anfälle clusterartig auf, häufig als hyperkinetische (früher: hypermotorische) oder tonische Anfälle. Differenzialdiagnostisch müssen nächtliche Dystonien oder Pavor nocturnus abgegrenzt werden. Während das interiktale EEG im Wachzustand bei nahezu 90 % der Patienten normal ist, finden sich im Schlaf bei 50–75 % der Patienten regionale Verlangsamungen sowie frontale oder bifrontale Spikes.

Epilepsien des Parietallappens

Bei den Epilepsien des Parietallappens findet man am häufigsten fokale Anfälle ohne Bewusstseinsstörung mit überwiegend sensiblen oder sensorischen Symptomen. Sie können in bilateral tonisch-klonische Anfälle übergehen (früher: sekundär generalisierte tonisch-klonische Anfälle). Fokale Anfälle mit Bewusstseinsstörung kommen seltener vor und sind als Hinweis auf eine Ausbreitung des epileptogenen Fokus auf den Temporal- oder Frontallappen zu werten.
Typisch für Foci im Parietallappen sind sensorische Anfallssymptome mit Kribbelparästhesien, Elektrisieren, brennenden Dysästhesien und Schmerzen vor allem in Hand, Arm und Gesicht, daneben Taubheit, Asomatognosie, Schwindel und räumliche Orientierungsstörungen. Zu Beginn des Anfalls ist das Bewusstsein ungestört, Entwicklung einer Bewusstseinsstörung zeigt die Ausbreitung in die Temporal- bzw. Frontalregion an.
Häufig findet man im EEG fokale Spikes oder Slow-wave-Aktivität, die nicht eindeutig dem Fokus zuzuordnen ist, oft auch ihr Maximum temporal oder frontal hat.

Epilepsien des Okzipitallappens

Bei Epilepsien mit Ursprung im Okzipitallappen treten in der Regel fokale Anfälle ohne Bewusstseinsstörung auf, die in bilaterale tonisch-klonische Anfälle übergehen können. Fokale Anfälle mit Bewusstseinsstörung sieht man selten. Sie werden wie bei den Parietallappenanfällen als Hinweis auf eine Ausbreitung des epileptogenen Fokus auf temporales oder frontales Gebiet gewertet.
Im Wesentlichen werden visuelle Symptome beobachtet: Skotome, Hemianopsie, Blindheit, daneben visuelle Wahrnehmungsstörungen wie Metamorphopsien, einfache oder strukturierte Halluzinationen. Wenn eine Bewusstseinsstörung hinzutritt, ist von einer Ausbreitung des Fokus auf die Temporal- oder Frontalregion auszugehen.

Epilepsien mit generalisierten tonisch-klonischen Anfällen

Eine Epilepsie mit generalisierten tonisch-klonischen Anfällen (früher auch: Grand-Mal-Anfälle) liegt vor, wenn unprovoziert chronisch-rezidivierend generalisierte tonisch-klonische Anfälle als Hauptsymptom auftreten, unabhängig davon, ob daneben auch seltener andere Anfallsformen zu beobachten sind. Es handelt sich um eine sehr heterogene Gruppe von Erkrankungen mit großen Unterschieden hinsichtlich Ätiologie, Verlauf und Prognose. Sie sind von Epilepsien abzugrenzen, bei denen zwar generalisierte tonisch-klonische Anfälle auftreten, jedoch andere Anfallsformen dominieren.
Häufigkeit und Vorkommen
Nach Janz (1998) sind etwa 40 % aller Epilepsien solche mit ausschließlich generalisierten tonisch-klonischen Anfällen. Bei etwa 80 % dieser Epilepsien treten weitere Anfallsformen auf.
Klinik
Das klinische Anfallsbild entspricht dem Ablauf eines generalisierten tonisch-klonischen Anfalls, der in Kap. „Epilepsien: Grundlagen und Klassifikation“ ausführlich beschrieben ist.
Neben der typischen Verlaufsform werden auch Varianten von generalisierten tonisch-klonischen Anfällen beobachtet. Diese können Dauer, Ausmaß der Bewusstseinsstörung, Anfallsablauf, Symmetrie der Anfallssymptome und Dominanz einzelner Anfallsphasen betreffen.
Der Begriff der sog. Hemi-Grand-Mal-Anfälle wird häufig verwendet. Es handelt sich aber um einen vieldeutigen deskriptiven Begriff, der in keiner bisherigen Klassifikation aufgenommen wurde. Gemäß der neuen Klassifikation sollten die bisher als Hemi-Grand-Mal-Anfälle bezeichneten Anfälle als generalisierte tonisch-klonische Anfälle klassifiziert werden. Die ILAE empfiehlt, besondere Anfallsmerkmale wie Seitenbetonung oder Begrenzung auf eine Körperhälfte etc. als Freitext-Zusatz zu ergänzen (Fisher et al. 2017a, b). Elektroenzephalografisch findet sich die typische Abfolge eines generalisierten tonisch-klonischen Anfalls, jedoch nur über der kontralateralen Hirnhälfte. Eine asymmetrische Körperhaltung zu Beginn des Anfalls kann aber auch eine einseitige Betonung vortäuschen.
Generalisierte tonisch-klonische Anfälle mit Beschränkung auf eine oder Betonung einer Körperseite werden oft im Kindesalter beobachtet, und zwar infolge einer beim kindlichen Gehirn unzureichenden Synchronisationsfähigkeit. In diesen Fällen kann die Seite alternieren. Dieses Anfallsmerkmal sollte klassifikatorisch ebenfalls erwähnt werden, da es von klinischer Relevanz ist. Generalisierte tonisch-klonische Anfälle mit Halbseitenbegrenzung können jedoch auch Ausdruck einer zerebralen Hirnschädigung sein und zeigen dann lokalisatorische Konstanz.

