Diskussion
Die vorliegende Studie konnte klinisch relevante Veränderungen der von den Patient*innen berichteten
Häufigkeiten positiv und negativ erlebter Emotionen während der tagesklinischen IMST nachweisen. Positive Emotionen wurden nach der Therapie häufiger und negative Emotionen seltener berichtet. In Anbetracht der Bedeutsamkeit von Emotionen für das Schmerzerleben [
8] kann dieser Befund als potenzieller Erfolgsmarker der IMST eingeordnet werden. Vorangegangene Untersuchungen zu Veränderungen von
Angst und
Depressivität während einer IMST wurden in dieser Studie repliziert [
17,
18]. Auch in der vorliegenden Forschungsarbeit konnte diesbezüglich eine Reduktion eruiert werden. Im Besonderen imponierte die starke Reduktion der Emotion
Ärger zum Therapieende. Dies lässt den Schluss zu, dass sich der zugrunde liegende Umgang mit Ärger während der IMST änderte. Jüngste Forschung unterstreicht die besondere Bedeutung von Ärger und Ärgermanagement bei chronifiziertem Schmerz [
25‐
28], so beispielsweise bei Migräne [
29]. Überblicksarbeiten definieren kleine bis mittlere Zusammenhänge zwischen ärgerassoziierten Variablen und Schmerzintensität bzw. schmerzassoziierten Beeinträchtigungen [
26]. Weiterhin kam es in der vorliegenden Verlaufsmessung zu einer Zunahme von
Bewältigungsemotionen. Diese Unterkategorie der positiven Emotionen umfasst Emotionen wie Mut, Zuversicht oder Dankbarkeit und unterstützt Personen im konstruktiven Meistern von situativen Herausforderungen. Frühere Forschung konnte bereits nachweisen, dass positive Emotionen im Allgemeinen und Optimismus im Konkreten bei Menschen mit chronischen muskuloskeletalen Schmerzen zur Ausdauer bei der Erledigung von Aufgaben, einem (schmerz‑)flexiblen Zielmanagement und einem verringerten Vermeidungsverhalten beitragen [
30]. Mit der vorliegenden Studie vergleichbare bewältigungsemotions- und ärgerspezifische
Verlaufsuntersuchungen bei Menschen mit chronifizierten Schmerzen im interdisziplinären tagesklinischen Setting liegen bisher nicht vor.
Das emotionale Kompetenzerleben der Patient*innen blieb während der Therapie – im Gegensatz zur erlebten Häufigkeit bestimmter Emotionen – konstant. Vor dem Hintergrund der emotionsfokussierten psychotherapeutischen Techniken im Rahmen der Gruppenpsychotherapie irritiert zunächst die fehlende Verbesserung der selbst wahrgenommenen emotionalen Kompetenzen, z. B. hinsichtlich des Erkennens von Emotionen. Eine Erklärung könnte einerseits sein, dass die Interventionen die Einschätzung emotionaler Fertigkeiten und das emotionale Selbstwirksamkeitserleben der Patient*innen bisher unzureichend adressierten. Andererseits erlebten sich die untersuchten Personen im Vergleich zur Normstichprobe/Normalbevölkerung bereits von Therapiebeginn an als durchschnittlich emotional kompetent, sodass es nachvollziehbar ist, wenn mögliche Verbesserungen des eigenen kompetenten Umgangs für die Befragten wenig salient waren. Dennoch konnte in der Untersuchung ein hoher prädiktiver Wert emotionaler Kompetenzen für die Emotionshäufigkeit nachgewiesen werden. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob sich angesichts der starken Veränderungen der Häufigkeiten positiver und negativer Emotionen die EK implizit verändert hat, ohne dass die Patient*innen dies als Kompetenzverbesserung beurteilten. Offen bleibt, inwiefern das Selbstbeurteilungsinstrument ausreichend geeignet war einen möglichen Kompetenzzuwachs zu detektieren. Interviews, Videoanalysen oder physiologische Parameter sollten für zukünftige Forschung als alternative Messverfahren berücksichtigt werden. Gleichzeitig lohnen sich weiterführende Überlegungen, welche konkreten Ergebniskriterien die schmerz-/alltagsrelevanten Auswirkungen einer potenziell veränderten emotionalen Kompetenz bestmöglich abbilden.