Epilepsien mit generalisierten tonisch-klonischen Anfällen im Schlaf

Bei diesen Epilepsien treten die Anfälle nur beim Schlafen auf (früher auch: Schlaf-Grand-Mal-Epilepsien). Die Anfälle ereignen sich entsprechend der Schlafphasen in zwei Häufigkeitsgipfeln: in der ersten Tiefschlafphase und kurz vor dem Erwachen. Diese Epilepsien kommen in jedem Lebensalter mit annähernd gleicher Häufigkeit vor. Die Patienten selbst können einen nächtlichen Anfall oft nur aus indirekten Zeichen wie Muskelkater, abnormer Abgeschlagenheit am nächsten Morgen oder lateraler Zungenbisswunde ableiten. Fremdanamnestische Angaben geben oft Hinweise auf einen fokalen Beginn, meistens mit, seltener ohne Bewusstseinsstörung.
Die Ätiologie ist heterogen. In den meisten Fällen sind diese Epilepsien Ausdruck eines lokalisationsbezogenen Prozesses. Es gelingt bislang jedoch nur bei ca. einem Drittel der Patienten, eine symptomatische Genese zu belegen, dann bleibt die Ursache unklar. Nach aktuellen Kenntnissen spielen genetische Faktoren eine untergeordnete Rolle. Als ätiologische Faktoren kommen alle umschriebenen oder multifokalen Hirnläsionen oder progrediente Hirnerkrankungen in Frage.
Elektroenzephalografisch findet sich interiktal meist ein normales Wach-EEG. Schlaf provoziert häufig fokale oder generalisierte Veränderungen. Während die Herdbefunde Zeichen der fokalen Epileptogenese tragen können, bestehen die bilateralen Veränderungen meistens nur in steilen α- und ϑ-Gruppen, wobei die generalisierten Veränderungen als Hinweis auf eine sekundäre bilaterale Synchronie ausgehend von fokalen Entladungen zu werten sind (Besser 2003). Hyperventilation ist in den meisten Fällen kein geeignetes Provokationsmittel.
Die Prognose ist abhängig von der Prognose der Grunderkrankung. Sie ist am günstigsten, wenn sich neurologisch und in den Zusatzuntersuchungen keine Auffälligkeiten ergeben. Am ungünstigsten ist sie bei erworbenen progredienten Hirnerkrankungen. Nach wie vor ist bei sekundär generalisierten Epilepsien die Tendenz zur Progredienz größer und die Prognose bezüglich der Anfallskontrolle nach medikamentöser Therapie schlechter als bei den primär generalisierten Formen. Nur etwa die Hälfte der Patienten wird unter medikamentöser Therapie anfallsfrei. Das Rezidivrisiko nach erfolgreicher Behandlung liegt jedoch nur bei 33 % und ist damit im Vergleich zu vielen primär generalisierten Epilepsien niedrig.

Epilepsien mit generalisierten tonisch-klonischen Anfällen ohne tageszeitliche Bindung

Hierbei handelt es sich um Epilepsien, bei denen generalisierte tonisch-klonische Anfälle ohne tageszeitliche Bindung im Schlaf oder im Wachzustand auftreten (früher: diffuse Grand-Mal-Epilepsien). Die meist lokalisationsbezogenen Syndrome kommen in jedem Lebensalter ohne Prädilektion vor. Auch bei diesen Epilepsien bestehen häufig zusätzlich fokale oder fokal beginnende Anfälle mit oder ohne Bewusstseinseinschränkung, die auf den symptomatischen Charakter hindeuten. Epilepsien mit generalisierten tonisch-klonischen Anfällen ohne tageszeitliche Bindung können aus zuvor tageszeitlich gebundenen Epilepsien hervorgehen und weisen dann auf eine schlechtere Prognose hin. Ätiologisch bedeutsame Faktoren sind perinatale Hirnschäden, Hirntumoren, Hirntraumen und vaskuläre Prozesse. Häufig ist das interiktale EEG gerade zu Beginn der Erkrankung unauffällig. Daneben können jedoch auch fokale oder multifokale Herde auftreten.

Reflexepilepsien

Reflexepilepsien sind nicht spezifisch altersgebunden und werden daher in diesem Kapitel mit aufgeführt. Bei Reflexepilepsien handelt es sich um eine Gruppe von Epilepsien mit unterschiedlichen Anfallsarten. Ihnen ist gemeinsam, dass die Anfälle durch spezifische Reize ausgelöst werden (Aird 1983). Anfallsauslöser können beispielsweise visuelle, auditive oder taktile Reize sein, aber auch psychische oder metabolische Auslöser sind beschrieben. Die Reize können sehr komplex sein. Am häufigsten werden Reflexepilepsien durch visuelle Stimuli verursacht. Bei der fotosensiblen Epilepsie treten Anfälle ausschließlich nach der Stimulation durch Licht (Flackerlicht, Musterstimulation) auf. Eine fotosensible Epilepsie ist von den sog. fotosensiblen Reaktionen bei Epilepsien zu unterscheiden, deren Anfälle primär unabhängig von der Triggerung durch optische Reize auftreten. Bei diesen Epilepsien sind optische Stimuli zusätzlich anfallsprovozierend. Bei fotosensiblen Epilepsien (Reflexepilepsie nach optischen Reizen) treten nach Exposition generalisierte EEG-Veränderungen und generalisierte Anfälle auf. In diese Gruppe gehören auch die sog. Fernsehepilepsie und die Computer- oder Video-Game-Epilepsie, wobei nur bestimmte Bildwiederholungsfrequenzen zum Auslösen eines Anfalls führen. Eine seltene Sonderform der fotogenen Epilepsie stellt die Leseepilepsie dar, die meist in der Pubertät beginnt und gelegentlich familiär gehäuft auftritt. Bei den audiogenen Epilepsien stellen akustische Reize wie überraschende Geräusche oder bestimmte Melodien oder Musikstücke die anfallauslösenden Reize dar. Bei der musikogenen Epilepsie werden unterschiedliche Auslösemechanismen beschrieben. So können musikogen ausgelöste Anfälle bei bestimmten Instrumenten, Frequenzen oder Tonfolgen auftreten. Als verwandte Phänomene werden epileptische Anfälle beim Spielen eines Instruments oder beim Singen beschrieben (Herskowitz et al. 1984). In diesem Fall wird eine fließende Grenze zu den Leseepilepsien gesehen. Abzugrenzen von den musikogenen Epilepsien sind das beobachtete Phänomen des iktalen Musizierens oder musikalische Halluzinationen als epileptisches Phänomen. Von einer Startleepilepsie spricht man, wenn epileptische Anfälle, meist in Form von myoklonischen oder kurzen tonischen Anfällen, durch unerwartete Schreckreize ausgelöst werden. Das entscheidende Moment hierbei ist, dass der Reiz überraschend als Schreckreiz kommt, und nicht, welcher Art dieser Reiz ist.

Facharztfragen

1.
Welche Epilepsien ohne Altersbindung kommen vergleichsweise selten vor?
 
2.
Welche Epilepsien ohne Altersbindung bereiten besonders häufig therapeutische Probleme (Pharmakoresistenz)?
 
3.
Welche ätiologischen Faktoren erklären die ansteigende Inzidenz für Epilepsien im höheren Lebensalter?
 
4.
Von welcher Hirnregion gehen Epilepsien mit fokal beginnenden Anfällen mit Bewusstseinsstörung häufig aus?
 
5.
Welche Anfallsformen kommen bei Epilepsien des Frontallappens vor?
 
6.
Welche Anfälle sind bei Epilepsien des Parietallappens zu erwarten?
 
7.
Welche Stimuli sind am häufigsten Auslöser von Anfällen bei Reflexepilepsien?
 
8.
Welches Phänomen wird mit dem Begriff „Fotosensibilität“ in der Epileptologie in Abgrenzung zur Reflexepilepsie mit optischen Reizen als Auslöser beschrieben?
 
Literatur
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