Limitierend anzumerken ist, dass das deskriptive Format der vorliegenden Studie die Generalisierbarkeit der Ergebnisse einschränkt. Aufgrund der fehlenden Kontrollgruppe kann keine kausale Verbindung zwischen IMST und der Verbesserung des emotionalen Erlebens hergestellt werden. Es wird lediglich eine Veränderung während der IMST beschreibend festgehalten. Da Emotionen per se instabil sind [
1], können die emotionalen Veränderungen auch unabhängig von möglichen Therapieeffekten entstanden sein. Dies gilt es nun weiterführend zu überprüfen. Auch die unzureichende scharfe Abgrenzung der Konzepte
Gefühle, Emotion, Stimmung im Erhebungsinstrument SEK-ES kann als kritischer Aspekt gewertet werden: Eine depressive Stimmung beispielsweise ist, im engeren Sinne, keine Emotion. Dies sollte bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden. Weiterhin kritisch anzumerken ist die ungleich differenzierte Erfassung positiv und negativ konnotierter Emotionen: Während im SEK-ES zu den negativ assoziierten Emotionen emotions
spezifische Aussagen getroffen werden können, können im Bereich der positiv aufgeladenen Emotionen lediglich zur Subkategorie der Bewältigungsemotionen differenzierte Aussagen getätigt werden.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass die vorliegende explorative Verlaufsmessung eine deutliche Zunahme positiv erlebter Emotionen und eine Abnahme negativ erlebter Emotionen während der IMST nachweisen konnte. Trotz des unveränderten emotionalen Kompetenzempfindens legt das klinisch relevant veränderte emotionale Erleben der Patient*innen die Schlussfolgerung nahe, dass während der IMST implizit und explizit emotionsrelevante Veränderungen stattfinden. Spannend bleibt, welche Aspekte der Therapie genau potenziell zum veränderten emotionalen Erleben beitragen. Weitere Untersuchungen zum verbesserten Verständnis darunterliegender Mechanismen bieten sich an. Interessant ist hierbei, ob Subgruppen sich hinsichtlich ihrer EK und ihres emotionalen Erlebens unterschiedlich stark verändern oder von spezifischen EK-Interventionen unterschiedlich intensiv profitieren. Weitere vertiefende Forschungsperspektiven könnten zudem sein, die eruierte Veränderung des emotionalen Erlebens während der IMST auf geschlechterspezifische oder altersbezogene Unterschiede differenzierter zu untersuchen. Auch sollten die gefundenen Evidenzen hinsichtlich möglicher Interaktionen mit anderen schmerzrelevanten Aspekten, wie Schmerzakzeptanz und psychischer Flexibilität, genauer beleuchtet werden.
Generell empfiehlt sich für zukünftige Behandlungskonzeptionen und -evaluierungen, die Aufmerksamkeit mehr auf Veränderungen des emotionalen Erlebens und der dahinterstehenden emotionalen Kompetenzen der Patient*innen zu richten. Forschungen, die verstärkt emotionsfokussierende Interventionen in die Schmerztherapie einbinden [
13,
14], verzeichneten bereits inkrementelle schmerzassoziierte Verbesserungen. Die in dieser Studie explorierten Evidenzen zum veränderten emotionalen Erleben bieten Anregung für zukünftige innovative Blickwinkel auf das bereits erfolgreiche Therapiekonzept IMST.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Alle im vorliegenden Manuskript beschriebenen Untersuchungen am Menschen wurden mit Zustimmung der zuständigen Ethikkommission (Ethikvotum: EK469122017), im Einklang mit nationalem Recht sowie gemäß der Deklaration von Helsinki von 1975 (in der aktuellen, überarbeiteten Fassung) durchgeführt.
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